Flucht

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Vergessen zu werden ist das Eine, aber jemanden zu vergessen dem man geschworen hat ihn für immer in Andenken zu behalten, ist das Andere. Deshalb versuche niemals jemanden zu vergessen den du liebst.

Wir rannten einen schmalen Gang entlang. Die Kerzen, die den Weg beleuchteten, flackerten vom kalten Wind, der durch den Flur zischte. Brians und die Hand des Rächers hielt ich immer noch fest umklammert. Mittlerweile schleiften sie mich beinahe hinter sich her. Meine ganze Kraft schien aus mir zu weichen. Vor lauter Rennen hatte ich die klaffende Wunde in meinem Bauch komplett vergessen. Grüne Augen starrten mich plötzlich verstört an. "Mea dulcis?", fragte er besorgt. Wir waren stehen geblieben und Brian gesellte sich neben uns, als er merkte, wie ich seine Hand losgelassen hatte. Ich starrte in die Augen des Rächers und nahm Brian kaum mehr war. Langsam wurde mir klar, wieso wir angehalten hatten. "Nein ...", flüsterte ich, "bitte zeig mir dein Gesicht." Er zögerte und schien mit sich zu ringen. "Nein, ich zeige es dir nicht", raunte er mit heiserer Stimme und hob mich hoch.

Wir rannten erneut und ich fühlte, wie ich immer schwächer wurde. Er drückte mich an sich und ich lehnte meinen Kopf an seine Brust. Das kraftvolle Klopfen seines Herzens beruhigte mich. Etwas in mir liess mich glauben, das dieses Pochen nur mir galt, mir alleine. Ich nahm immer weniger von meiner Umgebung war, einzig das Schlagen seines Herzens, machte mir bewusst das ich noch lebte. 

"Brian warte", rief der Rächer, "wir ... sie ... ich muss ihre Wunde versorgen ... sonst ..." Aurora wurde vom Rächer auf den Boden gelegt. "Sie ist ohnmächtig", erklärte er. Brian stand neben dem Szenario und sah zu, wie der Grünäugige die verletzte Frau verarztete. "Wieso erst jetzt?", fragte Brian zögernd. Der Mann gaffte in an und knurrte: "Weil wir sie zuerst aus der gefahren Zone raus bringen mussten. Wieso sonst?" Brian schwieg wieder. "Was zum Teufel ist den eigentlich los? Brian, wie haben sie dich gefunden?", brach der Namenlose die Stille. Brian zögerte: "Ich ... sie haben mich nicht gefunden. Du musst mich verstehen. Mir blieb keine andere Wahl übrig, es war die einzige Möglichkeit, wie ich sie wieder treffen konnte." "Ich kann es nicht fassen. Nur weil du sie wieder sehen wolltest, bringst du sie in eine solche Situation?", donnerte sein Gegenüber los. "Du bist nicht in der Position so anzufangen! Du warst es, der sie im Regen stehen gelassen hatte und nicht mehr aufgetaucht ist, nicht ich. Und als du weg warst, fing das Grauen erst richtig an. Liam hat sie für irgendeine Platin blonde Tusse sitzen gelassen, unsere Freundin hat das nicht gut aufgenommen und ist so wie du spurlos verschwunden. Wenn du wüsstest, was ich mir all die Jahre für Sorgen gemacht habe, dann verstündest du, wieso ich diesen Schritt getan habe!", Brian war wütend. Der Rächer schweig und hob die Verwundete wieder hoch. Brian schnaubte. Schweigend marschierten sie weiter. Bis sie an eine stählerne Tür gelangten.

Vor ihnen lag der Ausgang und sie wussten beide, dass es nicht lange dauern würde, bis sie wieder hier stehen würden. Brian öffnete die schwere Tür und spähte hinaus. "Reine Luft." Der Rächer folgte ihm nach draussen. "Mein Wagen steht dort drüben", sagte der Rächer und wies in die Richtung, in welcher der Wagen stand, " bringen wir sie in mein Versteck." Brian lief, ohne etwas zu sagen in die angewiesene Richtung und blieb erst beim Mustang wieder stehen. "Du hast ihn immer noch, wie ich sehe", bemerkte Brian. Sein Gegenüber nickte nur.

Auf der Fahrt schwiegen sich die beiden Männer weiter hin an. Die Stille war erdrückend, doch keiner konnte sich eingestehen, dass sie trotz allem erleichtert, waren das der jeweils andere da gewesen war. 

Im Dunkeln lief das Trio über eine Strasse zum Versteck des Rächers, die schöne Frau immer noch in den Armen des Kapuzenträgers. Im Versteck angekommen legte er sie sanft auf sein Bett und untersuchte die Wunde erneut, Brian legte sich in seiner Hundeform vor den lodernden Kamin und schlief. "Bist du es?", wimmerte Aurora. "Pst, mea dulcis, es ist alles Gut. Ich bin bei dir", zum ersten Mal klang seine Stimme nicht mehr rau und kratzig. Langsam öffnete sie die Augen und blickte in sein verunstaltetes Gesicht. Seine Züge waren hart geworden, und doch lag das Alte und Weiche immer noch unter den Narben verborgen. "Deine Kapuze?", flüsterte sie schwach. "Du wolltest mich sehen ...", ein zögerliches Grinsen schlich sich über seine Lippen, "mach bitte keine Dummheiten mehr. Ich werde dich nicht immer retten können." "Du weisst, das ich das nicht versprechen kann, ich habe dich vermisst ...", ihre Stimme stockte und ihre braunen Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Retter strich ihr sanft übers Haar und trocknete die Tränen, welche ihr über die Wange gekullert war. Sie schloss die Lieder wieder und atmete ruhig und gleichmässig. "I ... ich dich ...", er stockte, als müsse er sich den Mut zusammen sammeln, "ich habe dich auch vermisst mea dulcis." Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest umklammert, ihr Freund erwiderte den Druck. "Danke."

Wir sind nicht alleine, wir haben uns.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 13, 2015 ⏰

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Des Rächers letztes OpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt