behind the screen

By 07nia11

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Tessas Leben ist alles andere als ein Traum. Ihr Vater trinkt und schlägt sie und ihre Stiefmutter behandelt... More

Verlosung!
Behind the Screen wird veröffentlicht!
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50 ★☆
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Dankessagung
Zusatzkapiteeeeeeel
Zusatzkapitel (dieses Mal wirklich)
Zusatzkapitel 2
Veröffentlichungen und Co.

Kapitel 84

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By 07nia11

"Dein Vater wurde heute Morgen in eine Entzugsklinik gebracht".

Hätte man mir erzählt, meine Mutter wäre von den Toten auferstanden, hätte ich es eher geglaubt als diesen Schwachsinn.

"Das kann gar nicht sein."
Schon fast beschämt wich Mrs. Lawyer meinem Blick aus und obwohl das nur ein mieser Scherz sein konnte, umklammerte ich Dyans Hand noch etwas fester.
Hoffentlich sagte er mir bescheid, wenn ich ihm die Blutzirkulation abdrückte.

"Nein, es macht gerade überall die Runde. Anscheinend hat sich deine Geschichte verbreitet wie ein..."
Mein bitteres Auflachen unterbrach sie mitten im Wort, aber für den Moment war es mir egal, wie unhöflich ich mich verhielt. Gerade erst hatte ich einen Entschluss gefasst, der mein ganzes Leben verändern sollte und dann wurde mir mal wieder dazwischen gepfuscht. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können.

"Meine Geschichte?! Welche Geschichte denn?", selbst mir fiel der Hauch Hysterie in meiner Stimme auf.

Obwohl Mrs. Lawyer sich sichtlich nicht wohl fühlte, mir diese Informationen überbringen zu müssen hob sie tapfer den Kopf und entgegnete meinen Blick. Schon unglaublich, wie sehr ihre Augen denen von Dyan und Ciara ähnelten. Man konnte nicht bestreiten, dass die drei miteinander verwandt sein mussten. Bei meiner Mutter und mir hatte man das früher auch gesagt...

"Ein Lehrer an eurer Schule hat dich wohl schon länger beobachtet und einige Nachforschungen angestellt. Ich weiß nicht ob dir bewusst ist, dass... dass dein Vater auch in der Öffentlichkeit das ein oder andere Aufsehen erregt hat. Jedenfalls hat sich Mr. Comen oder so ähnlich..."

"Coleman", verbesserte ich sie automatisch und war mir nun vollkommen sicher, dass das alles nur erstunken war. Nicht dass es schon fragwürdig genug gewesen wäre, dass sich irgendein Lehrer genug für seine Schüler interessierte, um so ein Aufwand zu betreiben, aber bei Mr. Coleman war es völlig ausgeschlossen. Wahrscheinlich hatte er eher geplant, wie er mir für die Fehlstunden der letzten Tage noch eine 6 reindrücken konnte.

"Ja genau! So hieß er."
Mir entwich ein verächtliches Schnauben, doch Dyan mahnte mich mit einem sanften Händedruck, seine Mutter nicht schon wieder zu unterbrechen. Glaubte er wirklich das könnte wahr sein?

"Naja auf jeden Fall hat er sich alles zusammengereimt und dafür gesorgt, dass es an die Öffentlichkeit kam. Gestern gab es sogar einen Zeitungsbericht..."

"Das ist doch lächerlich!"
Ganz ehrlich, mir tat es Leid solche Umstände zu machen. Mir tat es Leid, so verkorkst und ignorant zu sein, doch das war einfach zu viel.
Ich hatte diese Tortur Monate ertragen genau um diesen Trubel zu umgehen. Weil ich wollte, dass es in der Familie blieb und nicht jeder x-beliebige sich aufgrund von Halbwahrheiten eine Meinung bildete.
Konnte man uns nicht einfach in frieden lassen?!

Anscheinend konnten die Lawyers in mir wie in einem offenem Buch lesen, denn sowohl Dyan als auch seine Mutter betrachteten mich mitleidig.
"Tut mir Leid Schätzchen, ich habe ihn sogar dabei."

Mrs. Lawyer drehte sich um und griff in ihre Tasche, die auf einem Sessel hinter ihr stand. Man hörte das verräterische Rascheln, bevor sie die örtliche Zeitung hervorholte.
Die fette Überschrift war sogar aus der Entfernung noch zu erkennen.
"Vater schlägt Kind krankenhausreif- der Druck von Geld und Macht."
Nur zittrig entwich die Luft meinen Lungen so sehr musste ich mich zurückhalten.
Was fiel diesen Bastarden ein?!
Nicht einmal mit mir geredet hatten sie und meinten etwas über meine Familie veröffentlichen zu können?!

"Wisst ihr was, wir verklagen einfach diese Leute! Was denken die sich nur..."

"Beruhige dich, Tessa. Für dich muss das hart sein, dein Leben in ein paar Zeilen gequetscht zu sehen, aber bedenke einmal die Vorteile. "
Verblüfft starrte ich zu Dyan hoch, der sich zum ersten Mal zu Wort gemeldet hatte, doch meine Überraschung schwang schnell in Wut um.
Ich versuchte ihm meine Hand zu entziehen.
"Welche Vorteile denn? Mein Vater ist jetzt unerreichbar. Solange er im Entzug ist..."
"...Wird ihm geholfen. Ganz genau.
Vielleicht hat er jetzt die Möglichkeit zumindest einen Teil seines früheren Ichs zurückzugewinnen. Komm schon, lass deine Gefühle  nicht deine Sicht trüben."

Für diesen dummen Kommentar hätte ich ihm am liebsten den Kopf abgerissen.
"Nicht meine Sicht trüben? Ich liege im Krankenhaus, bin vollgepumpt mit Schmerzmitteln, meine Sicht ist so getrübt, ich bin überrascht dass ich überhaupt noch etwas sehen kann!"
Widerspenstig hatte Dyan unsere Finger verhakt und wie sehr ich auch an ihnen riss, er lies nicht los.

"Ja aber du bist auch immer noch Tessa Anderson, die so dämlichen Idioten wie mir hilft obwohl sie es nicht verdient hätten. Hilf jetzt deinem Vater und betrachte das ganze mal aus einer anderen Warte."
Meine Gegenwehr erstarb, während die Tränen in meinen Augen brannten.

"Ich kann ihm nicht helfen. Ich kann nicht mal an sein Gesicht denken, ohne dass mir übel wird.
Ich will einfach nur abschließen."
Dyan hob unsere verschränkten Hände an mein Gesicht und strich vorsichtig mit einem Finger meine Kieferlinie entlang.
Doch schließlich war es seine Mutter die weitersprach.
"Das kannst du auch. Deine Stiefmutter hat mit dem Entzug auf den Druck reagiert, den die gesamte Bürgerschaft auf sie ausübt. Sie stehen auf deiner Seite. Lass die sich um deine Eltern kümmern, sie werden in die richtige Richtung gedrängt werden ohne sich auch nur wehren zu können.
Diese Zeitungsberichte und Klatschgeschichten geben dir Zeit dich zu erholen. Keiner erwartet etwas von dir."

Ich saß ganz ruhig da. Vielleicht hätte man von außen denken können, ich würde mir das alles durch den Kopf gehen lassen, aber in Wirklichkeit starrte ich nur in die Leere.
Ich musste nicht überlegen, um zu wissen, dass die beiden richtig lagen. Gerade WEIL ich das nicht musste, wusste ich, dass sie recht hatten. Es war alles ins Rollen gekommen, ich würde mich nur zurücklehnen müssen.

Unbehagen sammelte sich in meiner Brust und ließ mich nervös werden.
"Das konnte ich noch nie. Das hier ist mein Leben, mein Kampf. So lieb es auch von den Leuten gemeint ist, sie wissen nicht einmal um was es geht.
Das hier hat nichts mit "Geld und Macht " zu tun", aufgebracht deutete ich in Richtung der Schlagzeile. "Hier geht es einfach um einen zerbrochenen Mann! Ich muss mich darum kümmern, ich..."

"DU musst dich erholen. Dein Körper kann nicht mehr, er braucht eine Pause und so wie ich das sehe, sollte auch dein Kopf einmal entspannen.
Es wird sich alles regeln. Fürs erste gibt es nichts mehr, um das du doch sorgen musst. Dein Vater ist für niemanden mehr eine Gefahr. "
Zweifelnd zog ich die Augenbrauen zusammen und fuhr immer wieder mit meiner freien Hand ein unsichtbares Muster auf der Decke nach.
Natürlich bekam Mrs. Lawyer mit, dass ich ihr mal wieder nicht glaubte und seufzte resigniert. Hilfesuchend blickte sie zu ihrem Sohn.

Dieser beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf den Scheitel, der mein Herz zum Klingen brachte. "Wir sind für dich da. Also sollte doch ein Problem auftauchen werden wir uns zusammen darum kümmern. Du bist nicht mehr alleine, akzeptiere es."
Eine so beruhigende Wirkung hatte nichts auf mich, außer Dyans Stimme. Wahrscheinlich könnte er mich sogar davon überzeugen, dass ich unter Wasser atmen konnte.

Mir viel es schwer, es einfach so hinzunehmen, dass ich für den Moment nichts zu tun hatte. Dass ich nicht mehr auf der Hut sein musste. Aber ich merkte selbst, welche Spuren der Stress hinterließ.
Langsam aber sicher begannen die Nahten unangenehm zu pochen und meinem Kopf gefiel es immer mehr, mich einfach an etwas zu Kuscheln, bevorzugter Weise eine warme, breite Burst, und sich einfach Sicher zu fühlen.

Unruhig nagte ich an meiner Unterlippe, nickte aber schließlich zögerlich und zauberte damit Mrs. Lawyer ein Lächeln auf die Lippen.
"Super, dann kommen wir zum nächsten Punkt.
Ich habe deine Mutter gekannt und ich sehe jetzt schon, dass du es hier kaum noch aushältst. Deswegen habe ich mit dem Arzt ausgehandelt, dass du in zwei Tagen entlassen wirst. "
Mir viel der Kiefer nach unten.
Nicht wirklich?! Ich hatte befürchtet hier noch Wochen festzusitzen, wie eine Laborratte im Käfig.
Ich suchte schon alle Floskeln in meinem Kopf zusammen, um meine Dankbarkeit auszudrücken, als Dyans Mutter die Hand hob und mir damit symbolisierte, dass ich mich nicht zu früh freuen sollte.
"Allerdings unter gewissen Bedingungen."
Mein Gesichtsausdruck sprach wohl Bände, was ich von Bedingungen hielt, denn sie beeilte sich weiterzusprechen.
"Dr. Havin hat darauf bestanden, dass du jemanden hast, der sich um dich kümmert ZUSÄTZLICH zu einem Pfleger oder Pflegerin, die sich mit deinen Medikamenten und Salben auskennt."
Na toll. Wie sollte ich das denn bitte hinbekommen?! Der Pfleger war ja noch das kleinere Problem, an Geld mangelte es mir ja immerhin nicht, aber eine weitere Person? So etwas wie Familie? Kathrin würde eher ihre Gucci Taschen verkaufen, als mir auch nur einen Tee zu bringen.
Finster starrte ich in die Luft.
"Also kurzgefasst ist dieser Deal für die Tonne. Wenn ich nicht jemanden anstellen will, der mir den Hintern auf der Toilette abwischt, kann ich auch gleich hier bleiben."
Der Vergleich war wohl etwas zu bildlich, nach der Grimasse, die Mrs. Lawyer schnitt. Dyan gluckste leise.
"Naja, nicht ganz. Du wirst zu uns ziehen."
Geschockt warf ich Dyan einen ungläubigen Blick zu.
"Wie bitte?"
Zärtlich lächelte mich der vermeintliche Badboy an.
"Wir werden dir vielleicht nicht den Hintern abwischen, aber du wirst immer jemanden um dich haben falls du Probleme hast und du musst dich um Verpflegung nicht mehr kümmern. Ariadne wird sich sicher freuen dich bekochen zu dürfen."
Ich blinzelte zweimal schnell hintereinander und konnte es immer noch nicht fassen.
"Nein... nein das ist zu viel. Ihr habt doch schon so viel für mich gemacht..."
Eine Hand legte sich über der Decke auf meinen Knöchel. "Du gehörst zur Familie Tessa. Für mich bist du wie eine zweite Tochter, die ich endlich einmal kennen lernen will."
Die Tränen kamen so schnell, dass ich sie nicht daran hindern konnte, über meine Wangen zu rollen. Mrs. Lawyer lächelte mich so liebevoll an, als wäre ich wirklich mit ihr verwandt und nicht nur eine kleine Schnorrerin, die ihre Großzügigkeit  ausnutzte.

Geräuschvoll schniefte ich und versuchte die Decke von mir zu strampeln. Das war einfach... unfassbar.
Ich ignorierte den Schmerz, auch wenn ich wusste wie dumm es war, als ich mich auf die Knie rollte. Mir war es nicht wirklich möglich, mein Gewicht auf das eine Bein zu verlagern, daher stützte ich mich mehr auf den Armen ab, während ich den jämmerlichen Versuch unternahm über die Matratze zu krabbeln. Vernünftiger Weise packte mich Dyan um die Hüfte um mich zurückzuziehen, doch sobald ich aufschrie durch den Druck, den er dadurch auf die Naht an meiner Seite ausgeübt hatte, ließ er mich wieder los.
"Tessa, leg dich wieder hin!"

