Tag 5

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Heute wollte ich noch nicht in die Schule gehen. Das heißt, ich kann schon, will aber nicht. Ich saß fingernägelkauend auf dem Sofa und wartete ab, was passiert. Grell hat sich aufgeregt, dass ich einfach weggelaufen bin. Um sich abzureagieren ist er raus gegangen und sägte im Wald wahrscheinlich Bäume um, weil ihm langweilig war. Ronald saß neben mir. Er wollte mich auf keinen Fall mehr alleine lassen und hat sich deshalb auch krankgemeldet. "Deine Mutter hat angerufen und gefragt, wann du zurück kommst. Du sollst sie sobald wie möglich zurückrufen." Erwähnte er, während er nachdenklich auf die Glotze vor uns starrte. Überrascht sah ich auf. "Hast du mit ihr geredet?" Er schüttelte den Kopf. "Sie hat auf den AB gesprochen." Achso. Ich nickte. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen wollte. "Ich will nach Hause." Sagte ich. Er nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Dann schaute er mich mit seinen grünen Augen durchdringend an, so als ob er prüfen wollte, dass ich nicht wieder einen Fluchtversuch startete. "Also gut. Aber ich begleite dich. Und ich beobachte dich, ganz egal was du tust. Ich hab dich genau im Blick, merk dir das." Sein Blick machte mir Angst. "O-okay..." stotterte ich. Er lachte. "Na komm, oder willst du hier noch Wurzeln schlagen?" Ich stand auf. Zusammen gingen wir ins Freie. Ronald hielt mir die Beifahrertür seines Autos auf. Ja, er hatte ein Auto, was ich selbst nicht geahnt hätte. "Nur weil wir Shinigamis sowieso schneller als ihr Menschen seid, heißt das nicht, dass wir uns nicht an die moderne Technik anpassen." Beantwortete er meinen fragenden Blick. Die Ledersitze waren weich und unerwartet bequem. Ronald fuhr in Richtung Stadt. Das Auto war irgendwie schön, trotz der Tatsache, dass es einem gelb-braunen Schrotthaufen glich. Aber es hatte etwas an sich, es schien noch nicht sehr alt zu sein. "Was ist mit dem denn passiert?" lachte ich. Ronald wollte erst nicht antworten, überlegte es sich dann aber doch. "Ich war damit schon mal auf der Flucht, aber das geht dich überhaupt nichts an." antwortete er. Etwa vor einem Teufel? "Aber ist doch toll, einen fahrenden Schrottklumpen sieht man nicht alle Tage," ich verkniff mir ein Lachen. "Stimmt. Aber du bist bei der Arbeit doch eh immer auf einem 'fliegenden Rasenmäher' unterwegs." Er schwieg. Auf einmal vibrierte mein Handy. Ich kramte es aus meiner Handtasche hervor und klappte es auf. Was war denn das? Eine fremde Nummer war in meinen WhatsApp Kontakten eingespeichert. "Hi, Lisa! Ich bins, Eric. du wirst gleich abgeholt, ich ziele gerade... ;)" "Es ist Mina." log ich. Dann tippte ich eine Nachricht zurück. "Wohin zielst du? Und womit bitteschön??"  "Na, auf das Auto. Mit Sebastian. Keine Sorge, diese Karre hat sowieso schon einiges überlebt. Mach's dir bequem und warte ab." Häää?? Okay, ich sollte mich auf etwas gefasst machen. Ich steckte das Handy zurück in meine Tasche, wo es hoffentlich sicher war. "Ist was? Du siehst nervös aus." fragte Ronald. Ich setzte mir ein Lächeln auf. "Nein, alles okay." antwortete ich. Wir fuhren mit einer Geschwindigkeit, die ich kaum überleben könnte, wenn mich Sebastian hier rausschmeißen würde...  "Was hast du? W-"  In diesem Augenblick krachte etwas von oben auf das Dach. Mit einem mal wurde es vom Auto gerissen. "Verdammte Schei...!!" Er bremste stark vor dem Waldrand. Ich wollte etwas sagen, doch über mir tauchte plötzlich ein riesiger schwarzer Schatten auf, der mich beinahe mit Lichtgeschwindigkeit packte und in die Höhe schoss, genaueres bekam ich dann gar nicht mehr mit. Ich muss bewusstlos geworden sein.

