Moonshadow

By JasminBennet

16.5K 1.2K 18

River kennt das Leben in Rudeln, die Menschlichkeit als Schwäche ansehen und ihre animalische Seite zelebrier... More

1 | River
2 | Nikan
3 | River
4 | Nikan
5 | River
6 | Nikan
7 | River
8 | Nikan
9 | River
10 | Nikan
11 | River
12 | Nikan
13 | River
14 | Nikan
16 | Nikan
17 | River
18 | Nikan
19 | River
20 | Nikan
21 | River
22 | Nikan
23 | River
24 | Nikan
25 | River
26 | Nikan
27 | River
28 | Nikan
29 | River
30 | Nikan
31 | River
32 | Nikan
33 | River
34 | Nikan
35 | River
36 | Nikan
37 | River
38 | Nikan
39 | River
Epilog | Nikan

15 | River

379 26 0
By JasminBennet

Unsere Vergangenheit könnte nicht gegensätzlicher sein und dennoch ist sie sich so ähnlich.
Seine Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Hat er Recht damit?
Hat mich Nikan so durchschaut?
Ist ihm vor mir selbst aufgefallen, wer ich wirklich bin?
Es war schon merkwürdig, dass ich so offen über meine Vergangenheit erzählen konnte. Selbst Freja und Olivia habe ich erst vor einigen Monaten erzählt, was passiert ist. Aber ihnen und auch Nikan habe ich nicht alles offenbart. Auch mit Mara habe ich über einige Dinge nie wieder gesprochen. Es fällt mir leichter sie zu ignorieren und zu vergessen. Sie sind nicht mehr Teil meines Lebens.
Oder doch?
Seit dem Gespräch vorhin sehe ich wieder Dinge vor mir, die ich dachte längst vergessen zu haben.
Ich will nicht mehr darüber nachdenken.
Angestrengt versuche ich mich auf meine Hände zu konzentrieren, die den Faden von einer Seite zur anderen des Weidenrings flechten. Ich habe mir vorhin von der Weide einen dünnen Ast genommen und ihn jetzt zu einem Kreis geformt, den ich mit etwas Schnur fixiert habe. Als Nikan mir das Gelände gezeigt hat, sind wir auch am Hühnerauslauf vorbeigekommen und ich habe mir einige der umherfliegenden Federn geschnappt. Am Ende kommt hoffentlich ein schöner Traumfänger zu Stande, den ich dann in mein Fenster hängen kann. Ich habe meinen aus meinem alten Zimmer leider vergessen.

Wie von selbst wandern meine Gedanken wieder in andere Welten. Ich sitze auf der Veranda und halte meine Blick gesenkt auf meine Hände, die den Faden in dem Weidenkreis spannen.
Ein paar der Jungs spielen sich einen Ball zu, doch das bekomme ich nur am Rand mit.
Meine Gedanken sind wo ganz anders.

Ein Ort, den ich schon vor langer Zeit verlassen habe. Die Hitze ist unerträglich und auch der Deckenventilator ist keine große Hilfe. Im Gegenteil, er verteilt die unangenehme Luft im gesamten Raum. Ich darf seit etwa drei Monaten auf eine Menschenschule gehen. Meine Sinne sind gereizt und überflutet. Ich lenke mich also mit meinen Buntstiften ab und male unerkennbare Figuren auf ein weißes Blatt. Eigentlich fühle ich mich dafür viel zu alt, doch es ist das Einzige das hilft, um die ganzen Dinge zu verarbeiten, die ich in der Schule sehe, rieche und höre. Ganz automatisch, ohne darüber wirklich nachzudenken, summe ich ein Lied vor mich hin.

Das Folgende ist zu schmerzhaft. Ich will mich nicht daran erinnern.
Aber meine Gedanken sind unaufhaltsam und weil es so geschmerzt hat, kann ich mich noch genau daran erinnern, obwohl ich es bisher gut verdrängen konnte.

Ich merke ein schmerzhaftes Ziehen an meiner Kopfhaut. Sofort steigen mir Tränen in die Augen und ich bin verwirrt, was gerade passiert.
Ich werde an die Ecke des Zimmers geschleudert und sehe meinen Vater über mir.
Er schreit mich an und bevor ich nur ein Wort von dem, was er mir entgegen brüllt, verstehen kann, landet seine Hand auf meiner Wange und mein Kopf fliegt zur Seite.
Die ersten Tränen laufen mir über die pochende Wange, über die ich schützend meine Hand halte.
Und dann verstehe ich die Worte meines Vaters.
Es ist das Lied!
Das Lied, das ich gesummt habe.
Ich habe es wohl in der Schule gehört.
Ein Fehler von mir, denn natürlich hat mein Vater erkannt, dass es keines der zugelassenen Lieder unseres Rudels ist. Es ist ein menschliches Lied.
Absolut verboten.
Seine Hand umfasst meinen Arm und er zerrt mich schmerzhaft nach oben. Alles geschieht so schnell. Ich kann ihm nicht einmal hinterher laufen und werde einfach über den staubigen Boden gezerrt. An jeder Ecke und Kante stoße ich mich. Bekomme blaue Flecke, die man noch Tage später sehen wird und lande unsanft in dem Zimmer, das sich meine Schwester und ich teilen.
Mir wird verboten für den Rest des Tages zu sprechen.
Essen bekomme ich erst am Morgen, wenn ich unsere Rudelgesetze fehlerfrei aufsagen kann.
Und zur Schule darf ich auch erst zwei Wochen später, als man die blauen und grünen Flecke nicht mehr erkennen kann.

"Machst du mir auch einen?"
Erschrocken schaue ich in moosgrüne Augen und es dauert einen Moment, bis ich realisiere, was Olivia damit meint.
Sie deutet auf den Traumfänger.
"Ja klar", antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Sie scheint es mir abzukaufen, doch als ihr Blick weiter wandert und ich Nikan entgegen schaue, sehe ich an seinem misstrauischen Gesichtsausdruck, dass er mitbekommen hat, dass etwas nicht stimmt. Doch dann wird ihm der Ball zugespielt und er ist für einen kurzen Augenblick abgelenkt.
Auch ich werde schnell abgelenkt, als mir ein merkwürdiger Geruch auffällt. Ich schaue mich suchend um und rücke ein Stück näher zu Olivia auf. Der Geruch kommt definitiv von ihr.
"Was?", fragt sie verwirrt und lehnt sich ein wenig zurück, weil ich ihr näher gekommen bin, um die Ursache des mir unbekannten Geruchs zu lokalisieren. Als mir klar wird, was der Grund ist, reiße ich überrascht meine Augen auf.
Den Traumfänger lege ich beiseite und setze mich so auf die Veranda, dass wir uns gegenüber sitzen.
"Oh", bringt Olivia erkennend vor und streicht sich eine lila Haarsträhne hinter das Ohr.
Sie wurde markiert.
Es muss noch ganz frisch sein, denn ihre Hormone spielen verrückt und verursachen diesen veränderten Geruch.
Olivia grinst verlegen und schaut dann kurz zu Ian, der sich mit den anderen den Ball zuspielt.
"Er hat mir heute morgen das Revier gezeigt. Es gibt da so ein kleines Tal im Norden. Na ja, was soll ich sagen. Der Moment war irgendwie magisch und dann ist es halt passiert", erklärt sie vor Freude strahlend.
Es macht mich glücklich sie so zu sehen. Vergessen sind die schrecklichen Erinnerungen. Olivias Freude ist ansteckend.
"Tat es weh?", möchte ich interessiert wissen und versuche dabei zu flüstern. Die anderen müssen nicht unbedingt mitbekommen worüber wir uns unterhalten.
"Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich habe gespürt, wie sich seine Zähne in meine Haut gebohrt habe, aber da war nicht direkt Schmerz. Es hat sich eher angefühlt als würde ein Knoten platzen. Irgendwie erleichternd. Aber aufeinmal wurde dann alles so verschwommen. Jede seiner Berühngen, meine Berührungen. Alles wurde so intensiv. Ich sag dir, das ist besser als jeder Orgasmus." Grinsend schaut sie wieder zu Ian, der in diesem Augenblick auf sie zukommt.
"Liv, erzählt dir wohl ihre Geheimnisse?", möchte der blonde Riese wissen und fährt sich mit dem Handrücken über seine verschwitzte Stirn.
"Keines, das du nicht bereit kennst", antwortet sie, springt auf und küsst seine Wange. Er legt automatisch einen Arm um ihre Taille und schaut verliebt zu ihr runter.
Ich kann erkennen, dass die zwei über beide Ohren ineinander verknallt sind. Dennoch fällt es mir schwer, mich auf meine Gefühle für Nikan einzulassen. Nicht nur, weil ich Angst davor habe, dass mir dadurch Freiheiten genommen werden, sonder auch, weil ich der Meinung bin, dass mir eine Entscheidung abgenommen wird.
Die Entscheidung mich frei zu verlieben.
Die Entscheidung alleine zu sein.
Die Entscheidung unabhängig zu sein.
Allein, dass ich sofort Verlangen und Erregung gespürt habe, als ich Nikan zum ersten Mal gesehen habe, zeigt, dass diese Gefährtenverbindung hauptsächlich dem Fortbestand unserer Art dient.
Es liegt nicht in unserer Macht, wann wir unseren Gefährten treffen und wenn, dann besteht sofort eine körperliche Anziehung. Diese Anziehung gibt es auch bei Nikan und mir. Es fällt mir schwer sie zu ignorieren. Aber für eine Weile habe ich meinen Durst gestillt, als ich heute seine Hand genommen habe.
Ich finde es gefährlich diesem körperlichen Verlangen nachzugehen, wenn man die Person noch nicht kennt. Was, wenn ich zu spät merken sollte, dass mein Gefährte ein totales Arschloch ist?
Bisher hat mir Nikan keinen Grund geliefert das zu glauben und dennoch halte ich mich zurück, weil ich eben meine Prinzipien habe. Auch wenn es mir schwer fällt an ihnen festzuhalten, wenn sich Nikan so verhält wie heute Vormittag, als er mir die Blumen ins Haar gesteckt hat. Sein Blick zeigte keinen Zweifel an seinen Gefühlen für mich, aber ich weiß nicht, ob es wirklich seine wahren Gefühle sind oder Gefühle, die von unserem Seelenbündnis hervorgerufen werden.

