Einmal Ana, immer Ana.

Da Tanja_the_Cat

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Sahra, ein durchschnittliches Mädchen von einer Sekundarschule, das keine größeren Probleme, als das Bewältig... Altro

Liebe Ana, Wie alles begann
Erste Recherchen
Hallo Ana
Schule und ein Nutella Brötchen
Anas Erstes Gebot
Anas Zweites Gebot
Anas Drittes Gebot
Sport, Sport, Sport!
Wo bist du?
Die Stimme in ihrem Kopf
Anas Viertes Gebot
Verlangen
Rückschlag
Ihre beste Freundin
Anas Fünftes Gebot
Fast vergessene Hausaufgaben
Kaloriengrenze
Perfektion
Anas Sechstes Gebot
Der Drang zu essen
„Sie haben ihr Ziel erreicht"
Anas Siebtes Gebot
Ein Schritt näher
Entscheide dich
Kino
„Lass uns tanzen"
VERGESSENE Hausaufgaben
Vorbereitungen
Kein Frühstück und schlechte Witze
Das Korallenriff
Filmabend
„Schreib es auf"
Bummeln durch die Stadt
Anas Neuntes Gebot
Fressanfall
Gegenmaßnahmen
Kalt, so kalt
Neues Ziel
„Hunger hurts but starving works"
Die Waage
Gezwungen
Herr Bahlea schöpft Verdacht
Wieder Sport
Außer Haus
Okay
Der Termin
Was die Waage zeigt
Anas Zehntes Gebot
Der Brief ist beendet
Zurück im Alltag
Nachwort/Danke
Schamlose Eigenwerbung

