Tränenblind

De pasulmitsucuk

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Odesa ist nicht nur eine herzhafte Bäckerin mit vielen leckeren Rezepten. Sie ist auch eine hoffnungslose Rom... Mais

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De pasulmitsucuk

Agon
Dortmund
April 2014

Ich fühle mich seltsam. Als wäre eine Last von meinen Schultern gefallen. Merkwürdig. Ich fühle mich merkwürdig. Als wäre ich befreit. Ist es die Verwirrung? Bin ich verwirrt? Verwirrt darüber, was richtig und falsch ist. Eine Schande, dass keine Träne es ans Licht geschaffen hat. Eine Schande für die Familie Sulej. Eine Schande für meine Mutter. Für meinen Bruder, doch für mich ein Segen. Der Regen hat alle Sünden weggewaschen und nun bleibt nur noch die Reue übrig. Doch ich spüre keine Reue. Nicht mehr. Nie wieder. Ich bin schwerelos. Schwebend über alle Leichen, die noch hier liegen. Erleichterung. Ich bin erleichtert. Ich bin froh darüber, dass der Tod ihn mitgenommen hat und ich bin stolz auf den Täter, welcher sein Leben genommen hat.

Wenn dein eigenes Zuhause zum Tatort wird, dann suchst du nicht nach Schlaf. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es verstanden habe. Ich spüre Regentropfen auf meinem Gesicht, welches ich dem Himmel richte. Es ist die falsche Richtung, falls ich meinen eigene Vater anblicken möchte und doch ziehen mich die Wolken an. Ich krame in meiner Hosentasche nach einer Zigarette. Meine Narben streifen an dem rauen Material meiner blauen Jeans. Ich lege schützend eine Hand um meine Flamme und setze die Zigarette an meinem Mundwinkel. Erleichterung. Auf der anderen Seite der Straße steht der Hauptkommissar. Ein älterer Mann aus deutscher Herkunft mit braunen Haaren und blauen Augen. Er ist ein Hurensohn. Die grauen Wolken ziehen sich über den Himmel zusammen. Mein Blick fällt auf meine Mutter, welche außerordentlich ruhig wirkt. Dabei ist ihr Ehemann gerade mal vor wenigen Tagen ermordet wurden. Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Täterin war. Mein Mundwinkel zuckt hoch. Nur Gott weiß, wie ich nicht zum Täter wurde.

Schweiß sammelt sich unter meinen Achseln an. Wann war ich das letze mal duschen? Der Tatverdächtige wurde aber gefunden, gerade mal vier Tage nach der Tat. Ich schnaube leicht auf. So schnell hätte ich mich nicht erwischen lassen. Wäre ich der Täter gewesen, dann hätte ich nicht meine Tatwaffe im Vorgarten versteckt. Wer tötet auch jemanden mit einem Baseballschläger, welches seine eigene Tochter als Zauberstab benutzt hat, als sie dachte, dass sie eine Fee ist? Ja, es ist lächerlich und doch steht es fest. Das Blut meines Vater's klebt an diesem Baseballschläger. An einem anderen Tag hätte ich nach einer Signierung gefragt, aber nicht an dem Tag wo mein Nachbar wegen Mordes verhaftet wird. Die Tat wundert mich nicht. Meine Vater hat es kommen gesehen.

Wenn du dein ganzes Geld für Drogen wegwirfst und für Glücksspiele verzockst, dann verlierst du schnell das Gefühl von Zeit und Wert. Mein Vater hat sich das Geld genommen, als hätte er es brav angepflanzt. Er nahm aus der Hand von jemanden, der nicht viel hatte und starb an derselben Hand. Es ist ein mokantes Spiel von Karma. Irgendwo bin ich eifersüchtig. Ich kann es einsehen. Der alte Knacker von nebenan hatte mehr Mumm, als ich es in meinem ganzen Leben hatte. Ich reibe kleine Kreise auf meine Brust. Die Polizeibeamten treten aus dem Wohngebäude aus. Sie halten den Täter in ihrer Gefangenschaft. Mit dem Kopf gebeugt und dem Blick vor Tränen verschwommen blickt er zu Boden. Ich schnalze mit der Zunge. Er kann stolz auf sich sein. Er hat das gemacht, was nur ein wahrer Mann schafft. Ich nehme ein letzten Zug meiner Zigarette und werfe diese zu Boden. Sie fällt in Matsch und ihr Feuer erlöscht so schnell, wie dass was mich über fünfzehn Jahre verfolgt hat.

Es ist mein Bruder, welcher eingekrümmt an der Schulter seiner eigenen Mutter hängt. Mit tiefschattigen Augen, wenig Kraft an den Händen und müden Beinen. Es scheint ihm wohl zu schaffen machen. Ein Elternteil weniger, welcher ihn vergöttert und an der Spitze des Berges stellt. Wie ein kleiner Junge versteckt er sich hinter der Brust seiner Mutter. Hinter ihm steht sein elender Beschützer, Ali. Wie ich ihn nicht ausstehen kann. Es ist erbärmlich mitanzusehen. Ist das sein Versuch ein Vaterersatz zu finden? Was erwartet er? Dass man ihm den Kopf streichelt und sein Beileid ausspricht. Er soll sich verfickt nochmal zusammenreißen. Der Tod hatte ihn eingeladen bevor der Mord ihn begrüßen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit. Seine Trauer ist bedingt, denn ein so intelligenter Junge, welcher das Gesicht meines älteren Bruders trägt, sollte dies am besten wissen. Aber nein, seine Augen schauen zu Boden. Sie graben sich unter der Erde, um die Augen seines Vaters das letzte Mal zusehen.

Doch zwischen Regen und Erde steht das Mädchen, was den Schatten seiner Augen am meisten braucht. Denn hinter ihrem mörderischen Vater versteckt sich die kleine Nour. Mit tränenüberströmten, purpurroten Wangen, einer zitternden Unterlippe und lichtlosen Augen. »Baba!« Ihr Schluchzen gleicht dem Schrei eines Engels. Es ist fast schon tragisch. Wie es sich anfühlt, aus gewalttätigen Händen zu entstehen ist mir nicht befremdet. »Baba ...« Sie fällt kniend zu Boden. Ihr schwarzes Haar klatscht gegen ihr Gesicht und verdeckt das Blau in ihrem Auge. Ihre Hände vergraben sich zwischen den Steinen und matschigen Gras. Das Blut zeichnet ein Gemälde auf ihren Händen. Ein Erbe ihres Vaters. Ich weiß, wie es sich anfühlt, dass Erbe seines Vaters zu sein. Es gibt keine Hoffnung für Nour. Keine Familie mehr. Kein neuer Anfang, sondern nur ein Ende.

Es ist verzwickt, wie die Tatwaffe vergraben in dem Garten lag, in welchem mein Fußball zig Male landete. Nour's Vater wird in das Polizeiauto gesetzt. Schreie füllen die Nachbarschaft. Flehend, elende Schreie eines Kindes, welches ihren Vater nicht verlieren möchte. Sie kämpft sich durch die Menschen und versucht ihr Ziel zu erreichen. Die Arme ihres Vaters. Es ist traurig mitanzusehen. Immerhin ist er der Held. Ein tieftauchendes Schluchzen ist die letzte Erinnerung an meinem Vater, die mir niemand wegnehmen kann. Der Täter streichelt ihr die Haare aus dem Gesicht und flüstert ihr leise etwas zu. Ein Moment, welcher sich wie die Ewigkeit anfühlt.

Es dauert nicht lange und man zerrt das kleine Mädchen aus dem Auto und befestigt sie selber in Handschellen. Wie ein ungezähmtes Tier. Man setzt sie ruhig. Man zwingt sie in die Enge. Man wendet den Blick ab. Man tut so, als würde man nichts hören. Nur Adem behält seine stets seine Augen auf das Opfer. Auf ihr. Mit verkrampften Händen und tränenden Blicken. Er hört alles. Er wendet seinen Blick niemals ab. Sie lebt in seinen Gedanken. Er steht in ihrer Schuld. Wer weiß was nun mit ihr passieren wird. Es war niemanden bewusst, ob Nour eine Familie hat. Sie hatte nur ihren Vater, welcher nun wegen Mord verurteilt wird. Vielleicht beobachten wir Nour, weil wir wissen, dass wir sie nie wieder sehen werden. Ein kleines Mädchen mit dem wir unser Brot geteilt haben ist nun mit den Sünden ihres Vaters verbunden.

Nun ist die Nachbarschaft still und leer. Die Nacht ist erschienen und ich stehe immer noch hier draußen. Vor dem Tatort meines langerwartendem Frieden. Ich atme seufzend aus und greife nach meiner Zigarettenschachtel. Die goldene Schrift verdreckt von meinem dreckigen Daumen. Marlboro. Diese Schachtel gehörte ihm höchstpersönlich. Ich habe letztes Jahr damit angefangen, dass wenn er mal Zuhause war, ich ihm seine Zigaretten geklaut habe. Ich verstehe mittlerweile was genau es ist, was ihn daran so reizt. Es wirkt entspannend. Beruhigend. Erholsam. Es ist das einzige Licht, was in dieser dunklen Nacht scheint und eine verbrühende Wärme in dieser kalten Brise. Meine Zehen ziehen sich zusammen und ergebend blicke ich zu den Sternen hinauf. Ich puste schniefend den Rauch aus meiner Lunge raus. Diese Packung ist das Letzte, was ich von meinem Vater habe. Es ist das einzige Erbe meines Vaters.

Ich lehne mich gegen die Gitterstäbe und pruste sarkastisch auf. Ich weigere mich um einen Menschen zu trauern, der nichtmal mit der Wimper zucken würde, wenn ich an seiner Stelle stehen würde. Er hat es nicht verdient, genauso wenig hat Nour's Vater solch eine Strafe verdient. Immerhin ist er ein Held. Er hat meine Mutter vor weiteren Narben gerettet, mein Bruder vor weiteren Tränen und mich vor wachsenden Hass. Er verdient eine Medaille. Man sollte Honorar eine Statur aufstellen. Doch die Polizei sieht es anders, als ich es tue. Vor ihnen steht ein Mörder. Jemand der Blut vergossen hat ohne eine Sekunde länger darüber nachzudenken. Dabei hat er sich nur das Recht genommen, für was ich zu feige war. Mein Vater hatte ihm viel geschuldet und nun ist die Schuld beglichen. Klingt doch fair? Oder nicht?

»Rauchen ist ungesund.« Mein Blick zuckt zurück. Der Klang der sanften Stimme zieht mich aus meinem Gedanken. Dieser so bekannte Ton, der meine Ohren berührt, sorgt für einen schnelleren Herzrhythmus. Vor meinen Augen steht meine kleine Nachbarin. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir teilen uns nicht nur in der Schule ein Platz. »Was machst du hier?«, zische ich. Ich will sie nicht sehen. Ich will sie nicht hier haben. Ich will niemanden hier haben. Odesa setzt unsicher ein Schritt in die gegengesetzte Richtung. Ich verziehe den Mund. Ihre honigbrauen Augen leuchten unter den Sternen und ähneln kleinen Caramelbonbons. Mein Blick fällt auf ihre nackten Arme. Hat dieses Mädchen denn keine vernünftige Jacke? Der Frühling ist zwar im Gange, aber in der Nacht schützen Spaghettiträger dich nicht vor einer Erkältung. »Hörst du mir nicht zu? Zigaretten sind sehr schädlich für die Lunge.« Ich zucke mit der Wimper. »Und jetzt?« Sie setzt sich die Hand auf die Hüfte. »Ja, keine Ahnung, hör vielleicht auf zu rauchen?« Der sarkastische Unterton amüsiert mich.

»Ich höre irgendwann Mal auf«, puste ich den Rauch gegen ihr Gesicht. Sie zieht angeekelt das Gesicht zusammen und setzt ein weiteren sauberen Schritt zurück. »Wann ist irgendwann?« Gute Frage. »Wenn ich Kinder habe.« Und die werde ich niemals haben. Ich will sie nicht und ich brauche sie nicht. Wozu Kinder auf die Welt setzen, um sie zu hassen? Nein, danke. Da gibt es bessere Investitionen. »Also, was machst du hier?« Die tiefe Tonlage ist eine Indikation für das Fallen meiner Laune. »Ich wollte nach dir sehen«, murmelt sie. Mein ganzer Körper spannt sich an. »Es gibt keinen Grund, um nach mir zusehen? Sehe ich aus wie ein verficktes Kind?«, knurre ich. Sie soll mir verdammt nochmal nicht auf die Nerven gehen. »Geh nachhause.« Was sucht sie überhaupt noch hier?

Odesa schüttelt langsam den Kopf und nähert sich mir, dabei schleift ihre Schuhsole gegen den kieselsteinigen Boden. »Ich gehe nicht«, widerspricht sie mir. Für wen hält sie sich? Mein Kiefer verhärtet sich und sticht messerscharf raus, während ich mich ihr ebenfalls einige Schritte nähere. »Was sollen deine Eltern darüber denken, wenn du dich nachts mit den Sohn eines Junkies triffst? Hmm?« Sie zuckt bei dem rauen Ton leicht zusammen, dabei beißt sie sich leicht auf die Lippen. Sie schenkt ihrer blassen Erscheinung etwas Röte und sorgt dafür, dass meine Aufmerksamkeit an den falschen Orten gelangt. »Meine Eltern vertrauen mir, sie wissen was ich tue. Außerdem bist du kein Fremder, Agon.« Ein sarkastisches Schmunzeln umgibt meine Lippen. Ich bin alles andere als ihr Freund, gerade mal ihr Nachbar. Ein Blick in meine tagtäglichen Gedanken und Odesa würde den Feind ihn mir erblicken. Wenn ihr jemand befremdet sein sollte, dann bin ich es.

»Mein Beileid.« Sie blinzelt aufkommende Tränen weg. Ist es Empathie? Oder nur pathetisches Mitleid? Eine gewaltige Welle an Wut überflutet meinen Körper. »Ich brauche dein scheiß Beileid nicht. Es gibt nichts zu trauern.« Erschüttert zieht Odesa die Augenbrauen zusammen. Für sie müsste erst die Welt zusammenbrechen, bevor sie so über ihr eigenes Fleisch und Blut denkt. Jammerschade. »Wie kannst du sowas sagen ... Wir sprechen hier von deinem Vater!« Erzürnt blitzen ihre Augen gegen Meine. Wie gesagt, Fassungslosigkeit. Dabei kann sie nichts anderes als nur blind von ihren eigenen Wertvorstellungen zu sein. »Mein Vater war ein Hurensohn. Ich habe nur die Tage abgezählt, bis sich jemand an ihm rächt. Du brauchst niemanden für dumm zu verkaufen, Odesa. Deine scheinheilige Unschuld und dein lächerliches Mitgefühl kann mich nicht beeindrucken. Egal, wie sehr du es versuchst.« Ich brauche niemanden. Erstrecht nicht sie.

