behind the screen

By 07nia11

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Tessas Leben ist alles andere als ein Traum. Ihr Vater trinkt und schlägt sie und ihre Stiefmutter behandelt... More

Verlosung!
Behind the Screen wird veröffentlicht!
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50 ★☆
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Dankessagung
Zusatzkapiteeeeeeel
Zusatzkapitel (dieses Mal wirklich)
Zusatzkapitel 2
Veröffentlichungen und Co.

Kapitel 82

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By 07nia11

Aufwachen war schwer. Als müsste ich mich selbst aus Treibsand herausziehen, Schritt für Schritt mich nach oben quälen.
Immer wieder nahm ich mit verschiedenen Sinnen meine Umgebung war, bevor ich wieder in völliger Finsternis versank.
Einmal hörte ich das gedämpfte Murmeln eines Gespräches, dann fühlte ich die weiche Unterlage auf der ich anscheinend lag.
Aber all diese Wahrnehmungen hielten nur Bruchsekunden an, dann tauchte ich erschöpft wieder in die Schwärze meines Bewusstseins ab.
Keine Ahnung, wie lange es so weiter ging. Wie oft ich auftauchte und wieder versank. Mein Zeitgefühl hatte ich vollkommen verloren.

Doch irgendwas lies es nicht zu, dass ich mich einfach ausruhte. Ich wollte aufwachen, ich MUSSTE aufwachen, nur ich wusste nicht mehr wieso.
Alles war so verzerrt, so zäh in meinem Kopf. Ich versuchte mich auf irgendwas zu konzentrieren, mich zu sammeln, aber selbst bis hundert zählen, wollte mir nicht gelingen. Kam nach der 12 die 13 oder doch eher die 21?
Alle Zahlen schwirrten durcheinander, vermischten sich mit Wörtern und Fakten, bis ich es aufgab und meine Konzentration los lies.
Kurzzeitig wurde wieder alles schwarz und jeder Gedanke verschwand. In der nächsten Sekunde setzten die Geräusche um mich knackend ein.

Dieses Mal war es anders. Eine andere Ebene der Wahrnehmung, als die vielen Male davor.
Nicht nur laute, überraschende Laute kamen bis zu mir hindurch, sondern ich konnte gerade zu die verschiedenen Facetten der Ruhe hören, die kaum wahrnehmbaren Schritte von weiter weg, das gleichmäßige Atmen, welches den Raum erfüllte, ein seltsames, gleichmäßiges Piepen.

Es war... unangenehm. Es war zu viel. Irgendetwas sagte mir, dass ich nicht zurück wollte in diese Realität, auch wenn ich keiner der Erinnerungen zu fassen bekam, die an mir vorbeizogen.
Mich würde nichts Gutes erwarten...

Ein Kribbeln breitete sich von meinen Zehen aufwärts in meinem Körper aus, als wäre jeder Zentimeter meines Körpers eingeschlafen gewesen. Nur ganz leicht zuckte ich zusammen, als es schmerzhaft anschwoll, bevor es viel schneller als es sich aufgebaut hatte wieder zusammenfiel.
Zurück blieb nur eine Schwere, die allein den Gedanken mich zu bewegen unerträglich machte.
Einfach schlafen, ich sollte einfach schlafen.

Und doch spürte ich, wie auch mein Geist sich immer mehr zu regen anfing. Sich nach den Empfindungen meines Körpers ausstreckte und versuchte wieder Herr über mich zu werden.

Zum ersten Mal seit, ich wusste nicht einmal mehr seit wann, nahm ich das Licht hinter meinen geschlossenen Lidern wieder wahr, spürte die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht und das Gewicht einer Decke, die über mich ausgebreitet war.

Irgendwas trieb mich von Innen an, mir meiner Umgebung wieder bewusst zu werden. Es kitzelte mein Bewusstsein, ohne richtig zu fassen zu sein. Doch es war stark genug, um über meine Erschöpfung zu triumphieren.

Ruckartig zuckte mein Finger über den rauen Stoff eines Lakens. Mein Atem wurde flacher und schneller, sodass mir auffiel, dass ich gar nicht das einzige atmende Geschöpf im Raum war. Unter meinen hektischeren Atemzügen klangen langsame bedachte in der Stille.

