Trรคnenblind

By pasulmitsucuk

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Odesa ist nicht nur eine herzhafte Bรคckerin mit vielen leckeren Rezepten. Sie ist auch eine hoffnungslose Rom... More

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By pasulmitsucuk

Odesa
Düsseldorf
August 2022

»Ich werde nicht sprechen.« Genervt legt der Polizist sich seine Hand auf die Schläfe. Ich befinde mich in der Polizeiwache. Dieser Raum ist kahl und leblos. Der Stuhl auf dem ich sitze, ist mehr als nur unbequem. Und selbst im August ist es eiskalt hier drinnen. Seufzend reibe ich meine Hände warm. Eine Woche ist vergangen. Nachdem ich stillstarrend zugesehen habe, wie Agon mit seiner Tochter verschwand, habe ich meine Eltern angerufen. Sie haben mich sofort abgeholt und getröstet. Es ist soviel passiert und es hatte lange gedauert, bis ich die Ereignisse verdauen konnte. Es sind Menschen gestorben. Unwohl fahre ich mir über die Arme. Nächtelang habe ich um tote Seelen geweint. Seelen, die ich nicht einmal kannte und jetzt sitze ich hier, um über sie zu sprechen? Es fühlt sich falsch an, diese grausamen Erinnerungen zurückzuholen, um dann mit Indifferenz behandelt zu werden.

Ich bin erst seit gestern wieder zurück. Die Zeit, die ich bei meinen Eltern verbracht war kurz und das war auch gut so. Meine Mutter hatte darauf beharrt, dass ich länger bleiben soll, aber ich wollte nicht. »Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie sich vor wenigen Minuten dazu bereit gestellt haben zu kooperieren.« Ich verdrehe meine Augen. Ich habe auch nach einem Glas Wasser gebeten, aber man kriegt nicht alles was man sich wünscht. »Das stimmt zwar, aber ...« Der Polizist wirft sein Stift auf den Tisch. Zähneknirschend seufze ich auf. Etwas Geduld würde ihm nicht schaden. »Solange es Herr Sulej ist mit dem ich spreche.«, erwidere ich mit zuckenden Augenlid. »Das ist wirklich kindisch.« Ich haue auf den Tisch.

»Kindisch? Haben Sie diese Menschen aus einer brennenden Bäckerei rausgezogen? Mussten Sie sehen, wie Menschen erschossen wurden? Wo waren Sie überhaupt? Wollen Sie mir weiß machen, dass niemand im Umkreis der Umgebung die Schüsse gehört hat?« Feuriger Atem verlässt meine Lippen. Meine laute Stimme hallt noch im Raum und der Polizist schweigt. »Sie waren viel zu spät! Hätte ich keine Lösung gefunden, dann wären es über ein Dutzend verbrannte Leichen, die auf dem Boden liegen würden. Dazu auch noch die eines Kindes. Also sagen Sie mir nicht, was kindisch ist und nicht. Machen Sie einmal ihre Arbeit richtig und schicken, verdammt nochmal, Herr Sulej zu mir.« Meine Hände zittern vor Wut. Für wenige Sekunden ist es still. Kindisch, dass ich nicht lache. Seufzend erhebt er sich. »Wie Sie es wünschen.« Ich nicke müde. Ich will doch nur meine Ruhe. Der Polizist verlässt den Raum und für die nächste halbe Stunde bin ich allein, gefangen in einer endlosen Schleife von Schüssen und schwarzem Rauch.

Die Tür öffnet sich. Ich starre auf den Tisch. Ich traue mich garnicht nach oben zu schauen. Ist das der Zeitpunkt? Ändert sich jetzt alles? Ich frage mich, wie es ihm geht. Wie es ihr geht. Wie er sich wohl verändert hat? An dem Tag, hatte ich nicht die Möglichkeit, ihn wirklich zu betrachten. Ich sollte mich nach einer Möglichkeit nicht einmal sehnen. Unmerklich schüttle ich den Kopf. Ist er genauso überrascht mich zusehen, wie ich es bin? Meine Fingerkuppen kribbeln. Warum bin ich so aufgeregt? Er ist es wahrscheinlich nicht. Ich atme tief ein. Das was ich tue, es ist nicht richtig. Es ist so, als ob mein Herz wieder im Körper der naiven sechzehnjährigen Odesa steckt. Seine Anwesenheit sollte mich nicht so aus der Fassung bringen und trotzdem traue ich mich nicht, meine Augen auf ihn zu legen. »Odesa.« Enttäuschung. Enttäuschung macht sich in mir breit und wütend beiße ich mir auf die Lippen. Ich blicke in pechschwarze Augen. »Adem.«, begrüße ich ihn räuspernd. Der große Mann lächelt mich sanft an.

Adem Sulej.

Er ist Kommissar, mittlerweile 26 Jahre alt und ledig. Dazu ist er noch Agon's älterer Bruder. Seine dunkelbraunen Haare sind nach hinten gekämmt und sein enges schwarzes T-Shirt spannt sich über seinen Bizeps. »Du bist nicht der, den ich erwartet habe.«, gebe ich zu. Adem's Augen funkeln leicht belustigt. »Mein Bruder ist beschäftigt.« Ich verkneife mir ein schnauben. »Natürlich ist er das.«, erwidere ich lediglich und Adem's Mundwinkel zucken. Es erinnert mich an ihn. Es ist fast schon lustig. Adem und Agon könnten nicht unterschiedlicher aussehen und sein, doch trotzdem findet man die Gemeinsamkeiten. Man merkt, dass sie Brüder sind. »Wie geht es dir?« Langsam setzt Adem sich vor mir hin und schaut mich eindringlich an. »Angemessen.«, presse ich zähneknirschend heraus. Es macht mich wütend, dass Agon mir aus dem Weg geht. Eine Sache die Adem weiß, aber gewissenhaft ignoriert. Ich kratze meine Wange. »Du bist gewachsen.« Adem's Art mir ein Kompliment zu schenken. Eine Röte bildet sich auf meinen Wangen.

Unsere erste Begegnung war ungeplant und ziemlich peinlich für mich. An Agon's 16. Geburtstag wollte ich um Mitternacht in sein Zimmer reinschleichen. Ich bin dann aber im falschen Zimmer gelandet. Es war wirklich sehr unangenehm. Ich glaube er erinnert sich gerade auch daran. »Du auch.« Eine Untertreibung. Adem war schon immer groß und breit. Seine autoritäre Persönlichkeit hat mich immer eingeschüchtert. Ich blinzle den Tisch an. Ich konnte ihm eine lange Zeit nicht in die Augen schauen. »Odesa.« Ich schaue hoch. »Ja?« »Du fällst schon wieder.« Ich lächle. Ich tue es oft. Ich falle in meine Gedanken, Tagträumen und verliere mich dort. Meine Eltern meinten immer ich fantasiere zu viel. Adem war der Erste, der es den Fall genannt hat. Ich fand diesen Begriff beruhigend. Im Gegensatz zu meinen Eltern, hatte er mein Fall nie ins Lächerliche gezogen.

»Ich muss mich bei dir bedanken.«, sagt er plötzlich und mein Lächeln fällt. »Das ist nicht nötig.« Ich besitze großen Respekt gegenüber Adem. Er war wie ein großer Bruder für mich. Das er sich bei mir bedanken muss, fühlt sich falsch an. »Odesa.«, setzt er an und ich schüttle den Kopf. »Es ist nicht nötig.«, wiederhole ich. Er zieht seine Augenbrauen zusammen. »Du hast meine Nichte gerettet und dafür stehe ich in deiner Schuld.« Ich halte den Atem an. Meine Hüfte brennt. Warum brennt meine Hüfte? Tränen bilden sich in meinen Augen. Ich schüttle den Kopf. »Es tut mir Leid, Adem.« Schniefend halte ich mir eine Hand vor dem Mund. Ich schaue tränenblind auf mein Schoß und verkrampfe meine Hand. Ich höre wie ein Stuhl sich bewegt. Ich unterdrücke ein leises Schluchzen. Ich muss mich zusammenreißen. Ein Glas Wasser befindet sich plötzlich in meiner Sicht. Langsam schaue ich hoch und sehe in Adem's schwarze Augen.