»Du bist ein wirkliches Arschloch!« Guten Morgen. Ich schnalze mit der Zunge und zucke nur gelangweilt mit den Achseln. »Bist du jetzt fertig? Es ist Bettruhe, dein Teddybär wartet auf dich. Na hopp, hopp.« Ihre Wangen verfärben sich vor rasender Wut purpurrot. Sie schnieft leise, aufgrund der Kälte, die ihre sofortige Wirkung auf ihren Körper zeigt. Sie muss ja auch halbnackt durch die Welt wandern. »Hajde, geh jetzt. Du fuckst mich nur mehr ab. Soll man Trauernde nicht in Ruhe lassen?« Kann sie mich endlich in Ruhe lassen? Ich stehe in ihrer Anwesenheit auf Zehnspitzen, kann mein verdrecktes Maul nicht halten und sage nur die falschen Dinge. Ich will nur für einen Moment etliche Ruhe besitzen. Sie soll sich umdrehen, ihr Zuhause wieder finden und mich ja nicht nochmal ansprechen. Mein Geduldsfaden verliert seinen Halt und sogar der kürzeste und stumpfste Fingernägel könnte ihn reißen.

Ein leises Seufzen entfährt ihr. Ihre ganze Wut wurde dem von dem vorherigen Regen aus dem Gesicht gewaschen. »Agon—« Ich lasse sie nicht zu Wort kommen. »Ich habe dir verdammt nochmal was gesagt! Geh rein und nerv mich nicht.« Es sollte eine Warnung sein, entkam meiner Kehle aber wie ein Gebrüll. Odesa zuckt leicht zusammen und blickt bedrückt zu Boden. Das macht sie oft. In der Schule, in ihrer Freizeit. Mit den Jahren habe ich immer mehr über meine Nachbarin erfahren. Das meiste war ungewollt. Seitdem ich in der Schule neben ihr sitze, haben sich meine Noten verbessert. In den meisten Klassenarbeiten schreibe ich auch von ihr ab. Außer in Englisch, dass gehört nicht zu ihren Stärken. Aber was Mathe angeht, ist dieses Mädchen ein Genie. Jedoch besitzt sie kein Fleisch auf dem Rücken. Sie kann nicht nein sagen, lässt alles was ich tue durchgehen. Sie lässt alles mit sich machen. Es ist nicht etwas, was ich an ihr bewundere. Aber wir haben alle unsere Fehler und sobald sie meine kennt, verliert sie Ihre.

Sie riecht meistens nach Zitrone. Ich frage mich oft, ob es an ihrem Shampoo liegt oder doch an ihrem Parfüm. Und da stellt sich die Frage: Wer zum Fick kauft sich ein Parfüm, was nach süßen Zitronen riecht? Sie hat immer leckeres Frühstück dabei. Oftmals Gebäck. Sei es Kuchen, süße Schokobrötchen oder Zimtschnecken. Alle Hausgemacht. Während ich höchstens mal ein Stift mit in die Schule nehme. Sie ist nett, zu nett. Dieses Mädchen lässt sich viel zu oft von den Anderen ausnutzen. Habe ich das schon gesagt? Sie kennt keine Grenzen, stellt einem tausend Fragen über sein Leben und weiß nicht, wann sie ihren Mund halten soll. Oder wann sie verfickt nochmal Nachhause gehen sollte. Nicht zu vergessen, Odesa Hasani ist das frechste Mädchen aus Dortmund. Versuch sie einmal zu provozieren und sie bringt dir bei was Provokation eigentlich bedeutet. Nicht, dass ich persönliche Erfahrungen damit hätte, es ist mir einfach nur paar mal ... aufgefallen.

»Du hörst mir jetzt mal ganz genau zu! Ich bleibe genauso lange hier draußen, wielange du hier draußen stehst und ich gehe erst nachhause, wenn du es tust! Ich weiß nicht viel über dich und es tut mir leid, wenn dein Vater nicht der Beste war, aber zusagen, dass es mit dir nichts macht, dass er auf so einer Art und Weise gestorben ist, ist eine reine Lüge und das weißt du.« Die Luft weicht mir aus den Lungen. Betroffen stolpere ich ein Schritt zurück. Die Packung Zigaretten fällt mir aus den Händen. Sie prallt auf den kieselsteinigen Boden und alle die Zigaretten fallen raus. Sie rollen runter, bis sie den Matsch berühren. Unsere Augen fallen auf die Schachtel. »Ich würde mich ja entschuldigen, aber Zigaretten sind ungesund!«, erwidert sie protzig. Mein Blick ist fixiert auf mein letztes Habgut. Ich spüre, wie meine Stimme mich verlässt. »Die gehörte meinem Vater.«, krächze ich. Odesas Augen huschen auf. »Was?« Es klingt wie ein leises murmeln und doch so taub für meine Ohren.

Ich spüre wie sich meine Brust komplett zusammenzieht. Alles verengt sich und sorgt für ein stillen Schrei nach Platz. Ich balle meine Hände zu Fäusten. »Ich soll Nachhause? Was wenn ich dir sage, dass ich kein Zuhause mehr habe? Huh? Mein Vater war der einzige Grund, warum meine Stiefmutter es noch mit mir ausgehalten hatte. Der einzige Grund, warum mein Bruder mich bei sich haben wollte. Jetzt ist er wie ein Feigling, wie ein verdammter Egoist gestorben ohne an seine Frau und seinen erstgeborenen Sohn zu denken. Er hat sich mit Huren vergnügt, Drogen genommen, ist meiner einzigen Mutter fremdgegangen mit einer Frau, die sich für mich schämt und hat dann die ganze Familie terrorisiert. Nur um von einem mickrigen Nachbarn, welcher seine Kontrolle verloren hat, ermordet zu werden? Wo ist die Rache meiner Mutter? Für ihr Leid. Wo ist die meines Bruders, dafür dass er seine Aufgabe übernommen hat? Wo bleibt meine Rache? Wie kann es sein, dass mein Vater einfach ohne viel Leid und ohne genügend Grausamkeit sterben kann und wir immer noch leiden? Du willst, dass ich Nachhause gehe? Zu einem Zuhause, was mir nicht gehört? Das ist nicht fair von dir. Du hast keine Ahnung von meinem Leben, Odesa. Deshalb zieh dir verdammt nochmal anständige Kleidung an, dreh dich um und geh Nachhause. Hast du mich verstanden?«

»Agon ...« Es ist nur ein Hauchen. Ich höre nur dieses Hauchen. Ich kann nichts anderes hören, außer dieses verdammte Hauchen. Ich kann nichts sehen. Ich kann nicht atmen. Ich verfalle meiner eigenen Finsternis und baue auf ihrem Boden mein neues Zuhause auf. Ich spüre nur zierliche Hände auf meiner Brust, die sich bis zu meinem Nacken wagen. Ich höre nur das Hauchen meines Namens. Immer und immer wieder. In einer endlosen Mantra. In dieser endlosen Nacht. Es fehlt mir nicht viel und mein Kopf liegt vergraben zwischen Zitrusfrüchten und süßlichen Düften. Die Liebkosungen auf meinem Rücken zerbrechen den Damm, welches zwischen meiner Brust steht. Ja, es hat nicht viel gebraucht und ich habe meine vollkommene Männlichkeit verloren. Meine Stärke und meine Kraft. Ich bin schwach in ihren Armen. Meine Tränen streicheln ihren Hals und meine Hände vergraben sich an ihrer Taille. »Ich—«, versuche ich die elende Flut zu stoppen. Doch es steht alles im Gange. Ein letztes, flehendes Schluchzen entfährt meiner Kehle und der Bann ist gebrochen.

»Es tut mir so leid«, schluchze ich. »Bitte verzeih mir«, wimmere ich. »Agon ...«, schnieft  meine kleine Nachbarin tröstlich.

»Mfal, Bab«

Reue ist eine Sache mit der sich Agon ein ganzes Leben lang beschäftigt hat.

I bet on losing Dogs von Mitski ist so Agon und odesa coded

- 🤍🏹📓

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