Anas Achtes Gebot

948 44 16
Da Tanja_the_Cat

Als Sahra aufwachte, war es stockfinster. Sie lag auf der Couch, noch immer in ihren Tagesklamotten. Durch das Fenster viel ganz sanft Mondlicht in ihr Zimmer, welches den Raum allerdings kaum erhellte. Sie konnte gerade noch so die Umrisse ihres Bettes und der Schänke ausmachen, doch zu mehr waren ihre Augen nicht in der Lage. Sie stützte sich auf die Arme und richtete sich auf. An ihrer Hüfte fühlte sie ihr Handy ihr in die Seite piksen und zog es aus der Hosentasche. Die schaltete es ein und kniff die Augen vor dem hellen Display zusammen. Schnell überprüfte sie die Zeit, ehe sie es wieder ausschaltete. Es war 1:42 Uhr. Sie musste wohl eingeschlafen sein. Kurz schmunzelte sie bei dem Gedanken, dass sie offensichtlich an Anas Schulter eingedöst war. Dabei war sie dann wohl auch zur Seite gekippt. Noch immer sehr müde aktivierte sie die Handy Taschenlampe und erhob sich. Leise schlich sie aus ihrem Zimmer, den Flur entlang, ins Bad. Sie wollte aus ihren Klamotten raus. Zum Schlafen waren diese wirklich nicht geeignet. Sie fühlten sich irgendwie unangenehm an. Sie betätigte den Lichtschalter und begann sich auszuziehen. Im Spiegel betrachtete sie ihr Gesicht. Ihre Augenlider waren halb geschlossen und an ihrer Wange war ein Abdruck von der Kontur des Couch-Stoffes zu sehen, der sich sehr rot bis zur Schläfe hinzog. Die schlüpfte in ihren Schlafanzug und trottete leise in ihr Zimmer zurück. Sie wollte sich gerade in ihr wunderbar weiches Bett sinken lassen, als sich eine Stimme in ihr meldete.
„Erinnerst du dich?" Sahra hielt inne.
„Woran erinnern?", fragte sie in sich hinein. Anas Stimme antwortete: „Na das, was du gestern noch machen solltest, bevor du eingeschlafen bist. Du hattest zu viel gegessen und da wolltest du was tun?" Resigniert ließ sie die Schultern hängen. Sport. Sie sollte doch Sport machen, da sie ihre Kaloriengrenze überschritten hatte. Doch das war ihr gestern nicht mehr möglich gewesen, da sie ja eingeschlafen war.
„Du willst doch nicht ernsthaft, dass ich jetzt, jetzt Sport mache?", fragte sie leicht empört.
„Na ja", sagte die Stimme, mit langem „a", „besser du machst es jetzt, als gar nicht. Danach kannst du doch immer noch schlafen." Sie seufzte. Sie hatte absolut gar keine Lust jetzt Sport zu machen. „Nein, wirklich nicht", dachte sie unmotiviert und setzte sich auf die Matratze. Noch nie war sie ihr bequemer vorgekommen als jetzt gerade. Auch ihre Decke schien um das hundertfache weicher zu sein, als jemals zuvor, als sie diese um sich wickelte. Sie kuschelte sich ein und schloss die Augen. Doch Anas Stimme gab noch keine Ruhe. „Faulpelz", sagte diese missmutig. „Mit dieser Einstellung wirst du nie an dein Ziel kommen! Komm schon, mach wenigstens ein bisschen was." Aber Sahra drückte ihr Gesicht nur in ihr Kissen und genoss die Wärme.
„Ich werde jetzt keinen Sport machen", dachte sie müde und beschloss die Stimme ab jetzt einfach zu ignorieren. Sie wollte einfach nur noch schlafen.
„Du wirst jetzt aber nicht schlafen." Ana klang sehr bestimmt. „Komm, wir machen einen Kompromiss: du machst Einhundert Sit Ups und danach lasse ich dich in Ruhe. Wenn nicht, werde ich dich die gesamte Nacht über Nerven, sodass du heute kein Auge mehr zu tun kannst." Sahra schlug die Augen wieder auf. Sie wusste, hätte sie Ana in diesem Moment gerade vor sich gesehen, hätte dieses jetzt hinterhältige gegrinst. Aus ignorieren wurde jetzt wohl nichts mehr. „Okay", seufzte sie und schlug wehmütig die Decke zurück. 100 Sit Ups... das war verdammt viel. Doch wenn Sie heute noch schlafen wollte, dann musste sie da jetzt durch. So begann sie mit Zwanzig Sit Ups. Zwanzig waren relativ leicht gemacht.
Dann eine Pause.
Und noch mal Zwanzig Stück.
Pause.
Ihre Atmung beschleunigt sich.
Noch mal Zwanzig.
Sie begann zu schwitzen.
Weitere Zwanzig.
Ihr Bauch begann weh zu tun.
Die letzten Zwanzig.
Erschöpft ließ sie sich nach hinten fallen. Ihr war heiß. Der Schweiß hatte sich über ihre Haut gelegt und ließ den Schlafanzug an ihr kleben. Sie richtete sich erneut auf und zog den Schlafanzug aus. So war es um einiges angenehmer. Kurz ließ sie ihre Haut noch von der Zimmerluft kühlen, ehe sie die Decke über sich zog. Sie kuschelt sich wieder ein und schloss die Augen.
„Na bitte", meldete sich die Stimme wieder, „geht doch."
„Ja, ja", nörgelte Sahra. „Aber jetzt hör auf zu nerven und lass mich endlich schlafen." Anas Stimme schwierig.
„Danke." Sie ließ sich in die Dunkelheit gleiten.

Einige Stunden später wurde Sahra durch einen lauten Knall geweckt. Sie schreckte auf und saß kerzengerade im Bett. Als sie dann auch noch ein lautes Fluchen hörte, schwang sie schnell die Beine vom Bett und eilte zur Tür. Sie riss diese auf und spurtete in den Flur. Ihre Mutter stand an eine Wand gelehnt und hielt sich den Fuß.
„Scheiße!", stöhnte Marlene. Sahra lief zu ihr.
„Alles okay?", fragte sie besorgt.
„Ja, alles gut", sagte Marlene und ließ ihren Fuß los. „Ich bin umgeknickt und dann hingefallen", erklärte sie und setzte den Fuß wieder auf dem Boden auf. „Aber alles gut, keine Sorge." Sie lächelte Sahra an, welche erleichtert aufatmete. Sie hatte einen gewaltigen Schreck bekommen, als sie aufgewacht war, aber es war alles okay. Na gut, nicht Einhundert Prozent alles, aber einmal hingefallen ist jetzt auch nicht die Welt. Und als ihre Mutter ins Badezimmer verschwand, war Sahra noch mehr beruhigt. Sie konnte laufen, also schien es wirklich nicht so schlimm zu sein. Auf einmal spürte sie einen kalten Windhauch über ihre Haut streifen und schlang die Arme um sich. Dabei fiel ihr auf, dass sie keinen Schlafanzug trug. Kurz war sie verwirrt, dann erinnerte sie sich zurück. Sie hatte ihn gestern, beziehungsweise heute Nacht, ja ausgezogen weil sie geschwitzt hatte und da sie gerade so überstürzt aus dem Bett gesprungen war hatte sie ihn auch nicht angezogen. Schnell eilte sie in ihr Zimmer zurück und durchsuchte ihr Bett nach dem Schlafanzug. Das Oberteil fand sie unter ihrem Kopfkissen, die Hose war in die Ritze zwischen Bett und Wand gerutscht. Sie zog sich an, dann ging sie in die Küche und bereitete schon einmal das Frühstück vor. Als ihre Mutter wieder kam begannen sie zu essen.
„Und, erzähl, wie war es gestern noch so?", fragte Marlene fröhlich. Sahra dachte zurück. Gestern, beim Abendessen, hatte sie nicht viel von dem restlichen Tag mit Laila und Maria erzählt. Sie war eher mit essen beschäftigt gewesen.
„Ganz schön", sagte sie. Ja, es war ganz schön gewesen, mit Ausnahme, dass sie sich wegen Ana die gesamte Zeit über leicht unwohl gefühlt hatte, aber das konnte sie ihrer Mutter natürlich nicht sagen. „Habt ihr noch etwas schönes gemacht?", wurde sie weiter befragt.
„Ja, wir haben noch einen Film geguckt und danach noch geredet und so", antwortete sie. Marlene füllte sich Tee nach. „Einen Film? Schön. Welcher war es denn?"
„Vaiana", sagte sie knapp. „Ein Disney Film", erzählt sie weiter. „Das lustige war ja, dass sich Laila dieses Mal den Film aussuchen durfte, weil Maria es letztes Mal gemacht hatte und Maria hatte schon die Befürchtung, dass Laila irgendeinen Barbie Film rauskramen würde, aber dann hat sie sich doch für „Vaiana" entschieden, was gut war, weil Maria den noch nicht gesehen hatte, also war es für uns alle angenehm", klapperte sie ohne Punkt und Komma und sehr schnell weiter. „Ich glaube, Maria fand den Film auch nicht so schlimm, zumindest habe ich sie einmal sogar lachen gehört und Laila und ich haben immer zu den Liedern mitgesungen, das war schon witzig. Und danach haben wir einfach noch geredet und so, über Schule, darüber, wie es uns geht und so weiter." Sie aß ihr letztes Stück Toast.
„Na das klingt doch schön." Sahra stand auf. „Ich bin in meinem Zimmer", sagte sie und verschwand aus der Küche. Sie setzte sich auf die Couch und fuhr den Laptop hoch. Doch plötzlich halte eine Stimme, Anas Stimme, in ihrem Kopf wieder.
„Das Tagebuch!" Dann war die Stimme auch schon wieder fort. Stimmt. Ana hatte ihr aufgetragen das Esstagebuch wieder zu führen. Und dieses Mal wollte sie es auch wirklich machen und es nicht nach ein paar Tagen wieder fallen lassen. Also suchte sie es. Auf dem Schreibtisch lag es nicht. Wie auch? Sie hatte es gestern ja auch nicht dort hin zurückgelegt. Es musste also noch irgendwo in der Nähe der Couch sein. Sie räumte einige Kissen beiseite um zu sehen, ob es darunter lag, doch da war es nicht. Sie ließ sich auf die Knie sinken, um unter der Couch nachzusehen und dort fand sie es. Und nicht weit davon entfernt lag auch der Stift. Sie holte die beiden Dinge hervor und setzte sich wieder. Kurz überflog sie beim Aufklappen noch einmal die Gebote, dieses Mal würde sie sie nicht vergessen, ehe sie eine neue Seite aufschlug. Der Kugelschreiber klickte und sie begann zu schreiben. Gewicht, Doppelpunkt, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie hatte sich heute nicht gewogen! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Wütend auf sich selbst pfefferte sie den Kugelschreiber beiseite und schloss kurz die Augen. Sie hatte vergessen sich zu wiegen. Damit hatte sie das – sie warf einen kurzen Blick auf die Gebote – vierte Gebot missachtet und das direkt nach dem Tag, an dem sie Ana versprochen hatte fortan alle einzuhalten.
Dann musste sie sich jetzt also noch wiegen. Doch dieses Ergebnis würde verfälscht sein, da sie sich ja direkt nach dem Essen wöge.
„Aber du musst dich wiegen." Ja, sie musste sich wiegen. So stand sie also auf, griff sich noch ein paar Klamotten, damit sie sich umziehen konnte und ging ins Badezimmer. Sie holte die Waage hervor und zog sich aus. Mit böser Vorahnung stellt sie sich auf die Platte.
49,5 Kilogramm. Das war ja klar. Es war so klar, dass die Waage mehr anzeigen würde. Eben weil sie sich erst nach dem Frühstück gewogen hatte und nicht davor. Sie räumte die Waage zurück und zog sich an. Wieder in ihrem Zimmer trug sie missmutig das Gewicht ein und rechnete noch die Kalorien für ihr Essen aus. Circa 150 Kilokalorien. Dann widmete sie sich ihrem Laptop.

Als es allmählich Abend wurde legte Sahra ihr Buch, welches sie gerade laß, beiseite. Sie hatte ihren Sonntag mit Netflix, YouTube, ihrem Handy und Büchern verbracht. Ein schöner Sonntag war es gewesen. Zwischendurch hatte sie immer mal wieder ein paar Sportübungen wie Sit Ups oder Kniebeugen gemacht, um ein paar Kalorien zu verbrennen. Das hatte sie natürlich fleißig in ihrem Tagebuch vermerkt, genauso wie das Mittagessen. Es hatte Lasagne gegeben und sie hatte sich extra eine doch relativ kleine Portion aufgetan. Diese hatte sie, nach einem kurzen Ratschlag von Ana, auf dem Teller etwas zerteilt und verteilt, sodass es nach mehr aussah. Es war sogar von Erfolg gekrönt, ihre Mutter hatte zumindest nichts gesagt. Doch so langsam meldete sich ihr Magen wieder. Sie überlegte. Sollte sie etwas essen, oder sollte sie es lieber bleiben lassen?
„Ich glaube", erklang eine Stimme neben ihr, „es ist an der Zeit für ein neues Gebot." Sie drehte sich um. Ana saß zu ihrer Linken auf der Couch und sah sie fest an. Sahra begann zu lächeln. Ein neues Gebot? Da wartete sie immer begierig drauf.
„Hau raus", dachte sie und starrte Ana erwartungsvoll an. Diese stand auf.
„Ich möchte", begann sie, „dir dieses Gebot etwas veranschaulichen. Soll heißen, ich werde es dir nicht einfach nur mitteilen, sondern werde für dich eine Art Challenge daraus machen. Dann verinnerlichst du es besser." Sahra zögerte. Eine Challenge? Wie würde die wohl aussehen? Sie nickte. „Okay", sagte sie und wartete darauf, dass Ana fortführe. Diese deutete auf einen ihrer Schränke.
„Du hast doch darin dein Süßigkeitenfach, stimmt's?" Sie nickte erneut. „Und du hast gerade Hunger und würdest gerne etwas essen?" Noch ein Nicken. „Gut, ich möchte, dass du dir jetzt eine Süßigkeit, am besten die, die du am liebsten magst, aus dem Schrank holst und sie auf deinen Beinen platzierst."
„Warum –"
„Das sag ich dir dann." So stand sie also auf und öffnete den Schrank. Sie brauchte nicht lange zu überlegen. Es war klar, was ihre Lieblingssüßigkeit war. Schokolade. Kurzerhand griff sie sich den Kinder Country, der da irgendwie auch schon seit Ewigkeiten lag, und setzte sich zurück auf die Couch. Sie legte den Schokoriegel auf ihre Oberschenkel und sah zu Ana.
„Und was jetzt?", fragte sie.
„Jetzt", sagte Ana lächelnd, „kommt das achte Gebot. Du hattest dir gerade noch die Frage gestellt, ob du etwas essen solltest, oder nicht. Nun, diese Frage kannst du dir durch dieses Gebot beantworten. Also, achtes Ana Gebot lautet: „ Nahrungsverweigerung ist ein Zeichen von Stärke." Und du musst dich jetzt entscheiden, willst du stark sein, oder schwach werden?"
Sahra starrte sie mit leicht geöffneten Mund an. Ihr Blick zuckte zur Schokolade und dann wieder zu Ana.
„Ein Zeichen von Stärke?", wiederholte sie geistesabwesend. Ana lächelte und trat direkt vor sie. Sie hockte sich vor ihr hin.
„Genau. Und daraus wird die Challenge bestehen. Ich werde jetzt gehen und du, du Sahra, du darfst die Schokolade nicht anrühren, verstanden? Wenn ich wiederkomme, darfst du den Kinder Country nicht gegessen haben." Ana umfasste Sahras Hände mit ihren und drückte sie kurz. „Du musst stark bleiben. Stay strong", flüsterte sie. Sahra starrte nur. Dann nickte sie langsam.
„Sehr gut", sagte Ana lächelnd und stand auf. „Ach und", sie deutete auf Sahras Handy, welches neben ihr auf der Couch lag, „sowohl das, als auch deinen Laptop darfst du nicht verwenden um dich abzulenken. Genauso wenig wie, das Buch", sie deutete auf eben jenes. „Deine Konzentration, deine Aufmerksamkeit soll einzig und allein deiner Aufgabe, deiner Challenge gewidmet sein. Denn wenn du es jetzt schaffst Sahra, dann wirst du es auch die nächsten Male schaffen, ja?" Ana klang so sanft während sie sprach. Sie nickte wie in Trance. Ana erhob sich.
„Warte!", hielt Sahra sie auf. „Wie lange wirst du weg sein?" Ana lächelte nur und sagte: „So lange, bis ich der Ansicht bin, dass du die Herausforderung bestanden hast." Dann war sie verschwunden. Sahra starrte auf die Stelle, an der Ana gestanden hatte. Dann wanderten ihre Augen nach unten. Da lag er. Der Kinder Country. Unschuldig, verpackt und unglaublich lecker. Nein! Stop! Sahra, daran darfst du nicht denken! Das Ding da ist nicht lecker – „Oh doch und wie es das ist" – es ist eklig! Eine Kalorienbombe. „Ach komm schon, 132 Kalorien sind doch nicht so viel." Das vielleicht nicht, aber – „siehst du?" – ich darf das trotzdem nicht essen! Ich bin nicht schwach! Ich bin nicht schwach! Ich will stark sein. Nahrungsverweigerung ist ein Zeichen von Stärke. Sahra sei stark. Du – ich brauche diese Schokolade nicht. Ich kann auch ganz gut ohne auskommen. Essen ist böse. Schokolade ist sogar sehr böse! Ich will die Gebote doch einhalten, ich will Ana doch stolz machen. Ana hat mir diese Aufgabe gestellt und die muss ich meistern. Ich muss widerstehen können. Trotz meines knurrenden Magens und dem Verlangen, dem Drang zu essen muss ich widerstehen. Sonst werde ich nie dünn werden!
Sahra verschlang die Hände ineinander und lehnte sich nach hinten, um so weit wie möglich von dem Riegel entfernt zu sein. Doch mit den Augen fixierte sie ihn weiter. „Es ist niemand da der dich beobachtet, du kannst ihn essen." Nein! Ana wird es wissen, wenn ich in esse. „Aber du willst ihn essen." Ja. Ja Verdammt, sie wollte ihn essen. Sie sehnte sich nach diesem süßen Geschmack, nach dem schokoladigen Geruch und sogar nach der klebenden Oberfläche. Mit leicht zitternder Hand griff sie nach dem Riegel.
„Tue es nicht."
Sie hob ihn hoch – „Nein, stopp, hör auf!" – und Griff an den oberen Rand um die Verpackung zu öffnen. „Leg ihn weg!" Sie hielt inne und starrte noch immer auf den Kinder Country. Mit einer schnellen Bewegung schmiss sie die Schokolade schon fast zurück auf ihren Platz und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. Nein. Sie durfte nicht essen. Sie musste stark bleiben. Sie musste verweigern. Sahra atmete einmal tief durch und schloss die Augen. Sie musste nur warten, bis Ana wieder kam, dann hätte sie es geschafft. Sie musste nur durchhalten.
Stay strong.