»Hör auf zu weinen.« Ich pruste schniefend und nehme dankend das Wasser an. Seine leicht herrische Art erinnert mich an Agon. Nur wirkt Adem verwirrt. »Ich hätte euch sofort anrufen sollen.«, murmle ich. »Dann hätte Dea das nicht miterleben müssen. Ich habe ihr erstmal was zu Essen gegeben und gewartet. Es ist meine Schuld, Adem.«, flüstere ich. Ich höre wie er nachdenklich seufzt. »Dich trifft keine Schuld. Tief im inneren weißt du das.« Ich blinzle meine Tränen weg. »Geht es ihr gut?«, frage ich heiser und er nickt. »Sie besitzt ein wirklichen schönen Namen, findest du nicht?" Ein großes Lächeln legt sich auf meine Lippen. »In der Tat.«, murmle ich. Adem's ruhige Ader ist ein Geschenk. Er war schon immer der Diplomat, der Anführer und der Allwissende. Agon war im Gegensatz zu Adem laut, mutig und fast schon wild.

Wenn Agon ein Krieger ist, dann ist Adem der König, dem er dient.

»Ich möchte dir ein paar Fragen stellen.« Ich nicke seufzend. Adem setzt sich wieder vor mich hin und betrachtet sein Notizheft. »An was kannst dich noch erinnern?«, fragt er mich. Die Sanftheit ist aus seinem Gesicht verschwunden. Nun sitzt der autoritäre Kommissar vor mir. Ich schlucke. »Rauch.«, murmle ich. Überall war schwarzer Rauch. Benebelt waren meine Augen. Oftmals verlor ich die Sicht auf Dea. Ihr Schluchzen hallt immer noch in meinen Ohren. Ich schließe überanstrengt meine Augen. »Lass dir Zeit.« Ich nicke müde. »Schreie.« "Bitte tun Sie mir nichts!" Eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. Der Geruch vom brennenden Fleisch hat meine Geruchssinne betäubt. Ich wimmere. »Da war eine Frau, sie hat gebetet ... sie wurde erschossen.« Adem nickt. »Weißt du wie sie heißt?« Ich schüttle den Kopf. »Ich war gefallen. Für ein Moment.«, gebe ich schwach zu. »Ich weiß nur noch, wie ich versucht habe die Polizei anzurufen, aber erwischt wurde.« Ich erinnere mich noch an diese toten Augen, die so befriedigt gefunkelt haben. Es hat sie alle befriedigt. Ihre schattenmächtigen Seelen ertranken vor Lust in das Leid der Unschuldigen.

"Mutiges Mädchen." Diese so unheimliche Stimme, die der des Teufels glich. Ich zucke zusammen. Bilder spielen sich in meinem Kopf ab. Blut, Feuer, Rauch. Schüsse, Schreie und Schluchzer. »Odesa, beruhige dich.« Ich öffne abrupt meine Augen. »Er hatte ein Tattoo. Ein Skorpion.« Adem blinzelt mich aufmerksam an. »Am Handgelenk. Es war ein Skorpion, ich sag es dir!«, keuche ich. Warum bin ich so außer Atem? Ich fahre mir unwohl über die Oberarme. »Sie haben dich angeschossen, liege ich da richtig?« Ich nicke schluckend. »Streifschuss. Ein großer Schnitt. Ich lebe ja noch.« Er nickt und notiert sich etwas. »Brandverletzungen zweiten Grades?« Ich schließe meine Augen. Der Geruch von verbrannter Haut ist terrorisierend und anderseits auch ernüchternd. Langsam nicke ich. »Du hast 13 Menschen aus einer brennenden Bäckerei rausgeholt. Das ist bemerkenswert.« Ich sehe müde in seine Augen. »Zwei Menschen sind gestorben und 5 liegen im Krankenhaus aufgrund einer Rauchvergiftung.« Er schweigt. »Sie konnten nicht einmal beerdigt werden, Adem.« Tränen kullern über meine Wangen. »Sie werden nie ihren Frieden finden können.«

