Kapitel 10

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Henri 

Herbst 2017

Als ich sie sah konnte ich meinen Augen nicht trauen. Misstrauisch meinen eigenen Augen gegenüber blickte ich von der Bar aus zu ihrem Tisch. Sie saß an der hellen Fensterfront des Cafés und schien die Menschen um sich rum gar nicht zu bemerken . Es war mein Lieblingscafé in London und ich war so oft hier, dass es sich anfühlte als wäre sie gerade bei mir zuhause rein geplatzt. Ihre Ausstrahlung war so ruhig und magisch, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie hatte dieses gewisse etwas, ohne Frage. Aber als er sie kennen lernte hatte er immer das Gefühl, dass etwas an ihr außergewöhnlich ist. Die Frauen im Café blickten verstohlen zu ihr rüber, vermutlich um zu sehen, welche Tasche sie denn trägt oder welches Buch sie liest. Auch die Männer blickten zu ihr rüber. Ich bemerkte sofort, wie mir das einen Stich versetzte. Wie lächerlich! Ich kannte sie doch kaum. Ich hatte nur einen Sommer mit ihr verbracht auch wenn ich fast ein Jahr gebraucht habe über sie hinweg zu kommen. Was anscheinend ja super hin gehauen hat. Ohne es zu merken zog ich meine Unterlippe leicht unter die Zähne. Ich muss nervös gewirkt haben. Den keine Minute, nach dem ich sie an ihrem Platz entdeckt hatte fragte Nicolas mich schon: "hast du ein Gespenst gesehen?" Er lachte. Ich hörte gar nicht richtig hin. Meine Aufmerksamkeit gehörte ganz ihr. Aurora...Plötzlich erinnerte ich mich daran wie sie mir beim Sonnenuntergang erklärt hatte was ihr Name bedeutete. Morgenröte. Ich schüttelte den Kopf und kippte meinen Espresso bevor mir weitere Details dieser Nacht in den Sinn kommen konnten. Ruckartig stand ich vom Hocker auf. Ich schaute ihre langen Haare an, die ihr wie ein Wasserfall über die Schultern und den Rücken fielen. Ob sie wohl noch immer so gut rochen? Ich atmete tief ein und lies meinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Sie sah so konzentriert aus. Vielleicht sollte ich sie fragen, was sie liest. Damals haben wir uns viel über Literatur unterhalten. Wir fanden viele Gemeinsamkeiten und lachten einander für die Abweichungen gnadenlos aus . Niemand lachte so mitreißend wie sie. Automatisch verhakte sich mein Blick mit dem Anblick ihrer Lippen. Ich musste mit ihr reden. Ohne das ich überhaupt merkte, trugen mich meine Beine zu ihrem Tisch rüber.

Aurora

Als ich die Schritte neben mir höre lege ich das rote Band zwischen die beiden Seiten, die gerade offen vor mir liegen. Ich dachte es wäre der Kellner, der mich fragen wollte ob ich noch etwas zu trinken haben wolle. Da ich tatsächlich noch einen Kapuziner will bereitete ich mich mental schon auf den Satz vor. Doch bevor ich das Buch überhaupt zuklappen kann, höre ich eine raue Männerstimme fragen, was ich lese. Verwirrt blickte ich nach oben. Sein Anblick trifft mich wie ein Blitz. Er scheint es zu bemerken, denn sofort breitetet sich auf seinem Gesicht jenes arrogante schiefe Lächeln aus, das mir im vergangenen Sommer so viel Herzschmerz verursacht hat. Innerlich verfluchte ich dieses Land und seine Jungs samt der Mütter, die solche charmanten Herzensbrecher großziehen. Wolf im Schafsfell. Doch ich würde mir nichts davon anmerken lassen. Schnell fasste ich mich und warf ihm mein Mona Lisa Lächeln zu, das ich in der Schule gelernt hatte. Auf einer Privatschule in Los Angeles, auf der jeder alles besser weiß braucht man so etwas. Es war unmöglich irgendeine Emotion dahinter zu erraten. Mit einer Hand warf ich mir meine Haare hinter die Schulter.  Dabei stehe ich auf werfe mein Buch in meine Tasche und mache mich bereit zum Abgang. Nichts wie Weg! Wie konnte es denn passieren das ich an meinem zweiten Tag in dieser Metropole ihm über den Weg laufe? Ich kannte das Café nicht von ihm oder sonst etwas. Ich hatte eine Verkäuferin im Supermarkt nach einem ruhigen Café zum Lesen gefragt. Außerdem hatten Roxy und ich einen ganzen Plan mit ganz sicher Henri freien Zonen und Sperrzonen erstellt. Dafür hatten wir Rose bis ins kleinste Detail über die De Vidals ausgefragt. Naja, soweit das eben ging ohne auffällig zu werden. Wir konnten herausfinden, wo er studiert und in welchem Lacrosse Team er spielt. Laut dem Plan lag dieses Café in der ganz sicher Henri freien Zone! Ich nahm meine Tasche und lief so schnell ich konnte zur Bar. Während dessen kramte ich in meiner Tasche nach meinem Portmonee. Henri folgte mir auf Schritt und Tritt. An der Bar angelangt legte ich einen 10€ Schein auf den Tresen und hoffte Inständig, dass ein Kaffee in London nicht mehr kostete denn ich rufe dem Kellner noch  "passt so" zu ehe ich aus der Tür hinaus stolziere. Mein Abgang ist film-reif und er wird noch dramatischer als Henri mich am Arm packte und mich zu sich dreht.

"Aurora!" Rief er "lass uns reden". Er lächelte als würde er mir damit einen Gefallen tun.

Ganz das arrogante Arschloch das ich kannte. "Verzichte" sagte ich meinerseits so arrogant ich konnte, drehte mich um und warf ihm dabei sogar noch aus versehen die Haare ins Gesicht.

Besser hätte das wohl nicht laufen können.

