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Tag 71 v.N.

"Lyon!" Eine bekannte Stimme riss mich aus dem Schlaf.

"Lyon!" Jetzt klang sie schon ein wenig schärfer.

Meine Stiefmutter.

Schlaftrunken richtete ich mich auf und gähnte müde.

"Hm, ja? Bin wach!"

Ein leises, verächtliches Schnauben ertönte, dann wurde meine Tür aufgedrückt und meine Stiefmutter erschien im Türrahmen.

Sie starrte auf mich hinunter. Dann wanderte ihr Blick zu den auf dem Boden gestapelten Büchern und sie seufzte.

"Das ist nicht dein Ernst! Schon wieder Bücher?"

Ich zuckte die Schultern und erhob mich. "Ist dir das nicht normalerweise egal?"

Sie zuckte ebenfalls die Schultern. "Doch schon, aber du solltest dich so langsam mal fertigmachen!"

Verwundert runzelte ich die Stirn. Fertigmachen? Wofür? Ich musste doch erst am Abend arbeiten und ... oh, klar, mein Geburtstag.

Knapp nickte ich, was meine Stiefmutter sofort dazu veranlasste aus dem Raum zu huschen.

Seufzend wandte ich mich um und wollte mich ankleiden.

Schwarz, schwarz und nochmal schwarz.

Etwas anderes hatte ich auch gar nicht.

Für gewöhnlich hatten Dark generell nichts anderes als schwarze, graue oder braune Kleidung.

Und da war mir schwarz nun wirklich noch am liebsten.

Oh Manno, ich hatte so dermaßen wenig Lust darauf, die Dienerin irgendeines Volltrottelts von Light zu sein.

Aber was blieb mir schon anderes übrig? Ich würde es so oder so werden.

Resigniert kramte ich meine Klamotten zur Zeremonie aus einem Haufen, der in einer meiner Schubladen lagerte.

Sowieso hatte ich nicht viel Kleidung und die Zeremonienkleidung hatte eine Menge gekostet, von welchem ich das Geld lieber in Bücher gesteckt hätte.

Denn Bücher waren teuer. Für Dark waren sowieso schon nicht viele zugelassen und an sie heranzukommen war so verdammt schwer.

Aber meine Bücher waren in Runen geschrieben und abgesiegelt.

Natürlich aber nur mit einem gefälschten Siegel.

Da die Prüfer aber in der Regel keine Runen lesen konnten, mussten sie sich auf das Siegel verlassen ... na ja, was sollte ich sagen? Es funktionierte.

Wie auch immer das nicht herauskommen konnte. Ich verstand es nicht.

Aber gut, natürlich sagten die meisten Dark ihre Bücher seien Eigentum ihres Lights, damit niemand Verdacht schöpfte.

Also schien es zu funktionieren.

Zumindest solange es kein neues Siegel gab.

Die herumliegenden Bücher packte ich zusammen. In Kisten gelagert würde ich sie an einen Freund geben, der fürs erste darauf aufpassen würde.

Wahrscheinlich würde mich mein Light erst einmal überprüfen und ich würde meine Bücher wirklich ungerne hergeben.

Oder mich zur Rechenschaft stellen wollen.

Aber das war wohl selbstverständlich.

Mit flauen Gefühl im Magen stolperte ich die Treppe fast schon herunter und stürzte zur Haustür.

Mein Freund würde die Kisten selbst und absolut heimlich holen.

Meiner Stiefmutter konnte ich nicht trauen. Sie hing genauso an ihren Light wie die meisten anderen Dark auch.

Ungesund dieses Getue.

Ob das bei mir auch so sein würde?

Vielleicht ... vielleicht hatte ich Glück und schaffte auch so etwas wie meine Eltern.

Na ja.

"Lyon?" Als ich mich umdrehte, stand meine Stiefmutter in der Küchentür und sah mich scharf an. "Mach keinen Fehler."

Ich nickte. Oh nein, ganz sicher würde ich so schnell keinem Light meine Fehler sehen lassen.

Aber er oder sie würde mich sicher trotzdem im Auge behalten.

Immerhin war einer der Vorfahren, der dafür verantwortlich war, dass ich eine Dark war, geradezu berüchtigt für seine Verbrechen gewesen.

Und ganz ehrlich? Ein wenig stolz war ich darauf dann doch!

Vorsichtig stieg ich die Treppe des Hauses hinab, bis ich auf dem nassen Boden stand.

Es musste geregnet haben, während ich geschlafen hatte.

Das der Boden rot gefärbt war, ignorierte ich gekonnt.

Es war nur der Regen.

Nichts sonst.

Mit dieser Überzeugung rannte ich die Straße schon beinahe entlang, bis ich den Marktplatz erreichte.

Dann blieb ich abrupt stehen.

In der Mitte stand ein Pfahl.

Ein kleiner, schmächtiger Junge war dort angebunden und zitterte erbärmlich.

Er hatte kein Oberteil und sein Oberkörper war mit Striemen überzogen.

Neben ihm stand eine Wache.

Die Dark, die um die beiden herumhuschten, wagten es nicht einmal den Jungen anzusehen, geschweige denn ihm zu helfen.

Ich kannte ihn.

Kai war kein schlechter Junge. Er hatte nur Hunger. Und keine Eltern mehr. Seit etwa einer Woche soweit ich wusste.

Wahrscheinlich hatte er versucht, an Essen zu kommen - es zu stehlen -, und war erwischt worden.

Dark and LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt