Niramun II - Mörder und Basta...

By RoReRaven

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Falrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halte... More

Kapitel 2 - Poss, der Finder
Kapitel 3 - Antworten
Kapitel 4 - Leb wohl, Emila
Kapitel 5 - Menschen
Kapitel 6 - Saufhäuser nach Vitar
Kapitel 7 - Brennender Zorn
Kapitel 8 - Erinnerung
Kapitel 9 - Ich bitte dich
Kapitel 10 - Eine Ausnahme
Kapitel 11 - Heimkehr
Kapitel 12 - Jeder Kampf ist echt, wenn du alleine stehst
Kapitel 13 - Regeln
Kapitel 14 - Masochisten und andere Verrückte
Kapitel 15 - Neue Chancen
Kapitel 16 - Von Menschen und Wölfen
Kapitel 17 - Wo warst du?!
Kapitel 18 - Seniah
Kapitel 19 - Die Kinder des Mondes
Kapitel 20 - Träume und Hoffnungen
Kapitel 21 - Das Arbeiterviertel
Kapitel 22 - Rata!
Kapitel 23 - Bilder
Kapitel 24 - Tersavell
Kapitel 25 - Falle
Kapitel 26 - Maskeraden
Kapitel 27 - Warum kann es nicht mal gut laufen?
Kapitel 28 - Die Felder
Kapitel 29 - Der Fluss
Kapitel 30 - Suratis
Kapitel 31 - Geh nie nach Süden
Kapitel 32 - Die Kinder des Surs
Kapitel 33 - Totenfeuer
Kapitel 34 - Einfach wäre ja langweilig
Kapitel 35 - Silberdiebe
Kapitel 36 - Süss
Kapitel 37 - Bauer oder Jäger
Kapitel 38 - Nur ein Märchen
Kapitel 39 - Der Held der Huren
Kapitel 40 - Nicht fair
Kapitel 41 - Wind und Leere
Kapitel 42 - Inayenda mit den Goldaugen
Kapitel 43 - Winterwolf
Kapitel 44 - Davonlaufen
Kapitel 45 - Limit und Nuaril
Kapitel 46 - Der halbe Eber
Kapitel 47 - Geschwister
Kapitel 48 - Aussenseiter
Kapitel 49 - Einbrecher
Kapitel 50 - Familie
Kapitel 51 - Nicht mehr zwölf
Kapitel 52 - Mesche
Kapitel 53 - Der Geruch von Erde
Kapitel 54 - Die Hochöfen
Kapitel 55 - Diebe und Räuber
Kapitel 56 - Die Konsequenzen von Fehlern
Kapitel 57 - Auf der Suche
Kapitel 58 - Freiheit
Kapitel 59 - Zukunftspläne
Kapitel 60 - Jemanden zu mögen
Kapitel 61 - Unter Freunden
Kapitel 62 - Aufgeben
Kapitel 63 - Ein bisschen Abenteuer
Kapitel 64 - Durras Geschichte
Kapitel 65 - Ernst zu nehmen
Kapitel 66 - Tintenflecken
Kapitel 67 - Verflucht
Kapitel 68 - Heldenmut
Kapitel 69 - Die Verletzlichkeit der Guten
Kapitel 70 - Djora
Kapitel 71 - Erzählen
Kapitel 72 - Déjà-vu
Kapitel 73 - Vissuri
Kapitel 74 - Das Richtige zu tun
Kapitel 75 - Gerechter Zorn
Kapitel 76 - Narben der Vergangenheit
Kapitel 77 - Der wahre Kern des Märchens
Kapitel 78 - Jaz' Stärke
Kapitel 79 - Kaputt
Kapitel 80 - Der Wert von Fortschritt
Kapitel 81 - Blut und Tränen
Kapitel 82 - Fragen und Versprechen
Kapitel 83 - Ein Antrag
Kapitel 84 - Jemand wie du
Kapitel 85 - Ein Kind Yainils
Kapitel 86 - Warten und Beobachten
Kapitel 87 - Am Fenster
Kapitel 88 - Selbstlos
Kapitel 89 - Eine Drohung
Kapitel 90 - Eine Antwort
Kapitel 91 - Nein
Kapitel 92 - Seniah
Kapitel 93 - Arschlöcher
Kapitel 94 - Am Brunnen
Kapitel 95 - Ich bleibe
Kapitel 96 - Suppe
Kapitel 97 - Jäger und Gejagte
Kapitel 98 - Krieg
Kapitel 99 - Feigling
Kapitel 100 - Loyal
Kapitel 101 - Schmerz
Kapitel 102 - Was bleibt
Hinweis und Stuff

Kapitel 1 - Veränderungen

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By RoReRaven

„Komm gut nach Hause, Falrey!"

