»Erst mal werde ich es mir hier gutgehen lassen und mich mal schlau machen, was ich wissen sollte, bevor ich in Yorkshin nach meinem Vater suche.«
»Klingt gut... Und was mache ich?«
Irritiert setzte sich Gon auf, den Blick starr auf Killua gerichtet. »Ich dachte du bleibst bei mir und kommst dann mit uns nach Yorkshin.« Ich wusste gar nicht, dass Gon mich mit bei dem Vorhaben, nach Yorkshin zu seinen anderen Freunden zu gehen, eingeplant hatte. Aber dazu würde ich definitiv auch nicht nein sagen, denn seitdem ich die beiden Chaoten kennengelernt hatte, wollte ich mich ungerne wieder von ihnen trennen. Es machte Spaß, mit ihnen unterwegs zu sein und ich hatte mich noch nie mit jemanden so gut verstanden, wie mit den beiden Jungs, auch wenn es mit Killua zu Anfang ein wenig holprig gewesen ist.
»Klar, tue ich auch. Aber das meinte ich nicht.« Nun war auch mein Interesse geweckt, da ich wie Gon davon ausging, dass er wie ich nicht wusste, ob er ihn noch weiterhin begleiten durfte oder ob sich ihre Wege bis dahin schon trennen würden. Nachdem Killua sich aufsetzte, tat ich es den beiden Jungs ebenfalls gleich, ehe er seine Gedanken näher erläuterte. »Ihr seid einfach zu beneiden. Ich habe keine Pläne. Ich habe nichts, was ich machen möchte.« Er machte eine kurze Pause und blickte zu Boden. Er sah wirklich bedrückt über diese Tatsache aus, was mich ihn etwas bemitleidend betrachten ließ. »Ich weiß nur, was ich alles nicht machen möchte. Ich will nicht nach Hause. Ich... bin wohl etwas neidisch.« Das erklärte, wieso er Gon und Mito zuvor so intensiv beobachtet hatte.
»Solange du genau weißt, was du nicht willst, hast du doch schon die Hälfte gemeistert, meinst du nicht?« Zumindest war dies meine Ansicht, die ich teilte, nachdem ich ein wenig über seine Worte nachdachte. »Du musst nicht sofort wissen, was du machen willst, Killua. Der Gedanke zu so was kommt einfach irgendwann. Du solltest dich nicht unter Druck setzen. Auch du wirst was finden, ganz sicher.« Auch ich hatte immerhin nur ein vorläufiges Vorhaben.
»Und ich habe es gern, wenn du bei mir bist«, fügte Gon hinzu, was den Weißhaarigen etwas beschämt aus dem Konzept brachte und mich ein wenig schmunzeln ließ.
»A-Auf was willst du hinaus?!«
»Die Walinsel ist bei Fischern beliebt, um sich bei langer Fahrt mal auszuruhen. Wirklich leben tun die Wenigsten hier. Es gibt hier nur ein anderes Kind. Aber das ist ein Mädchen. Du bist also mein erster Freund in meinem Alter.«
»Geht mir ähnlich. Ich war immer nur in unserer Residenz und habe die Zeit damit verbracht, zu lernen, wie man Leute umbringt. Du... bist mein erster Freund.«
»Bist du gerne bei mir?«
Etwas verlegen kratzte sich Killua am Nacken und blickte ziellos durch die Gegend, um Gon nicht ansehen zu müssen. Ich mischte mich in das Gespräch bis hier hin auch nicht groß ein, denn es war gerade nur zu herzallerliebst, wie Gon seinen besten Freund aufheitern wollte. »Schon irgendwie.«
»Dann lasst uns zusammenbleiben. Alles zusammen machen, gemeinsam die Welt bereisen!«
»Hörst du dir eigentlich mal selbst zu?«
Ein leises Lachen entfloh Gon auf Killuas Reaktion und auch ich konnte es mir nicht verkneifen. Auch sie wollten noch keine getrennten Wege gehen. Sie mussten sich bestimmt sehr gern haben.
»Ich werde meinen Vater suchen. Nia wird mit uns um die Welt reisen und du suchst nach etwas, das du machen willst. Das wird der Hammer!« Und da musste Killua auch nicht lange überlegen, um seinem Freund zuzustimmen.
»Bin dabei. Klingt alles nicht schlecht... Ich helfe dir, deinen Vater zu finden, bis ich weiß, was ich machen möchte.«
»Genau!«
Das Thema war somit soweit beendet und kurze Stille trat in der Runde ein, in der ich hinauf zu dem hell leuchtenden Sichelmond blickte, der in dieser Gegend besonders zur Geltung kam, aufgrund der Tatsache, dass es in der näheren Umgebung keinerlei künstliche Lichtquellen gab, die diesen Ausblick zerstören würden. Lange hielt die Stille aber nicht.
»Ach genau... was macht deine Mutter eigentlich?« Mein Blick wandte sich von dem Nachthimmel ab, hinüber zu Gon, da auch mich seine Antwort dazu interessierte. Er sprach immer nur von seinem Vater und seiner Tante Mito. Ich hatte mich aber nie getraut, ihn deswegen direkt zu fragen.
»Ich weiß schon kaum etwas über meinen Vater, aber über meine Mutter weiß ich praktisch gar nichts. Tante Mito hat mich aufgezogen. Und irgendwie möchte ich sie nicht danach fragen.«
»Würde sie es dir nicht sagen?«, hakte Killua weiter nach, doch das schien nicht der Grund zu sein.
