Next von Chrissi2610

185 10 2
                                    

Erster Eindruck:

Die 18-jährige Lucy wurde im Alter von 8 Jahren von ihrem Vater vergewaltigt. Jetzt sinnt sie auf Rache und will zusätzlich allen Vergewaltigern in der Stadt an den Kragen.

Das klingt wieder nach heftiger Kost. Da das Buch im Genre Horror angesiedelt ist, habe ich ein blutiges Gemetzel erwartet. Die Story entwickelte sich aber eher zu einer kleinen Liebesgeschichte.

Ja, die Sache mit dem Charakterhintergrund ist mal wieder vollkommen verloren gegangen. Statt dessen geht es gleich los, dass Lucy ihren Vater töten will, der sie vor 10(!) Jahren vergewaltigt hatte. Warum sie das plötzlich jetzt, zehn Jahre später, tun will, bleibt vollkommen offen.

Was ist der Auslöser?

Sie fährt zu ihrem Vater und er begrüßt sie, als sei nichts passiert. Was ist überhaupt passiert? Was war nach der Vergewaltigung? Wie oft war es? Was ist mit der Mutter? Alles Fragen, die ich mir stellte, die aber nicht beantwortet wurden.
Es wird möglichst schnell darauf hingearbeitet, den Vater zu killen, und gerade deshalb lässt es mich kalt.
Du schreibst in einem Kommentar: Die Geschichte muss sich erst aufbauen. Ja, aber bereits von Anfang an.
Mir ist es zu gefühllos, kalt und die Schrecken der Vergewaltigung kommen nicht wirklich rüber.

Welchen Schrecken hat Lucy durchlebt? Was trieb sie zu der Tat? Wenn der Vater ein Monster ist, sollte der Leser dieses Monster spüren.
Er sollte die Gefühle von Lucy verstehen.

Ok, kann man jetzt sagen, es soll ja Horror sein, da braucht es keinen gut inszenierten Hintergrund, dann soll halt Blut spritzen. Aber das tut es nicht, die Tötungsszene ist sehr kurz und eher harmlos beschrieben und dazu gesellen sich noch Rechtschreibfehler (Ich stoch auf ihn ein; das Messer wird in der Handtasche verschreckt), die gelegentlich schmunzeln lassen.

Demgegenüber steht z.b. das Kapitel 'Happy oder Drogen', wo haarklein die Zubereitung des Frühstücks beschrieben wird. Mmh.
Komischerweise gefiel mir dieses Kapitel, genauso wie die Beschreibungen der WG-Mitbewohnerinnen. Das war zwar auch ein wenig Klischeehaft, aber immerhin hinterließen sie einen Eindruck.
Du schreibst auch mal Sachen, die nichts mit der Geschichte an sich zu tun haben sondern etwas über die Charaktere erzählen. Gut so.

Wieder schmunzeln musste ich, als die Frage aufkam, wie man weitere Vergewaltiger findet: Natürlich bei Facebook.
Dort eröffnet Lucy einen Fake-Account als 8-jähriges(!) Mädchen.
Jaja, das ist alles etwas naiv, teilweise lustig (Ein mutmaßlicher Vergewaltiger 'sabbert' als er am Spielplatz kleine Mädchen beobachtet), und die 8-Jährige chatet in Facebook wie eine Erwachsene und niemand merkt es.

Also ich habe eine 8-jährige Nichte. Weder weiß die, was Facebook ist, noch würde sie so mit einem fremden Mann chaten, geschweige denn, zustimmen, sich mit ihm einfach so zu treffen. Hier gleitet die Horrorgeschichte dann doch zu sehr ins alberne ab.

Hinzu kommt, das du ein wenig den Rahmen verlierst. Was ist deine Geschichte? Horror oder Lovestory?
Vielleicht solltest du die Rubrik in Drama ändern oder aber du bringst mal wirklich etwas Schrecken in die Geschichte.

Rechtschreibung und Grammatik:
Da hapert es bisweilen. Gross-, Kleinschreibung, den/denn sind oft falsch, aber es gibt auch Seiten, die fast fehlerlos sind.
Note: 3

Optische Gestaltung:
Cover: Passt gut zum Buch, nichts Weltbewegendes, aber solide, etwas pixelig.
Gerade im ersten Kapitel keine Absätze, es wurde aber besser.
Note: 3

Lesbarkeit:
Auch hier schwankt es oft. Manche Dinge beschreibst du gut und flüssig, manch andere Satzkonstruktionen musste ich mehrmals lesen.
Insgesamt scheinst du dich aber von Kapitel zu Kapitel zu verbessern.
Note: 3

Spaß:
Ja, Spaß hatte ich, aber eher unfreiwillig. Erschrocken bin ich nie.
Würde ich die Story weiterlesen: Ich schwanke zwischen Nein und vielleicht.

Das Problem ist, dass du ein wenig das Thema verfehlst. Wenn du eine Horrorgeschichte schreiben willst, dann musst du auch den Schrecken beschreiben können, der Leser muss an den Fingernägeln kauen und mitzittern. Statt dessen entspinnt sich eine Lovestory. Das ist durchaus ok, denn es muss ja auch eine Charakterentwicklung stattfinden und die hast du ganz gut gelöst, nämlich, das Lucy durch ihre Vergewaltigung erst eine Abneigung gegen Kevin hat und ihm eben nicht gleich um den Hals fällt. Das ist glaubwürdig und nachvollziehbar.
Die Sache mit Facebook und dem 8-jährigen Mädchen, dem sabbernden Mann usw. ist aber das Gegenteil, und das wertet deine Geschichte ab. Zu viel Klischee, zu unglaubwürdig.
Wenn es also Horror bleiben soll, muss die Tötungsszene ihres Vaters richtig reinhauen. Dann hast du eine Markierung gesetzt und dann kann es erst mal etwas ruhiger weitergehen, die Beziehung zu Kevin kann sich aufbauen und dann, wenn der Nächste fällig ist, muss es wieder heftig werden.

Wo du richtig gut bist, sind die Stellen die eben eher aus deinem Leben sein könnten. Ich gehe davon aus das du auch noch sehr jung bist.
Wenn man als junger Mensch über Dinge schreibt die man nicht kennt, wirkt halt manches auf Erwachsene naiv. Ich will da aber jetzt auch nicht zu lange darauf herumreiten, aber Glaubwürdigkeit ist halt ein wichtiger Baustein einer guten Story. (Da ist dieses G-Wort schon wieder, grr...)

Vielleicht solltest du mal eine Horrorgeschichte aus deinem Umfeld schreiben? Ich glaube, in so etwas wärst du richtig gut.
Die Sache mit der WG hat mir richtig gut gefallen, die Beschreibungen der Mitbewohnerinnen, deren Probleme, auch die Lovestory hast du durchaus gut hinbekommen.

Mit ein paar Kniffen kannst du aber auch die Vergewaltigungssache glaubwürdiger(grrr) hinbekommen, deswegen noch ein paar Tipps:

Du solltest auf jeden Fall einen Auslöser für den Mord an ihrem Vater voranstellen.
Das kann z.B. die Radiomeldung sein, die sie im Auto hört und dadurch wieder an ihre eigene Vergewaltigung erinnert wird (Flashback nennt man sowas).
Die Bilder und Gefühle kommen wieder in ihren Kopf und dann dreht sie durch. Hier musst du sehr viel Arbeit investieren, denn dieser Teil muss nachvollziehbar sein. Der Leser muss verstehen, WARUM Lucy plötzlich zur Killerin wird. Hier müssen Gefühle rein! Sie sitzt im Auto, Ampel ist grün, alle Hupen und sie heult mit dem Kopf auf dem Lenkrad usw.

Natürlich hast du ein Problem, wie findet man glaubwürdig(grrrr) einen Vergewaltiger wenn man einen braucht ;-)
Vielleicht eher bei der Polizei in irgendwelchen Akten. Wie sie da dran kommt? Vielleicht hat Kevin einen Onkel bei der Polizei und er klaut aus dessen Büro eine Liste von Männern, die wegen Vergewaltigung im Knast gesessen haben und jetzt wieder auf freiem Fuß sind?
Die Liste könnte Lucy mit Kevin abklappern und jeden abmurksen. Damit hast du ein großes Problem gelöst und gleichzeitig durch die Liste einen roten Faden.

Ändere das 8-jährige Facebook Mädchen in ein 13-Jähriges oder aber mache etwas Krasses: Lass z. B. Lucy das 8-jährige Nachbarskind als Lockvogel missbrauchen und alleine in der Stadt herumlaufen. Nach ein paar Tagen in denen nichts passiert, taucht plötzlich ein Kerl auf der hinter ihr her schleicht usw., sie in sein Auto packt und davonrast.

Du hast Phantasie, schreiben kannst du auch wie man an den 'normalen' Kapiteln sehr gut sehen kann.
Bleib auf jeden Fall am Ball. Ich hoffe, du kannst ein paar Tipps mitnehmen. Letztlich ist es aber nur _meine_ Meinung, nimm die Kritik also nicht zu ernst und denk einfach mal über das ein oder andere nach. Schreiben hat sehr viel mit Handwerk zu tun, und ein Handwerk muss man erlernen, und um es zu erlernen muss man... Schreiben :-)

Die Stunde der Kritiker *CLOSED*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt