Auenland

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Eingemummelt in einen dicken Wintermantel saß Sam zusammen mit Rosi und ihren drei jüngsten Kindern vor Beutelsend und sahen hinunter nach Hobbingen. Der Baum auf der Festwiese war kurzerhand zum Weihnachtsbaum ummutatiert worden und hing nun voll mit Kugeln und anderem Schmuck, den die Hobbits hergestellt hatten. Eine Schneedecke lag über dem Dorf, es war erstaunlich ruhig. Hinter den runden Fenstern einiger Hobbithöhlen brannten Kerzen und der Duft von Gebäck hing in der bitterkalten Winterluft. Sam kuschelte sich noch etwas mehr in seinen Mantel. Er dachte an seine Freunde. Merry feierte wie jedes Jahr mit den Brandybocks ein riesiges Fest im Brandyschloss, während Pippin mit den Tuks feierte. Was Frodo wohl gerade machte? Feierten die Elben in Valinor genauso Weinnachten, wie es die Hobbits und die anderen Völker Mittelerdes taten? Trauerte Frodo dem Fest nach oder war er rundum glücklich? Dachte er auch manchmal an seine Freunde, wie sie es taten? Sam wusste es nicht. Er verstand, warum sich sein bester Freund dafür entschieden hatte Mittelerde zu verlassen, aber er vermisste ihn. Sam seufzte und nahm seine Tochter auf den Schoß. Er war auch hier glücklich, zusammen mit Rosi. Immer noch konnte der Hobbit es kaum fassen, dass er nun mit ihr verheiratet war. Er sah seine Frau liebevoll an und ließ seinen Blick wieder über Hobbingen schweifen. Er liebte den Ort, das ganze Auenland, mit seinen Feldern und Wäldern, den Wiesen und kleinen Flüssen. Hier war er Zuhause. Doch manchmal zehrten immer noch die Erinnerungen an seine Reise mit Frodo zum Schicksalsberg an ihm. Oft wurde er von Albträumen wach, in denen Frodo den Ring nicht zerstört hatte. In denen Sauron gewonnen hatte, in denen er die Ängste und die Dunkelheit der Reise erneut durchstehen musste. Damals dachte er noch, nach Moria konnte es nicht schlimmer werden. Wie sehr er sich doch geirrt hatte! Nie würde er vergessen, wie er die riesige Spinne besiegt hatte, wie sie seinen Master Frodo vergiftet hatte und er so dumm gewesen war, sich täuschen zu lassen. Wie er ihn zum Schicksalsberg hatte hinauftragen müssen, und wie Gollum letztendlich mit dem Ring in die feurige Kluft des Schicksalsberges gefallen und somit unbeabsichtigt Mittelerde gerettet hatte. Sam seufzte erneut. Wenn ihm vor seiner Reise irgendjemand erzählt hätte, was er einmal erleben würde, hätte er ihm nie geglaubt. Das einzig Gute was ihm auf seiner Reise passiert war, dass er Elben gesehen hatte und ihren Liedern hatte lauschen dürfen, außerdem hatte sich seine Freundschaft mit den Gefährten, mit Ausnahme von Boromir, gefestigt und er hatte seinen Mut mehrmals bewiesen. Trotzdem würde der Hobbit ohne zu zögern all das aufgeben, wenn er nur in einer friedvollen Welt leben könnte. Aber was brachte es, der Vergangenheit nachzutrauern? Er sollte sich der Zukunft widmen. Er hatte acht Kinder, die er erziehen musste, das war mehr als Aufgabe genug. Dabei fiel ihm ein, dass sie alle auf ihre Geschenke warteten. Langsam erhob er sich von der Bank und ging gefolgt von Rosi und drei seiner Kinder zurück in die Höhle, wo er unter einem winzigen Tannenbäumchen mehrere Geschenke hinlegte, während Rosi die Kleinen ablenkte. Jetzt kehrte Sam zurück und führte seine Familie in das Wohnzimmer Beutelsends, wo sich seine Kinder mit großen Augen auf die Geschenke stürzten, zumindest die jüngsten, Margerite, Goldlöckchen, Pippin und Hamfast. Elanor, Rose, Frodo und Merry gingen etwas gesitteter an ihre Geschenke. Zum Glück waren alle zufrieden und es gab keine Streitereien. Sam lächelte. Auch wenn die Erinnerungen der Reise ihn nie verlassen würden, würde er sich ab jetzt der Zukunft zuwenden und sich ganz dem Leben widmen. Es war zu Schade um der Vergangenheit nachzutrauern.

 Ende. 

WeinNachtsspecial 2020Where stories live. Discover now