Der schwarze Ring

136 10 5
                                    

„So, So", brummte die boshafte Stimme vor mir. Langsam öffnete ich meine Augen, als die Hände von mir genommen wurden. „Interessant", sprach sie nachdenklich weiter und trat neben uns zu einem Tisch mit etlichen Karten und Texten. So geschwächt ich auch war, beobachtete ich sie weiterhin aufmerksam. Mein Blick fiel auf ein Stück Pergament, auf welchem etwas wie eine Prophezeiung geschrieben war. Ich war zu müde, um die Worte wirklich zu realisieren, doch versuchte sie mir einzuprägen. Alle Informationen konnten irgendwie wichtig sein.
„Ihr habt, was Ihr wolltet", sagte ich leise und wurde etwas wackelig auf meinen Beinen. „Noch nicht ganz. Ich will wissen wie viel du über ihn weißt und außerdem, wo der Ring nun ist." Ich sah sie wütend an. So sehr hatte ich versucht die Vergangenheit zu verdrängen. Sie zu vergessen. Doch sie machte es mir nicht unbedingt einfacher. Meine Lügen würden aufgedeckt werden und ihr Zorn würde unbändig sein.

~

Als ich durch einen der kleineren Eingänge den Palast wieder betrat, machte ich mich sofort daran den Prinzen zu suchen. Doch wie sollte es auch sein? Es war ganz schön schwer in den großen Hallen eine einzelne Person zu suchen und nach ihm zu fragen, war mir zu unangenehm. Was sollte man auch denken, wenn irgendeine Schülerin nach dem großen Prinzen fragte? Irgendwann kamen mir dann ein paar Elben entgegen, welche sich in der großen Halle sammelten. Legolas war also definitiv hier irgendwo, doch sollte ich ihn wirklich jetzt gerade stören? Die Nachricht musste wirklich etwas in ihm ausgelöst haben, so viele Leute, wie er gerade zusammenrief.
Also entschied ich mich letztendlich dafür, einfach später mit ihm darüber zu sprechen. Es konnte nicht so wichtig sein. Der Ring war schließlich kein Zauberring und wenn er mächtig wäre, so hätte ich das vorhin gespürt. Außerdem war ich auch ziemlich erschöpft von dem Gehen und der Aufregung, weswegen ich mich erst einmal auf mein Zimmer begab.
Meine Wunde war nicht so schlimm, wie ich es erwartet hatte, sie war sogar etwas besser geworden und mit der Heilkunst der Elben war inzwischen nur noch eine dünne Kruste zu sehen. Ich freute mich schon ein wenig auf morgen, wenn ich wieder beim Training mitmachen durfte und auch keine enttäuschten Blicke von Legolas mehr erntete.
Der restliche Tag verging gähnend langsam. Mein Vater war anscheinend auch im Wald und suchte nach den Orks, weshalb ich keine Beschäftigung hatte und immer mal wieder nachschauen ging, ob die Kämpfer zurück waren.

Die Sonne war fast untergegangen, als ich wieder meine Runden durch die Eingangshallen drehte und sich endlich etwas rührte. Die großen Türen wurden aufgedrückt und die ersten Kämpfer betraten den Palast. Einige waren verletzt und alle hatten Blutspuren, welche schwarz, aber auch rot waren. Wurden wir wirklich angegriffen? Einfach so?
Es waren eindeutig weniger, als das Palast ursprünglich verlassen hatten und in der Menge konnte ich meinen Vater zunächst nicht erkennen. Ich wollte zwar wissen, ob es ihm gut ging, doch musste ich auch mit Legolas sprechen, welcher als Letzter hineintrat. Sein Gesichtsausdruck war ernst, doch es war keine Spur von Müdigkeit zu erkennen. Er hatte mich schnell entdeckt und kam auf mich zu. Ich war etwas überrascht, dass er nicht zuerst noch irgendwelche Befehle erteilen, oder zumindest dem König Bericht erstatten wollte.
