Das Leben ist ein Erdbeben un...

By jahfaby

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Shortlist Indie Autor Preis 2014! In Kurz: Es geht um Pornos, Leben & Tod. In Lang: Will liebt das Schreiben... More

Vorwort
Widmung
Vorspiel
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7
Teil 8
Teil 9
Teil 10
Teil 11
Teil 12
Teil 13
Teil 14
Teil 15
Teil 16
Teil 17
Teil 18
Teil 19
Teil 20
Teil 21
Teil 22
Teil 23
Teil 24
Teil 26
Teil 27
Teil 28
Teil 29
Teil 30
Nachwort

Teil 25

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By jahfaby

Durch das Zuschlagen der Haustür wachte ich auf. Sam kam in die Wohnung.

„Aufstehen, ich hab Essen besorgt."

Ich rieb mir die Augen und setzte mich auf. Sam packte chinesische Fastfood-Boxen aus. Glasnudeln zum Frühstück. Das konnte heiter werden.

„Schlafmütze! Ich war schon kräftig Schadensbegrenzung betreiben. Ich hab schon eine Blume gekauft und zu Valerie gebracht. Der Blumenhändler war voll nett. Hat mir die Bedeutung der Blumen gesagt. Ich hab mich für Goldlack entschieden. Das heißt, ich sehne mich nach dir. Also nach Valerie. Dann war ich bei Sara. Ich hab ihr erklärt, dass das alles meine Schuld sei. Aber ich glaube, sie is jetz einfach nur zusätzlich sauer auf mich."

Er sah sich die Essstäbchen an, dann holte er aus der Küche zwei Gabeln.

„Komm, das Essen wird kalt."

Schweigend aßen wir die Nudeln. Es gab Zeiten, da hatte ich mich nur von Fast Food ernährt. Doch nun, nachdem ich fast zwei Wochen von Selbstgekochtem gelebt hatte, merkte ich den Unterschied. Ich bot Sam an, das Abendessen zu kochen.

„Der Herd is kaputt."

„Seit wann?"

„Seit fast nem Jahr."

„Warum lässt du ihn nicht reparieren?"

„Weil ich ihn sowieso nich benutze."

Damit war das Thema erledigt. Es gab Momente, in denen ich mich über Sam aufregen konnte, und dieser gehörte eindeutig dazu. Doch ich war nicht in der Position, mich nun aufzuregen. So schwiegen wir uns an. Sam wartete, bis ich mit dem Essen fertig war, und warf dann beide Kartons in den Müll.

„Was machst du heute?"

„Ich muss Karten bei ebay und meinem Onlinestore einstellen."

„Die, die du mit meinem Geld gekauft hast?"

„Nein, die sind hier noch zu unbekannt. Aber weißt du, es gibt ja immer Karten, die sehr selten sind. Deswegen öffne ich ab und an ein paar Päckchen und suche dann die wertvollsten heraus. Und diese stelle ich dann einzeln ins Netz."

„Sammelst du auch?"

„Dafür habe ich keine Zeit. Dann müsste ich mich noch mehr damit beschäftigen, aber ich kann mich nicht auf eine Art von Karten spezialisieren, ich muss ja von allem ein bisschen Ahnung haben. Ich kenne die wichtigsten Karten jedes Spiels, aber mehr auch nicht. Verstehst du?"

Ja, ich verstand.

„Gut. Und was machst du heute?"

Diesen Satz hatte ich oft von Linda gehört, wenn sie mit ihrem Hosenanzug in der Küche stand, die Zeitung in der einen und den Kaffee in der anderen Hand. Sie regte sich oft über das Format der Zeitung auf. Wer kam auf die Idee, eine Zeitung so groß zu machen? Sobald mehr als eine Person am Esstisch saß, konnte man die Zeitung nicht richtig auffalten. Sie sagte mir einmal, nach dem Studium musste sie sich entweder für Kinder oder für die tägliche Zeitung entscheiden. Denn beides zusammen hat an einem Tisch keinen Platz. Sie hatte sich für die Zeitung entschieden. Ich auch.

Linda stand dann in der Küche, kurz vor dem Absprung, beobachtete mich in meinen Boxershorts und fragte mich genau das. Was machst du heute? Sie fragte, obwohl sie die Antwort wusste. Ich würde schreiben und den Tag verbringen. Das, was ich an den anderen Tagen auch tat. Diese Frage war wie ein Hieb mit einem Schwert aus Worten. Wie eine unterschwellige Anschuldigung, dass ich nichts auf die Reihe brachte. Seit Jahren redete ich vom großen Durchbruch und doch tat ich jeden Tag nichts anderes als am Tag zuvor. Ich wusste nicht, ob Linda die Frage mit diesen Hintergedanken stellte, aber ich hatte eine regelrechte Phobie vor dieser Frage. Immer öfter, wenn ich aufwachte und sie noch in der Küche hörte, blieb ich im Bett und tat so, als würde ich schlafen, nur um dieser Frage zu entgehen.

„Schreiben. Oder so. Vielleicht bei Sara vorbeischauen. Aber erst duschen."

„Du weißt ja, wo du alles findest."

Sam verschwand in dem Teil der Wohnung, den er Büro nannte, und schloss die Tür. Ich verzog mich ins Bad. Das Wasser lief mir über die Augen und ich schloss sie, um das warme Gefühl des Wassers zu genießen, das sich seinen Weg über den Körper sucht. Blind tastete ich nach dem Duschgel und als ich die Augen öffnete, sah ich Tas Nummer auf meinem Unterarm. Mein Herz entschied, ich drehte das Wasser wieder ab und wickelte ein Handtuch um mich.

Das Telefon fand ich unter einigen Kartons. Nur mit dem Handtuch bekleidet setzte ich mich auf die Couch und tippte die Ziffern ein, die noch auf meinem Unterarm zu lesen waren. Das Telefon klingelte. Zweimal. Dreimal. Viermal. Ich konnte das Telefon vor mir sehen, ein schwarzes schnurloses, das in einem Raum in einer Wohnung irgendwo in Stuttgart einsam vor sich hin klingelte. Wie der Hall durch die leere Wohnung schallt. Und plötzlich nahm Tas ab.

„Tassino?"

„Ich stand unter der Dusche und habe diese Nummer auf meinem Unterarm entdeckt. Jetzt sitze ich nur mit einem Handtuch bekleidet auf der Couch und antworte auf eine schöne Stimme."

Tas schwieg einen Moment.

„Wie lange hast du dich nicht gewaschen, dass du die Nummer erst jetzt wieder siehst?"

Darauf konnte ich keine gute Antwort geben und entschied mich, zu lachen. Ich war erleichtert, als die Stimme am anderen Ende ebenso lachte.

„Hallo Tas. Wie geht's dir?"

„Hey Will. Gut geht's mir. Und selbst?"

„Das kannst du mir sagen, was hast du heute noch vor?"

„Ich muss in die Landesbibliothek, aber wenn du magst, kannst du mir gerne Gesellschaft leisten. Magst du?"

„Gerne."

„Und wie geht's dir?"

„Sehr gut."

„In einer Stunde am Haupteingang."

Ich sprang wieder unter die Dusche, sagte kurz Sam Bescheid und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Stuttgart kann zu Fuß groß sein. Doch nur zu Fuß kommt man zu den Orten, die Stuttgart ausmachen. Und deshalb gehe ich gerne zu Fuß.

Als ich Tas sah, dachte ich: Diese Frau zu treffen ist wie kiffen. Eigentlich weiß man, was auf einen zukommt, und trotzdem wird man jedes Mal überrascht. Das denke ich heute noch manchmal. Tas trug eine blaue Latzhose. Darunter ein gelbes Mickey-Maus-Shirt. Sie strahlte eine kindliche Naivität aus und ich denke, man kann nicht anders, als sie ins Herz zu schließen. Schüchtern trat ich an sie heran. Ich wusste nicht genau, wie ich sie begrüßen sollte. So als ob ich wieder 16 Jahre alt sei. Tas küsste wieder ihren Zeigefinger und drückte ihn auf meine Wange. Ich tat es ihr nach. Gemeinsam eroberten wir die Bibliothek.

Wie Friedhöfe strahlen Bibliotheken etwas aus, das dich dazu bringt, dich ruhig zu verhalten. Wir suchten uns einen leeren Tisch, legten unsere Sachen ab und schlenderten durch die Regale. Wir unterhielten uns und unterbrachen uns, wenn wir an einem guten Buch vorbeikamen. Während Tas mir erzählte, dass sie die Schule abgebrochen hatte, um auf die Julliard - das Musikkonservatorium in New York - zu gehen, zeigte sie auf eine Reihe Coelho-Bücher.

