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Anni

Er sagte nichts weiter dazu. „Du siehst müde aus und solltest schlafen gehen.", meinte er nur und wandte sich ab. Das Feuer knisterte und knackte, als er ein paar Holzscheite nachlegte. In mir sträubte sich alles. Ich wollte diesen gemütlichen Platz nicht aufgeben. Mir war klar, was passieren würde, sobald ich alleine war und ich wollte nicht wieder meinen Gedanken ausgeliefert sein. Sie würden mich wach halten und quälen. Ich wollte dieses winzige bisschen Wärme, das in meinen Körper zurückgekehrt war noch nicht gehen lassen. „Nein gar nicht, behauptete ich und gähnte gleichzeitig." „Sehr überzeugend.", schmunzelte Simon. „Anni du kannst ruhig nach oben gehen und dich hinlegen. Ich such mir einfach hier ein Plätzchen und komm dir nicht zu nahe, keine Panik." Er deutet zu der kleinen Stiege, die nach oben in die Schlafkammer führte. „Du solltest die Tür nur besser offen lassen, damit du etwas mehr von der warmen Luft abkriegst. „Also das ist...darüber hab ich gar nicht...das ist es nicht.", druckste ich herum. Dann richtete ich mich etwas auf und schüttelte energisch den Kopf. „Das ist Quatsch. Wo willst du denn hier bitte schlafen? Etwa auf der harten kleinen Bank oder auf dem Fußboden? Wir können da oben wirklich genug Sicherheitsabstand einhalten, mich stresst das nicht. Ich hab ganz andere Gründe, warum ich mich nicht hinlegen will. Das hat nichts mit dir zu tun. Oder zumindest nicht so wie du denkst." Etwas beschämt schlug ich die Augen nieder. „Ich fühle mich gerade ein winziges bisschen besser, aber sobald ich mit mir allein bin, wird der Spuk wieder von vorne losgehen. Ich mach eh keine Auge zu und würde lieber hier bleiben." Es fiel mir nicht leicht das vor Simon einzugestehen und indirekt um seine Anwesenheit zu betteln. Als ich den Blick vorsichtig hob, schaute er mich direkt an. Nachdenklich, forschend und vielleicht auch etwas überrascht. „Dich hat's richtig erwischt oder? Weißt du, ich kenne das. Damals als... was ich sagen will ist, ich konnte monatelang nicht vernünftig einschlafen. Abends wenn alles still wurde, war es immer am Schlimmsten. Tagsüber kann man sich meistens ablenken und beschäftigen, aber nachts da funktioniert das nicht." Er redete nicht weiter und auch wenn ich aus seinen Worten nicht mal einen Hauch von Vorwurf heraushören konnte, war es trotzdem nicht angenehm zu hören. Auch ich hatte schon oft Menschen verletzt, sehr verletzt. Nicht mit Absicht, sondern aus Unbedachtheit oder Gedankenlosigkeit, oder aus einer eigenen Not heraus. Simon war das Beste Beispiel dafür. Ich schwieg und kaute auf meiner Unterlippe herum. „Wenn du magst und es dir hilft, dann unterhalten wir uns oben einfach noch weiter? Vielleicht schläfst du doch irgendwann ein. Ich kann dir ja nochmal was über Lieferengpässe erzählen, dann wirst du in Rekordzeit in Tiefschlaf fallen." Er lächelte mich aufmunternd an und ich musste tatsächlich zurück grinsen. „Na schön, aber erst muss ich noch Zähneputzen. " Ich kramte in einer Schublade herum und beförderte tatsächlich eine halbleere, verbeulte, eventuell schon fast antike Tube Zahnpasta hervor und ging damit zur Spüle. In Ermangelung einer Zahnbürste putzte ich mit dem Zeigefinger und spülte mit eiskaltem Wasser gründlich nach. Dann stapfte ich nach oben, holte Bettzeug aus der alten Holztruhe und bezog es für Simon und mich. Es gab hier oben aktuell nur eine Art großes Matratzenlager und ich richtete es so ein, dass genug Platz zwischen uns blieb. Normalerweise standen hier auch noch zwei einzelne, Holzbetten herum, aber die waren am Ende des Sommers wegen Altersschwäche rausgeflogen und noch nicht ersetzt worden. „Echt schade um die schönen, alten Betten.", murmelte ich als Simon den Raum betrat. „Ja ich weiß, aber die sind wirklich hinüber und nicht mehr zu retten. Ich werde euch wunderschöne neue bauen, wie die alten nur besser. Deine Oma hat da sehr konkrete Vorstellungen." Er lächelte. „Du hast ja schon alles hergerichtet. Na dann." Er ließ sich auf seinen Platz fallen. Zwei Matratzen Puffer lagen so zwischen uns. Ich machte die Lampe aus, legte mich hin und deckte mich zu. Hier oben hörte man den Wind um die Hütte pfeifen. Ob es immer noch schneite? Vermutlich schon. Die Dunkelheit hatte den Vorteil, dass Simon mich nicht sehen konnte. Er bekam Gottseidank nicht mit, wie ich meine Nase im Kragen von Michis Pullover vergrub und ganz tief einatmete, weil er so gut und tröstlich nach ihm roch. Weil ich mir eine Sekunde lang vormachen wollte, alles sei gut. Weil er mir fehlte, ich ihn aber gleichzeitig auf keinen Fall sehen wollte. „Wie still es hier ist. So still, dass man jeden Windstoß draußen hören kann. Das ist sehr gemütlich und beruhigend, findest du nicht?" „Mmm, ja schon. Es gibt nur einen signifikanten Unterschied zwischen Stille und Ruhe für mich. Stille ist das was von außen kommt, oder halt eben nicht und Ruhe ist das was man in sich fühlt." „Und du fühlst das gerade nicht?" „War der Deal nicht ein Gespräch über deine Lieferengpässe? Habt ihr kein Holz mehr in der Schreinerei? Nicht dass Oma ihre Betten nicht rechtzeitig kriegt."

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