Mein unruhiges Gefühl verstärkte sich, als die Ungewissheit sich in meinen Kopf schlich. Wo war ich eigentlich? In meinem Zimmer?
Und wer war das?

Dad.

Mein Körper erbebte und mit einem Mal riss ich meine Augen auf.

Alles flimmerte in hellem Weiß. Wo auch immer mein Blick hinzuckte, überall war nur steriles weißes Licht zu erkennen, dass mich geblendet blinzeln lies.
Obwohl ich nichts sehen konnte und mein heftiger Herzschlag alles war, was ich hören konnte, setzte ich mich mit Schwung auf, von einer Angst gepackt, die sich mein verwirrter Geist nicht erklären konnte.

Ich hatte das Gefühl sofort zur Seite zu kippen, obwohl ich sehr wohl wahrnehmen konnte, dass mein Oberkörper aufrecht gerichtet blieb, aber schon die eine Bewegung hatte gereicht, um ein heftiges Pochen in meinem Kopf hervorzurufen und wenn mein Atem schon vorhin hektisch kam, japste ich jetzt nur noch nach Luft.

Doch der Gedanke mich wieder hinzulegen kam mir erst gar nicht.
Langsam ging das gleißende Licht zurück, das mich zuvor davon abgehalten hatte irgendetwas zu erkennen und meine Augen fixierten sich auf die erste dunkle Gestalt.

Unkontrolliert krallten sich meine Finger in das Laken, als müssten sie den Rest meines Körpers damit davon abhalten, die Flucht zu ergreifen, während sich meine Sicht langsam fokussierte.

Es war ein Mann. Das war die erste Erkenntnis die mir kam und meinen Puls hochtrieb. Ich war mir nicht sicher, ob das panische Piepen nur in meinem Kopf zu hören war oder wirklich erklang, aber das war auch egal.
Ich war mir sicher, gleich würde ich um mein Leben rennen müssen.

Hektisch blinzelte ich, als würde das helfen schneller Gewissheit zu erlangen.
ich war mir nicht darüber bewusst was genau geschehen war, aber ich spürte die Schwäche meines Körpers und die Stärke meines Gegenübers.
Einen Kampf würde ich nicht gewinnen können und auch bei einer Flucht wusste ich nicht ,ob sie mir gelingen würde. Aber nichts tun stand außer Frage.

Die Gestalt des Mannes wurde von hinten angestrahlt, sodass die Gesichtszüge das Letzte waren, das enthüllt wurde. Doch bereits der Anblick des schwarzen Muskelshirts ließ einen Teil der Anspannung von mir abfallen, auch wenn ich weiter auf alles vorbereitet die Augen zusammenkniff.

Grün. Da war irgendwas grünes.
Und die Gesichtszüge wirkten zu jung... zu jung für was? Wieder ließ meine Erinnerung mich im Stich, aber das war auch egal. Er war keine Gefahr. Woher ich diese Gewissheit auch nahm, er war keine Bedrohung.

Von aller Kraft verlassen sackten meine Schultern nach vorne und meine Augen verdrehten sich nach oben. Alles war in Ordnung. Ich war in Sicherheit.

Sicherheit...

Das Piepsen wurde wieder langsamer, nicht mehr so penetrant und aufdringlich wie zuvor.
Leise genug, dass ich nun auch die Stimme hören konnte.

"Sie ist wach?! Sie ist wach! Tessa! Tessa schau mich bitte wieder an! Sag etwas! Es tut mir so Leid, bitte schau mich an."

Was redete er da? Ich glaube mir war die Stimme bekannt. An irgendwas erinnerte sie mich... an einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen, die Fangen spielten. Ja, er war der kleine Junge!
Mir wurde schwindelig und schnell ließ ich die Erinnerung wieder fallen.

Sicherheit... grün... nein, irgendwas stimmte hier nicht.

Ich spürte wie etwas meine Wange herunter kullerte, doch ich war zu müde um die Hand zu heben.
Ich runzelte die Stirn.

Braun. Nicht grün. Sie hätten braun sein müssen!

"Bitte Tessa. Meine kleine Tess, schau mich an. Verdammt, Ciara! Sie ist wach komm her!"

Ein Poltern ließ mich erschrocken zusammenfahren und ruckartig den Kopf heben.
Orientierungslos glitt mein Blick durch den Raum, bis es erneut Rumpelte und plötzlich eine Tür mit Schwung aufgestoßen wurde.
Angst lies mein Herz erneut höher schlagen und trotz all den Warnsignalen meines Körpers nahm ich mir die Kraft meine Beine über die Bettkante zu schwingen.
Die Welt verschwamm etwas, doch meine Sicht war noch scharf genug um die Person im Türrahmen zu erkennen.

Ein Mädchen. Kien Mann, alles war in Ordnung...
Nur ein Mädchen, mit langen braunen Haaren und großen entsetzten... braunen Augen.

Schmerz raste durch meinen Kopf und ein Keuchen brach aus meinem Hals.
Braun... nicht grün... Junge...

Immer wieder stieß ich hart die Luft aus meinem Mund, meine Hände hielten meinen Kopf, als wollten sie nach etwas in ihm greifen. Einen Gedanken festhalten.

"Dyan... Dyan... Dyan...", der Laut war rau, primitiv. Als hätte jemand seit Tagen nicht mehr gesprochen.

Gehetzt folg mein Blick wieder zu dem Mädchen, das mich mindestens genauso entsetzt anstarrte, wie ich sie.
Sie sprach nicht, der Junge mit den grünen Augen auch nicht. Grün... Braun...

Unangenehm kratzte es in meinem Hals. Es. Das Wort. Der Name...
Ich machte diese komischen Laute.

"Dyan... Dyan..." Ein leises Wimmern entwich meinen Lippen.

Verloren blickte ich zu dem Mädchen.

"Bring... bring mich bitte zu ihm. Bring mich bitte zu D...Dyan. Bring mich zu ihm...Ciara."

Es fühlte sich seltsam an, so als hätte man etwas vertrautes länger nicht mehr gemacht.

Ciara. Mein Kopf kippte zur Seite. Doch, doch. Ciara stimmte. Sie war eine Freundin.

"Dyan..."

Stöhnend versuchte ich auf die Beine zu kommen, doch meine Füße knickten augenblicklich unter meinem Körpergewicht weg, sodass ich unsanft auf das Bett zurück plumpste.

Es ziepte an meinem Handgelenk. Verwirrt blickte ich meinen Arm entlang und blieb schließlich an dem Schlauch hängen, der in einer Nadel mündete, die in meinem Arm steckte.
Wo war ich überhaupt? Mein Zimmer war nicht so... weiß.

Eine Bewegung lenkte mich ab und sofort schoss mein aufgescheuchter Blick zurück zu dem Mädchen... zu Ciara.

Sie war in den Raum hinein getreten. Die Hände erhoben, als wäre ich ein Rehkitz und dabei selbst eindeutig aufgebracht.
Sie ließ mich nicht aus den Augen.

Ich wusste es einfach. Ich wusste, dass sie mich nicht zu ihm bringen würde. Sie würde mich hier festhalten.

Das konnte ich nicht zu lassen.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden riss ich den Schlauch, die Kanüle, aus meinem Arm und schaffte es unter aller Kraft meines Körpers als Erstes zur anderen Tür des Raumes.
Sie würde mich hier raus bringen, ich wusste es.

Ich hörte die Schreie hinter mir, als ich zitternd die Klinke runterdrückte und mit zwei Schritten nach draußen tapste. Ich spürte wie sie mir nachsetzten und taumelte weiter, während sich die Welt zu drehen begann.

Da waren noch andere Leute. Mit einem von ihnen stieß ich zusammen, als ich zur gegenüber gelegten Wand stolperte und ihm fiel etwas aus der Hand.
Egal woraus ich gerade geflohen war, ich war noch nicht draußen. Ich musste noch weiter.
Meine Sicht flackerte, als wolle mein Körper mir klar machen, wie schlecht diese Idee war.
Aber ich konnte es spüren. Ich musste das machen. Ich musste zu Dyan.

Die Tür, aus der ich gestolpert war, wurde schwungvoll zugeschlagen. Grüne und braune Augen, die mich erfassten.
Die braunen Augen waren fast das was ich suchte... aber nur fast.

"Tessa! Komm zurück! Du musst dich wieder hinlegen!", das Mädchen machte entsetzt einen Schritt auf mich zu, den ich sofort nach hinten zurückwich.

Schmerzhaft schluckte ich und entschied mich dafür den Kopf zu schütteln, auch wenn das die Welt noch mehr ins Wanken brachte.
Zitternd stützte ich mich mit einer Hand an der Wand ab und nutzte sie wie einen Führer während ich weiter und weiter von den beiden fremden und gleichzeitig vertrauten Personen weg wich.
Ich würde zu ihm kommen. Auch wenn bereits jetzt Flecken vor meinen Augen flimmerten und meine Knie fast unter mir nachgaben. Im Notfall würde ich kriechen.

Der Junge schien weniger besorgt als wütend, mit jedem Schritt den ich tat. Seine Augen blitzten gefährlich. Das kannte ich irgendwoher...

Erschrocken machte ich einen Satz zur Seite, als er energisch auf mich zu stürzte und entwich damit seinen Händen.
Doch bei dem plötzlichen Ruck durch meinen Oberkörper fuhr es scherzhaft durch meine Seite und lies mich entkräftigt aufschreien.
Sofort hielt der Junge inne und das Mädchen kam mit besorgtem Gesicht auf mich zugejoggt.

Ich wusste, sie wollte mir helfen, ich wusste, ich war töricht, doch auch vor ihren Händen zuckte ich weg, während ich meinen unteren Rippenbogen umklammert hielt.
Sie würde mich nicht mehr gehen lassen. aber ich musste gehen. ich musste zu ihm.

Dyan...

Es schmerzte mehr hier gefangen zu sein, als meinen erschöpften Körper weiter vorwärts zu schleppen.

Ich stolperte vor dem Mädchen weg, die mich verletzt anblickte. So traurig und verletzt...

"Es tut mir Leid. Es tut mir Leid...", meine Stimme brach.
Ich war mir nicht sicher für was ich mich genau entschuldigte. Da gab es so viel... das spürte ich. Irgendetwas war vorgefallen.

Tränen traten mir in die Augen. Was war hier nur los. Ich war so durcheinander. Sollte ich wissen wo ich mich befand? Was hatte ich falsch gemacht?

"Es tut mir Leid." Rückwärts taumelte ich weiter, bis ich eine Wand in meinem Rücken spürte.
"Ich muss das hier tun. Ich musste das tun..."

Was hatte ich tun müssen? Ich konnte es nicht greifen.

Die braunen Augen blickten noch immer traurig, doch etwas in ihnen hatte sich gefestigt, etwas das auch mir Halt gab. Ich verstummte wieder.

"Den Gang runter, links, links, rechts."

Für einen Moment starrte ich sie irritiert an, bis sich mein Blick langsam der nächsten Kreuzung zweier Gänge zu wandte, zu dem das Mädchen bedeutungsvoll genickt hatte.

Warteraum

Mein Körper reagierte bevor mein Kopf alles erfassen konnte. Obwohl meine Waden Muskeln schmerzhaft kribbelten und ich schon nach den ersten Schritten mich schwer an der Wand abstützen musste, quälte ich mich weiter.

Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass der Junge böse etwas dem Mädchen zuzischte, worauf diese nur standhaft den Kopf schüttelte.
Diese Geste berührte etwas in mir. Sie war stark. Sie knickte nicht ein.

Ein warmes Gefühl wallte in mir auf und vertrieb einen Teil des Schmerzes.
Ich spürte die Blicke der anderen Menschen, die aufrecht und gesund durch die Gänge liefen, während ich nach vorne gebeugt mich an der Wand entlang zog, mit zitternden Knien und keuchendem Atem. Ich konnte mir vorstellen, was sie wohl denken mochten. Aber es scherte mich nicht. Ich hatte ein Ziel und ich würde es erreichen.

"Dyan..."

Das starke Mädchen und der wütende Junge folgten mir, langsam, sodass sich der Abstand zwischen uns nie verringerte und für diese Privatsphäre war ich ihnen dankbar. Sie gab mir antrieb.

Aber der Weg war so weit...
Ich hatte die erste Ecke erreicht, als mir das erste Mal die Beine wegsackten und nur der Tatsache, dass ich mich bereits an der Wand abstützte, verdankte ich es, dass ich mich fangen konnte, bevor mein Gesicht den Boden küsste.
Wie Wackelpudding fühlten sich meine Muskeln an. Viel zu schwach...
Ich schob meinen Fuß nach vorne, die Wand entlang, um ihn zu stützen und zog den zweiten hinter her. Zwang mich nicht anzuhalten. Anhalten würde das Erreichen nur noch weiter verzögern und noch war mein Wille stark genug.

Obwohl ich mich wahrscheinlich langsamer bewegte, als eine Schildkröte war mein Keuchen inzwischen in Panik-Schnappatmung übergegangen. Mir selbst zu zuhören, bereitete mir Übelkeit. Es hörte sich so... grauenvoll an, so krank, so beängstigend.
Also versuchte ich mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wie die Fliesen auf denen meine schmalen Füße entlang krochen. Mir war bisher noch gar nicht aufgefallen, dass ich barfuß war... Meine Fußsohlen schienen taub für die Kälte zu sein. Allerdings schien ich generell noch nicht richtig in meinem Körper angekommen zu sein. Noch immer waren meine Erinnerungen konfus. Ich wusste, dass ich die Erklärung für diese ganze Situation kannte, ich konnte sie nur nicht fassen.
Ich merkte wie mir bei all den Überlegungen noch schwindeliger wurde, als es mir schon so war und fixierte mich schnell wieder auf die weißen Fliesen.
Sieben mal ein- und ausatmen für eine Fliese. Sieben Atemzüge brauchte ich für eine Fliese. Und dreizehn Fliesen waren es noch bis zur nächsten Ecke. Also noch 91 Atemzüge. 91 mal ein 91 mal aus.
Ein, aus.
Ein, aus.
Ein, aus.
...

Wieso war atmen so schwer?
Mit weißen Knöcheln umklammerte ich die Kante der Wand.
Links, mein Körper musste nach links.
Ich taumelte um die Ecke, dann blieb ich erschöpft an der Wand lehnend stehen.
Ich war aus ihrem Blickfeld. Zumindest ein paar Sekunden, würden sie mich nicht sehen. So lange konnte ich mir eine Pause gönnen. Dann würde ich weiter gehen...

Sie bogen viel zu schnell um die Ecke. Ich war doch gerade erst hier angekommen. Wieso waren sie so schnell hier angekommen? War der Abstand kleiner geworden?
Mit einem panischem Einatmen schob ich meinen Fuß nach vorne.
Zu schnell... schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen.
Ich versuchte sie wegzublinzeln und zwang mich gleichzeitig vorwärts. Ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen.
Der Junge schaute so misstrauisch. Er würde mich zurück schleppen.
Ich musste weiter.

Die Fliesen waren vergessen. Es war zu anstrengend zu wissen, wie lang ich mich noch quälen musste.
Also nahm ich mir meine blassen, klauenartigen Finger als neues Maß, die sich immer einen Meter vor meinen Körper versuchten in die Wand zu krallen.
Ich musste nur meine Finger einholen. Mehr nicht. Immer den Fingern nach.

Ich konnte den Jungen und das Mädchen nicht mehr sehen. Aber nicht etwa, weil ich sie abgehängt hatte. Nein, nein, irgendwas schien mit meinem Blickfeld nicht mehr zu stimmen. Alles was ich noch erkennen konnte, waren weiße Finger auf einer weißen Wand.

Ich ertastete die nächste Ecke. Die letzte Ecke.
Gleich geschafft.
Die weißen Hände umklammerten die Kante und zogen meinen tauben Körper herum. Mein Blick schweifte durch den Flur.

Eine Tür. So weiß wie alles andere hier auch, und doch unverkennbar, mit zwei Flügeln und jeweils einer Glasscheibe.
Da waren Menschen. Da waren Männer.
War er da?

Das Wimmern blieb mir im Hals stecken, aber die hilflose Hoffnung breitete sich trotzdem in meinem ganzen Körper aus.

Gleich geschafft.
Der nächste Schritt den ich setzte war größer, als jeder andere der letzten fünf Minuten.

Nur noch einige Meter.
Mein Körpergewicht stützte sich nicht mehr länger größtenteils auf der Wand ab, bis nur noch meine Fingerspitzen über die raue Tapete streiften.

Ich hatte die Tür gleich erreicht.
Wankend lief ich auf sie zu. Frei. Ohne Stütze auf meinen Beinen.

Ich schaffte das. Gleich habe ich es geschafft.
Zwei Schritte. Ein Schritt.

Mein Fuß verhakte sich. Ich stolperte, fiel nach vorne. Fing mich an der Tür ab.
Mit letzter Kraft hielt ich mich auf den Beinen während der Türflügel, gegen den ich mit vollem Körpergewicht gefallen war, aufschwang.
Meine Finger hatten sich um die Klinke verkrampft, um mich aufrecht zu halten und ich hielt angespannt den Atem an. Da, bin da.

Es flimmerte schwarz vor meinen Augen, alles rauschte. Aber ich stand. Ich stand in einem Licht durchflutetem Raum, vollgestellt mit Stühlen. Reihe um Reihe gepolsterte Stühle, auf denen gruppiert Leute saßen. Leute die mich anstarrten.
Ich suchte den Raum ab. Obwohl ich kaum etwas erkennen konnte. Obwohl mich all das Licht blendete. Ich musste ihn sehen.

Ich spürte wie meine Knie zitterten, wie meine schweißnassen Hände von der Tür abrutschten und meinen ganzen Körper mit sich nach unten zu ziehen schienen. Ich wusste dass mein Körper nicht mehr länger konnte. Doch zumindest eine Sekunde musste ich ihn sehen.

Bewegung kam in den Raum. Viele der Leute sprangen auf, doch nur eine Gruppe machte auch anstallten auf mich zu zukommen. Ein Mann ihn allen voraus.

Braune Augen.

"Dyan", flüsterte ich mit erstickter Stimme, wollte zu ihm rennen, ihm entgegen kommen, doch schon der erste Schritt ließ mich straucheln und fallen.
Mein Blick blieb auf ihn gehaftet. Auf sein markantes Gesicht, voller Erstaunen, voller Fürsorge.

Ich kam nicht auf dem Boden auf. Stattdessen fingen mich Arme nur einige Millimeter vor ihm ab. Zogen mich an eine warme Brust.

Ich versank in seinen Augen, versank in dem Braun.

"Tessa verdammt, was machst du hier?", die Worte hätten hart sein sollen, das hätte ich verdient, aber seine Stimme war sanft, nicht vorwurfsvoll.
"Dyan, Dyan", ich versteckte mich an seiner Halsbeuge vor dem grellen Licht. "Dyan..."

Sein Duft umhüllte mich und endlich fiel das unruhige Gefühl von mir ab. Jegliche Anspannung verließ meine Muskeln.

"Du... du weißt es...", die Erinnerung war schmerzhaft, schoss ein Loch in meinen Kopf. Aber sie war kristallklar. Klarer als alles, was ich noch durch meine Augen sehen konnte.
Er hatte mein Rücken gesehen. Mein Rücken...

Panik kam in mir auf und zum ersten Mal, seit dem ich wach war, betrachtete ich meine Umgebung wirklich verängstigt.
"Wo bin ich? Was mach ich hier?"

Ich wollte doch weglaufen. Ja, ich MUSSTE weglaufen, weil er es wusste!
Mir war klar, dass ich von Dyan wegrutschen müsste, doch meine Arme klammerten sich nur noch stärker um seinen Hals.
Wieso war ich bei ihm, wenn ich doch eigentlich weg von ihm wollte?

"Alles ist gut. Du musst keine Angst haben. Ich erkläre dir gleich alles, aber erstmal bringen wir dich zurück in dein Bett. Du solltest hier nicht auf den kalten Fliesen sitzen."