Er sagte kein Wort, sondern zog mich einfach mit sich ein wenig weiter weg von den Heimkehrenden. Ich war davon noch etwas verwirrter, doch wartete auf die Erklärung. „Ich weiß nicht, ob dein Vater es dir erzählt hat, aber wir haben kurz gesprochen, als du noch bewusstlos warst", fing er leise mit einem eindringlichen Blick an. Worauf wollte er genau hinaus?
Er machte eine kurze Pause und unterbrach den Blickkontakt. „Er... war bei den Kämpfern dabei, wie du sicher weißt", führte er weiter und ich trat einen kleinen Schritt zurück. Er wollte mir gerade nicht sagen, dass...
„Er wurde verletzt, ich weiß nicht, ob er es überleben wird, doch ich denke, er ist bereits bei den Heilern", brachte er es endlich zu Ende und sah mich fast schon mitleidig an, doch das machte es nicht viel besser. „Warum sagt Ihr mir das?", flüsterte ich leise mit brüchiger Stimme. Ich wäre irgendwann sowieso draufgekommen und wir waren keine Freunde oder Ähnliches. Er hatte keine Verantwortung mir gegenüber, oder kannte mich wirklich. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt meinen Namen wusste.
Er öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, doch ließ es dann doch bleiben. Hatte es vielleicht etwas mit seiner Mutter zu tun? Er hatte wenigstens noch seinen Vater, ich hatte meine biologischen Eltern eigentlich nie kennengelernt, hatte nie eine Mutter gehabt und nun sollte auch noch die einzige Person, die mein ganzes Leben immer für mich da war, sterben? Das konnte er nicht mit sich selber vergleichen!
Ich drehte meinen Kopf kurz weg und fuhr mir durch meine Haare. Er war noch nicht tot, er war bloß verletzt und ich musste einen kühlen Kopf bewahren. Ich bemerkte, wie sich langsam Wut in mir breitmachte und ich hatte keine Ahnung warum. Er hatte keine Schuld daran und es wäre maßlos respektlos von mir, das jetzt an ihm auszulassen. Er war immer noch mein Prinz, egal wie nett er plötzlich zu mir war. Die paar Sekunden Stille reichten ihm wohl, um zu beschließen, mich alleine zu lassen. Er nickte mir kurz zu und machte sich daran zu gehen.
„Legolas", hauchte ich mit einem Kloß in meinem Hals. Ich war selbst überrascht von mir, dass ich ihn so nannte. Das war eigentlich nur guten Freunden vorbehalten. Doch er schien es mir nicht übelzunehmen und blieb stehen. Ich schaute ihm kurz in seine blauen Augen und holte dann die Schachtel hervor. „Ich weiß nicht, ob Ihr es einfach übersehen habt, doch das hatte der Anführer bei sich", sagte ich leise. Der Prinz starrte wie angewurzelt auf das Zeichen darauf, bis er irgendwann seine Hand hob und sie um meine schloss, bis ich sie wegzog. Sie hatten sich ungewohnt warm und weich angefühlt.
Ohne ein Wort öffnete er sie vorsichtig und starrte noch einmal länger auf den Inhalt, bis schließlich nur seine Augen, die meinigen suchten. „Sag mir, du hast ihn nicht aufgehabt." Seine Stimme klang hart, fast entschlossen, so dass ich ein wenig Angst bekam. „Nein", hauchte ich schnell. Die Sorge um meinen Vater war wieder in den Hintergrund gerückt.
„Was weißt du darüber?" „Nichts, nur dass es anscheinend mindestens drei von ihnen gibt. Er ist keiner der Zauberringe, was ist er dann?", fragte ich genauso leise. Legolas schloss den Deckel wieder und sah mich prüfend an. „Komm mit", befahl er und ging los. Ich hielt mich ein wenig hinter ihm. Ich war mir unsicher, was er nun tun würde. In seinem Blick hatte eine Entschlossenheit gelegen, der ich alles zutrauen würde. Mir wurde recht schnell klar, wo er uns hinführte, und das machte mich nur noch nervöser. Es war einer der verbotenen Teile des Palastes, die der Königsfamilie allein vorbehalten waren.
Er nahm absichtlich einen Eingang, der gerade nicht bewacht war und sperrte die Tür auf. Ich konnte mir schon fast vorstellen, dass er mein Herz pochen hören konnte, so laut war es. Er ließ mich eintreten und schloss dann wieder ab. Ein großer Raum mit rotem Teppich breitete sich vor mir aus. Es waren ein paar wenige Tische und Sessel aufgestellt mit zwei sichtlich angenehmen Sofasesseln, welche vor einem Kamin standen, der gerade nicht brannte.
Er sagte kein Wort, sondern ging einfach nur auf eine Tür weiter hinten zu. Ich versuchte jeden Eindruck des Raumes in mir aufzusaugen, als wir in den nächsten gingen. Dieser war dunkler und auch ein wenig kälter als der Vorige. Er sah fast aus wie ein Keller. In der Mitte stand wieder ein kleiner hölzerner Tisch, doch ohne jedwede Stühle. An den Wänden waren Schränke oder Waffenhalter angebracht. Er war im Allgemeinen ziemlich klein. Weiter hinten konnte ich eine schmale Treppe erkennen, welche weiter hinunterführte, doch der Prinz ging bloß auf einen der Schränke zu.
Ich stellte mich schweigend zu dem Tisch. Er kramte nicht lange und stellte sich mit einem kleinen Gefäß mir gegenüber. Es war aus schwarzem Glas und soweit ich das im schwachen Licht erkennen konnte, war es eigentlich recht schön verziert.
Er stellte es in die Mitte und hob den Deckel an. Gespannt fokussierten sich unser beider Blicke auf den Inhalt. Es war eine schwarze Flüssigkeit, welche langsam anfing zu blubbern. Etwas unsicher warf ich Legolas kurz einen Blick zu, doch er ignorierte mich und starrte bloß weiter nach unten. Ich musste schwer schlucken, als die Flüssigkeit so stark zu brodeln begann, dass sie über den Rand schwappte und sich am Holz wieder sammelte. Dort, wo sie geflossen war, waren keinerlei Rückstände zu erkennen.
Ich wollte fragen was das war, doch hatte zu viel Angst. Es machte es auch nicht viel besser, als sie sich plötzlich dazu entschloss, mit langsamer, doch stetiger Geschwindigkeit auf mich zuzufließen. Ich konnte Legolas' Blick auf mir brennen spüren, doch konnte meinen Kopf nicht mehr heben. Die Kälte, die ich mit dem Ring in den Händen gespürt hatte, kroch wieder zurück in meine Finger und ich begann leicht zu zittern.
Der Prinz holte langsam die Schachtel hervor und stellte sie auf eine der noch freien Seiten des Tisches. Die Flüssigkeit stoppte sofort und floss mit schnellerer Geschwindigkeit nun auf den Ring zu. Kurz bevor sie ihn erreichen konnte, nahm Legolas ihn allerdings wieder und fing an, mit ein paar leisen Zaubersprüchen die dickflüssige Masse wieder zurück in das gläserne Behältnis zu befördern. Ich wollte fragen was das war, wollte wegrennen, wollte schreien oder wenigstens anfangen zu weinen, doch ich war so versteinert, dass ich mich nicht rühren konnte. Ich wusste nicht mehr, ob es wegen dem Schock war, oder ob es Zauberei war.
Immer noch herrschte Stille, als er alles wieder zurückstellte und sich dann mit seinen Händen auf dem Tisch abstützte. Nur langsam konnte ich den eindringlichen Blick erwidern. „Wie lange hast du ihn gehalten?" Es fühlte sich fast ungewohnt an wieder seine Stimme zu hören und mein Kopf verarbeitete nur stockend seine Worte. „Nicht lange", flüsterte ich leise. „Du hättest früher zu mir kommen sollen", murmelte er ernst und holte ein Messer hervor. „Ich dachte ich würde Euch nur stören", sagte ich etwas schüchtern und er seufzte ein wenig. „Ich muss etwas erledigen. Du bleibst hier, verstanden?", fragte er und ich nickte sofort. Damit verließ er den Raum und ließ mich immer noch zitternd zurück. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Es schien mir wie eine Ewigkeit, die er weg war und zwischen den steinernen Mauern durchzog nicht nur die magische, sondern auch die echte Kälte meinen Körper. Ich hielt es einfach nicht mehr aus und öffnete langsam die Tür zu dem großen Raum. Sofort schlug mir frische Luft entgegen, welche allerdings auch nur ein wenig wärmer war. Irgendwie musste man doch den Kamin in Gang bringen, oder nicht? Doch das konnte ich nicht tun. Es war nicht mein Kamin, es war nicht mal der der Allgemeinheit. Es war der des Königs oder des Prinzen und ich verstieß bereits gegen einen direkten Befehl, wenn ich diesen Raum auch nur betrat.
Doch ich konnte nicht anders, als mich in einen der weichen Sessel zu setzen. Sofort überkam mich ein unangenehmes Gefühl. Hier saß vermutlich nur die Königsfamilie. Woraus nahm ich mir das Recht hier zu sitzen? Ich stand schnell wieder auf und bemerkte leise Schritte, welche sich einer Tür näherten, die ich noch nicht kannte. Es war also vermutlich nicht Legolas, außer er kam zufällig aus einer anderen Richtung. Ich redete mir ein, dass es wahrscheinlich nur eine Wache sein würde, doch meine Hoffnung erstarb, als sich die Tür öffnete und ich einen silbernen Umhang erkannte, welcher innen eine rote Fütterung hatte. Lange blonde Haare fielen auf ihn hinab und alleine schon die Größe und die Anmut hätten mir gereicht, um festzustellen, dass es der König war, welcher gerade überrascht im Türrahmen stehenblieb. Er hatte ein Glas Wein in der Hand, welchen er wohl gerade in seinen privaten Gemächern genießen wollte.
„Vergebt mir, mein König", sagte ich sofort hastig und verbeugte mich tief. Aus den Augenwinkeln konnte ich eine Geste erkennen, die mir erlaubte, mich wieder aufzurichten. Mir schien es, als wäre meine ganze Kraft aus meinem Körper gewichen. Ich war schon fast überrascht von mir selbst, als ich mich wieder aufrichten konnte, doch weiterhin Blickkontakt vermied. „Wie kommt eine Schülerin hier hinein?", fragte er bloß etwas belustigt und hatte ein unverkennbar schadenfreudiges Lächeln aufgesetzt. Er schloss die Tür hinter sich und kam näher. Ich spürte, wie ich anfing leicht zu schwitzen, als ich versuchte mir eine Ausrede einfallen zu lassen.
„Ich—", fing ich an, doch brach ab, als mir klar wurde, dass es keine Ausrede gab, die das hier auch nur ansatzweise erklären könnte.
„Jemand muss dich hier hineingelassen haben", sagte Thranduil eher zu sich selbst und ging durch den Raum, ohne mich eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ich hätte mich am liebsten pulverisiert. Sein Blick brannte noch viel schlimmer als der seines Sohnes. Ich stand schließlich alleine dem König des Düsterwaldes gegenüber.
„Ich habe mich wohl einfach verlaufen, mein König", brachte ich gerade noch so heraus, doch mir war klar, dass er mir das keine Sekunde abkaufte. Er war inzwischen so nah, dass er sein Weinglas auf dem Tisch vor mir abstellte und mich dann musterte. „Dein Name lautet Arien, nicht wahr?" Mein Mund klappte leicht auf und meine Augen suchten wieder die seinen. Wie in aller Welt?
„Ja, das Kind, das als einziges hier verweilen durfte", lächelte er etwas erfreut und musterte mich abermals. Ich sah ihn verwirrt an. Wovon sprach er? Dass meine Eltern hier nicht verweilen durften, weil sie gestorben waren? Oder gab es da etwas, das ich nicht wusste?
„Also, Arien, Tochter des Edlenn, was tust du in den königlichen Gemächern?" Er hatte immer noch dieses überhebliche Lächeln auf seinen Lippen. Ich musste schwer schlucken und sah ihn weiter begriffsstutzig an. Das konnte er nicht ernst meinen.
Hinter mir hörte ich das Klicken der Tür, doch ich drehte mich nicht um. Ich konnte und wollte dem König nicht meinen Rücken zudrehen. Seine Worte hatten tief in mir etwas bewegt, das ich nicht zuordnen konnte. „Als ob es wirklich so schwer wäre einmal meinen Befehlen Folge zu leisten", knurrte Legolas entnervt. Der Blick des Königs ließ endlich von mir ab und fokussierte seinen Sohn. Normalerweise hätte ich mich jetzt maßlos schuldig oder schlecht gefühlt, weil ich ja wirklich seine Befehle missachtet hatte, doch ich versuchte immer noch die Worte des Königs zu begreifen. „Mir scheint du hast es ihr noch nicht erzählt", antwortete Thranduil bloß, sah mich noch mal an und schritt dann an mir vorbei.
„Ich werde euch dann mal alleine lassen", sagte er noch nach einer kurzen Stille, in der die beiden wohl Blicke ausgetauscht hatten, nahm sein Glas Wein und verließ den Raum durch die Tür, durch die er gekommen war. Ich war selbst ein wenig überrascht davon, wie schnell wir ihn losgeworden waren. Ich drehte mich langsam zu dem Prinzen um, welcher seine aufrechte Haltung ein wenig aufgegeben hatte. In seinen Händen lagen das Messer und eine Schale mit augenscheinlichem Blut."Edlenn? Meine Eltern wurden verbannt?", fragte ich mit heiserer Stimme. Legolas wandte seinen Blick ab, doch kam näher. „Du trägst keine Schuld", murmelte er leise und setzte sich in einen der Sessel, nachdem er die Objekte in seinen Händen auf dem Tisch abgestellt hatte. Ich brachte kein Wort heraus. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Offensichtlich wusste er mehr über meine Vergangenheit als ich, doch er war andererseits immer noch mein Prinz und ich durfte mir keine Fehltritte mehr erlauben.
„Was haben sie getan?", fragte ich also leise, doch brachte es nicht zusammen mich neben ihm niederzulassen. „Du solltest es erst später erfahren", fing er an und fühlte sich offensichtlich ein wenig unwohl. „Sie waren an einem Angriff gegen meinen Vater beteiligt. Offensichtlich haben sie nichts erreicht, doch es war unverzeihlich. Deine Mutter hat mich damals gebeten für dich eine neue Familie zu finden. Sie konnten dich auf der Flucht nicht versorgen und wussten, dass du hier ein besseres Leben haben würdest. Ich war ziemlich gut mit ihr befreundet damals und das war der letzte Gefallen, den ich ihr getan habe. Den Rest kannst du dir denken", erzählte er mit sanfter Stimme und ich sah ihn ungläubig an. Mir wurden mein ganzes Leben lang nur Lügen erzählt? Mir wurde gesagt, dass ich keine echte Waldelbin wäre, dass mein Blut nicht von hier wäre und in Wirklichkeit war meine Mutter eine Freundin des Prinzen gewesen?
„Ich weiß, dass das wahrscheinlich gerade ein bisschen viel ist, aber wir sollten uns zuerst um das hier kümmern." Er nickte zu der Schüssel. Ich blinzelte ein paar Mal und ließ mich nun doch in den Sessel sinken. Das erklärte, warum er immer so nett zu mir war, warum er sich verantwortlich fühlte, doch er hatte niemals irgendwelche Anspielungen gemacht. Er griff schweigsam nach vorne und streckte seine Hand aus. In der anderen konnte ich einen kleinen Schlitz erkennen. In der Schüssel war also auch Blut von ihm. Ich zögerte nicht lange und reichte ihm meine rechte Hand, an welcher er das Messer ansetzte. Ich biss meine Zähne gegen den Schmerz zusammen, doch unerwarteterweise spürte ich fast gar nichts davon. Es musste am Messer liegen. Es floss auch weit mehr Blut aus der Wunde, als es eigentlich sollte und mischte sich mit dem aus der Schüssel.
