Prolog

54 4 27
                                        

1967

Blut. Schreie, die langsam verstummten, dann Stille. Grausame Stille, die mit dem Wissen kämpfte, dass mit dem abrupten Schweigen das Leben aufgehört hatte. Es war grausam. So grausam. Überall waren Leichen.

 Menschen, die gestorben waren, mit dem Glauben an den Frieden. Die ihr Leben ließen, dafür, dass die nachfolgenden Generationen in einer anderen Welt ohne Gewalt groß wurden. Einer anderen Welt, die den Menschen verborgen geblieben war. 

Zwei Völker, mit dem gleichen Ziel.  Inmitten der Blutlachen, die ganze Flüsse und Seen bildeten, wurde eine Junge Frau wach. 

Laniakeas einst goldblondes Haar war blutverkrustet. Ihr früherer Name war Anna gewesen. Nur wusste das eigentlich so gut wie niemand mehr. Eigentlich. 

 Mit Schmerzen raffte die Frau sich auf und sah sich um. Ihr Herz blieb stehen, als sie ihren Neffen unter den vielen Toten sah. 

Ein Geräusch in der Stille weckte ihre Aufmerksamkeit. Vor sich, einige Meter entfernt im Staub, stand die Person, von der sie glaubte, dass sie längst tot wäre.

Ihre alte Freundin hatte das blutbefleckte Schwert fest in der Hand. Ihr dunkles Gesicht war mit Blut und Staub bedeckt. Die blauen Augen fest auf sie gerichtet.  

So würde es also enden. Ihre Hände gingen in Flammen auf, ihre Augen begannen wie die Sonne über ihnen zu glühen. Und sie griff an.  

Ihr Gegenüber wusste, dass sie gegen die jeweils andere nicht gewinnen konnte, kampflos würde sie jedoch nicht aufgeben. Das würde sie niemals. Das hatte sie geschworen. 

Sie wartete darauf, dass ihre Freundin den ersten Schlag setzte, den Schlag, der den letzten Kampf einläuten würde. 

Ein Schrei, der vor Wut und Qual zitterte, erklang, gefolgt von einer Feuersalve, brach durch die heiße Luft. 

Innerhalb von Sekunden wich sie dem brennend heißem Geschoss aus und stürzte sich auf die ältere Frau und erschwischte sie am Arm. 

Blut quoll aus der klaffenden Wunde und tränkte den staubigen Boden. 

Doch die Begabte nahm es gar nicht wahr, stattdessen schoss aus ihrer rechten Hand eine explosionsartige Flamme, direkt auf unglaublicher Wucht wurde die Blauäugige von den Füßen gerissen, nur um einige Meter auf den trockenen Boden zu krachen. 

Mit verbrannter Haut und unglaublichen Schmerzen raffte sie sich auf, nur um mit einem Tritt in den Rücken wieder zu Boden befördert zu werden. 

"Ich will das nicht tun, aber du lässt mir keine Wahl. Es gibt in dieser Welt keinen Platz für uns. Das weißt du genauso gut wie ich, Leyla"  

Die Stimme ihrer alten Freundin klang zerbrechlich, so als würde sie beinahe anfangen zu weinen. 

 "Es tut mir leid. Aber ich muss tun, was nötig ist, um diese Welt zu beschützen. Alles." 

Für ein paar Sekunden verspürte die am Boden liegende Mitleid mit der Frau. Sie hatte schreckliche Dinge erlebt und durchlebt. Hatte gesehen, wie Menschen andere Menschen getötet hatten. Hatte ihre Eltern, Geschwister sterben sehen. Hatte für Menschen arbeiten müssen, die Mörder waren. Menschen wie sie. Oder? Sie waren doch nicht anders, oder? Ja, sie hatten Fähigkeiten, die sich die anderen wünschten, aber war das so ein Unterschied?

Der Hass und Verachtung hatte sie verzerrt, sich ihr untertan gemacht. Sie war ein Opfer ihrer quälenden Erinnerungen. Und es hatte in einer Tragödie geendet. 

Aber es gab auch gute. Das wusste die Verletzte. Nur wollte ihr gegenüber das nicht wahrhaben. Wieso hab ich nicht gesehen, dass du ihnen nicht vergeben hast? Fragte sie wehmütig. Wieso habe ich dich nicht gerettet? 

"Es tut mir leid. Aber ich will kein weiteres Leid. Ich hab gesehen, wie sie sind. Sie sind Monster. Sie werden uns niemals akzeptieren. Ich lass’ nicht zu, dass du dich und uns mit in die Verdammnis stürzt. Weil das tun sie. Sie bringen Verderben, das weißt du. Genauso gut wie ich. "

Die Stimme war kalt, klang hart wie Stein. Es ließ ihr inneres verkrampfen, als sie die verbitterte Stimme ihrer Freundin hörte.

Sie hatte aufgegeben. Sie würde sterben, das wusste sie. Sie schloss die Augen. Und wartete, auf den Schmerz des Feuers, und dann auf die kalte Stille des Todes. 

Doch nichts kam. Stattdessen spürte sie, wie ihre Hand gepackt und sie aufgerichtet wurde. 

"Nein. Ich bin nicht so wie sie. "Schmerz klang in ihrer Stimme, als sie ihrer alten Kameradin auf die Beine half. Diese sah sie verwirrt an. Ihr Blick glitt über die weite, Leichen bedeckte Ebene. 

Und dann sah sie es. Sie hatte direkt davor gestanden, ohne es bemerkt zu haben. Das Tor in die andere Welt. Es sah absurd aus. Ein Riss in der staubigen Luft, strahlend wie die Sonne. Farben tanzten in der Mitte des Portals, ein Wirbelwind aus Rot, Grün und Violett. 

Dann sah sie wieder auf, das Schlachtfeld. Hoffnung ging in ihrem Herzen auf, als sie sah, dass einige überlebt hatten. Sie erhoben sich wie der Phönix aus der Asche und würden eine neue Zeit einläuten.

 Sie waren hier, um ihren Platz einzunehmen. Wo auch immer der sein würde. Ob hier oder in der Anderswelt, war nicht von Bedeutung. Zumindest jetzt noch nicht.

Nun standen sich die zwei Gruppen gegenüber, keiner sagte etwas. Alles, was gesagt werden musste, war gesagt worden. Fast alles.

"So endet es also." Es war keine Frage gewesen, eine Feststellung, eine Feststellung mit Folgen. Schweren Folgen. Sie waren ein Volk, auch nach diesem Gemetzel. Ihr Glaube war es, der sie vereint hatte. Vereint und wieder auseinander gerissen hatte er sie. Der Glaube an eine Welt ohne Chaos, ohne die Schrecken des Krieges, des Leidens, des Hungers. 

Sie standen stumm da, bewegten sich nicht, aber es war ein Abschied. Ein Abschied für immer. Sie alle wussten es, hatten ihren Platz längst gewählt. 

"Viel Glück. Wo auch immer ihr sein werdet. Wo auch immer ihr seid, hier seid ihr immer willkommen. Zeiten ändern sich." 

Es war absurd, der Person lebe wohl zu sagen, die sie beinahe getötet hatte, aber sie konnte nicht anders. Sie waren immer noch ein Volk. Immer noch verbunden. Selbst dann noch, wenn sich ihre Welten und die Sicht dieser Welt sich so voneinander getrennt hatten. 

Langsam, zögernd gingen die ersten weiter auf den Riss im Himmel zu. Je weiter sie gingen, desto stärker zog sie das Portal in dessen Mitte. Dann standen sie direkt davor. Das Innere des Portals schwirrte in allen Farben, fast einladend, dennoch endgültig. 

"Ihr werdet hier immer willkommen sein, wenn ihr euch doch noch entscheidet dieses Höllenloch zu verlassen."

bot die blonde Frau an. Ein Versprechen, dass keiner der beiden einhalten würde. 

"Ich weiß. Machs Gut, Anna." Sie war die einzige, die den Namen des ersten Morgensterns benutzen konnte. Und ihn kannte. Für all die anderen war die die, die sie aus der Hölle, der Erde, in den Himmel, die Anderswelt, bringen würde.

Die angesprochene nickte. "Du auch, Rosa." Trauer war in ihren blassblauen Augen zu sehen, aber sie schüttelte es ab.

Wenn das Tor sich schloss, würde es kein Zurück geben. Aber das Opfer wäre wert, wenn dafür nur die nächsten ihres Volkes in Frieden leben konnten. Sie waren bereit. 

"Halt. Wartet." Die Stimme ihrer alten Freundin ließ die ehemaligen Volksmitglieder innehalten. 

Eine Taschenuhr hing in ihrer Hand. Anna, nun Laniakea, nahm sie entgegen. Ein letztes Geschenk.

Ein heller Strahl, ein gleißend heller Lichtblitz, und dann war es vorbei. 

Der Riss war geschlossen und mit ihm hatte die Gruppe diese Welt verlassen. 

Stumm standen die Leute in dem Meer aus Blut auf dem Schlachtfeld. Stunden vergingen, bis sich die ersten bewegten, taub und verwundet. Hinter dem Horizont ging die Sonne unter und warf den Himmel in eine milchig orange Farbe. Wenn die Sonne wieder hinter dem Horizont aufstieg, würden sie weg sein, weit weg. Kaum wissend, dass dies erst der Anfang sein würde und dass ihre Entscheidung die nachfolgende Generation mehr betreffen würde als jemals gedacht. 

Korrigiert 

Freaks-DemonsWhere stories live. Discover now