Eigentlich saß ich gar nicht auf den Fliesen. Dyan hob mich mehrere Zentimeter über ihnen in der Luft, aber ich war zu überfordert mit all den Gedanken, die mir plötzlich kamen, dass ich es nicht fertig brachte etwas zu sagen.

Ohne Mühe hob er mich hoch und meinen Körper durchfuhr Erleichterung, bei der Erkenntnis, dass ich nicht würde laufen müssen. Ich rutschte etwas in seinem Griff herum, um die beste Position an seiner Brust gekuschelt zu finden.

Mein Vater. Mein Vater hatte mich angegriffen. Langsam kam alles wieder hoch. Die Bilder voller Blut. Der Schmerz.
Mein Blickfeld wurde unscharf und verdunkelte sich immer weiter.

"Du weißt es...", meine Stimme war von Tränen erstickt, als mir die Bedeutung davon klar wurde, dass sie alle hier waren. Dyan, Ciara, Dyan... und waren da eben nicht auch Marco, Jack, Ben, Seth und Cole gewesen?
Sie alle mussten nun bescheid wissen.

"Ja ich weiß es. Ich weiß was du alles durchstehen musstest. Wir waren bei dir zu Hause."

Mir schnürte es die Kehle zu. Nein, ich wollte nicht, dass sie dort gewesen waren. Ich wollte nicht, dass sie dieses Haus, diese Familie als mein 'zu Hause' bezeichneten.

"Das hättet ihr nicht tun sollen. Ihr hättet das nicht erfahren sollen..."

Sein Griff wurde stärker. "Doch, wir hätten das sogar schon viel früher bemerken sollen." Das Weiche war aus seiner Stimme verschwunden und hatte stählender Entschlossenheit und Wut Platz gemacht. Eine Kombination, der ich nicht widersprechen wollte.

Mir schwindelte und mein Kopf kippte schwer auf seine Schulter. "Es verkompliziert alles nur noch mehr."

"Oh nein, das ist alles ganz klar! Aber darüber unterhalten wir uns jetzt nicht. Wir bringen dich erstmal zurück ins Bett. Du bist völlig am Ende. Ciara, kannst du mir zeigen, wo ihr Zimmer ist?"

Mir war gar nicht aufgefallen, dass Dan und Ciara inzwischen ebenfalls hereingekommen waren und auch jetzt war es zu schwer, mich nach ihnen umzublicken.
Wahrscheinlich hatte sie genickt oder etwas ähnliches, jedenfalls setzten wir uns ohne ein weiteres Wort in Bewegung.
Meine Füße wippten im Takt von Dyans Schritten.

"Wie habt ihr mich gefunden?" Obwohl meine Erinnerung endlich klar zurückkamen, konnte ich sie kaum noch verwerten. Zum einen wollte ich all das endlich klären, zum anderen war ich so schrecklich müde.

"Du hattest ein Autounfall. Wir kamen gerade an, als dich ein Krankenwagen wegbrachte. Gott, ich wäre verrückt geworden, hätten wir nicht gewusst, wo du hingeliefert wurdest."
Er zog mich enger an sich.

Mir fielen die Augen zu, doch in Dyans Anwesenheit musste ich auch nicht weiter Aufmerksam sein. Er würde aufpassen. Sachte lächelte ich an der warmen Haut seiner Halsgrube.

"Ich bin auch froh, dass ihr hier seit."

Mein waches Ich hätte dem wahrscheinlich widersprochen. Mein waches Ich hätte sich weiter verstecken wollen. Aber mein erschöpftes Ich konnte nicht mehr. Mein erschöpftes Ich war ehrlich.

"So schnell wirst du uns auch nicht mehr los. So schnell wirst du mich nicht mehr los."

Sanft drückte er seine Lippen auf meiner Stirn.

"Ach, ich habe gedacht, du hättest keinen Bock, meinem hässlichen Arsch hinterher zu rennen."

"Das ist lange her, meine Kleine. Lange, lange."

"Da bin ich aber froh. Hatte schon Angst ich hätte meinen Arsch die ganze Zeit überschätzt."

Mit einem Lächeln glitt ich in einen erholsamen Schlaf.


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