"......cht? Gehts eigentlich noch? Sogar ich wäre beinahe gestorben vor Schreck!!" Ich lag irgendwo. Es war dunkel. Wahrscheinlich fantasierte ich, bildete mir die Stimmen in meinem Kopf nur ein. Sie stritten sich über irgendetwas, das mir unlogisch vorkam. "Wie hätte ich sie bitteschön sonst von diesem Shinigami trennen können? Ohne, dass er etwas tun kann?" "Wir hatten ausgemacht, er soll es nicht bemerken. Du verstehst das doch nicht! Ronald ist mein Kumpel!" Es ging um ein Mädchen, doch wer war sie? Das Gemurmel weckte mich schließlich auf und ich bemerkte, dass die Stimmen echt waren. Langsam öffnete ich die Augen. Ich lag auf dem Boden, in irgendeinem Raum. Außer mir befanden sich noch drei weitere Personen hier. Sebastian stand mit dem Rücken zu mir, mit einem Jungen, der ähnlich blonde Haare hatte wie Ronald. Ihm gegenüber befand sich ein Dunkelhaariger, der neongrüne Augen hatte und sich über irgendetwas aufregte. Als ich ihn ansah, bemerkte er mich. "Oh." sagte er. Sebastian und der Blonde drehten sich zu mir um. "Ah, du bist schon wach? Hallo, ich bin Eric." lächelte der Blonde. Ich sah ihn fragend an. "Wir diskutieren gerade. Alan ist der Meinung, Sebastian wäre zu unvorsichtig gewesen. Was aber völliger Schwachsinn ist!" Der Dunkelhaarige, Alan, unterbrach ihn. "Nein, wirklich. Es wäre besser gewesen, Ronald hätte es nicht bemerkt. Wenn er Sebastian gesehen hätte.... nicht auszudenken! Schließlich sind sie in der Ausbildung!" Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, dem Gespräch zu folgen. Ich stand nur unschlüssig da. Sebastian lächelte mitfühlend. "Hört auf, zu streiten, jetzt ist es nunmal so. Ich mache Tee." Er ging aus dem Zimmer. Eric seufzte. "Also gut. Setz dich, Lisa. Ich will dir ein Angebot machen. Alan...?" Alan schüttelte den Kopf. "Nein, ich bleibe. Es läuft gerade eh kein guter Anime im Fernseher." Durchdringlich starrte er mich an. Ich sah weg. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht alleinlassen wollte.

Wir saßen im Wohnzimmer auf den Sofas. Es war sehr animemäßig eingerichtet. Alan schien mit den Gedanken ganz wo anders zu sein, er starrte einfach nur auf Erics Bücherregal, das mit Mangas vollgestopft war. Okay, mir wurde klar, mit welchem Typ von Charakter ich zu tun hatte. Sebastian reichte mir eine Teetasse. Es roch nach Earl Grey. Wie übrigens in der gesamten Wohnung auch. "Also... du hast gesagt, du kannst mir helfen." begann ich. Eric nickte. "Das ist richtig. Aber vorher möchte ich dich um etwas bitten, was nur jemand tun kann, der kein Shinigami oder Teufel ist. Und du bist ganz praktisch, da du übermorgen sterben wirst, kannst du so manche Geheimnisse für dich behalten, ohne dass sie jemals an die Öffentlichkeit geraten. Obwohl ich normalerweise nicht zu der Sorte gehöre, die Regeln bricht." erklärte er, mit einem finsteren Seitenblick zu Sebastian. Der grinste nur. Ich sollte also sterben? "Sagtest du nicht, dass du mir helfen willst? Warum soll ich sterben? Du kannst das doch verhindern, du bist ein Shinigami!!" rief ich verzweifelt. Er versuchte, mich zu beruhigen. "Hör mal, es tut mir echt leid, das sagen zu müssen. Aber ganz egal, was man tut, man kann keine Namen mehr von der Liste streichen. Auch nicht, wenn man sie wegradiert." ich erstarrte. Seine Worte erinnerten mich an einen Traum, den ich neulich hatte... "Ich kann dir zwar helfen, aber niemand kann dich retten. Also. Wenn du mir diesen kleinen Gefallen tust, werde ich dir dabei helfen, alles zu tun, was du noch möchtest. Damit du in Frieden abschließen kannst. Was meinst du?" Alle sahen mich an. Was ich noch tun möchte. Ich möchte mich in irgendeiner Form von dieser Welt verabschieden können, damit mich jeder, der mich kannte, in Erinnerung behält. Die Stille des Raums wurde von meinem leisen Schluchzen unterbrochen. "Was muss ich tun?" fragte ich leise.

7 days aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt