Wo wir frei sind

By InaAnnelie

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Anni und Mike haben sich noch nie getroffen und doch sind ihrer beider Leben auf eine ganz spezielle Weise mi... More

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By InaAnnelie

Anni

Es dauerte eine Ewigkeit bis ich meine Umwelt, zumindest schemenhaft, wieder wahrnahm. In zarten Wellen schwappte dieses Hochgefühl immer noch durch meinen Körper und es flaute auch nur sehr langsam ab. Ich blinzelte und betrachtete sein Gesicht, erstaunt, vielleicht auch ein wenig fassungslos. An seiner Stirn pulsierte eine hervorgetretene Ader, die mir zuvor noch nie aufgefallen war. Er atmete flach und abgehackt. Sanft legte ich meine Handfläche auf seine glühend heiße Wange. „Gleichmäßig atmen", flüsterte ich. Er öffnete die Augen und schaute mich an, so als könne er nicht glauben, was er sah. „Langsam ein..." mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen, machte ich es ihm vor. „Und wieder aus." Ich war bis oben hin angefüllt mit Zärtlichkeit für ihn und war selber am Meisten überrascht davon, aber er hatte so etwas aufrichtiges, ja fast unschuldiges an sich, das mich stark rührte. Nicht, dass ich das was zwischen uns passiert war, als unschuldig bezeichnet hätte, aber jetzt in diesem Moment haftete eine undefinierbare Verletzlichkeit an ihm. Sie war so greifbar, dass ich den Drang ihn schützen und trösten zu wollen, kaum unterdrücken konnte. Ich wusste nicht vor was und warum und auch dass es komplett irrational war, aber ich fühlte es bis in die Zehenspitzen. Überhaupt war ich gerade vollkommen durchlässig für sämtliche Emotionen. Ich hätte weinen können, oder lachen, oder Dinge sagen, die ich sonst nie sagen würde...ich entschied mich erstmal dafür zu schweigen, bis meine Gedanken wieder klarer wurden. Er legte seine feuchte Stirn an meine. „Anni...ich...du" Er mühte sich ab, etwas zu sagen, Worte zu finden. „Schhh..., schon gut." Ich streichelte über seinen Rücken, wie bei einem kleinen Kind. Meine Fingerspitzen glitten sanft nach oben an seinen Hinterkopf, massierten seine Kopfhaut und seinen Nacken. Ich versuche seine Anspannung in den Muskeln dort zu lösen. Es dauerte nicht lange und sein Körper wurde weicher. Er ließ seinen Kopf kraftlos sinken und versteckte sein Gesicht an meinen Hals. Scheiße, Anni-dachte ich. Das ist nicht gut. Du fühlst zu viel. Viel zu viel. Vielleicht würde ja mit dem Abflauen der Euphorie, mit dem Abfallen meines Dopamin, Endorphin, Oxytocin...und was auch immer Spiegels, mein Hirn auch wieder halbwegs normal funktionieren. Im Grunde war mir diese mahnende Stimme aber ziemlich lästig. Ich hatte gar keine Lust auf sie zu hören und wollte diesen glücksseligen, schwerelosen Zustand so lange wie möglich ausdehnen. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie...und ich kriege immer noch keinen sinnvollen Satz zu Stande.", versuchte er es nochmal. Er schüttelte den Kopf und schlang dann seine Arme ganz eng um mich herum. Ich seufzte leise. Ich liebte es sofort, so von ihm gehalten zu werden. Ich liebte auch seine Stimme an meinem Ohr und wie er sich anfühlte. Selbst den kalten Schweißfilm auf seiner Haut fand ich rührend und irgendwie reizvoll. „Anni. Alles gut?" „Ja sicher ." Gedankenverloren kraulte ich seinen Haaransatz. „Ich neige in solchen Situation nur dazu, zielsicher was Falsches zu sagen. Also bin ich lieber still." Er streichelte mein Gesicht. „Wenn es nicht so schrecklich dumm klingen würde, würde ich nämlich am liebsten Danke sagen.", sagte ich dann. „Danke?" Er wirkte erwartbar irritiert. „Danke deshalb, weil du mir gerade eine echte Last genommen hast. Du hast mir gezeigt, dass es eben auch so sein kann, wenn alles stimmt. Ich hab sehr lange gedacht, dass ich nicht mehr so .... So und zack, schon bin ich kurz davor mich um Kopf und Kragen zu reden." Ich hatte das Gefühl Rot anzulaufen, etwas was mir selten bis nie passierte. „Du kannst mit mir über alles reden was dich beschäftigt, Anni. ", unterbrach er meinen Bedenken. Seine Stimme war butterweich und seine Finger zogen eine sanfte Linie über meinen Hals und meine Brust. „Was meinst du damit? Was wolltest du sagen?" „Du hast mich gerade befreit von dem Gedanken, dass ich mich in dieser Sache mit weniger zufrieden geben müsste, dass ich zu kritisch und zu verkopft bin und krampfhaft nach Fehlern suche, dass es an mir liegen muss. Mit dir.... Ich hab nicht eine Sekunde über sowas, ich hab an überhaupt nichts mehr gedacht. Vielleicht ist also doch noch nicht alles verloren bei mir." Ich lächelte schwach. „Vielleicht bin ich einfach nur ein Mensch der nur mit sehr wenigen anderen Menschen harmoniert und kompatibel ist." „Wir sind perfekt kompatibel, Anni." Er sagte es eine Spur zu ernst und ich hatte das Gefühl, dass er noch etwas hinzufügen wollte, es sich dann aber anders überlegte. Stattdessen drückte er mich so ruckartig und fest an seine Brust, dass mir einen ganz Anni-untypisches, erschrockenes Quieken entwich.

Mike

Selbst ihr leises, überraschtes Quietschen war zum Niederknien. Alles an ihr war zum Niederknien. Sie besaß mehr Lebensenergie im kleinen Finger, als die meisten Menschen im gesamten Körper. Ihre bloße Anwesenheit machte mich glücklich. Ihre Offenheit, ihre Direktheit, ihre Hingabe, die sich mit einer gewissen Verspieltheit und kindlicher Albernheit abwechselten, die Art wie sie mir bewusst und unbewusst den Atem raubte, war mehr als ich je erwartet hatte. Es hätt mich eigentlich nicht überraschen sollen. Anni liebte einfach so wie sie auch sonst war, so wie es ihrem Wesen entsprach. Aber ob man von lieben sprechen durfte, ob sie überhaupt sowas wie ernsthafte Verliebtheit fühlte, war mir nicht klar. Ich hatte schon verstanden, dass sie mich auch wollte und ich war mir sicher, dass ich ihr nicht egal war. Dafür steckte zu viel Gefühl in ihren Gesten und Berührungen. Trotzdem wusste ich nicht, was sie in mir sah und wieviel sie zu geben bereit war. Fühlte sie sich vielleicht nur von meiner, nicht zu verbergenden, Schwäche für sie angezogen? War ich eine Art Ablenkung, eine aufregende, heimliche Zerstreuung in diesem grauen, einsamen November-Lockdown? So wie sie auf mich reagierte, mit mir redete, mir Einblicke in ihr Seelenleben gewährte, bezweifelte ich das, aber sicher war ich mir nicht. Dafür wusste ich zu viel über Anni und sie zu wenig über mich. Wahrscheinlich grübelte sie genau darüber nach. Aber sie kannte die Wahrheit immer noch nicht. Ich hatte sie getäuscht und angelogen, auch wenn die Motive dafür, meiner Sehnsucht und Zuneigung für sie entsprungen waren, änderte es an den Tatsachen nichts. Ich spielte mit ihren Haaren und erinnerte mich daran, wie der Wind neulich dasselbe getan hatte. Oben auf dem Litzlkogel, an dem ersten Tag, den wir gemeinsam verbracht hatten. Dann hatte ich vor Augen, wie wir ein paar Tage später vor dem Unwetter auf die Hütte geflohen waren, wie die triefend nassen Strähnen an ihrem Gesicht festklebten. Ich dachte an die Splitter in ihrer Hand, an die Berührung ihrer Lippen, die aus dem Nichts gekommen war und mich fast um den Verstand gebracht hatte. Ich verflocht meine Finger mit ihren. „Was denkst du, woran erkennt man, dass man ernsthaft verliebt ist?" Sie hustete als hätte sie sich verschluckt. „Ist das jetzt eine persönliche Frage an mich oder eine allgemeine?" „Kannst du sie denn beantworten ohne persönlich zu werden?" Sie überlegte. „Ich fürchte ich kann sie gar nicht zufriedenstellend beantworten. Ich würde behaupten man sollte es einfach wissen und fühlen, oder kennst du irgendwelche untrüglichen, sicheren Anzeichen dafür?" „Du meinst sowas wie, wenn man bewusst und auch unbewusst jede Gelegenheit nutzt, dem anderen nah sein und um ihn berühren zu können? Wenn in der Anwesenheit dieser Person alles schöner und besser wird und man sich einfach nur glücklich, voller Energie und motiviert fühlt? Wenn man seine Gefühle nicht mal mehr richtig beschreiben kann und sich permanent irrational und unlogisch verhält? Wenn man bei jeder kleinsten Berührung Gänsehaut kriegt und diese Stelle stundenlang danach immer noch fühlt? Meinst du solche Dinge?"

Annis Blick war schwer zu deuten und dann schlug sie die Augen nieder. „Vermutlich solche Dinge, ja. Ich bin echt sehr schlecht in so was."

„Im Verlieben?" Sie zuckte mit den Schultern und ich hatte das Gefühl, dass sie sich am liebsten in irgendein Schneckenhaus verkrochen hätte um mir nicht antworten zu müssen. „Ja das und auch im Interpretieren meiner eigenen Gefühle. Ich hab mich zu oft getäuscht und zu schnell wieder entliebt. Ich hab irgendwann beschlossen, dass ich es nicht mehr will, weil es eine Zeit gab, da wollte ich es zu sehr. Ich dachte nur so könnte ich die Vergangenheit loswerden, aber man kann sowas nicht erzwingen. Es waren immer nur Reinfälle, Katastrophen und Enttäuschungen und im Endeffekt verletzt man sich nur selbst noch mehr damit."

„Sicher kann man es nicht erzwingen, aber genauso wenig bewusst verhindern."

Anni sagte nichts, sie starrte nur stur hoch an die Decke. „Hat es was mit ihm zu tun? Mit Simon?" Ich bildete mir ein, dass sie bei der Erwähnung seines Namens eine Millisekunde zusammenzuckte. „Entschuldige. Es geht mich nichts an. Du musst mir nichts erzählen. Ich hatte nur den Eindruck, dass es dich sehr belastet ihn um dich zu haben."

„ Ja das ist auch so. Ich kann seine Anwesenheit nur schwer ertragen und das ist wahrscheinlich auch das Tragischste und Traurigste an der ganzen Geschichte. Eine Beziehung zu beenden ist die eine Sache, aber in unserem Fall hat es eben auch bedeutet den engsten Vertrauten, die wichtigste Bezugsperson und eine Freundschaft aus Kindertagen zu verlieren. Simon war auch Sebastians Freund. Wir drei waren immer sehr eng von klein auf. Unsere Leben waren so miteinander verflochten, dass der einzige Ausweg ein deutlicher, klarer Cut war. Aber immer wenn ich jetzt spüre, wie fremd er mir geworden ist, dann ist das schmerzhaft und ich habe auch das Gefühl ein weiteres Stück von meinem Bruder dadurch verloren zu haben und auch von mir selbst. Ich bin nicht mehr die Anni von damals, nur manchmal wär ich sie verdammt gern wieder." Meine eigenen Worte taten mir weh, weil sie so wahr waren. Er sagte eine Weile nichts, streichelte nur federleicht über meine nackte Haut.

„ So geht es uns allen manchmal. Mir auch. Aber wenn ich lang genug darüber nachdenke und mich genauer erinnere, dann verstehe ich oft , warum mein Weg anders verlaufen musste, als ich es erwartet oder mir gewünscht habe. Dieser Schmerz gehört dazu. Stell dir einen Menschen vor der keinen Kummer kennt, keine Verletzungen und Verluste erfahren hat und nie gescheitert ist? Ich weiß nicht, ob einen das wirklich weiter bringt. Unsere ganze Existenz beruht doch darauf zu lernen und zu wachsen."

„Ja da ist was dran. Und ich hab wahrscheinlich dadurch verinnerlicht, besser auf mich aufzupassen. Nur die Umsetzung ist oft sehr holprig."

„Die Annie von damals, hat sie sich zu schnell verliebt?"

„Nein, nicht zu schnell, sondern zu naiv, wahrscheinlich. Sie hat sich verbogen und sich fast verloren...Ich denke, ich fürchte mich seitdem davor, wieder einen anderen Menschen zu brauchen um mich vollständig zu fühlen und auch davor mich für die Gefühle eines anderen Menschen verantwortlich zu fühlen. Deshalb hat danach nie irgendwas richtig funktioniert. Weil ich durchaus Halt gesucht habe, aber gleichzeitig nichts zu Festes zulassen wollte und bevor irgendwas kaputt gehen konnte, hab ich es lieber selber kaputt gemacht."

„ Du wirst auch daraus wieder lernen und es besser machen können. Nichts ist umsonst. Ich wollte gar nicht so tief bohren. Ich will dich nur verstehen, Anni." Ich lächelte zaghaft. „Na dann viel Erfolg. Ich versteh mich selber nämlich ziemlich oft nicht. Eigentlich wollte ich nicht mal bei dir klopfen und jetzt..." Sie hob den Kopf. Das Holz steht immer noch im Flur, oder? Das sollten wir reinholen, wenn ich gehe. Meine Mutter wird sonst Fragen stellen. Sie hat ein Radar für sowas"

„Ich hol es gleich rein, aber willst du nicht bleiben? Du hast doch sogar dein Schlafshirt schon dabei", neckte ich sie.

„Du meinst ich soll hier schlafen?"

„Spricht was dagegen? Du willst doch nicht ernsthaft nochmal raus? Da ist es schrecklich kalt und ungemütlich." Ich machte ein übertrieben entsetztes Gesicht und konnte sehen, wie ihr Widerstand bröckelte. „Wenn das jemand aus meiner Familie spitzkriegt, werden sie mich ausquetschen wie eine Zitrone und..."Ich legte meine Hand unter ihr Kinn und strich mit den Daumen über ihre Unterlippe. Dann küsste ich sie. Sehr intensiv, aber auch sehr kurz. Es war bewusst ein sehr unbefriedigender Kuss. Sie seufzte etwas gequält. „Dein Versuch mich auf diese Art zu beeinflussen ist sehr durchschaubar und unfair." „ Und funktioniert es?" Sie schlang ihre Hände um meinen Kopf und presste ihre Lippen fest und nachdrücklich auf meine. „Natürlich funktioniert es." „Meine Selbstbeherrschung ist heute bröseliger als ein vertrockneter Keks.", stöhnte sie und küsste mich nochmal. „Heißt das jetzt ja oder ja?", fragte ich ein wenig atemlos. „Es heißt überredet, aber über deine Methoden müssen wir nochmal sprechen." Sie schälte sich aus meinen Armen und krabbelte aus dem Bett. „Was machst du? Ich dachte du bleibst?" Sie hob mein T-Shirt vom Boden auf und schlüpfte hinein. „Feuer. Wenn ich schon mal eine Nacht in so einem schicken Zimmer mit Kamin und Schnickschnack verbringen darf, dann will ich es auch schön haben."

„Ach du bist nicht scharf auf mich, sondern nur auf mein Zimmer? "

„Natürlich. Was dachtest du denn?"

„Soll ich dir helfen?"

„Nein lass mal. Bleib liegen. Ich mach das schon. Für heute hast du schon genug Feuer entfacht." Ich rollte lachend mit den Augen und sah ihr dabei zu wie sie den Korb hereinschleppte und das Holz fachmännisch in den Kamin schichtete. Ich genoss es, sie dabei zu beobachten, wie sie sich bewegte und ihre Nase kräuselte, als es beim ersten Versuch nicht direkt brannte. Wegen mir hätte sie sich die Mühe gar nicht machen müssen. Meine Emotionen brannten stärker als jedes Feuer. „Ich wusste ja gar nicht, dass du so romantisch veranlagt bist.", sagte ich, als sie wieder neben mir lag und ich ihre kalten Hände und Füße wärmte. „Bin ich auch nicht. Absolut nicht. Ich hab nur keine Lust zu frieren.", entgegnete sie etwas schnippisch. „Natürlich.", schmunzelte ich und küsste sie auf die Stirn.

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