Nasilia lächelte und Ezali blickte von ihrem Keks auf. „Ja, paff auf dich auf!"

„Werd ich", versprach Falrey und blickte hinüber zu der Runde Mädchen, die Tee trinkend und Kekse knabbernd am Küchentisch sassen, während er sich die Stiefel schnürte. Er hatte sich selbst noch dazu gesetzt, nachdem er die Vordertüre abgeschlossen und die Lampen gelöscht hatte, und festgestellt, dass Muymas Kekse tatsächlich so göttlich waren, wie alle behaupteten. Während er möglichst unauffällig einen nach dem anderen davon verdrückt hatte, hatte er dem Getratsche der Mädchen zugehört, wie sie absolut schamlos über ihre Freier, ehemalige Kolleginnen und andere Bordelle herzogen, allgemein über jeden, der nicht gerade anwesend war.

In den vergangenen Wochen hatte er sie besser kennengelernt, nicht nur ihre Allianzen und Rivalitäten bei der Arbeit, sondern vor allem die Personen, die sie eigentlich waren, wenn sie nicht alles darauf ausrichteten zu gefallen, und festgestellt, dass sie nichts zu tun hatten mit den oberflächlichen, nur aufs Geld fixierten Wesen, für die er sie anfangs gehalten hatte. Die Seite, die sie den Männern präsentierten, wenn sie um ihre Gunst warben, diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Unterwürfigkeit, die ihren Berufsstand charakterisierte und so anziehend machte, mochte ein Teil von ihnen sein, schon immer gewesen, oder mit den Jahren der Arbeit geworden, aber sie waren viel mehr als das. Sie hatten Gedanken, Interessen, Träume, Facetten von denen nichts zu ahnen war, wenn man sie nur sah, wie sie herausgeputzt und mit lasziven roten Lippen die Freier umwarben, zwar jede ihre Besonderheit herausstreichend, aber doch alle reduziert auf ihre Funktion, einem Mann zu gefallen.

Falrey vermutete, dass sie sich bewusst verbargen, hinter der Farbe und dem in sämtlichen Bewegungen auf Verführung ausgelegten Verhalten, das bei längerer Betrachtung nichts anderes war, als ein einstudierter, berechnender, immer wieder neu choreographierter Tanz. Weil sie Huren sein mochten, aber nicht nur. Weil diese anderen Teile, das, was sie wirklich ausmachte, die Männer, die nur für Sex bezahlten, nichts anging, weil es ihnen gehörte und sie es niemandem darboten. Sie mochten ihre Körper verkaufen. Aber nicht ihre Identität.

Und die Freier auf der anderen Seite wollten keinen Charakter, sondern einen Körper, um ihre Bedürfnisse daran zu stillen, und genau das war es, was sie bekamen, nicht mehr, nicht weniger. Es war ein Geschäft zwischen zwei Menschen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben wollten, aber beide einen Nutzen aus der Begegnung zogen, und Prostituierte zu sein war nur ein Beruf, kein Merkmal oder Wesenszug. Sie waren Frauen wie jede anständige Handwerkersgattin, jede Bäuerin, jede Heilerin auch.

Sie wiederum hatten sich an ihn gewöhnt, die meisten konnten sich mittlerweile sogar seinen Namen merken und begrüssten ihn damit, wenn er Abends zur Arbeit erschien, oder verabschiedeten ihn wie jetzt mit einem Winken. Es war nicht Freundschaft, aber sie mochten ihn, und wenn er sich nach Feierabend zu ihnen setzte, war er unausgesprochen Teil der Runde, ohne dass irgendjemand Anstoss genommen hätte, dass er männlich war, oder deswegen befangen gewesen wäre, sein Geschlecht schien für sie überhaupt keine Rolle zu spielen. Zuerst hatte er einfach angenommen, dass sie ihn als Kind betrachteten, wie eine Menge anderer Leute auch, aber nach einigen Wochen war ihm aufgegangen, dass sie vermutlich davon ausgingen, er wäre schwul. Schliesslich war das Jaz Worten zufolge praktisch eine Voraussetzung für den Job. Er hatte beinahe gelacht, als es ihm klar geworden war, und sich dann unwillkürlich gefragt, ob Jaz nicht genau das womöglich Jelerik erzählt hatte. Die Lüge sähe ihm ähnlich. So oder so hatte er nicht vor, irgendjemanden über den Irrtum aufzuklären, schliesslich spielte es keine Rolle, ausser dass sie sonst noch anfingen, sich ihm gegenüber merkwürdig zu verhalten, und er hatte auch ohne das genügend Probleme.

Leise liess er das Bordell hinter sich und lief die dunklen Gassen entlang nach Hause, auf einem anderen Weg als die letzten zwei Tage und darauf bedacht, dass ihm niemand folgte. Er hatte sich verändert. Von dem Jungen, der orientierungslos und unachtsam quer über die breitesten Strassen gestolpert oder auf jedem beliebigen Hausdach eingeschlafen wäre, war nicht mehr viel übrig. Er war ein Schatten in den Schatten, lautlos, die ganze Aufmerksamkeit stets auf seine Umgebung gerichtet, um jeder Gefahr auszuweichen, lange bevor sie auftrat. Jaz hatte Dutzende Male versucht ihm einzutrichtern, immer wachsam zu sein, immer mit einem Angriff zu rechnen, vergeblich. Falreys Instinkt hatte es einfach nicht begriffen, er hatte sich zu sicher gefühlt, das Gefühl von Frieden zu tief in seinem Wesen verankert – und schliesslich passte ja Jaz auf, oder?'

Ja – und dann hat er dir beinahe die Kehle aufgeschlitzt. Und ihn damit nachhaltiger verändert, als Warnungen es jemals vermocht hätten. Fünf Wochen waren vergangen seit jener Nacht. Die Angst war geblieben. Die ständige Angst, eines Morgens nicht mehr aufzuwachen, weil er in einem Raum schlief mit einem Mörder, der ihn hasste. Er konnte nichts ändern an der Situation, doch genauso wenig an der Angst, sie blieb, war immer da, irgendwo in der Tiefe, wurde zu einem Teil von ihm, liess ihn niemals ganz zur Ruhe kommen. Wenn es das war, was du wolltest, Jaz, dachte Falrey bitter. Gratuliere, du hast dein Ziel voll erreicht!

Andere Veränderungen waren subtiler und griffen vermutlich weiter zurück. Er lief nicht mehr rot an, wenn die Mädchen im Liliths ihm auf dem Korridor halbnackt über den Weg liefen, auch wenn er nach wie vor anstandshalber wegblickte. Der Anblick war schlicht zu alltäglich geworden und sie machten sich zu wenig daraus als dass es ihn noch geniert hätte. Ein Teil von ihm fragte sich, ob das irgendwie falsch war, oder nicht vielleicht genau richtig, weil es bedeutete, dass er sie als die Personen sah, die sie waren, ohne dabei auf ihre Erscheinung zu achten. Im Endeffekt war es eine philosophische Frage: war es wichtiger, was eine Person war oder wie sie wirken wollte?

Denn im Grunde waren Auftreten, Kleidung, Frisur ja nichts anderes als eine Verkörperung von letzterem. Was wiederum der Grund dafür war, warum er eine Menge der Kunden des Liliths nicht mochte, auch wenn er es selten zeigte. Am Anfang hatte er gedacht, er hätte einfach Jaz Abneigung gegen die Schmarotzer übernommen, aber nach und nach war ihm klar geworden, dass es nicht die Tatsache war, dass sie reich waren, die sie abstossend machte. Reichtum konnte genauso gut Glück, Geburt oder sogar ehrlichem Handel geschuldet sein wie Skrupellosigkeit. Sondern dass sie sich reich kleideten. Sie trugen ihr Geld zur Schau, in Bordüren und silbernen Knöpfen, Ringen, Ketten und feiner Seide, prall gefüllten Geldbeuteln in den Taschen und an den Gürteln. Es gab keinen Grund einem Dieb eine solche Einladung zu geben, ausser wenn man seinen Reichtum zeigen wollte. Weil man stolz darauf war. Weil man sich dadurch vom Pöbel abheben wollte, zeigen, dass man etwas Besseres war. Und das war es, was Falrey verabscheute. Geld war nichts, worauf man stolz sein sollte, schon gar nicht, wenn man es womöglich nicht einmal selbst erwirtschaftet hatte. Reichtum und die damit einhergehende Macht verlangten Dankbarkeit und Demut, kein aufgeblasenes Ego. An den König, mög er sich erinnern, wie es in einem alten Text geschrieben stand, den er noch vage im Kopf hatte, von längst vergessenen Schultagen. Dass das Volk es war, das ihm die Macht gegeben. Und es kann sie ihm auch wieder nehmen.

Ob König oder Schmarotzer: Hochmut säte Hass, Hass wie den von Jaz. Falrey fragte sich, warum nicht mehr Leute sich gegen sie wandten. Warum war die Idee, dass reiche Leute respektabler waren als Arme ein Konstrukt, das sich so gut hielt in der Gesellschaft? Sie waren auch nur Menschen, mit demselben Potential gut oder schlecht zu sein wie alle anderen. Das Geld in ihren Händen machte ihre Taten weder besser noch gerechter.

Aber die Veränderung, die Falrey von allen am meisten Angst machte, war dass er sich nicht mehr fürchtete vor seinem Dolch. Er erinnerte sich an die Abscheu und den Widerwillen, als Jaz ihm die Waffe das erste Mal in die Hände gedrückt hatte, den Wunsch das Ding ganz weit weg zu legen und niemals etwas damit zu tun zu haben. Weil es Menschen töten konnte, nein, weil es dazu geschaffen war, Menschen zu töten. Sie waren verschwunden. Er spürte die Klinge durch die Weste hindurch, ebenso wie die Stiefelmesser über seinen Knöcheln, aber das Gefühl, das sie ihm gaben, war keines von Übelkeit und Widerwillen, sondern eines von Sicherheit und Stärke, und während er von Schattenpfütze zu Schattenpfütze durch die nächtliche Stadt schlich, war er immer auf dem Sprung, bereit, sie zu ziehen, sobald eine Gefahr drohte.

Nicht, um zu töten, das wollte er nicht. Er war kein Mörder, und wenn das Schicksal ihm irgendeine Wahl liess, wollte er niemals einer sein. Er hatte zu viel gesehen, um den Tod eines Menschen als etwas Unbedeutendes aber Notwendiges zu betrachten. Zuviel von den Gedanken in den Augen einer Sterbenden. Zuviel davon, wie ein Todesfall Familien und Freundschaften zerreissen konnte. Er wollte nicht der Grund sein für so etwas. Nicht nochmal...

Aber ein Dolch war nicht nur wirkungsvoll, wenn man damit zustach, es reichte, wenn man ihn jemandem unter die Nase hielt. Wenn man wirkte, als würde man zustechen. Eine scharfe Klinge war eine Waffe, aber die Angst davor, und vor der Person, die sie hielt, war es auch. Und wenn er Jaz spielte, seine Kälte, seine ruhige Gewissheit übernahm, schaffte er es, diese Angst in den Menschen zu wecken.

Er hatte es einige Male getan in den letzten Wochen. Um unruhestiftende Freier loszuwerden und ein, zwei Mal, als er alleine durch die Strassen gezogen war. Er sprach seine Drohungen gegenüber den Männern so leise aus, dass die Mädchen sie nicht verstanden, aber natürlich spürten sie etwas von der Situation, sahen die Furcht, die die Männer plötzlich vor dem Jungen hatten, den sie wenige geflüsterte Worte zuvor noch als nervendes aber irrelevantes Beigemüse eingestuft hatten. Es verwirrte sie, und wenn er ehrlich war, verwirrte es ihn auch. Im Grund war es eine Lüge, die leeren Drohungen, die Teilnahmslosigkeit. Aber es fühlte sich nicht an wie eine Lüge. Nicht wie ein Spiel, bei dem man sich eine Rolle ausdachte und diese dann versuchte darzustellen, aber im Hintergrund immer mit den eigenen Gedanken darüber nachdachte, was die Figur wohl tun würde. Es war mehr als würde er eine Maske anziehen und, so lange er sie trug, zu dem werden, was sie zeigte. Er überlegte nicht, was Jaz denken könnte, er dachte als Jaz - oder zumindest als das, was er dafür hielt.

