11.

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Anni

„Soll ich dich wirklich nicht fahren?"

„Sicher nicht. Vronal! Wir haben zu viel getrunken." Ich kicherte und schüttelte energisch den Kopf.

„Aber der Josef kann dich doch..." Ich winkte ab. „Auf gar keinen Fall. Der bringt doch grad die Valentina ins Bett und außerdem regnet es auch Kaum noch. Bis ich daheim bin ist mein Schwips dann hoffentlich auch verschwunden." „Schwips ist ein ziemlich albernes Wort, nicht wahr? Wo das wohl herkommt und was ist der Plural von Schwips?" Vroni giggelte und zog dann die Stirn in nachdenkliche Falten. Ihrer Art zu reden nach, war sie noch weitaus beschwipster als ich. „Der Plural ist Schwipse und es kommt aus dem Österreichischen. Schwippen heißt da so viel wie Schwanken."

„Du bist und bleibst eine alte Klugscheißerin. Schwips sagt man bei uns aber eh ned. Da heißt das Rausch und ein kleiner, winziger Rausch ist ein Raischerl." Ich verdrehte die Augen „ Gut dass du mir das jetzt erklärst und ich nicht dumm sterben muss. Mit dieser Lektion Bayerisch für Traditionalisten schließen wir jetzt dann auch den Abend, würd ich sagen." „Weiß man ja nie was du alles verlernst, wenn du dauern fort bist." Sie drückte mich und küsste mich auf die Wange. „Komm gut heim und lass dich mal wieder sehen, ja? Also nicht erst in fünf Wochen oder so. Und untersteh dich und hau einfach wieder ab. Du bleibst jetzt da, bis die Welt sich wieder beruhigt hat." „Ist gut. Chefin. Und du schaust jetzt, dass du in dein Bett kommst, du beschwipste Nuss." Wir alberten noch ein bisschen herum und als ich mich schließlich auf den Weg machte und Vroni im Haus verschwunden war fühlte ich mich für einen Moment sehr alleine. Sie hatte ihr kuschliges Zuhause, ihren Mann den sie liebte und ihre kleine Tochter mit den Löckchen und der süßen Mickymaus-Stimme und ich? Was hatte ich schon im Vergleich? Die trügerischen Glücksgefühle, die der Alkohol meinem Hirn vorgegaukelt hatte, verflogen rasend schnell. Ich fröstelte und zog das Tempo an. Als hätte das Wetter nur darauf gewartet, dass ich ihm schutzlos ausgeliefert war, öffnete genau jetzt der Himmel seine Schleusen wieder und es begann heftig zu schütten. Das Wasser peitschte mir förmlich ins Gesicht. Ich hielt mit beiden Händen meine Kapuze fest, senkte den Kopf und kämpfte mich durch die Regenflut. Du wolltest doch immer frei sein, Anni. Vergiss das nicht. Die Zeiten ändern sich auch wieder und dann wirst du das alles nicht mehr so herbeisehnen. Außerdem hast du ein kuscheliges Zuhause, in dem jemand auf dich wartet. Auch wenn es nur die Mama ist. Sie hatte mir sogar eine Nachricht geschickt, dass sie die Sauna eingeheizt hatte. Es war zwar schon stockdunkel, aber noch nicht sonderlich spät, überlegte ich. Ich würde mich in der Sauna aufwärmen und dann vielleicht noch Mike ein paar Zeilen schreiben. Vroni hatte mich endlos damit zugetextet, dass ich endlich einem Treffen zustimmen sollte und versucht alle meine Zweifel zu entkräften. Du hast ja nichts zu verlieren. Oh doch das hatte ich sehr wohl. So komisch das klang, aber Mike war in dieser blöden Zeit zu einem meiner wichtigsten, vielleicht sogar zu meinem wichtigsten Ankerpunkt geworden. Und ich war eventuell ein bisschen verliebt in dieses Ding zwischen uns. Es tat gut, brachte Licht in meine Tage und es war unschuldig und wunderschön. Ich wollte es nicht anrühren oder gar kaputt machen. „Ich bin auch froh, dass es dich gibt.", flüsterte ich nachdenklich in den Regen. Dieser letzte Satz den er geschrieben hat, der hallte schon den ganzen Tag in mir nach. Ich wollte die Dorfstraße überqueren und verzog das Gesicht, als ein vorbeifahrendes Auto einen Schwall Wasser direkt vor mir hochspritzte. Der Wagen dahinter hatte wohl Mitleid und hielt an um mich über die Straße zu lassen.

„Anni?" Ich sah kaum was, blinzelte nur vorsichtig auf die schlecht beleuchtete Straße Mein Gesicht war ganz nass und die Straßenlaternen waren nur eine sehr dürftige Lichtquelle, aber die Stimme erkannte ich sofort. Es war Simon. „Komm hüpf rein. Willst du heim? Dann fahr ich dich schnell." Ich zögerte wollte erst ablehnen, aber erstens war es wirklich extrem ungemütlich und zweitens wär es mir auch sehr albern vorgekommen, abzulehnen. Also huschte ich zur Beifahrerseite und stieg mit etwas gemischten Gefühlen ein. „Danke. Ich war bei Vroni und kaum war ich aus der Tür draußen gings schon los." Ich wischte mir übers Gesicht. „Bah." Das Wasser perlte immer noch von meiner Jacke und ein Teil meiner Haare war klatschnass. Er fuhr los. „Du magst Regen doch so gerne, dachte ich." Ohne ihn anzusehen konnte ich hören, dass er grinste. „Ja schon. Erfrischenden Sommerregen oder duftenden Frühlingsregen, leisen Nebelregen im Herbst oder Fensterklopfregen, wenn ich im warmen Bettchen liege, aber das ist ja Weltuntergang" Genau in diesem Moment schleuderte eine Windböe eine ganze Kübelladung Wasser gegen die Frontscheibe. Simon lachte. „ Siehst du. Er klopft doch an."

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now