Als wir zurück waren, habe ich unter einem Grinsen die Gänseblümchen aus meinen Haaren genommen und sie zwischen die Seiten meiner Bücher gelegt, um sie zu pressen, damit ich für immer die ersten Blumen anschauen kann, die mir ein Mann geschenkt hat. Allein der Gedanke daran, wie mir Nikan die Haare zurück gestrichen hat und jede Blume sorgsam ihren Platz bekommen hat. Jedes Mal wenn seine Finger meine Stirn berührt haben, hat sich ein Kribbeln unter meiner Schädeldecke ausgebreitet, das sich wie tanzende Schmetterlinge angefühlt hat. Ich habe so etwas noch nie erlebt.

"Hier, ich hab dir das Passwort fürs WLAN aufgeschrieben." Vor meinem Gesicht wird mir ein weißer Zettel gehalten und ich verfolge den Arm bis ich in Lens braune Augen schaue.
"Danke", erwidere ich und schüttel leicht meinen Kopf, da meine Gedanken immer noch mit Nikans zarten Berührungen beschäftigt sind. Ich nehme Len den Zettel aus der Hand und lasse ihn, Olivia und Ian hinter mir, um auf mein Zimmer zu gehen, wo mein Handy liegt.
Schnell logge ich mich in das Netzwerk ein und erhalte promt ein paar Nachrichten. Ich überfliege sie, in allen steht das gleiche drin, aber statt zu antworten, rufe ich an. Als erstes tippe ich auf Mara und warte, bis sie den Anruf entgegen nimmt.
"Hallo, River!" Es ist schön Ihre Stimme zu hören, auch wenn es erst vierundzwanzig Stunden her ist, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.
Unfassbar, dass es erst einen Tag her ist. Die Zeit scheint hier draußen ihr eigenes Maß zu haben.
"Hey, Mara", grüße ich zurück und als ich meinen Blick hebe, erkenne ich ein breites Grinsen in meinem Gesicht, durch den Spiegel, der auf der Komode steht. Anschließend lasse ich mich auf mein Bett fallen und betrachte die Decke, während ich mit meiner Schwester telefoniere.
"Und wie geht es dir? Sind alle nett?"
"Ja, mir geht es gut und ja, es sind alle nett. Sehr nett sogar."
"Das ist schön zu hören."
"Wie geht es euch denn?", frage ich ebenfalls nach und vernehme am anderen Ende der Leitung ein warmes Lachen.
"Uns geht es gut", antwortet Mara. "Wir vermissen dich, aber sonst ist alles wie immer. Aber jetzt erzähl doch mal! Wie viele seid ihr? Wie wohnt ihr? Habt ihr auch einen See? Ich weiß, dass du gerne im See baden warst."
Kurz muss ich auflachen, doch dann antworte ich: "Wir sind jetzt, mit Olivia und mir, zu zehnt. Ich bin glaube ich die Jüngste hier. Noah dürfte nicht viel älter sein als ich. Ich frag ihn nachher mal. Viel gesehen habe ich noch nicht vom Revier. Nikan hat mir die Siedlung gezeigt und wir sind ein bisschen durch den Wald gelaufen. Keine Ahnung, ob es hier einen See gibt. Aber ich war noch nicht bereit mich gemeinsam mit ihm zu verwandeln. Vielleicht kann mir Olivia das Gebiet zeigen. Sie hat heute morgen schon eine Führung von Ian bekommen."
Ja, und offensichtlich hat sie mehr als nur eine Führung bekommen. Doch ich will nicht weiter darüber nachdenken. Da sind Bilder in meinem Kopf, die man sich nicht von seiner besten Freundin vorstellen möchte.
Also erzähle ich weiter: "Nikan hat mir übrigens ein eigenes Zimmer einrichten lassen. Es trifft genau mein Geschmack. Weiße Möbel, eine Lesesessel, beige Vorhänge." Ich versuche Mara alles so genau wie möglich zu beschreiben und verspreche ihr nach unserem Telefonat ein paar Bilder zu schicken.
"Na ja, er hat viel Zeit in deinem Zimmer verbracht, wenn ihm da nicht aufgefallen wäre, was dir gefällt, hättest du wirklich hinterfragen müssen, ob er dein Gefährte ist", scherzt sie.
Anschließend erzählt sie mir von anderen aus dem Redbone Rudel. Was es für Neuigkeiten und Gerüchte gibt. Ich bin sogar am überlegen, ihr davon zu erzählen, dass es hier jemanden gibt, Mato, der ebenfalls aus einem Rudel im Süden stammt, nicht weit von unserem damals entfernt. Doch das würde die fröhliche Stimmung zerstören und ich habe keine Kraft mich über dieses Thema zu unterhalten. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Nachdem ich das Telefonat mit Mara beendet habe, melde ich mich auch bei Freja und Milena. Es tut gut ihre Stimmen zu hören.
Ich weiß, dass es noch nicht lange her ist, seit ich sie zu Letzt gesehen habe. Aber wir haben jeden Tag gemeinsam verbracht und auf einmal wohne ich hunderte von Kilometern entfernt und das Nächste Mal, dass ich sie sehen werde, wird frühestens in einigen Monaten sein.

Ich bleibe noch einige Minuten auf meinem Bett liegen und denke über den vergangenen Tag nach. Es ist erstaunlich, wie schnell ich mich hier wohl fühle. Alles ist neu und dennoch breitet sich immer mehr ein Gefühl von Geborgenheit in mir aus. Es passiert einfach.
Da ich nicht ewig in meinem Zimmer bleiben kann und nach einem kurzen Blick auf die Uhrzeit in meinem Handy feststelle, dass ich insgesamt drei Stunden telefoniert habe, stehe ich wieder auf und begebe mich in die Küche, um gemeinsam mit Jesper das Abendessen zu kochen.

Continue Reading

You'll Also Like

7.1K 323 18
Paige ist 22 und wurde nach einer wilden Party Nacht mit ihren Freunden entführt. Sie und neun weitere Mädchen die alle jünger sind als sie werden g...
294K 12.7K 49
Als meine Schwester verschwand und nicht mehr auftauchte, war meiner Mutter klar, sie muss aus der Stadt raus. Doch ist das eine gute Idee? In meiner...
921K 34.1K 36
Hi Leute Ich dachte ich versuchs mal mit einer Werwolfsgeschichte und ich hoffe das sie euch gefällt♡ Es heißt ja eigentlich >Neue Stadt, neues Glüc...
1M 33K 65
[Band 1] »Werwölfe gibt es nicht? Tja das dachte ich auch. Zumindest bis zu dem Moment, in dem ich Raúl und Mateo begegnete und sich herausstellte da...