„Die sind gut. Besonders ‚Veronika beschließt zu sterben' und ‚Das Handbuch des Kriegers des Lichts'"

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte weder das eine noch das andere gelesen. Dann erzählte sie mir, dass sie durch die Aufnahmeprüfung gerasselt war und sich jetzt hier als Ballettlehrerin mit verschiedenen Kursen durchschlug. Sie zeigt auf Richard Bachs ‚Illusionen'.

„Ein Muss!"

Ich zeigte auf ‚Die Möwe Jonathan'.

„Das habe ich gelesen."

Tas zuckte mit den Schultern.

„Scheint jeder mal gelesen zu haben. So wie ‚Der kleine Prinz'."

Ich zeigte ein paar Bücher weiter auf Richard Bachmanns ‚Todesmarsch' und ‚Menschenjagd'.

„Die sind gut."

„Kenn ich nicht."

Mit 25 hatte sie beschlossen, sowohl ihr Abitur als auch das Studium nachzuholen. Die Hochschulreife hatte sie erlangt, jetzt studierte sie Sport und Philosophie auf Lehramt. Deswegen musste sie auch in die Bibliothek. Sie blieb bei Büchern von Hesse, Nietzsche und Follett stehen. Ich zeigte auf Bücher von King, Koontz und Hohlbein. Als ich dann auf ‚Held' von Flix hinwies, stöhnte sie auf.

„Comics?"

„Der ist wirklich gut! Und die Folgebände auch! Wenn du willst, leih ich sie dir gerne mal aus."

Sie winkte ab und suchte sich dann die Bücher zusammen, wegen derer wir gekommen waren. Mit den Büchern unterm Arm traten wir wieder unter den fast wolkenlosen Himmel.

„Ich habe gleich Ballettstunde."

„Dann werde ich mich wieder auf den Weg nach Hause machen."

„Aber du könntest dich heute Abend oder morgen melden, wenn du magst."

Ich nickte.

„Bist du lange wach?"

Sie nickte.

„Okay, dann melde ich mich."

Wir nickten.

Dann drückte sie mir wieder ihren indirekten Kuss auf die Wange und ich tat dasselbe bei ihr. Der Weg nach Hause war ein schöner Spaziergang. Die Blätter an den Bäumen in den Alleen warfen flirrende Schatten und faszinierend war, dass zwischen den Schatten neue Blätterformen entstanden.

Sam machte mir auf, mit einem verschmitzten Blick.

„Was ist passiert?"

„Ich war fleißig."

Sam hatte nach seinen Geschäften im Internet meinen letzte Nacht geschriebenen Text genommen und ihn in eigenen Worten abgeschrieben. Das Ergebnis war nicht perfekt, aber vollkommen. Es war ein Text in Sams Stil, aber mit meinen Einfällen. Wenn Valerie an Sam Gefallen gefunden hatte, dann würde ihr die Geschichte auch gefallen. Ich verbesserte die Rechtschreibfehler, gab ihm meinen Segen und Sam schrieb ihn noch mal in seiner schönsten Handschrift ab. Wir suchten einen Umschlag und banden ihn an eine Rose. Ich begleitete Sam zu Valeries Haus. Er redete in einem Fluss. Und ich hörte ihm fasziniert zu. Sam redete nicht oft so.

Das erinnerte mich an unsere Kindheit und den Kalender im Traktor. Dort hatte er auch so geredet, in Worten, die er normalerweise nie in den Mund nahm. Am Haus schwieg er. Sein Schweigen war ein Fang-bloß-nicht-an-zu-sprechen-Schweigen. So eins, wie es in Kirchen und auf Friedhöfen herrscht. Und eigentlich auch in Bibliotheken.

Bedächtig schob er die Rose in einen der vielen Briefschlitze, so dass die Blüte herausguckte. Sie leuchtete richtig, wie rotes Blut vor den grauen Briefkästen. Dann stand er kurz da, drehte sich ruckartig um und ging.

„Sie ist dir wirklich wichtig, was?"

„Ich denke, Donald hat seine wahre Daisy gefunden."

Wir redeten über die Liebe, Sehnsüchte, Schmerzen und Comicfiguren. Wir redeten auf der Straße, vor der Haustür und auch noch auf dem Sofa mit dem Bier in der Hand. Und dann sagte Sam:

„Langsam sollte ich die Richtige finden und viele kleine gutaussehende Mädchen in die Welt setzen."

Ich weiß nicht warum, vielleicht der Alkohol, vielleicht eine geistige Umnachtung, jedenfalls sagte ich:

„Du hast doch eine Sechsjährige."

Ich erschrak, als ich meine eigenen Worte hörte. Schnell nahm ich einen Schluck von meinem Bier und hoffte, Sam überhörte meinen Kommentar. Aber manchmal stirbt die Hoffnung schneller, als man denkt.

„Was meinst du?"

„Nichts."

Sam sah mich mit durchdringenden Augen an. Die Verträumtheit und Romantik, die ich vorher dort gesehen hatte, war verschwunden.

Er bohrte, bis ich nachgeben musste und ihm die Wahrheit erzählte. Ich hatte keine Ahnung, wie Sam reagieren würde. Ich hatte noch nie einen Menschen erlebt, dem offenbart wird, dass er eine sechs Jahre alte Tochter hat.

„Emma ist meine Tochter?"

Er schüttelte den Kopf.

„Das ist unmöglich! Ich habe doch nie mit Sara geschlafen. Oder?"

„Tja, was da passiert ist, weiß ich auch nicht. Das frage ich mich, seit ich davon weiß."

„Vor sechs Jahren ..."

Sam überlegte. Er versuchte zu rekonstruieren, was passiert war. Und plötzlich sah er mich bestürzt an.

„Sie könnte Recht haben."

„Was ist passiert?"

Sam schüttelte den Kopf.

„Das geht dich nichts an."

Ich fand es taktlos, noch weiterzubohren. Sam rang mit sich und den Tränen. Ich legte einen Arm um ihn, etwas unbeholfen. Es war eine Sache, Emma oder Violet zu umarmen. Doch Sam zu umarmen war eine ganz andere. Dennoch kam er ein Stück näher.

Vor kurzem hat mir Eva ein Buch gegeben. Ein Buch mit dem Namen ‚Einfach die Welt verändern. 50 kleine Dinge mit großer Wirkung.' Darin stand die Geschichte eines Mannes, der seinen Vater an einer Beerdigung umarmte und dies das einzige Mal war. Und dass eine Umarmung ein Zeichen der Freundschaft und Liebe ist und wir das viel öfter tun sollten. Heute verstehe ich das, aber als Sam in meinen Armen fassungslos weinte, war mir das doch etwas unangenehm.

Eine Weile saßen wir so da, Sam murmelte immer wieder Emmas Namen und andere Sachen, bis er sich aus der Umarmung löste und mich ansah.

„Wie lange weißt du das schon?"

„Seit zwei Jahren. Ich habe es zufällig in Unterlagen von ihr gesehen."

Ich sah die Hand nicht kommen, sie erwischte mich voll am Ohr. Schon wieder das Ohr. Die Wucht und die Überraschung warfen mich von Sofa.

„Hey, was soll das?"

„Seit zwei Jahren weißt du das schon? Warum hast du mir nie was gesagt?"

Warum hatte ich ihm das nie gesagt? Weil ich es Sara versprochen hatte? Nein, ich hatte schon oft mein Wort gebrochen. Ehrlich gesagt habe ich es Sam verschwiegen, weil ich Sara zustimmen musste. Sam war als Vater nicht geeignet. Er schien meine Gedanken zu lesen und schrie sie mir entgegen.

„Glaubst du, ich wäre kein guter Vater? Nur weil ich keinen hatte, soll sie auch keinen haben?"

Die Tränen, die jetzt über sein Gesicht liefen, waren die der Wut. Dann ließ er den Kopf sinken.

„William, raus hier."

Seine Stimme war leise, aber gepresst, als müsste er einen großen Druck zurückhalten und sich anstrengen, nicht zu schreien. Und wie einen Abend zuvor merkte ich, dass es keinen Sinn hatte. Ich packte unter Sams Augen meine Sachen. Dann flog ich aus der Wohnung des Mannes, der eine halbe Stunde vorher in meinen Armen geweint hatte.


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