»Früher hat mir Tante Mito immer erzählt, dass meine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Sie hatte Angst, dass ich so werde, wie mein Vater, wenn ich erfahre, dass er lebt und Hunter ist.«
»Lag sie damit ja nicht gerade daneben.« Den Worten konnte ich nur zustimmen. Es musste wohl wirklich beängstigend sein, wenn sich Ängste bewahrheiteten, denen man entgehen wollte.
»Als ich erfuhr, dass mein Vater lebt, schloss ich daraus, dass meine Mutter wirklich tot ist.«
»Das klingt ziemlich hart«, meinte ich, doch ihn schien diese Tatsache nicht wirklich zu treffen. Immerhin kannte er sie nicht.
»Für mich war Tante Mito immer wie eine Mutter. Ich brauche keine andere. Also muss ich sie auch nicht danach fragen, was mit meiner Mutter ist.«
»Verstehe...« Killua, der seinen Kumpel wohl nicht mehr weiter über so traurige Dinge reden hören wollte, versuchte ihn hinterher wieder auf etwas andere Gedanken zu bringen. »Alter, ich hätte auch gerne eine Mutter wie deine Tante Mito.«
»Sie ist super, nicht? Auch wenn sie immer rumnörgeln muss.«
»Das ist noch gar nichts. Meine Mutter fängt schon an zu schreien, wenn ich mal vor die Tür gehen möchte. Die wird dann richtig hysterisch.« Sie lachten nur darüber, wohingegen ich mich lieber wieder dem Ausblick widmete, denn mitreden konnte ich diesmal nicht.
Eine Weile verbrachten wir noch in der Wildnis, bis es an der Zeit war, sich zurück in Gons bescheidenes Heim zu machen, da es mittlerweile recht spät gewesen ist und man vermutlich schon auf unsere Ankunft wartete. Auf dem Rückweg trödelten wir deshalb auch nicht lange rum und fanden uns bald bei Tante Mito wieder, die uns nach ihrer Begrüßung mitteilte, dass sie schon mal Bettwäsche in Gons Zimmer bereitgelegt hatte, auf dem Killua und ich es uns die Nacht bequem machen konnten. Deshalb beschossen wir, das Ganze schon mal für uns herzurichten, wobei der Dunkelhaarige meinte, dann gleich auch nach oben zu kommen, bevor ich mit Killua die Treppe hinauf lief. Durch die vorherige Führung durch das relativ große Haus wussten wir immerhin, wo sich Gons Zimmer befand, in dem wir auch gleich die Unterlagen auf dem Boden neben dem Bett ausbreiteten, um dann die Decken und Kissen auf diesen zu platzieren. Es dauerte bei mir auch nicht sonderlich lange, im Gegensatz zu Killua, bei dem die eine Seite immer wieder unordentlich wurde, wenn er auf der anderen Seite gerade alles versuchte wieder zu richten, weshalb er es irgendwann aufgab und sich einfach auf Gons Bett warf, was mich amüsiert lachen ließ.
»Du scheinst wohl nicht so geduldig zu sein, was?« Da ich mit meinem Schlafplatz schon fertig war, erlaubte ich es mir, zusätzlich noch Killuas Platz herzurichten, damit er sich den Frust ersparen konnte, wenn die ganze Zeit das lose Laken am Boden herumrutschte. Danach begab ich mich zu dem Weißhaarigen, um mich neben ihn auf Gons Bett zu setzen, wonach für einen Moment unter uns Stille herrschte. Wir warteten eigentlich nur noch auf Gon, doch wie es schien, würde er so bald nicht hoch kommen. Wahrscheinlich war er mit seiner Tante in ein Gespräch vertieft. Kein Wunder, so lange, wie sie sich nicht mehr gesehen haben, haben sie sich bestimmt eine Menge zu erzählen.
Ein leises Seufzen entfloh meinen Lippen, was Killua auf mich Aufmerksam machte und ihn fragen ließ, was los sei. Ein wenig irritiert wandte ich mich an den ehemaligen Attentäter, der die Arme hinter seinem Kopf verschränkt hatte und an die Decke blickte, fragend, was er meinen würde.
»Dir geht doch gerade etwas durch den Kopf.«
Da lag er gar nicht mal so falsch, aber ich war mir unsicher, ob es wirklich der richtige Zeitpunkt war, ihm davon zu erzählen, in Anbetracht dessen, dass ich mich zuvor noch nie jemandem richtig geöffnet hatte. Oberflächlich konnte man sagen, dass wir uns alle mittlerweile gut verstanden und miteinander auskamen, doch im Gegensatz zu Killua oder Gon wussten man förmlich nichts über mich. Und dann nicht einmal die ganze Wahrheit.
»Ich... habe nur darüber nachgedacht, was du uns vorhin erzählt hast, weißt du. Dass du... nicht weißt, was du machen sollst.« Mir fiel es schwer, über mich selbst zu reden. Ja, ich hatte auch Sorgen und Probleme, die mir durch den Kopf gingen und war es gewohnt nie über diese zu sprechen und es einfach auszublenden, da sich nie jemand dafür interessierte. Doch nach Killuas Worten wusste ich, dass er mir zumindest ein offenes Ohr schenken würde.