The Bucket List

By applepie1912

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Ein ganzes Leben in 100 Tagen --- Jolina war ein niedliches, aufgewecktes Mädchen. Stets fröhlich. Stets lebe... More

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Prolog
Tag 100 // Tag 99
Tag 96 // Tag 95
Tag 94 // Tag 90
Tag 89 // Tag 88
Tag 87 // Tag 85
Tag 83 // Tag 82
Tag 81 // Tag 79
Tag 76 // Tag 74
Tag 73 // Tag 71
Tag 70 // Tag 69
Tag 67 // Tag 62
Tag 58 // Tag 57
Tag 55 // Tag 54
Tag 53 // Tag 52
Tag 50 // Tag 49
Tag 48 // Tag 46
Tag 45 // Tag 44
Tag 43 // Tag 40
Tag 39 // Tag 38
Tag 37 // Tag 36
Tag 35 // Tag 32
Tag 30 // Tag 29
Tag 27 // Tag 23
Tag 22 // Tag 21
Tag 18 // Tag 17
Tag 16 // Tag 15
Tag 12 // Tag 11
Tag 9 // Tag 7
Tag 4 // Tag 3 // Tag 2
Tag 0 // Epilog
Dank

Tag 61 // Tag 60

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By applepie1912

Tag 61

Am nächsten Tag wachte ich früher auf als sonst. Ich war hellwach und starrte an die Zimmerdecke. Es war eine Stunde, bevor mein Wecker eigentlich klingeln sollte und da ich nicht mehr schlafen konnte, stand ich auf. Ich tappte barfuß nach unten. Auf halbem Weg hörte ich meine Eltern leise streiten.

»Wie konnte das passieren?«, flüsterte mein Vater hektisch. »Wieso weiß jeder, dass Jolina krank ist?«

»Ich weiß es nicht!«, antwortete meine Mutter. »Ein Mädchen saß im Wartezimmer. Sie muss uns gehört haben. Ich glaube, es war-« Meine Mutter senkte die Stimme und ich konnte sie nicht mehr verstehen. In mir machte sich eine böse Vorahnung breit. Wie betäubt lief ich weiter die Treppen nach unten und trat durch die Küchentür. Mum stand in ihrem Morgenmantel und einer Kaffeetasse in der Hand am Tisch, während mein Vater am Tisch saß und die Zeitung vor sich liegen hatte. Beide sahen auf, als sie mich bemerkten.

»Jo«, setzte meine Mum sofort an, aber ich hob eine Hand, um ihr zu zeigen, dass ich etwas zu sagen hatte.

»Habt ihr was damit zu tun, dass jetzt jeder über mich Bescheid weiß?«, fragte ich und merkte zu meinem Entsetzen, wie meine Stimme zitterte. Meine Mum zögerte. Aber das reichte. Ich griff mir bestürzt an den Mund und wandte mich ab.

»Jo, es war ein Versehen«, verteidigte mein Vater meine Mutter. Ich fuhr herum.

»Ein Versehen, ja? Wisst ihr überhaupt, wie beschissen es mir jetzt geht? Alle sehen mich an, als ob-«, ich stockte und lachte bitter, »ja, als ob ich gleich sterben würde.«

»Ich habe mit Direktor White nur darüber gesprochen, dass es vielleicht besser wäre, wenn die übrigen Lehrer eingeweiht werden, nur im Falle eines Notfalls«, sagte Mum und stellte ihre Tasse auf den Tisch. Sie wollte auf mich zukommen, aber ich wich zurück.

»Ich will nicht, dass die anderen Lehrer das wissen«, meinte ich und schluckte schwer. »Und vor allem wollte ich nicht, dass die Schüler das erfahren. Wie konntest du zulassen, dass er es öffentlich macht?«

»Ich habe dem Direktor nicht gesagt, dass er es öffentlich machen soll, das schwöre ich!«, rief und drückte ihre Hand an ihre Brust. »Man hat uns gehört. Derjenige hat es offenbar weitererzählt. Durch das ganze Facebook und all die anderen sozialen Medien geht das doch schnell.«

»Wer war es?«, wollte ich wissen. Mum presste die Lippen aufeinander.

»Ich kenne das Mädchen nicht.« Das war eine Lüge. Ich war mir sicher, dass sie vorhin einen Namen genannt hatte. Aber ich nickte nur, drehte mich um und lief wieder nach oben. Dort zog ich mich um. Als ich wieder nach unten rauschte, rief mir meine Mum wehklagend hinterher, aber wie jeder Vorzeigeteenager ignorierte ich sie. In Windeseile raste ich zur Schule. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, meine Karre abzuschließen.

Als ich in das Sekretariat marschierte, wollte die Sekretärin gerade protestieren, als sie mich erkannte. Ohne Zweifel kannte auch sie nun die Wahrheit.

Ich bin Jo, der Freak, der gefallene Engel und es wurde Zeit, Lucifer zu spielen.

Ich lächelte die Frau also nur überheblich an, bevor ich die Tür zum Direktor aufstieß. Dieser telefonierte gerade und blickte auf, als ich im Türrahmen, wie Rambo stand. Kurz musterte er mich, bevor er mir zunickte.

»Ja, ja natürlich. Hören Sie, ich rufe zurück, ja?« Dann knallte er den Hörer auf die Gabel, ohne auf eine Antwort zu warten. Seine Halbglatze glänzte im Licht.

»Jo, wie schön, dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?«, fragte er und verschränkte die Finger ineinander. Er lächelte lieb. Trotz allem war er ein guter Mann.

»Worüber haben Sie mit meiner Mutter gesprochen? Und wie zur Hölle kam es dazu, dass nun die ganze Schülerschaft über mich Bescheid weiß?« Ich wollte brüllen und toben und schreien und wüten, aber in diesem einen Moment, in dem ich meinem Direktor in die braunen Augen blickte, war ich ruhig. Zu ruhig.

Der Direktor nickte wieder. Dann lehnte er sich vor.

»Warum setzt du dich nicht und schließt die Tür?«, meinte er.

»Danke, nein«, erwiderte ich plump und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Direktor White seufzte.

»Sie kam zu mir und sagte mir, dass sich dein Zustand verschlechtern würde. Sie bat mich, das Kollegium über dich aufzuklären, damit es eingreifen könne, wenn dich einer dieser Anfälle überkäme. Sie brachte mich auf den neuesten Stand. Und offenbar hatten wir einen Zuhörer.« Ich sah Direktor White nur fragend an und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. Ich überlegte, ob ich zur Untermalung noch ungeduldig mit dem Fuß auftippen sollte, aber der Direktor seufzte wieder und sprach weiter.

»Eine Schülerin kam offenbar ins Wartezimmer und da unsere Sekretärin nicht wusste, worüber deine Mutter und ich so Wichtiges redeten, hat sie die Schülerin auch nicht wieder weggeschickt. Und da hat sie das eine oder andere mitbekommen. Es war eine Verkettung unglücklicher Zufälle und das tut mir sehr leid, Jo.« Der Direktor fuhr sich über das schüttere Haar und sah niedergeschlagen zu mir auf.

»Welche Schülerin?«, fragte ich.

»Jo, ich denke nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielt. Du solltest vielleicht nicht-«

»Welche Schülerin?«, wiederholte ich, diesmal fordernder. Direktor White gab sich geschlagen und sah mich an.

»Zoey Price.«

Als ich im Kreativen Schreiben saß, freute ich mich diesmal richtig, als Kyle durch die Tür trat und auf mich zukam.

»Hey. Wie geht es dir?«, fragte er und ich zuckte mild lächelnd die Schultern.

»Beschissen. Zoey ist schuld daran, dass jeder weiß, dass ich bald sterben werde«, antwortete ich und lieferte ihm schnell eine Zusammenfassung. Kyle staunte nicht schlecht.

»Wirst du sie zur Rede stellen?«, fragte er. Ich zuckte die Schultern.

»Erst muss ich das mit Nathalie wieder kitten. Und wenn ich dabei drauf gehe.« Bedeutungsvoll sah ich ihn an und er lachte leise.

»Dann los, was hast du schon zu verlieren?« Schließlich kam Mrs Dickinson herein. Sie redete wieder über das Schreiben und lenkte somit meine Gedanken weg von meinem aktuellen Problem und hin zu meinem neuen Projekt. Nach der Stunde ging ich zu ihr. Sie nahm wie immer die Brille ab und sah mich gespannt an. Doch diesmal erkannte ich darin auch, dass auch sie Bescheid wusste. Um ehrlich zu sein, versetzte mir das einen ganz schönen Stich. Ich wollte nicht, dass sie mich so ansah. Sie war ein Vorbild für mich, sie gab mir Kraft.

»Jo, was kann ich für dich tun?«, fragte sie lieb und ich schulterte meine Alibitasche.