"Ja wirklich, ich habe in ganz sicher in einem Café in Shoreditch getroffen" ich hatte Roxy natürlich sofort angerufen um ihr alles zu erzählen. "Was hat er denn dort zu suchen? Das sollte ja wohl ganz sicher eine Henri freie Zone sein. Shoreditch! Das ich nicht lache. Meinst du er fährt dort mit dem Aston Martin vor?" Aus Roxy sprudelte es wie aus einem Wasserfall.Um sie zu stoppen erkundigte ich mich nach dem Wetter in Los Angeles: "Ja echt? Es regnet?". An der Haustür angekommen verabschiede ich mich von Roxy und lege auf. Kaum bin ich durch den Flur in die Wohnung rein kommt die Katze, die Rose mir geschenkt hat schon zu mir geschlichen. Ich schließe die Tür, schmeiße meine Tasche auf die Kommode am Eingang und ziehe meine Jacke aus. Dann streichele ich Twix auf dem Sofa. Natürlich denke ich an nichts anderes, außer die Begegnung mit Henri. Als ich das Stipendium für Queen Mary bekam war Henri tatsächlich das erste, das mir in den Sinn kam. Insgeheim wünschte ich mir ihn wieder zu sehen. Und die Tatsache, dass ich nach London ziehen würde gab mir ein Gefühl von Aufregung und Vorfreude. Aber die Tatsache, dass Henri sich als absolutes Arschloch heraus gestellt hat warf dann doch einen Schatten auf die königliche Stadt. Das ich ihm dermaßen früh über den Weg gelaufen bin erschreckt mich. Zumal er jetzt weiß, dass ich in London bin. Vermutlich grübelt er schon, was ich hier zu suchen habe. Auf meine Bitte hat Rose Olivia nichts von meinem Umzug erzählt. Ich stehe auf und Twix springt von meinem Schoß. Ich beschließe mich meiner Einrichtung zu widmen. Es ist noch ein wenig leer in meiner Wohnung. Es ist eine Maisonette Wohnung in Mayfair weil das nah an Soho liegt und das laut Rose bestimmt hip ist. Ich beschließe mich auf die Suche nach Galerien zu machen. Meine kahlen Wände betteln förmlich nach Dekoration. Ich ziehe meine Jacke wieder an und werfe mir noch einen Schal um. Packe meine zwei Sachen von der Speedy in die Chanel Boy und laufe aus der Tür. Wohl möglich, dass das als Ablenkung dient aber wen interessiert's? Mit langen Schritten laufe ich Richtung U-Bahn um nach Soho zu gelangen. Soho ist wie Rose scharf vermutet hat tatsächlich sehr hip. Und wimmelt nur so von interessanten Galerien. Ich laufe durch die Straßen und entscheide mich dann für eine lichtdurchflutete Galerie mit Popart. Ich werde tatsächlich fündig. Ein cooles Bild von einer Katze in schwarz und weiß mit farbigen Elementen. Ich frage den Galeristen, wo ich ein Kunstwerk von Audrey Hepburn finden könnte und er schickt mich zu einer Galerie seines Freundes fünfzehn Minuten von seiner Galerie weg. Dort kaufe ich einen Kunstdruck mit Audrey drauf. Es ist das bekannte Motiv mit dem pinken Hintergrund, auf dem sie mit einer Zigarette posiert. Ich bestelle einen Rahmen dazu und bekomme einen Termin zum Abholen. Dann mache ich mich auf den Heimweg. Ich komme an mehreren Cafes vorbei und frage mich, in welchen Henri wohl seinen Kaffee kauft. Ich weiß, dass er auf die Royal Academy of Music geht und ich weiß, dass das nicht weit von hier ist. Ob er wohl regelmäßig in dem Cafe von heute morgen ist? Zuhause angekommen denke ich dann schließlich doch an letzten Sommer. Ich erinnere mich wie Henri und ich uns immer näher gekommen sind. Wie wir schließlich zusammen in London waren. Damals lag sein Vater im Koma. Ich denke an unser erstes Date im Chateau und ich denke daran, wie er sich plötzlich nie mehr gemeldet hat. Daran, wie er nicht mehr auf meine Anrufe geantwortet hatte und daran, wie er damals am Flughafen meinte er würde nächste Woche nach Los Angeles fliegen. Sein Vater war wieder zu sich gekommen und die Lage war stabil. Rose, Lizza, Maxwell, Roxy und ich sind damals nach einer Woche in London wieder zurück nach Hause geflogen. Ich erinnere mich, wie sehr es weh tat. Wie sehr es weh tat auf ihn zu warten. Erst war da die Freude. Die Freude ihn wieder zu sehen. Die Zuversicht, dass er ganz sicher wieder kommt. Dann der Zweifel - der Zweifel daran, dass er sich wieder melden wird. Und dann kam die Erkenntnis und ich denke, dass die Erkenntnis mich endgültig verletzt hat. Das schlimmste daran war, dass es keine Erklärung gab. Und ich nicht einmal nach einem Jahr auf eine logische Erklärung kam. Durch dieses Durcheinander habe ich mich jedoch so sehr auf die Schule konzentriert, dass ich zur Klassenbesten wurde und das Stipendium bekam. Und heute bin ich ihm zu allem Überfluss begegnet. Ich werde mich nicht auf ihn konzentrieren! Ich bin in einer neuen Stadt und deswegen wird mein Leben nun auch unter diesem Motto laufen: Neu! Raus mit dem Alten. Raus mit Henri und Gedanken an ihn! Ich werde mich auf die Uni konzentrieren und viele neue Freundschaften mit anderen Briten knüpfen.

Da vergesse ich Henri schneller, als ich Prada sagen kann.

AURORAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt