EIN BRIEF ZU WEIHNACHTEN

By gologel

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❝Weihnachtsmann, ich hab dir einen langen Brief geschrieben, dass dich alle Kinder lieben und ich hoff...❞ ╰┈... More

𝐍𝐔𝐋𝐋 - die Charaktere
𝐄𝐈𝐍𝐒 - ein Brief zu Weihnachten
𝐙𝐖𝐄𝐈 - ein ganz gewöhnlicher WG-Tag
𝐃𝐑𝐄𝐈 - nächtliche Begegnungen
𝐕𝐈𝐄𝐑 - tänzelnde Spielchen
𝐅Ü𝐍𝐅 - ein Dinner mit dem Weihnachtsmann
𝐒𝐄𝐂𝐇𝐒 - der Elf im Mondlichtsee
𝐀𝐂𝐇𝐓 - böse Jungen bekommen keine Geschenke
𝐍𝐄𝐔𝐍 - der geheime Wunsch

𝐒𝐈𝐄𝐁𝐄𝐍 - Mandelcremelippen

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By gologel

𝐉𝐈𝐌𝐈𝐍 𝐒𝐓𝐑𝐈𝐂𝐇 𝐒𝐈𝐂𝐇 ein letztes Mal durch seine weichen Haaren. Er drückte seine Lippen leicht gegeneinander, die sich mit einem leisen Ploppen lösten, und atmete einmal tief ein. Er würde sich Kim Taehyung schnappen. Es konnte ja gar nicht anders kommen, schließlich war -

Die Tür wurde ihm vor der Nase aufgerissen und fast hätte Taehyung ihn umgerannt. Der Wichtel schrak auf und bevor er sich versehen hatte, hatte Taehyung ihn bestimmend zur Seite gedrückt und sich geduckt. Ein klatschnasses Handtuch klebte im nächsten Moment mit einem lauten "Patsch!" an der Wand.

"Entschuldige", sagte Taehyung mit einem einseitig hochgezogenen, grinsenden Mundwinkel. Wie konnte ein Mann nur so attraktiv sein?

Was hatte das Buch gemeint? Viele mochten subtile Anmerkungen mit einem Stück von Unverfrorenheit? Zum Beispiel wie...

"Ach, ich werde gerne gerettet", erwiderte Jimin und versuchte sich an einem verführerischen Wimpernschlag.

Sein Gegenüber zog eine Augenbraue hoch und sein charmantes Grinsen verwandelte sich in ein verschlagenes. "Gut zu wissen." Seine Augen suchten sofort den Weg zu Jimins und automatisch brach dieser den Augenkontakt ab. Das konnte er jetzt noch nicht, sein Herz schlug dafür noch zu schnell. Ob daran sein Schock oder der augenscheinlich geglückte Flirtversuch Schuld war, konnte er nicht bestimmen.

"Jimin ist hier!", verkündete Taehyung seinen Freunden, von denen freudige Töne der Begrüßung kamen.

Der Wichtel trat in den Türrahmen und begrüßte die beiden mit einem knuffigen Winken. Hatte er sich das gerade eingebildet oder hatte Jeongguk an ihm vorbei Taehyung ein vielsagendes Grinsen zugeworfen? Obwohl Jimin überhaupt nicht deuten konnte, was dieses Grinsen sagen sollte.

"Ich habe dir Stiefel mitgebracht", wandte er sich an Taehyung, der gegen den Türrahmen lehnte. 

"Wo geht's denn hin?", fragte dieser, nahm die Stiefel, die ihm der Wichtel entgegenhielt, aber bereitwillig an.

"Zu den Ställen", erzählte ihm Jimin aufgeregt, "da lernst du unsere Rentiere kennen!"

"Oh, wird dann auch geritten?", mischte Jeongguk sich ein. Ein komischer Unterton schwang verschleiert in seiner harmlosen Aussage mit, doch Jimin konnte ihre Bedeutung nicht einschätzen.

Yoongi hatte die Augenbrauen hochgezogen und Taehyung schmunzelte in sich hinein.

"Ich weiß nicht. Jimin, wird dann auch geritten?" Taes Stimmlage schwankte leicht durch seine Belustigung.

"Wir können schauen. Vielleicht geht's, ja", antwortete dieser leicht verunsichert. Irgendwas war im Busch. Er hörte es rascheln, er konnte die Blätter sich bewegen sehen, er wusste, dass da etwas war, aber er konnte es nicht greifen.

"Dann dabei viel Spaß." Jeongguk zwinkerte ihnen zu und Yoongi biss sich auf die Lippen, schluckte welche Emotion er auch immer beinahe gezeigt hätte herunter.

Taehyung ging an Jimin vorbei ins Zimmer. Ihre Arme streiften sich lediglich für einen kurzen Moment, doch Jimin spielte diese beiläufige Berührung auf Dauerschleife in seinem Kopfkino ab, während der junge Student sich fertig anzog. Jimin bedauerte es ein klein wenig, dass sich dessen Körper in immer mehr Kleidungsschichten wickelte. 

Dafür standen seine Haarsträhnen aber auch sehr süß ab, als er sich die Mütze aufzog. Er hob seine Hand zum Abschied, Jimin winkte den anderen Jungen wieder zu und sie machten sich auf zu den Ställen. Jimin spürte seinen Puls steigen, jetzt, wo er alleine mit Taehyung war.

"Du siehst gut aus", bemerkte dieser auf einmal und warf wieder einen einschüchternd intensiven Blick auf Jimin.

"Oh, danke." Es waren nur zwei Wörter, aber Jimin hatte sich beinahe verhaspelt. Warte, das war die Möglichkeit für ein Gegenkompliment! "Du auch." Für einen Moment schaffte er es, Taehyungs Blick standzuhalten.

Dieser lächelte als Dank. "Hast du dich geschminkt?"

"Ja!" Jimin richtete sich erfreut auf. "Ich mag's, aber es gibt so selten passende Anlässe dafür. Meistens schminke ich mich nur an den Festtagen und dann auch aufwendig, weil's ja die Festtage sind. Für diese ganz dezenten, Einzigartigkeiten betonenden Looks findet irgendwie nie eine passende Besonderheit statt."

"Dann fühle ich mich umso mehr geehrt, dass meine Anwesenheit diese passende Besonderheit darstellt." Tae zwinkerte Jimin fröhlich zu und dieser spürte eine leichte Hitze in seinen Wangen aufsteigen.

Sie öffneten die große Eingangstür und Kälte schlug ihnen entgegen. Taehyung hielt Jimin die Tür auf und der Wichtel erinnerte sich daran, dass das im Buch als eine zuvorkommenden, wertschätzende Geste beschrieben worden war.

Warte - in dem Buch war auch etwas über intime Positionen geschrieben worden. Und eine davon hieß Reiter. Hatte Jeongguk etwa darauf Anspielungen gemacht?

"Alles ok, Jimin?" Taehyung beugte sich zu dem Wichtel. "Du siehst 'n bisschen schockiert aus."

"Oh ja, alles in Ordnung", murmelte dieser bloß. War er so auffällig gewesen? Hatten sie schon über ihn geredet und sich über ihn lustig gemacht? Schließlich war er nur irgendein Wichtel, der von der ersten Minute an Interesse an jemandem gehabt hatte, der in einer ganz anderen Welt lebte.

Jimin hatte in der Bibliothek schon viel über die Menschheit und ihre Lebenswirklichkeit gelesen. Wenn er in einer solchen Welt leben würde, würde er von Wesen wie ihm, die nur Friede-Freude-Eierkuchen kannten, nicht viel halten. Andererseits hatte Taehyung ihn gerade noch gutaussehend genannt und diese Anspielung von Jeongguk hatte nicht hämisch geklungen, sondern eher...

Der Wichtel quiekte auf, als urplötzlich eiskalter Schnee um seine Ohren flog und in seiner Jacke seinen Nacken hinunterglitt. Er schüttelte sich energisch und schrie ein anklagendes "Taaaaee!" Dieser stand nur wenige Meter von ihm entfernt, vor Lachen bebend, während an seinen Handschuhen der Schnee als Beweismittel noch klebte.

"Was sollte das, Taehyung?", fragte Jimin schon in einem beinahe verletzten Ton, während er versuchte jede einzelne Schneeflocke aus seiner Kapuze zu schütteln.

"Es tut mir Leid", meinte dieser, was angesichts seiner heiteren Miene definitiv eine Lüge war, "aber du warst so in Gedanken versunken, dass ich dich irgendwie rausholen wollte. Und das war die... beste Möglichkeit." Seine Backen schwollen vor Grinsen an.

"Wohl eher die witzigste Möglichkeit", schnaubte Jimin und verschränkte seine Arme bockig vor der Brust.

Taehyung sah ihn für einen Moment an, bevor er dessen Haltung nachäffte und neben den bockigen Armen noch seine Hüfte hinausschob. So standen sie sich gegenüber und blickten sich gegenseitig an. Taehyung sah so lächerlich aus... und Jimin selbst damit auch.

Der Wichtel versuchte sein Lächeln noch zu unterdrücken, doch sein eigener Körper beging Verrat an ihm und seine Lippen verzogen sich zu voller Breite. Zufrieden grinste Taehyung und wuschelte dem Kleineren liebevoll durch die Haare, der daraufhin mit seinem Ellbogen nach dem Studenten ausholte. Er hatte jetzt vielleicht gegrinst, aber so leicht würde er Taehyung nicht durchkommen lassen.

Die Ställe waren nicht weit vom Haus des Weihnachtsmannes entfernt. Sie waren auch der erste Gebäudekomplex, den Taehyung als ziemlich normal wirkend empfand. Einfach ein langes, dunkelhölzernes Gebäude, das in der Mitte einen weiteren Komplex hatte. Ein bisschen wie in ein missgebildetes T.  

"Da leben die 13 Rentiere, die den Weihnachtsschlitten ziehen", erzählte ihm Jimin. Er hatte noch etwas Schnee in den Haaren und sah wirklich knuffig aus, wie er so tief eingekuschelt in seiner Jacke war. Tae hätte sein Gesicht am liebsten in beide Hände genommen und ihm einen wärmenden Kuss gegeben.

"Sie kommen immer mehrere Wochen vor Weihnachten zu uns, da sie sonst in ihren Herden leben. Wir halten sie nicht, sie helfen uns ja. Aber vor Weihnachten müssen sie immer noch etwas trainieren und der Weihnachtsmann schaut, ob es ihnen allen gut geht, deswegen leben sie in diesen Wochen in den Ställen."

Taehyung stieg der Geruch von Stroh und Fell in die Nase, je näher sie dem Gebäude kamen.

"Irgendwelche Regeln, die ich einhalten sollte?", fragte er.

"Sei auf jeden Fall freundlich und respektvoll ihnen gegenüber!" Jimin sah ihn mit ernsten Augen an. "Diese Damen sind Wesen aus der ewigen Eiswüste, die lassen sich nichts einfach so gefallen, das liegt in ihrer Natur."

"Damen?"

"Ja?" Jimin schien Taehyungs Nachfrage unschlüssig und der Student beschloss, sie einfach unkommentiert stehen zu lassen. Die Emanzipation vom rotnasigen Rudolph also.

"Und du meinst, dass sie sich einfach reiten lassen, wenn sie doch wilde Wesen sind?" 

"Das kommt immer darauf an, wie sie gelaunt sind", meinte der Wichtel nur und drückte die Türklinke herunter.

Ein intensiver Stallgeruch schwappte Taehyung in die Nase, ein Gemisch aus Stroh, Tier, Leder und dem angedeuteten Stunk von Exkrementen. Der Junge rümpfte leicht die Nase. Er war noch nie ein Fan solch eindringlicher Geruchserlebnisse gewesen, ihm hatte es schon gereicht Hundefell an seiner Hand zu riechen.

Und er hatte stets auch große Tiere als unheimlich empfunden. Als er die Rentierweibchen entdeckte, war ihm also sofort klar, dass er nicht auf ihnen reiten würde, egal ob es möglich war oder nicht.

Es waren große Tiere, ihr Stockmaß lag gerade so auf Taehyungs Augenhöhe, während durch ihre Hälse ihr Schädel eindeutig über zwei Meter hinausragten. Vermutlich musste sogar der riesenhafte Weihnachtsmann zu ihnen hochschauen. Das wirklich Beeindruckende an ihnen war jedoch ihr bis ins kleinste Detail verästeltes Geweih. Je länger, desto feiner wurden die Enden, sodass ihr Kopfschmuck mehr einer entblößten Baumkrone als einem gewöhnlichen Geweih ähnelten.

Taehyung hatte erwartet, dass sie in Boxen stehen würden, doch der gesamte Stall war von Stroh bedeckt und die Tiere konnten sich frei bewegen. Natürlich, sie halfen ja auch und wurden nicht gehalten. 

Mehrere Köpfe hatten sich zu ihnen gedreht, doch nur eines der Weibchen schritt zu ihnen heran, während die anderen sich wieder desinteressiert abwandten. Auch wenn das Rentier in aller Gemütlichkeit in ihre Richtung spazierte, spürte Taehyung eine gewisse Ehrfurcht vor ihrer Erscheinung.

Jimin jedoch begrüßte sie mit einem freundschaftlichen Lächeln, streichelte ihr über die Stirn und stellte ihr Taehyung vor. Das Tier sah ihn aus braunschwarzen Knopfaugen an und der Student wusste einfach, dass hinter diesen Augen durch abertausende Neuronen Gedanken hin- und hergeschickt wurden. Vielleicht nicht Gedanken im menschlichen Sinne, aber dieses Wesen hatte eine intelligente Seele, das konnte Taehyung ihm einfach ansehen.

"Tae, das ist Stellareia, sie leitet den Schlitten an", richtete sich Jimin an ihn.

"Mhhm", gab dieser nur von sich, während er immer noch in diese Augen sah.

"Sie würde sich reiten lassen." Jimin lächelte freudig. Es war ein wirklicher Glücksgriff, dass genau Stellareia bereit dazu war. Taehyung betrachtete sie aber auch sehr ehrfürchtig, was ihm wohl ein paar Bonuspunkte einbrachte.

"Um ehrlich zu sein... hab' ich etwas zu viel Schiss davor, einfach auf ein so... beeindruckendes Wesen zu steigen und mich dann von ihm herumtragen zu lassen", gab Taehyung zu. Sein Blick huschte etwas verunsichert zu Jimin.

Und diesem gefiel seine neu zugewiesene Rolle als derjenige, an den man sich bei Unsicherheiten wandte. Außerdem rutschte Taehyungs Stimmlage etwas tiefer und wurde rauer, wenn er sich unsicher war und das war wohl eines der prickelndsten Geräusche, die der Wichtel jemals gehört hatte.

Stellereai schnaubte darauf laut und schüttelte ihr Geweih etwas, bevor sie sich ganz zu Taehyung drehte, dessen Blick nun leicht panisch wurde.

"Keine Sorge", grinste Jimin, "sie freut sich darüber, dass du ihr einen solchen Respekt zollst. Sie möchte lediglich, dass du sie auch einmal streichelst."

Taehyung fragte erst gar nicht nach, woher Jimin das wusste, aber es bestätigte seinen Eindruck, dass dieses Tier hochintelligent war - oder zumindest eine Seele, die seine normale Konnotation zu Tierseele überstieg. Mit zarten Befangen streckte er seine Hand nach dem Tier aus und berührte, so wie Jimin es getan hatte, ihre Stirn. Ihr Fell war das weichste, das er jemals in seinem Leben gespürt hatte, und er ließ seine Hand etwas länger dort verweilen, als das Rentier auch noch genüsslich die Augen schloss. Ein unglaubliches Wesen schlichtweg.

Der Student verweilte immer noch in seinen letzten Eindrücken, als sie aus den Ställen wieder ins Freie traten. Er hatte immer daran geglaubt, dass auch Tiere Gefühle hatten, aber diese direkte Konfrontation mit der Erkenntnis, dass dort auch noch deutlich mehr schlummern könnte, rüttelte ihn auf. So war er viel zu sehr in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie Jimin zu seiner Rache ausholte.

Im nächsten Moment schrak er von der unerwarteten, kompromisslosen Kälte in seinem Gesicht auf, Eisflocken schmolzen in seinem Mund und hinterließen diesen ungewohnt geschmacklosen Geschmack von Regenwasser und auch bei ihm rutschte der Schnee durch die kleinsten Abstände der Kleidung auf seine Haut.

Im Gegensatz zu Jimin versuchte er jedoch nicht zuerst sich zu befreien, sondern hechtete gleich von seinem Standort weg und schaufelte einiges an Schnee in seine Arme. Jimin stand mehrere Meter von ihm entfernt und hatte dieselbe angriffslustige Pose eingenommen.

"Ernsthaft? Du willst dich verteidigen, als wäre das nicht gerechtfertigt von mir? Ich wollte dich nur aus deinen Gedanken holen, schien mir die beste Möglichkeit", frotzelte Jimin und grinste den Größeren frech an.

"Meine eigenen Worte gegen mich verwenden?", erwiderte Taehyung mit derselben Energie. "Findest du das nicht ein bisschen schwächlich?"

"Ich finde deine Entschuldigungen viel schwächlicher." Und damit warf Jimin den nächsten Schneeball, dem Taehyung geschickt auswich. Er schleuderte darauf einen in Jimins Richtung, doch dieser streifte ihn nur an seinem Oberarm.

"Kannst du schon zielen?", spottete Jimin provokant.

"Seit wann bist'n du so frech?", stellte Taehyung die Gegenfrage und verfehlte den Wichtel abermals, während dieser präzise Taehyungs Brust traf.

"Wer mich angreift, muss mit Gegenwind rechnen." Kampfeslustig grinste Jimin und traf Taehyung am Ohr, sodass ihm der Schnee unangenehm am Hals entlangsickerte.

Taehyung gab sein Bestes gegen Jimin anzukommen, doch der Wichtel schien einfach zu geübt in dem zu sein, was sie taten. Er formte seine Schneebälle doppelt, dreifach so schnell wie der Student, er konnte so gut wie jedem ausweichen, während Taehyung immer wieder im Schnee wegsackte, und er warf unglaublich zielgenau, sodass der Student immer aufmerksam bleiben musste.

Eine Schneeballschlacht gegen jemanden zu gewinnen, bei dem es nichts anderes als tiefverschneiten Winter gab, war wohl ein etwas zu schwieriges Unterfangen. Deshalb blieb Taehyung, der inzwischen zur Hälfte von Schnee bedeckt war, nur eine Möglichkeit: voller direkter Körpereinsatz.

Jimin rollte gerade wieder den Schnee zu einer Kugel, in der Erwartung, dass sein Gegner auch wieder an Munition arbeiten würde. Doch Taehyung überquerte blitzschnell die Meter, die zwischen ihnen lagen, und der Wichtel konnte nur noch abwehrend seine Hände heben, bevor sich der Junge auf ihn geschmissen hatte.

Von der einen Seite drückte sich der Schnee kühlend gegen Jimins Kleidungsschichten, während ihn von der anderen Seite Taehyungs Gewicht nach unten drückte. Der Wichtel spürte dessen Körper so nah, dass er beinahe in Schnappatmung verfallen wäre. Vielleicht hätte er den Studenten hochdrücken können, doch er war ausgerechnet in einer solchen Position begraben, die es ihm unmöglich machte viel Kraft anzuwenden.

Er konnte Taehyungs warmen Atem gegen sein Ohr spüren und alles in ihm drehte durch. Jeder kleinste Faser schrie vor Aufregung, sein Blut schien vor Überforderung eingefroren, während sein Herz panisch wie verrückt pumpte und pumpte. 

"Entschuldige", hauchte Taehyung und eine Gänsehaut rannte über Jimins gesamten Körper, "aber ich verliere ungern."

"Ist schon gut", Jimins Stimme klang deutlich fipsiger als gewollt und sein Gehirn kam seinen Worten gar nicht hinterher, "so verliere ich gerne." 

Nein. Das hatte er jetzt nicht gesagt. Das war zu unverfroren und überhaupt nicht subtil gewesen. Auch wenn er durch die Schneeballschlacht Taehyung hatte näher kommen wollen - so nah war nicht eingeplant gewesen.

Taehyung lachte daraufhin allerdings nur rau und Jimin spürte das Beben seines Brustkorbs gegen sich. Vorsichtig richtete sich der Student auf und reichte dem Wichtel eine Hand. Jimins ganzer Körper kribbelte und er wusste nicht, ob das an Taehyungs Gewicht auf ihm oder an Taehyung selbst lag. An dem Chaos in seinem Kopf war auf jeden Fall der Student selbst Schuld.

Er ließ sich von ihm aufhelfen und klopfte sich betont konzentriert den Schnee ab. Vermutlich glühten seine Wangen eh verräterisch rot.

"Können wir nochmal in die Bibliothek?", bat Taehyung zusammenhangslos und der Wichtel nickte nur. Das wäre sie gewesen, die perfekte Chance. Hätte er doch nur seinen Kopf gedreht, als er unter dem Jungen lag.

Wie gut für ihn, dass Taehyung und er dasselbe Ziel hatten. 



ミ⛦



"Gibt es irgendwelche bestimmten Bücher, die du anschauen möchtest?" Jimin drehte sich mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis, um Taehyung seine gigantische Auswahl zu verdeutlichen - als ob er das gebraucht hätte.

Taehyung wusste exakt, welches Bücherregal er genauer inspizieren wollte und er konnte sich vorstellen, dass Jimin diese Wahl nicht behagen würde. Insofern musste er ihn wohl etwas weiter wegschicken, um einen kurzen, ganz ungehinderten Blick auf das Regal zu werfen, aus dem Jimin sein verheimlichungswürdiges Buch geholt hatte.

Er setzte sich mit einem erschöpften Schnaufen in einen der bordeauxroten Ohrensessel und streckte die Beine aus. Jimins Augen wanderten für einen Moment über ihren langen, sehnigen Anblick, bevor er hoch zu Taehyung sah, der seine tourenden Augen sicherlich beobachtet hatte.

"Kann ich vielleicht eins aus der hintersten Reihe haben? Eins der letzten, wohl am wenigsten beachtet. Irgendwie reizt es mich etwas zu lesen, das noch nicht durch so viele Hände gewandert ist." Bei diesen Worten fläzte sich Taehyung nur noch tiefer in den Sessel.

"Soll ich dir eins holen?", fragte Jimin nach.

"Ja, das wäre super! Ich bin echt erschöpft nach unseren kleinen Schlacht", log Taehyung und freute sich innerlich, dass sein Plan aufzugehen schien, "am besten irgendein Buch, das auch so aussieht, als würde es nicht oft durchgeblättert werden."

Jimin nickte und machte sich auf den Weg. Die alten Dielen knarzten, während der Wichtel versuchte einen möglichst augenanziehenden Gang hinzulegen. Selbstbewusst den einen Fuß vor den anderen setzten, die Hüften dabei etwas schwenken und mit den Armen bei den Bewegungen mitgehen - irgendwie so sollte das dann wohl atemberaubend und hypnotisierend wirken. Er traute es sich nicht noch einen Blick über seinen Rücken zu werfen, doch er war sich sicher Taehyungs Augen auf seinem Rücken zu spüren.

Tatsächlich gab es in der Bibliothek keine Regalreihe, an der er nicht schon gestanden und sich die Titel sowie Themenfelder eingeprägt hatte. Deswegen wusste Jimin auch, dass in der hinteren linken Ecke viele Bücher so gut wie ungelesen waren. In den hunderten von Jahren, die sie dort schon standen, hatten sie vermutlich keine 20 Wichtel betrachtet. Da konnten wahre Meisterwerke, Stücke voller Wissen und Weisheiten stehen und keiner würde sie entdecken, weil sie sich nicht die Mühe machten, einige Schritte mehr zu gehen.

Grübelnd hielt der Wichtel vor dem Regal inne. Welches dieser Bücher war interessant? Über welches konnte man ein gutes Gespräch führen, Gemeinsamkeiten finden, Schritte in bestimmte Richtungen einleiten? Konversation solle ein wichtiger Motor für ein Näherkommen sein.

Schlussendlich griff Jimin zu einem dünnen, offensichtlich älterem Werk, das verschiedene philosophische Theorien der Menschenwelt mit dem Leben hier verglich und beurteilte, in welchen Kontext man diese stellen konnte. Es klang kompliziert, aber bildete vermutlich eine Menge Gesprächsstoff - und ansonsten konnte man über seine eigene Begriffsstutzigkeit zusammenwachsen.

Als Jimin allerdings zurück zu den vorderen Regalen kehrte, sah er, dass Taehyung nicht mehr im Ohrensessel saß. Er stand an dem Regal, aus dem der Wichtel sein Lehrbuch geholt hatte. Dieses war zwar immer noch auf seinem Zimmer, aber es wurden mehrere von dieser Sorte dort präsentiert. Sein Herzschlag stieg an. Rasant, als Taehyung sich zu ihm umdrehte.

"Einige sehr interessante Bücher stehen hier", meinte er neutral - zu neutral. Seine Hände waren hinter seinem Rücken verschränkt. Er befeuchtete kurz seine Unterlippe, das war die einzige Regung auf seinem Gesicht.

"Oh ja", lachte Jimin nervös. Am liebsten hätte er den Abstand zwischen sich und Taehyung bewahrt, doch um unauffällig zu bleiben, bewegte er sich zaghaft in dessen Richtung. 

"Aber nichts zu Kapitalismus."

"Das steht noch bei mir." Gewissermaßen war das keine Lüge.

Taehyung murmelte nur einen zustimmenden Laut und drehte sich demonstrativ dem Regal zu. "Hier steht aber auch kein weiteres Buch, das in den Kontext von Kapitalismus oder menschlichen Systemen passt."

"Wir ordnen sie nicht nach Kontext an. Aber ich hab' ein Buch mitgebracht, das sich irgendwie damit-"

"Wirklich? Ich sehe hier nämlich schon 'nen Kontext bei den Büchern in verschiedenen Reihen." Taehyung hatte Jimin ergriffen und ließ ihn nicht mehr entkommen. "Die obersten vier Reihen beschäftigen sich mit unserer Geschichte - Respekt, dass ihr die anscheinend in gerade einmal 200 Bücher packen könnt. Die unteren Reihen thematisieren unsere Kulturen, unsere Geographie, wissenschaftliche Erkenntnisse und so weiter. Vermutlich habt ihr noch mehrere Regale, gefüllt mit Büchern über die Menschheit."

Jimin spürte, dass Taehyung das alles nur aufzählte, um die Anspannung in ihm bis ins absolute Extrem zu kitzeln. Und es wirkte. Sein Puls raste und er konnte seinen Atem viel zu bemerkbar wahrnehmen. Außerdem tippten seine Finger wie verrückt gegen seinen Schenkel. Er wusste ja schließlich, welche Art von Büchern in seiner Regalreihe standen. Und Taehyung offensichtlich auch.

"Aber in der Reihe, aus der du dein Buch gezogen hast, stehen keine Wirtschaftssysteme, nein." Nun wandte der Student sich Jimin wieder zu und lehnte sich betont lässig gegen das Regal. "Hier stehen nur Bücher zum Thema emotionale und sexuelle Bedürfnisse von Menschen." Für einen Moment huschte ein süffisantes Grinsen über seine Miene.

Jimin war wie erstarrt. Sein Geist sackte vor Scham zusammen und sein Körper schaltete auf Standby. Er erwiderte nichts, doch die knallende Röte in seinem Gesicht sagte genug. Sein Brustkorb bewegte sich immer hektischer auf und ab und dennoch hatte er das Gefühl immer stärker eingeengt zu werden.

Taehyung richtete sich auf und kam zu dem Wichtel hinüber. Jimin konnte ihm nur mit seinen Augen folgen und den Kopf etwas in den Nacken legen, als der Junge vielleicht noch eine halbe Armlänge von ihm entfernt war.

"Ganz ruhig, Jiminie. Atmen", sprach Taehyung beruhigend und legte seine Hände federleicht auf die Oberarme des Wichtels. "Einatmen", Jimin holte Luft, "Ausatmen", Jimin stieß sie aus, "Einatmen", er sog sie wieder ein, "Ausatmen", sie verließ seine Lungen wieder. Taehyung wiederholte das Mantra noch einige Male, bis Jimins Gesicht schließlich ein sanfter Rosastich kürte und sich seine Atmung beruhigt hatte. 

"Geht es dir wieder besser?", fragte Taehyung vorsichtig nach.

"Ja." Jimin nickte sanft. "Ich glaube, ich war gerade ein bisschen sehr überfordert mit der Situation", gab er schüchtern zu.

Sein Gegenüber lachte nur zart. "Es ist wohl doch etwas einfacher ein paar kleine Flirts loszuwerden, oder?"

Jimin sah zu ihm hoch, erwiderte seinen Augenkontakt. Taehyung betrachtete ihn mit so behutsamen Augen, während gleichzeitig ein Lächeln auf seinen Lippen lag, dass Jimins Herz gleich wieder anfing, schneller zu schlagen. Nur diesmal im guten Sinne. Denn bei Taehyung fühlte er sich sicher; dieser Junge war nicht nur traumhaft schön, sondern auch verständnisvoll, jemand, vor dem er sich nicht zu schämen brauchte. Für ihn waren seine Bedürfnisse nicht ungewöhnlich.

Sein Blick fiel auf Taehyungs Lippen. Sie strahlten in einem dunklen, kühlen Rosa und ihr Amorbogen verzog sich zu einer deutlichen Herzform. Wenn er sich jetzt etwas vorstreckte, dann könnte er den Jungen küssen.

"Bist du dir sicher?" Seine Augen wanderten wieder zu Taehyungs hinauf, die seinen genauestens gefolgt waren.

Jimins pochte gegen seine Brust. "Ja. Ich weiß meistens ganz genau, was ich will und bin dann nur etwas überfordert, wenn es wirklich eintritt."

Taehyung grinste und beugte sich dann zu dem Wichtel, um ihm seinen Willen zu erfüllen. Zärtlich trafen ihre Lippen aufeinander, bewegten sich in einem langsamen Rhythmus gegeneinander, während ihr Atem den jeweils anderen sanft streichelte. In Jimins Kopf waren alle Gedanken auf einmal verschwunden. So oft hatte er sich einen solchen Augenblick vorgestellt und dennoch nie ihre wahre Göttlichkeit begreifen können.

Der Student zog Jimin an seiner Taille näher zu sich selbst und drückte ihn behutsam gegen sich. Der Wichtel legte seine Hände auf Taehyungs Wangen und lehnte sich immer tiefer in den Kuss. Immer mehr Spannung baute sich zwischen den jungen Männern auf und mit jedem Aufeinandertreffen ihrer Lippen spalteten sich diese ein kleines Stückchen mehr, bis irgendwann Taehyungs Zungenspitze die von Jimin fand.

Aufgeregt atmete dieser tief ein und spürte daraufhin Taehyungs Lächeln gegen seine Lippen. Kurz hielten sie inne und blickten sich tief in die Augen. Nur ein dünnes Blatt Papier hätte zwischen sie beide gepasst. Jimins Hände fanden ihren Weg zu Taehyungs Schultern und er war sich sicher, dass dieser spüren konnte, wie sein Herz praktisch aus ihm herausspringen wollte.

"Ich hab' noch nie in meinem Leben so weiche Lippen gespürt", gestand Taehyung und der Wichtel kicherte geschmeichelt.

"Hab' sie mir extra noch mit Mandelcreme eingecremt."

Taehyung brummte daraufhin nur zufrieden und beugte sich wieder die wenigen Zentimeter zwischen ihnen herunter. Während ihrer vorsichtig verspielten Zungenküsse glitt Taehyungs Finger an Jimins Wirbelsäule entlang und als er knapp vor seinen Schulterblättern ankam, drückte er ihn mit seiner ganzen Hand noch näher zu sich. Jimin wimmerte überrascht in ihren Kuss hinein und Taehyung vertiefte ihn leidenschaftlich.

Sie küssten sich immer verzehrender und der Wichtel legte seine Hände an Taehyungs seitlichen Hals, als könnte er dort Halt finden. Taes Hände wiederum wanderten gefährlich nah an Jimins Hintern und er war kurz davor, sein Bein zwischen die des Wichtels zu schieben, als dieser seinen Kopf zurückzog.

"Möchtest du mit mir schlafen?", fragte er atemlos, all die vorherige Scham fallengelassen.

Der Student hob eine Augenbraue. "Möchtest du mit mir schlafen?", stellte er die Gegenfrage.

Jimin überlegte für einen Moment. Das wäre noch viel mehr, als er sich eigentlich vorgestellt hatte - und es zog ihn mit unermesslicher Kraft an. 

"Ja."

Der Wichtel klang fest entschlossen, doch trotzdem war Taehyung sich nicht sicher. Er wusste nicht, ob Jimin bewusst war, dass mit Sex viel mehr zusammenhängte, als sinnesbenebelnde Berührungen und Ekstase. Vielleicht hatte der Junge gestern zum ersten Mal davon gehört und das Thema reizte ihn einfach nur. 

Auch wenn Jimin mit seinen verführerisch plumpen Lippen und dem träumerischen Ausdruck in seinen Augen jede kleinste Zelle in Taehyung erregte, so konnte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren den Jungen ins Bett zu begleiten. Es war etwa so, als hätte er mit einem 14-Jährigen Sex, abgesehen davon, dass das illegal wäre: Jimin wusste, was Sex war und spürte auch die damit verbundene Lust und den Anreiz, aber wusste er wirklich, was Sex auslösen konnte?

Sanft streichelte Taehyung Jimin eine Strähne aus der Stirn. "Weißt du Jiminie, ich würde unheimlich gerne mit dir schlafen, aber ich glaube nicht, dass das gerade die klügste Entscheidung wäre. Doch glaub' mir bitte, wenn ich sage, dass das nur zu deinem Besten ist." Er sah den Wichtel eindringlich an.

Jimin schnaubte frustriert auf und zog eine Schnute. Er fand es unglaublich schade und etwas enttäuschend, doch er glaubte Taehyung. Er spürte dessen aufrichtige Ehrlichkeit.

"Na gut", antwortete er, schmollte aber noch ein klein wenig.

Taehyung strich mit seinem Daumen über seine Lippen. Jimin sah unheimlich süß aus.

"Darf ich dir dennoch deinen Schmollmund wegküssen?", fragte er mit einem charmanten Grinsen und schon landeten Jimins Lippen wieder auf seinen. 



Consent is key und dennoch sollte man noch etwas weiter denken ;)

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