»Ich will schreiben, so wie sie es gesagt haben. Aber ich tue mich schwer mit dem Anfang«, gab ich zu. Gestern Abend habe ich eine Stunde an meinem Laptop gesessen und darüber nachgedacht, wie ich beginnen sollte. Ich wollte über mein Leben schreiben, aber wo ist der Anfang? Wie weit vorn kann ich beginnen? Ich kam nicht in den mir altbekannten Schreibfluss.

Mrs D. lehnte sich zurück und verschränkte locker die Arme.

»Alles, was du tun musst, ist, einen wahren Satz zu schreiben. Beginne mit dem wahrsten Satz, den du kennst.«

»Haben Sie gerade Ernest Hemingway zitiert?«, fragte ich. Mrs Dickinson lächelte verschmitzt.

»Du hast ja doch in meinem Unterricht aufgepasst.«

Zuhause setzte ich mich ran.

»Den wahrsten Satz, den ich kannte?«, murmelte ich und starrte auf das Papier.

»Frag nicht mich«, meinte Mortem und ich zuckte erschrocken zusammen. Er lümmelte auf meinem Bett und grinste. »Ich bin schlecht im Schreiben.« Ich verdrehte die Augen und kritzelte etwas aufs Papier.

Der Tod ereilt jeden.

Ich schüttelte verärgert den Kopf und strich das Ganze wieder durch.

Das Leben ist kurz, also müssen wir jede Gelegenheit nutzen.

Wieder strich ich es durch. Das klang zu sehr nach Carpe Diem. Den wahrsten Satz, den ich kannte? Ich sah mich um, blickte durch mein Zimmer, betrachtete die Fotos und Gegenstände. Dann hefteten sich meine Augen auf meine Liste, die an meiner Pinnwand hing. So vieles hatte sich verändert. Ich sah ein Bild von mir, Zoey und Bianca. Freunde kamen und gingen. Mein Blick fiel auf Mortem. Dann wieder auf die Liste. Und da wusste ich, was ich schreiben musste.

Ich werde sterben. Das ist mein Schicksal.

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Tag 60

»Was ist die letzte Woche so passiert?«, fragte Dr. Della Bryson. Ich saß ihr gegenüber und knetete meine Hände.

»Nicht viel«, sagte ich teilnahmslos und ließ meinen Blick schweifen.

»Wie kommst du mit deinem Projekt voran?«, bohrte meine Therapeutin weiter.

»Gut«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Gestern hatte ich noch viel daran geschrieben. Ich hatte die letzten Tage aufzuholen und zu dokumentieren.

»Aber da ist noch eine Sache, nicht wahr, Jo?« Ich seufzte. Sie würde nicht lockerlassen.

»Meine Schule hat davon erfahren, dass ich todkrank bin«, gestand ich und starrte auf einen Punkt vor mir. »Alle wissen es jetzt. Jeder Schüler, jeder Lehrer.«

»Und das stört dich?«

»Ja, natürlich«, schoss es sofort aus mir heraus, verwirrt über die Frage. Dr. Della Bryson lächelte.

»Hat es dir bei Kyle etwas ausgemacht?«, fragte sie. Ich stockte und überlegte.

»Schon. Er hat es auf die denkbar ungünstigste Weise erfahren; genau als ich einen Anfall hatte. Ich habe es gehasst, dass er mich so verletzlich und ausgeliefert sieht«, meinte ich und sah meine Therapeutin an.

»Das mag sein, Jo, aber ich frage mich, ob dich weniger die Tatsache stört, dass er es überhaupt weiß, als dass er dich so gesehen hat.« Als ich sie nur anschwieg, seufzte sie und legte ihre Notizen zur Seite.

»Du baust eine Mauer um dich herum auf. Und jeder, der sie einreißen will, trifft auf deine kalte Schulter. Du willst dich vor Kyle nicht so krank zeigen. Du willst vor ihm stark wirken, aber es tut gut, dass Menschen über einen Bescheid wissen. Es tut gut, dass man sich öffnet und seine Gefühle teilt.«

»Nein, nein, nein«, unterbrach ich sie. »Sie verstehen das nicht. Dass ich mich Kyle geöffnet habe« – ich malte Anführungszeichen in die Luft – »ist nur dem Zufall zu zuschreiben. Und dass es nun alle anderen Schüler wissen, tut mir nicht gut. Ich hasse es.«

»Gut, dann frage ich dich etwas Anderes: Bereust du es? Wenn du das ändern könntest, würdest du es rückgängig machen, dass Kyle nun von deinem Tumor weiß?«, wollte meine Therapeutin wissen und sah mich ruhig an.

Ich wollte ja schreien. Ich wollte ihr dieses Wort ins Gesicht schleudern und mir die Genugtuung gönnen, sie aus der Fassung zu bringen. Aber ich konnte es nicht. Stattdessen blieben mir diese zwei Buchstaben im Hals stecken und zwangen mich dazu, nachzudenken. Darüber, wie Kyle mich aufmunterte, mir vorschlug, zu schreiben. Darüber, wie er mich überzeugte, Nathalie an mich heranzulassen. Darüber, wie er mir mit der Liste half.

Ich antwortete meiner Ärztin nicht und das musste ich auch nicht. Sie nickte, klappte ihre Notizen zu und erklärte die Sitzung für beendet.

Ich fuhr in die Schule und parkte meinen alten Wagen am Rand des Parkplatzes. Ich lief den altvertrauten Weg und genoss die Stille. Niemand starrte mich an, wie es mein ganzes Leben schon passierte. Entweder weil ich mit Zoey und Bianca, topgestylt, unterwegs war oder weil ich zum mysteriösen Mädchen aus der letzten Reihe mutierte, und keiner wusste wieso. Jetzt kannten sie den Grund. Und starrten mich weiter an.

Ich lief die Gänge entlang, hatte einen Kopfhörer im Ohr und lauschte der rockigen E-Gitarre einer Band, die gerade auf meinem iPod lief. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit, bis der Matheunterricht anfing. Deshalb nutzte ich die Zeit, um mir eine Ecke zu suchen, in der ich später ungestört meine Pause verbringen konnte.

Nach einer Weile hatte ich eine Eckbank im Ostflügel gefunden. Kurz ließ ich mich für ein paar Minuten nieder und starrte an die gegenüberliegende Wand. Ich wollte diese Pause nicht hier auf dem dunklen Flur verbringen. Ich wollte mit Nathalie und Logan essen. Ich wollte mit ihnen lachen und lästern. Also fasste ich einen Entschluss.

Das Leben ist viel zu kurz, um etwas nachzutrauern, was man noch haben könnte. Und wenn man was verbockt hat, dann sollte man das so schnell wie möglich wieder geradebiegen. Das Leben ist kurz. Aber es ist auch verdammt schön.

Bevor ich mich zurückhalten konnte, stand ich schon vor Nathalies Unterrichtsraum und klopfte energisch an die Tür. Ich trat herein, ehe man mich dazu auffordern konnte.

»Entschuldigen Sie die Störung.«, sagte ich zum Lehrer, der gerade protestieren wollte. »Aber ich soll Nathalie Parker zum Direktor holen.« Ich sah nicht zu ihr. Sondern blickte dem Lehrer gerade heraus ins Gesicht. Es war mir egal, dass mich alle anstarrten. Ich hatte gelernt, damit umzugehen.

Der Lehrer blinzelte verwirrt. Ohne Zweifel wusste er, wer ich war und wie es um mich stand. Und wer konnte dem todkranken Mädchen schon etwas abschlagen?

»Äh, natürlich. Nathalie, gehen Sie ruhig«, stammelte der Lehrer und winkte sie zur Tür. Jetzt erst wandte ich mich zu ihr um.

Ihre Augen sprühten Funken, sie wollte mir den Hals umdrehen, das sah ich und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Ich reckte mein Kinn nach vorn und Nat wäre nicht Nat, wenn sie es mir gleichtat und auf mich zu kam. Wir traten vor die Tür und liefen, ohne uns abzusprechen, einige Schritte weiter, bevor sie zu mir herumwirbelte.

»Der Direktor will mich nicht sehen, stimmts?«, fragte sie und ich nickte.

»Ich wollte dich sehen«, sagte ich gerade heraus. Nathalie lachte hart auf und es versetzte mir einen Stich sie so zu hören. Als sie Anstalten machte, an mir vorbei zu gehen, stellte ich mich vor sie.

»Nein, warte. Du kannst gehen, aber erst musst du mir zuhören. Höre mich erst an und dann kannst du gehen. Ich werde dich nicht weiter belästigen, aber ich will es dir erklären, das bin ich dir schuldig«, sagte ich atemlos und als Nathalie ihre Arme vor der Brust verschränkte, drückte ich die Schultern durch.

»Ich habe im letzten Schuljahr von meiner Diagnose erfahren. Erst haben wir versucht, es zu behandeln, aber es war schnell klar, dass ich einen Tumor hatte, der unheilbar war. Ich ging zur Schule und wurde zu Jo und igelte mich ein.

So habe ich jeden Tag gelebt, verstehst du? Ich bin im Trott des Alltags versunken und habe nicht mehr herausgefunden. Doch dann kamst du, Nathalie. Ich weiß, das klingt wie aus einem billigen Film, aber es stimmt. Du hast mit mir neue Dinge gemacht, ich habe wieder gelacht. Aber ich wollte dir nicht zumuten, dass du in mir eine Freundin findest, die du bald wieder verlierst. Ich hatte Angst vor deiner Reaktion.

Kyle hat mich auf der Party gefunden, als mich eine Attacke überkam. Dann hat er mein Geheimnis quasi aus mir herausgepresst. Seitdem hilft er mir, meine Liste abzuarbeiten. Und ich hätte es dir auch gesagt, das schwöre ich dir Nathalie. Aber Zoey kam mir zuvor.«

»Zoey?«, fragte Nathalie ungläubig. Ich biss mir auf die Lippe und nickte.

»Sie muss es gehört haben, als meine Mum mit Direktor White darüber sprach«, sagte ich. »Aber das ist ja ganz egal. Was ich sagen will, ist, dass es mir leidtut, Nathalie. Ich hätte dir die Entscheidung, ob du das aushalten kannst oder willst, nicht abnehmen sollen. Ich hätte es dir erzählen sollen, das weiß ich. Es tut mir leid Nathalie.

Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, denn du bist inzwischen eine gute Freundin geworden und auch wenn das zutiefst egoistisch klingt: Ich will dich weiterhin als Freundin. Auch bis zum Schluss.

Ich bin todkrank, Nat. Das muss dir bewusst sein, aber wenn mich dieses Drecksding in meinem Kopf eines gelehrt hat, dann, dass das Leben viel schöner ist, wenn man nicht allein ist. Und ich hätte gern noch ein schönes restliches Leben.« Ich laberte nur Bullshit. Ich hoffte, dass Nathalie mir verzieh. Aber ich wusste auch, dass ich das nicht so einfach erwarten konnte.

Nathalie stieß die Luft aus. »Ich habe es dir gesagt, Jo. Ich bin nicht wie die meisten Menschen. Ich vertrage Ehrlichkeit und kann es nicht ausstehen, wenn man mich abschiebt. Ich habe dir gesagt, wenn du sowas wieder machst, verfrachte ich dich nach Shanghai.«

»Ich steige direkt in den nächsten Flieger, wenn du willst«, versprach ich, ohne eine Miene zu verziehen. Nathalies Mundwinkel zuckten.

»Ich meins ernst, Jo. Ich bin nicht dafür da, dass du bei mir heile Welt spielen kannst, kapiert? Wenn, dann will ich das Gesamtpaket. Ich will, dass du mich anrufst, wenn es dir schlecht geht und dass du mit mir darüber redest, wenn dich die Angst vor dem Tod überkommt. Ich kann das aushalten, Jo. Aber dafür will ich die Wahrheit wissen, klar?« Streng sah sie mich an aber ich konnte nicht anders als ihr jauchzend um den Hals zu fallen.

»Glasklar!« Nathalie schlang die Arme um mich und als wir uns lösten, erschien ihr altbekanntes verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht. Jenes Grinsen, das mir zeigte, dass sie etwas vorhatte.

»Da du deinen Todesbonus schamlos ausgenutzt hast, um mich aus dem Unterricht zu locken, können wir ihn ja noch ein bisschen weiter schamlos ausnutzen und im Diner meiner Wahl vorbeischauen«, schlug sie unschuldig vor und ich lachte lauthals.

»Okay und als endgültige Entschädigung zahle ich dir deine Pommes«, versprach ich. Nathalie klatschte in die Hände und wir marschierten nach draußen.

»Denkst du, Logan verzeiht mir auch?«, fragte ich schließlich leise. Nathalie sah mich an und lächelte warm.

»Dafür werde ich sorgen. Um ehrlich zu sein, ist er sowieso verständnisvoller als ich. Er versteht, warum du so gehandelt hast«, meinte sie und bog vom Parkplatz auf die Straße ab.

Ich lehnte mich zurück und genoss die Sonne auf meinem Gesicht. So wie der Frühling überall aufkeimte, spross meine Freundschaft mit Nathalie. Manchmal gab es Höhen und Tiefen. Aber ohne Streit, wüsste man nicht, was eine reibungslose Freundschaft ist. Man wuchs dadurch zusammen.

Das Leben ist kurz. Aber es ist auch verdammt schön.


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