Kaum, dass ich meine Hand zurückzog, stoppte der Blutfluss und das Gefäß fing an zu brennen. Der Prinz stellte es schnell auf den Tisch und wir beide warteten, bis es wieder aufhörte. Es konnte auch Einbildung sein, doch in dem Moment, als die Flammen zurückgingen, strömte auch wieder die alte Wärme in meine Glieder zurück. Ich musste kurz meine Augen schließen. Als ich sie wieder öffnete, war das Blut verschwunden. Legolas hob die Schüssel auf und stellte sie über den Kamin. „Du kannst nun gehen", murmelte er und sah mich abwartend an. Ich sah etwas überrascht auf. Nach all dem sollte ich einfach wieder in mein Zimmer? Warum hatte er sein Blut dazu gemischt und was war das überhaupt für ein Zauber gewesen?
Doch ich war unmissverständlich gebeten worden zu gehen, also tat ich wie geheißen, stand auf und ging. Ich hatte das Gefühl, dass wir inzwischen auf einem Level waren, auf dem ich mich nicht mehr jede Sekunde verbeugen musste.
Auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer strich ich oft über die Wunde, die überraschend schnell heilte. Es war inzwischen Nacht geworden, auf den Gängen waren Fackeln angezündet und nur noch Wachen waren unterwegs. Doch keine fragte mich danach, wo ich gerade herkam.
Bereits als ich die Tür zu Meril öffnete, war der Schnitt kaum mehr zu sehen. Doch das verschmierte Blut erinnerte mich weiterhin daran, dass das gerade wirklich passiert war.
„Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht!", rief mir meine Zimmerkollegin entgegen, als ich es betrat. Ich sah etwas überrascht auf, doch verstand schnell. Sie musste mit ihrer Gruppe irgendwo in Sicherheit gebracht worden sein, als wir angegriffen wurden und als sie mich nicht gesehen hatte, nachdem sie zurückkam, musste sie sich sonst etwas gedacht haben. „Ich war bei meinem Vater", antwortete ich leise und Meril verstummte sofort. „Wie geht es ihm?", fragte sie erst nach ein paar Sekunden Stille, in denen ich anfing, mich umzuziehen. „Sie wissen noch nicht, ob er durchkommt", antwortete ich und spürte wie endlich die Trauer in mir hochkam, die mir gefehlt hatte. Es war zu viel auf einmal passiert. Ich konnte und wollte es ihr nicht erzählen. Ich wollte es selbst erst einmal verstehen.
Ich war ihr unglaublich dankbar, als sie einfach zu mir kam und mich umarmte. Während ich so in ihren Armen lag, fing ich doch an zu weinen. Es war alles zu viel. Das mit meinen Eltern, meinem Vater, der Ring, Legolas. Die Umarmung änderte zwar nicht viel, doch es gab mir die Sicherheit, einfach alles rauszulassen.
Ich war mir sicher, dass Meril wusste, dass da noch mehr war, doch sie ließ mir die Zeit und sprach nur noch ein paar vereinzelte Worte mit mir, bis wir schlafen gingen. Wir wussten beide, dass ich es ihr irgendwann erzählen würde, und sie akzeptierte das. Die Nacht über lag ich wach in meinem Bett. Ich lauschte dem regelmäßigen Atem meiner Freundin, welche von der Aufregung schnell eingeschlafen war, doch selbst das schläferte mich nicht genug ein. Ich war nicht sonderlich überrascht, als ich merkte, wie es langsam immer heller wurde in unserem Zimmer. Heute war der erste Tag, an dem ich wieder beim Training mitmachen durfte und auch, wenn ich physisch vielleicht dazu in der Lage war, so hatte ich überhaupt keine Lust und Motivation. Und das kam eigentlich recht selten vor, wenn ich wusste, dass wir raus durften. Der vergangene Tag hatte mich verändert.

Die Ringe der Cementári // Herr der Ringe & Der Hobbit FFDonde viven las historias. Descúbrelo ahora