»Odesa ...« Ich wische mir über die Wangen und schniefe leise. »Sie haben auf einer anderen Sprache miteinander kommuniziert. Ich glaube es war arabisch.« Adem zieht seine Augenbrauen zusammen. Das ich abrupt das Thema wechsle, nimmt er einfach so hin. »Wie viele Männer waren es?«, fragt er mich ruhig und blinzelt nachdenklich. »Drei. Sie waren sehr groß und hatten alle Gewehre in der Hand.« Er nickt und notiert sich etwas. »Noch etwas wichtiges?« Ich schüttle den Kopf. Mittlerweile, habe ich viele Einzelheiten vergessen. Wenn ich über dieses Ereignis nachdenke, erscheinen nur grausame Bilder in meinen Kopf.

»Odesa.« Ich schaue in pechschwarze Augen hoch. »Ja?« Er seufzt. »Gibt es jemand in deinem Leben, der es vielleicht auf dich abgesehen hat?« Ich verenge meine Augen. »Was soll das denn heißen?« Adem kratzt sich an seinem Dreitagebart und beißt sich auf die Lippen. »Jemand, der dich nicht mag. Jemand mit dem du dich nicht verstehst. Der dir vielleicht gedroht hat?« Ich erstarre. Eine eiserne Kälte benetzt meine Haut. Plötzlich höre ich ein leises Stöhnen in meinem Ohr. Ich spüre wie eine Hand zwischen meine Beine gleitet. Aus dem nichts, stecke ich in dem beschmutzten Körper. Ich stecke in der Nacht fest, genauso wie ich in seinen Armen feststecke. Ich verkrampfe mich. »Odesa?« "Du verdammte Schlampe!" Ich zucke zusammen. »Nein, es gibt niemanden.« Misstrauisch zieht Adem eine Augenbraue in die Höhe. "Ich werde dich finden. Ich weiß wo du wohnst, vergiss das nicht." »Sicher?«, hakt Adem nach. »Sicher.«

Ich stehe vor der Polizeiwache. Vor wenigen Minuten hat Adem sich von mir verabschiedet und jetzt bin ich wieder alleine. Am liebsten würde ich einfach wieder zu meinen Eltern fahren. Ich fühle mich hier einfach nur unwohl. Ich möchte mich in meinem alten Kinderzimmer einschließen und nie wieder rauskommen. In der Küche meiner Eltern die Utensilien rausholen und für sie backen. Ich liebe das Backen. Es ist die einzige Sache, die mir Vollkommenheit schenkt. Ich kann alles um mich herum vergessen und mich nur auf das Gefühl von Mehl auf meinem Fingerkuppen konzentrieren. Eine dunkle Wolke legt sich über meinen Kopf. Der Gedanke meine Bäckerei zu besuchen verdreht mir den Magen. Schreie, Schüsse und Schluchzen. Plötzlich brennt meine Haut. Warum brennt sie? Ist das Rauch in meiner Kehle? Ich nehme tief Luft und zähle bis Zehn. Meine Hände zittern und Bilder tauchen in meinen Kopf auf. Die Sonne tanzt auf meiner Haut und ruhig schließe ich meine Augen. Manchmal ist zu fühlen, dass einzige was einem Ruhe schenkt. Und manchmal ist es das, was Chaos in dir herbeiruft. Ich hatte das Privileg nur die Ruhe zu spüren. Langsam öffne ich meine Augen und sehe, wie ein kleines Mädchen in großen Schritten auf mich zu rennt.

»Odesa!« Schmale Arme legen sich fest um meine Taille. Ihr schmaler Körper drückt sich gegen mich und ein Seufzer verlässt meine Lippen.

Die kleine Dea.

Fest erwidere ich ihre Umarmung. Erleichterung macht sich in mir breit. »Wie geht es dir?«, frage ich das kleine Mädchen und sie löst sich langsam von mir. »Gut!« Ich bin so froh, dass es ihr gut geht. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ihr etwas passiert wäre. Warm lächle ich sie an. »Babi hat mich hier hingebracht, damit ich Zeit mit Agji verbringe.« Mein Lächeln fällt. Urplötzlich ändert sich die Atmosphäre zwischen uns. Die starke Sonne bringt mich leicht zum schwitzen und der Wind hört auf zu wehen. Meine Fingerkuppen kribbeln. Ich spüre seine Präsenz. Wie er immer näher kommt. Seine Schritte vibrieren auf dem Boden und ich nehme tief Luft. Ich sehe hoch und erstarre. Grün trifft auf Braun. Ich bin gefangen in dem Moment. Seine Anwesenheit nimmt mir jede Luft weg. Mein Herz tobt in der Brust und in meinem Bauch finden viele kleine Stromschläge statt.

Selbst nach all den Jahren hat seine Anwesenheit noch so eine starke Wirkung auf mich. Meine Lippen sind unfassbar trocken, daher lecke ich sie feucht. Agon's Augen blinzeln runter zu meinen Lippen und wieder hoch zu mir. Sie scheinen einen Ton dunkler zu strahlen. Meine Hände zittern leicht. Was passiert mit mir? Mein Körper steht unter Strom. Jeder Ader von mir kribbelt und zieht. Sie sehnt sich nach ihrem Tränendieb. Eine Gänsehaut legt sich auf meinem Nacken und mein Puls rast. Meine Augen wandern über seine dunkelblonden Haare. Sie sind ordentlich nach hinten gekämmt und nur eine einzelne Strähne fällt ihm ins Gesicht. Meine Augen wandern über seine vollen pinken Lippen. Ich beiße mir auf meine eigene Unterlippe. Seine spitze Nase und sein markanter Kiefer stechen so schön heraus. Über seinem linkem Auge befindet sich eine ausgeprägte Narbe, die hatte er schon als kleines Kind. Aber mittlerweile schreit alles nach ihm Mann. Er ist noch mehr gewachsen. Seine Schultern sind breiter, als sie es in seiner Schulzeit waren und an gewissen Stellen auf seiner Haut kennzeichnen sich Tattoos. Er besitzt schöne trainierte Beine und ich kann nicht anders als mich selber zu zwicken. Agon ist ein unfassbar schöner Mann, alles nach ihm schreit Testosteron und Schweiß. Doch selbst in seinen leeren Augen versteckt sich etwas jugendliches.

Und wieder erkennt man den großen Unterschied zwischen den Sulej Brüdern. Und das nicht ohne Grund. Sie besitzen zwar denselben Vater, jedoch nicht dieselbe Mutter. Und das macht sich in Agon's äußerlichen Merkmalen immer wieder erkennbar.

Dea zieht an meinem T-Shirt und eilig sehe ich wieder zu ihr runter. Wie hypnotisiert reibe ich mir leicht über die Augen. Mein Herz hat sich immer noch nicht beruhigt. »Du hast mir garnicht zugehört.« Vorwurfsvoll blinzelt sie mich an. Gerade möchte ich etwas ansetzen, doch eine tiefe und raue Stimme unterbricht mich. »Dea, geh schon mal hoch, dein Onkel wartet auf dich.« Seine Stimme ist flüssiges Gold, welche meine Ohren segnet und doch besitzt sie etwas sehr hartes an sich. Meine Knie werden weich. Mein Körper ist ein Verräter. »Aber ...« Dea sieht mit großen Augen zu ihm auf. Agon's Gesichtszüge werden weich. Was ein rührender Anblick. »Jetzt.« Sein Befehl dudelt keinen Widerspruch. Ich lächle Dea an. »Geh schon! Dein Agji hat mir erzählt, wie sehr er dich vermisst.« Dea's Augen erhellen sich. »Wirklich?« Ich nicke bestätigend. »Aber du wartest hier, ich komme gleich wieder!«, befiehlt sie mir in ihrem kindlichen Ton und doch sehe ich die Gemeinsamkeit mit ihrem Vater. Ich salutiere und kichernd verabschiedet das kleine Mädchen sich vor mir. »Dea, schau nach vorne!«, ruft er ihr hinterher als sie auf die Polizeiwache losrennt.

Nun wir sind allein. Allein mit uns selbst. Ich bin gefangen in seiner Atmosphäre. Ich schwebe zwischen dem leichten Duft seines Parfüms und schwimme durch Farbe seiner Augen. Wir sind aneinander gefangen und doch getrennt. Ich traue mich nicht ihm noch einmal in die Augen sehen. Es wirkt so, als ginge es ihm genauso. »Du hast dich verändert.«, platzt es aus mir heraus. Das hat er wirklich. Das Licht in seinen Augen ist erloschen. Und es wirkt so, als würde sich reines Feuer in ihm anspannen. Damals konnte ich es mit meinen Tränen löschen, doch heute bändigt es zu viel Kraft. Ein Schritt weiter und es würde mich brennen. Agon räuspert sich. Er meidet es, mich anzuschauen. Er nickt. Warum kann er nicht mit mir sprechen? Ich sehe ihn an. Gott, ich bin so verzweifelt.

»Dea ist ein wunderschönes Mädchen. Ihr habt sie gut erzogen.« Er schnaubt. Diese Geste trifft mich unerwartet. Er wirkt so hart und aggressiv. »Hätte ich bei ihrer Erziehung auch nur eine Sache richtig gemacht, dann wäre sie nicht dort gewesen. Spar dir dein Mitleid.« Verletzt tapse ich ein Schritt zurück. In Agon's Augen huscht etwas Reue, doch in einem Wimpernschlag befindet sich dort wieder nur Leere. Wut fließt durch mein Blut. Nach allem was passiert ist, ist er nicht gewachsen? Er hat sich kein Stück verändert. Ich schlucke meine Wut runter. Manchmal ist es besser, die Menschen still mit Freundlichkeit zu töten. »Sie ist ein sehr tapferes Mädchen. Sie kommt darüber hinweg.« Agon knirscht mit den Zähnen. »Du kennst sie nicht einmal.« Betreten sehe ich auf den Boden. Er liegt nicht im Unrecht. Warum verbirgt sich soviel Hass in ihm? Was habe ich ihm getan? »Agon, es sind sechs Jahre vergangen. Können wir nicht wie normale Menschen miteinander reden?« Hoffnungsvoll blinzle ich ihn an. Besitzt er kein Herz? Ist er wirklich herzlos geworden? Welches Herz schenkt er seiner Frau und seiner Tochter? »Ich habe in der Zwischenzeit nicht geplant, auch nur ein Wort mit dir zu wechseln.« Es sollte mich nicht treffen, doch ein Teil meines naiven Herzens zieht sich zusammen.

Agon ballt seine Hände zu Fäusten und Tränen bilden sich in meinen Augen. »Halte dich von meiner Tochter fern. Ich will nicht, dass du mit ihr redest und erstrecht nicht, dass du sie umarmst. Hast du mich verstanden?« Er baut sich bedrohlich vor mir auf, doch hält trotzdem eine gewisse Distanz. Wie kann ein Mensch nur so verhasst sein? »Was ist aus dir geworden?«, flüstere ich tränennah und er erstarrt für eine etliche Sekunde. Gemischte Gefühle machen sich auf seinem Gesicht breit. Reue, Schuld, Leid und doch siegt am Ende der Hass. Er kommt mir ein bedrohlichen Schritt näher. Ich schreite leicht verängstigt einen zurück. Er kommt mir immer näher und plötzlich knallt mein Rücken gegen eine Laterne. Ich bin ihm ausgeliefert. Seine Brust ist Zentimeter von meiner entfernt und seine Körperwärme verleiht meiner Haut Hitzewellen. Seine Augen schreien nach Gewalt. Eindringlich sieht er mich an. »Hast du mich verstanden?« Er ist mir unfassbar nahe. Sein Atem schlägt gegen meine Nase und mein Herz tobt wild in meiner Brust. Mit trockenem Mund nicke ich leicht. Eine Sekunde sieht er mir noch in die Augen. Wir atmen beide geräuschvoll aus. Es wirkt so, als ob er mir noch einen Schritt näher kommen möchte, doch dann dreht er sich abrupt um.

Erleichtert atme ich laut aus. Was war das? Was tue ich hier? Warum wollte ich ihn unbedingt sehen? Was habe ich mir dabei gedacht? Mein dummes und tränenblindes Herz konnte nicht anders als vor Hoffnung zu schlagen. Ich bin so dumm. Er ist Vater und verdammt nochmal verheiratet! Ich muss mich zusammenreißen. Ich halte mir die Hand auf die Brust. Seine Nähe tut mir nicht gut. Wenn ich bei ihm bin, vergesse ich alles, was ich mir seit Jahren eingetrichtert habe. Ich brauche Abstand. Er hat recht, ich sollte mich von Dea fern halten, egal wie sehr es meinem Herzen schmerzt. Ich sehe wie Agon auf die Polizeiwache zugeht. Ein Sommergewitter befindet sich in ihm. Er ist gefangen in einem Ausmaß von Gefühlen. Er ist nicht der Agon, den ich mal kannte. Er ist nicht mehr mein Tränendieb. Ich setze einen Schritt nach vorne und fahre mir übers Gesicht. Plötzlich bin ich nicht mehr benebelt von Lust und Leid. Ich bin nicht tränenblind vor alter Liebe. Ich sehe die Dinge klarer. Ich weiß, was wirklich passiert ist. "Ich habe keine Mama." Meine Augen weitern sich und mit großen Schritten renne ich Agon hinterher.

»Agon!« Er bleibt mitten im Weg stehen. Doch er dreht sich nicht um. Außer Atem hechle ich. Meine Fingerkuppen zittern und mein Hals kratzt. »Was ist mit ihr? Wo ist Yara?« Die Welt bleibt um uns herum stehen. Ich spüre wie der Wind, der unsere Vergangenheit weggeweht hat, sie wieder zu uns zurück weht. Eine etliche Sekunde vergeht. Keine Antwort, keine Bewegung, nicht einmal ein Zucken verlässt Agon's Körper. Ich beiße mir überwältigt auf die Lippen. Ganz langsam dreht Agon sich um und ich verkrampfe mich. Purer Schock steht in seinem Gesicht geschrieben. »Was?«, frage ich heiser. »Du weißt es nicht.«, stellt er perplex fest. Mit großen Augen setze ich einen Schritt auf ihn zu.

»Yara ist vor fünf Jahren gestorben.«


Das geht an Alle die meinten Dea's Mutter wird zum Problem. Sie legt 3 Meter unter der Erde friends.

achja ... das Buch heißt TränenBLIND und nicht Tränenbild. Dankeschön!

MEINUNG ZU AGON

Achtet auf das Jahr am Anfang des Kapitels. Es wird nämlich mehrere Zeitlinien geben.

- 🤍🏹📓

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