Und sie hielt durch. Die Minuten schlichen quälend langsam dahin, in denen Sahra den Kinder Country anstarrte, die Augen schloss, ihn zur Hand nahm und ihn wieder weglegte. Es kam ihr so vor, als hätte sie Stunden dagesessen, doch in Wahrheit waren es nur Fünfzehn Minuten. Fünfzehn Minuten in denen sie gegen sich selber und das Verlangen nach Essen ankämpfte. Fünfzehn Minuten, die ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkamen.
Doch sie wurde erlöst. Gerade sang sie in ihrem Kopf irgendwelche Lieder um sich abzulenken, mit geschlossenen Augen, da spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie öffnete erleichtert die Augen und wandte sich nach links. Doch da saß nicht Ana. Sahra zuckte innerlich zusammen. Neben ihr war ihre Mutter. Diese lächelte sie an. „Na Maus, alles okay bei dir? Ich habe dich gerade mehrfach angesprochen, doch du hast nicht reagiert", sagte sie. „Was war denn los?" Scheiße! Sahra lief es eiskalt den Rücken hinunter. Was sollte sie darauf denn jetzt sagen?
„Äh... ich, äh, war gerade in Gedanken." Marlene hakte nach: „Woran hast du denn gedacht? Muss ja ganz schön fesselnd gewesen sein, wenn du mich so oft überhört hast."
„Äh, ach, ich hab in Gedanken gesungen", sagte sie und lachte gekünstelt. Ihre Mutter nickte.
„Ahh. Und was machst du damit?", fragte sie und deutete auf den Kinder Country.
„Ich, äh...", Ausrede Sahra, schnell! „Ach, ich wollte ihn gerade essen doch habe ich jetzt gemerkt, dass ich eigentlich gar keinen Hunger habe." Sie versuchte so glaubwürdig wie möglich zu klingeln und ihren leeren Magen zu ignorieren. „Ah okay", sagte Marlene. „Dann erübrigt sich wohl auch meine Frage, ob du mit mir Abendessen willst." Sahra lächelte und schüttelte den Kopf. „Ne, wirklich nicht, ich habe keinen Hunger."
„Alles klar." ihre Mutter stand auf und verließ das Zimmer. Erleichtert seufzte sie auf und ließ sich nach hinten fallen. Dann hörte sie plötzlich ein Klatschen. Ruckartig setzte sie sich wieder auf und sah Ana, die applaudierend auf sie zukam.
„Bravo Sahra, bravo. Du hast es sowohl geschafft der Schokolade zu widerstehen, als auch um das Abendessen drumherum zu kommen." Sie ließ sich neben Sahra fallen und legte einen Arm um sie. „Super gemacht." Sie lächelte sie an. „Und jetzt,", sie deutete auf den Kinder Country, „kannst du den wieder weg packen." Sahra nickte, stand auf und legte den Riegel zurück an seinen Platz in den Schrank. „Also", sagte Ana, als sich Sahra wieder gesetzt hatte, „du wirst heute nichts mehr essen, nicht wahr?" Sahra schaute zu ihr und antwortete dann mit einem: „Ja." Ana zeigte ihr einen Daumen nach Oben. „Sehr gut."
„Aber", Sahra senkte den Kopf, „ich habe echt Hunger." Wie zur Untermalung gab ihr Magen in diesem Augenblick ein Knurren von sich. Ana legte erneut einen Arm um sie.
„Dann Trink Wasser. Viel Wasser. So schweigt dein Magen. Aber denke immer an folgendes: dein Magen knurrt nicht, er applaudiert dir." Ana klatschte ein paar mal leicht in die Hände und grinste. Sahra schmunzelte.
„Ah, und warte am besten, bis Marlene fertig gegessen hat, ehe du in die Küche was trinken gehst. Damit umgehst du die Gefahr, dass sie dich doch noch zum Essen kriegen will." Sie nickte. Ja, das klang gut. Ana streckte sich und gähnte.
„So, wollen wir jetzt noch was machen?", fragte sie Sahra, die sie verwundert anschaute.
„Was würdest du denn machen wollen?", erwiderte sie langsam. Innerlich drückte sie die Daumen und hoffte, dass Ana nicht mit Sport um die Ecke käme.
„Ach, lass uns was gucken." Sie deutete auf den Laptop. Jetzt war Sahra noch verwirrter. Seit wann wollte Ana mit ihr Filme oder Serien gucken? Das war doch nur rumsitzen und Nichtstun. Das
hatte sie selber gesagt! Normalerweise scheuchte sie Sahra von A nach B zu C und D, damit sie Kalorien verbrannte. Warum war sie jetzt so träge? Ana kicherte.
„Darf ich nicht auch mal faul sein?" Sie warf ihr einen schmollenden Blick zu. „Außerdem, freu dich doch, dass ich dir etwas Ruhe gönnen. Es sei denn natürlich, du willst jetzt ganz explizit Sport machen, dann halte ich dich natürlich nicht auf." Sie grinste Sahra an. Sahra grinste zurück.
„Nein, nein, alles gut", sagte sie. „Was würdest du denn gucken wollen?"
„Ach, such dir was aus. Sieh es als eine Art Belohnung, weil du der Schokolade widerstanden und freiwillig das Abendessen hast sausen lassen hast."

So ging Sahra auf Netflix und entschied sich für einige weitere Folgen „Black Mirror". Ana rückte dichter an sie heran und lehnte ihren Kopf an Sahras Schulter und gemeinsam schauten sie die Serie.

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