Zwar konnte er es nicht sehen, doch ich schob trotzig das Kinn vor und humpelte weiter auf allen drein die letzten Zentimeter bis zur Bettkante vor, bevor ich mich auf den Po plumpsen lies und meine Arme um Mrs. Lawyer schlang.

Überrascht legte auch sie die Arme ganz vorsichtig um mich und ich brachte immer noch unter Tränen ein leises Danke hervor.
"Selbstverständlich, Süße."

Wir verharrten noch einige Sekunden in der Umarmung, bevor sich Dyans Mutter lächelnd und wie ich erst jetzt bemerkte auch mit Tränen in den Augen wieder von mir löste.
"So, dann wäre das ja geklärt. Ich verabschiede mich dann mal wieder von euch, ich komme aber heute Abend noch einmal vorbei!
Da draußen wartet schon eine ganze Meute Teenager darauf, dich besuchen zu dürfen.
Darf ich sie rein lassen?"

Furcht drückte mir die Brust zusammen und ich blickte hilfesuchend zu Dyan, der mich zuversichtlich anlächele. Er musste nichts sagen, ich wusste auch so was er von mir wollte. Lass sie sich um dich sorgen. Gib ihnen das Gefühl, dir etwas gutes tun zu können.
Zögernd wandte ich mich wieder seiner Mutter zu und nickte nach einem tiefen Atemzug.

Ich hatte schon befürchtet mich einer Armada Menschen stellen zu müssen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und nun so taten, als wären wir schon immer beste Freunde gewesen. 
Aber meine wirkliche beste Freundin hatte natürlich an alles gedacht und alle außer jene, die mich auch wirklich kannten, weggeschickt.

Da der Raum, auch wenn es sich um ein Einzelzimmer handelte, zu eng für uns alle gewesen wäre, kamen meine Freunde in Dreier Gruppen mit besorgten Gesichtern rein.

Ihre Reaktionen waren fast immer die selben. Geschocktes Luft einziehen, betretenes Schweigen, grundlose Entschuldigungen.
Mir bereitete es zwar Unbehagen so klein und verwundbar in meinem Bett mich all ihren Aufmerksamkeiten zu stellen, doch die Fürsorge die mir entgegen gebracht wurde, überraschte mich genauso positiv wie Mrs. Lawyers Großzügigkeit. Ich denke nichts kann einem die Bedeutung von Freunden klarer vor Augen führen, als diese Momente. Momente indem es um nichts anderes geht, als um die Verbundenheit von Menschen.
Keine einzelne Träne von Jenny oder Amanda war aufgesetzt, genauso wenig wie Dans liebevoller Gesichtsausdruck, als er mich um Verzeihung bat, um die eher ich ihn anflehen sollte.
Hier gab es keine Masken, keine Mauern. Wenn ich die Hand ausstreckte berührte ich nicht kaltes Gestein, ich konnte Wärme fühlen, Zuneigung, Freunde.

Mir war nie klar gewesen, was die Einsamkeit mit mir angestellt hatte. Wie schwer es tatsächlich war, so etwas nicht erleben zu dürfen. Wie schnell man gegenüber allem abstumpfte.

Ich konnte gerade zu Jennys Erleichterung und Angst fühlen, als sie immer wieder behutsam über die zurückgebliebenen Krusten der Schnitte an meinen Armen fuhr, die ich mir in dem Scherbenmeer zugefügt hatte.
Ich hatte diese kleinen Kratzer bisher nicht einmal richtig wahrgenommen. Im Vergleich zu meinen restlichen Verletzungen waren sie auch fast nicht nennenswert. Immerhin war mein Rücken immer noch übel zugerichtet, auch wenn, wie mir Dr. Havin vorhin erzählt hatte, man ihn versorgt hatte und mir die Schmerzmittel erlaubten ohne Probleme im Bett zu liegen.
Was machten da schon die hunderte kleine Schnitte an Armen und Beinen... was machten sie schon im Vergleich zu den Narben, die von der Operation zurückbleiben würden.
Wie sollte ich diese großen Unebenheiten in meiner Haut verstecken? Würde ich überhaupt je wieder einen Bikini anziehen können?
Ein Schauder rann mir über den Rücken.
Immer weiter breiteten sich die Folgen meiner Misshandlungen vor meinem inneren Auge aus. Die vielen Dinge, die ich mich nicht mehr trauen würde. Den Anblick, dem ich mich jedesmal stellen müssen würde, wenn ich in den Spiegel blicken würde. 

Meine Hände zitterten unter der Decke.
Das war nicht normal. Alles was in den letzten Monaten passiert war... das konnte man nicht als Leben bezeichnen. Ich hatte mich damit abgefunden, jeden Tag geschlagen zu werden. Ich hatte mich damit abgefunden, mich niemandem anvertrauen zu können und hatte verdrängt, wie falsch das alles gewesen war.
Um genau zu sein fand ich inzwischen die Vorstellung absurd, mich nicht vor dem nächsten Abend fürchten zu müssen. Wie konnte es sein, dass mein Vater nicht durch die Tür getaumelt kam, die Wodka Flasche noch in der Hand? Wie konnte es sein, dass ich ohne irgendeine Pflicht hier lag und einfach nichts tat? Wie konnte es sein, dass mein Mathe Lehrer sich tatsächlich sorgen um mich gemacht hatte? Wie konnte es sein, dass all diese Menschen tatsächlich wegen mir hier waren?

Bis ins Innerste erschüttert blickte ich auf, betrachtete ein Gesicht nach dem anderen. Sogar die Jungs, mit denen ich nie viel zu tun hatte, waren her gekommen. Cameron, Jake, Lewis, Shane, Patrick und Josh, sie alle standen schon eine knappe halbe Stunde um mein Bett herum und gaben eine Geschichte nach der anderen zum Besten. Mal darüber, wie sie vor einem Jahr in einem Supermarkt ein Einkaufswagen-Wettrennen veranstaltet hatten und Dyan dabei volle Kanne in ein Regal reingerast war. Dann über eine Schülerin an meiner Schule, die Stefanie eine verpasst hatte, nachdem sie etwas abwertendes über mich abgelassen hatte.

Die Dinge hatten sich geändert. Irgendwann während ich im Koma gelegen hatte, hatte sich nicht nur ich sondern die ganze Welt geändert.
Fast so, als würde sich die Erde plötzlich ich die andere Richtung drehen. Wenn man den Übergang verschlafen hatte, bemerkte man den Unterschied zuerst kaum. Sie drehte sich immer noch.
Doch sobald man erstmal ein Gefühl dafür bekommen hatte, wie sie sich drehte, konnte man nicht mehr ignorieren, dass sich alles komplett umgedreht hatte.

Bei der Vorstellung schwindelte es mir leicht und ich gab mir große Mühe mich wieder auf Lewis zu konzentrieren, der gerade mit seiner Story an der Reihe war.

"...also standen wir da, die Kleider der Mädchen in der Hand und wussten nicht so Recht, was wir jetzt damit anfangen sollten. Irgendwie hatten unsere pubertären Hirne nur daran gedacht, dass die Mädels nichts mehr zum Anziehen hätten und nicht, dass wir deftigen Ärger bekommen würden, wenn wir mit BH und Tanga in der Hand auf dem Gang erwischt werden würden. Ich muss schon zu geben wir hatten auch schon hellere Momente. Auf jeden Fall kam dann Jake der Einfall,..."

Ein leichtes Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln bei der Vorstellung. So was ähnliches hatten Dyan und die anderen auch schon mal an unserer Schule versucht. Dummer Wiese hatte auch ich damals Sport und hatte sie dabei erwischt, wie sie mit der Kleidung aus der Mädchenumkleide schlichen.
Anstatt ihnen direkt ins Handwerk zu pfuschen, hatte ich sie beobachtet, wie sie in ihre Umkleide verschwunden waren und gewartet, bis sie wieder in den Unterricht gingen, bevor ich ihre Kleidung wiederum stibitzt und sie den Mädchen hingelegt hatte. 
Die Verwirrung war zwar zu Anfang groß gewesen, als statt ihren engen Hosen und Tops, übergroße Shirts und Jeans bei den Mädchen lagen, aber für die Jungs war es mit der für sie eher knappen Bekleidung um einiges peinlicher gewesen.

Ein kleines Kichern entschlüpfte mir und ich warf Dyan einen bedeutungsvollen Blick zu, der wohl eher mit gemischten Gefühlen an den Vorfall dachte. Schlussendlich siegte jedoch auch bei ihm das Lächeln, sodass wir uns gegenseitig angrinsten, während Shane die Geschichte seines Zwillings zu Ende erzählte.
Diese Erinnerung konnte mir niemand nehmen. Genauso wie die vielen andere Male, als Dyan und ich aneinander geraten waren. Und das waren beachtlich viele Male.
Aber das beste an der Sache war... sie waren nicht von meinem Vater beeinflusst. An ihnen war nichts verkehrt.

Vielleicht gab es in meinem verkorksten Leben doch genug Anhaltspunkte, um mir ein neues Dasein aufzubauen - egal in welche Richtung sich die Erde drehte.


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