Ein Teil von ihm fragte sich, ob es gefährlich war, ob er riskierte, sich irgendwann nicht mehr von der Maske trennen zu können. Und ob Jaz nicht am Ende dasselbe tat, sich auch nur irgendwann jemand anderes Maske angeeignet hatte und dazu geworden war, aber eigentlich, dahinter, war er jemand ganz anderes, den er niemandem zeigte. Er hätte ihn gerne gefragt, auch wenn er nicht viel als Antwort erwartete, ein ausweichender Blick oder ein Schnauben hätten bereits gereicht.

Aber das ging nicht mehr. Es war, als wäre Jaz fortgegangen in ein anderes Land, obwohl sie im selben Haus lebten, im selben Raum schliefen, als würde er hier nicht mehr existieren. Irgendwie vermisste Falrey ihn. Respektive er vermisste das, was Jaz für ihn gewesen war, was er in ihm gesehen hatte, denn das war weg. Die Silhouette, die er manchmal in der frühen Morgendämmerung im Zimmer stehen sah, war ein Fremder, den er nicht kannte. Und er würde nicht auf ihn zugehen, mit ihm sprechen, tun, als wäre nichts passiert, auch wenn ein masochistischer Teil von ihm sich genau danach sehnte, einfach damit es wieder war wie vorher. Es konnte nicht sein wie vorher. Und er war kein Hund, der jemandem hinterherlief, der ihn schlug, schon gar nicht, wenn er damit rechnen musste, wieder geschlagen zu werden.

Und er hatte Angst, Angst vor dem Fremden, der stumm kam und ging wie ein Phantom und an dessen Stiefeln manchmal frisches Blut klebte.

Er erreichte das Ende einer Gasse, sah sich ein letztes Mal sorgfältig in alle Richtungen um und überquerte dann den Platz mit dem Brunnen. Einen Moment lang blieb sein Blick and er Fassade von Eiruns Badehaus hängen, aber er wandte ihn schnell ab und bog in die Steingasse ein. Nemi...

Er mochte nicht an sie denken. Ihm war klar, dass er es versaut hatte. Ihr letztes Treffen hatte unter einem beschissenen Stern gestanden, und seither hatte er nicht mehr den Mumm aufgebracht, sich bei ihr zu melden. Er tat ihr weh damit, das wusste er, sie war so unsicher gewesen, als er einfach geschwiegen hatte, hatte so hoffnungsvoll gefragt, ob sie sich wieder treffen würden. Er hatte ja gesagt – und seither ging er ihr aus dem Weg. Und mit jedem Tag, an dem seine Schuldgefühle grösser wurden, wuchs auch seine Angst ihr gegenüber zu treten, bis er begann den Gedanken daran jedes Mal, wenn er auftauchte, ganz weit in die Tiefen seines Geistes wegzuschieben – was es natürlich nicht besser machte. Aber er wusste nicht, wie er sich jetzt noch entschuldigen sollte, und... sowieso. Vermutlich war es besser, wenn sie dachte er sei ein Arsch und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.

Mach dir nichts vor, schnaubte eine Stimme in seinem Kopf. Du tust es nicht für sie, du bist nur ein feiger Egoist. Nun, in dem Fall machte er ihr wenigstens nichts vor.

Er erreichte die Türe und trat mit einem flüchtigen Blick über die Schulter davor. Das Haus war dunkel und still und er schloss leise auf und drückte die Klinge hinunter, um niemanden zu wecken. In dem Moment, als er durch die Türe trat, spürte er, dass Jaz da war. Wach.

Langsam zog er hinter sich zu und schob die Riegel vor, unterdrückte den Drang sich umzudrehen und davon zu laufen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er spürte den Dolch in seiner Weste, schwer und scharf. Die Arme leicht angewinkelt, bereit, jederzeit los zu schnellen und ihn zu ziehen, ging er die zwei Schritte Flur entlang zum Durchgang in die Küche. Jaz sass auf der anderen Seite des Tisches und sah ihm entgegen.

Falrey blieb stehen. Sie starrten sich an.

Es war dunkel, nur ein schwacher Schimmer sickerte durch das offene Fenster herein, aber Falrey sah Jaz Finger, hell gegen die Maserung des Tisches, auf der sie lagen. Er hielt keine Waffen in den Händen und von der Position her würde es einen Moment dauern, bis er auf und über den Tisch gesprungen war, nur deshalb stand Falrey immer noch still, obwohl jeder Instinkt ihm sagte, er solle sich umdrehen und rennen.

Es waren Jaz Augen. Dieses übergangslose Schwarz. Er war der Jäger und Falrey die Beute. Hatte er auf ihn gewartet? Wozu? Oder war er zufällig noch wach?

Du solltest einfach wegsehen und nach oben gehen, bevor es eskaliert, versuchte er sich klar zu machen. Sieh weg und dreh ihm nicht den Rücken zu. Aber er tat es nicht. Stand nur da und starrte zurück, die Nerven gespannt wie Federn, die Zähne zusammengebissen, jeder Atemzug abgemessen zu Kampf oder Flucht, obwohl er wusste, dass er keine Chance hatte, zu keinem von beiden, wenn Jaz es wirklich darauf anlegte. Aber er würde kämpfen, nicht aufgeben, bevor er tot war. Wut stieg in ihm auf für einen Augenblick und flachte mit dem nächsten wieder ab. Und dann, plötzlich, verliess ihn auch die Angst und er wurde ruhig, eine Ruhe jenseits von Panik. „Hör auf mit dem Spiel", hörte er sich selbst sagen und in seiner Stimme klang die Entschlossenheit, die durch seine Adern floss. „Wenn du mich umbringen willst, dann tu es jetzt!"

Stille.

Jaz rührte sich nicht, nur sein Blick bohrte sich in Falreys Schädel. „Nein", sagte er dann rauh.

„Was nein?", fragte Falrey und biss die Zähne zusammen.

„Ich werde dich nicht umbringen."

Falrey schwieg einen Moment lang. „Warum?"

Er brachte nicht mehr zustande als dieses Wort, zu viele Fragen steckten dahinter. Warum nicht? Warum hast du es dann fast getan? Warum wolltest du es? Warum jetzt nicht mehr? Wie lange, bis du deine Meinung wieder änderst? Warum sagst du nicht einfach, was das Problem ist?!

„Du hast morgen frei."

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Falrey kniff die Augen zusammen. „Spionierst du mir nach?"

Jaz Narbe zuckte ganz leicht. „Ich habe Jelerik gefragt." Er schwieg einige Herzschläge lang. „Wenn du mit mir mitkommst, sag ich dir warum."

Falrey wägte ab. Alles in ihm lehnte den Gedanken ab, sich noch einmal freiwillig in Jaz Gesellschaft zu befinden. Ausser das Verlangen, endlich zu wissen, was hier vor sich ging. „Einverstanden", knurrte er.

Jaz nickte knapp.

Einige Atemzüge schwiegen sie beide. Dann wandte Jaz den Blick ab und sagte leiser: „Gute Nacht."

Falrey konnte sich nicht erinnern, jemals so etwas von Jaz gehört zu haben, aber auch so verstand er den Wink, wandte sich um und ging die Treppe hinauf. Schnell und leise zog er sich aus und kroch unter die Decke, wobei er die Halterungen der Stiefelmesser so zwischen Matratze und Wand schob, dass die Griffe ein Stück hervorragten, genug um sie daran herauszuziehen.

Er hörte nichts mehr davon, wie Jaz nach oben kam. Aber er war auch müde genug, um schnell einzuschlafen.


Wie versprochen geht es hier weiter.

Falls jemand zufällig hier drauf gestossen ist, und den Hinweis in der Beschreibung überlesen hat: das hier ist der zweite Band. Der erste findet sich unter dem Titel "Niramun - Nachtschatten" auf meinem Profil und es empfielt sich stark, ihn zuerst zu lesen.

Für alle übrigen: was haltet ihr vom neuen Cover?

lg Ro

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