Kapitel 9

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Tanz ist immer der erste Schritt zur Liebe.
(aus „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen)

Hätte ich mit Leslie gewettet, hätte ich haushoch verloren. Gordon war wirklich mit Cynthia hier.
„Ich dachte Cyn kann ihn nicht ausstehen“, flüsterte ich Leslie zu.
„Tja, auf mein intuitives Gespür ist eben immer Verlass“, meinte sie grinsend.
„Oh, guck mal, Leslie!“, rief Raphael. „Da drüben kann man Fotos machen lassen!“ Schon zog er seine Freundin mit sich ans andere Ende der Turnhalle. Diese war übrigens kaum wieder zu erkennen. Überall hingen pistaziengrüne Girlanden und auf dem Boden lag weißes und zartrosa Konfetti. In der Mitte der Halle hing eine riesige Discokugel, die das grasgrüne Licht aus den Scheinwerfern reflektierte. Es waren noch nicht viele Schüler da. Die meisten standen in kleinen Grüppchen beisammen und unterhielten sich. Ein paar Eltern und Lehrer bewachten das Buffet und Mr Mayslin, der Chemielehrer, legte CDs auf, während sich die Band auf noch ihren Auftritt vorbereitete und einen Soundcheck machte.
„Wollen wir uns jetzt weiterhin anschweigen?“, fragte mich Gideon vorsichtig.
Ich seufzte. „Ich sehe mal nach, ob noch andere aus meiner Klasse da sind.“
Ehe ich auch nur einen Schritt machen konnte, griff Gideon nach meinem Oberarm und hielt mich fest.
„Ich will mich nicht streiten“, sagte er.
„Tja, das hättest du dir vorher überlegen sollen.“ Ich schob seine Hand weg.
„Gwenny, bitte, sei doch vernünftig.“
„Da haben wir unser Problem ja schon: Du denkst, dass ich nicht vernünftig, nicht verantwortungsvoll genug wäre. Da bist du nicht der Einzige. Die gesamte Loge hält mich wohl für ein Kleinkind. Keiner traut mir eigene Entscheidungen zu und fragt mich auch einmal jemand nach meiner Meinung? Nein. Ich habe es langsam so satt! Wann werdet ihr es endlich kapieren: Ich bin verdammt noch mal nicht Charlotte!“
Genau aufs Stichwort betrat meine allerliebste Ex-Cousine die Turnhalle. Sofort hefteten sich alle Blicke auf sie. Ihr Kleid war einfach ein Traum. Es war aus blassrosa Taft oder Seide und so bauschig, dass sie bestimmt doppelt so viel Platz beanspruchte, als normalerweise. Die Corsage war mit einer verschnörkelten Stickerei und kleinen Perlen verziert. Das langärmelige, silbern durchscheinende Jäckchen wirkte wie ein Hauch von Eis auf ihrer blassen Haut. Dieses Outfit musste Tante Glenda ja ein Vermögen gekostet haben. Und die Frisur erst! Jemand hatte ihre leuchtend roten Haare zu hübschen Korkenzieherlocken gedreht und kunstvoll hochgesteckt. Ein paar der Löckchen fielen ihr dabei spielerisch über die Schultern. Zusammengehalten wurde das alles mit vielen kleinen, strassbesetzten Haarnadeln, die wild funkelten. Wie lange sie dafür wohl beim Frisör gesessen hatte? Mir klappte fast das Kinn nach unten, als ich sah, welchen Schmuck sie trug. Es war doch tatsächlich das kostbare Smaragd-Collier der Familie Montrose mit den dazu passenden Ohrringen. Mir war es noch nicht mal erlaubt gewesen, es anzufassen!
„Sie sieht aus wie eine Prinzessin aus dem Märchenbuch“, hörte ich Sarah sagen. Sie stand mit ihrer Begleitung – Brian Kingsley aus unserer Klasse – hinter uns bei Gordon und Cynthia.
„Und der Kerl mit dem sie hier ist muss dann wohl Prinz Charming sein“, fügte Cynthia kichernd hinzu.
Gordon warf ihr einen leicht wütenden Blick zu.
Mit Prinz Charming lag sie gar nicht so falsch. Ihre Begleitung war nämlich niemand anderes als Andrew Harris III. Seines Zeichens der Klassensprecher der Abschlussklasse, Schulsprecher, Kapitän des Lacrosse-Teams und auch noch zukünftiger Erbe des familieneigenen Porzellanmanufaktur-Imperiums seines Vaters, Andrew Harris II. Sozusagen als Coctailkirsche auf dem imaginären Eiscremebecher sah er natürlich unverschämt gut aus.
Jetzt flüsterte er ihr etwas zu, dann ging er zu seinen Kumpels und Charlotte kam in unsere Richtung.
„Hallo, Gideon“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln, als sie förmlich an uns vorbei schwebte und sich zu ihrer Gruppe gesellte. Mich würdigte sie natürlich keines Blickes.
„Meine Güte, Gwenny!“, rief Leslie und eilte zu mir. Raphael folgte ihr, die Hände in den Hosentaschen versteckt.
„Was ist denn?“, fragte ich.
„Hast du Charlotte gesehen? Das ist doch ein Wahnsinnskleid! Nichts gegen Madame Rossini, aber da können wir echt nicht mithalten.“
Na toll. Ich kam mir im Gegensatz zu Charlotte ohnehin schon wie Aschenputtel vor. Bevor die gute Fee aufgetaucht war.
Langsam füllte sich der Saal, Direktor Gilles hielt eine knappe Eröffnungsrede und dann begann die Band auch schon zu spielen. Es waren natürlich nur klassische Sachen, wie Walzer, Foxtrott und einmal sogar ein Tango. Beim Walzer konnte ich noch mithalten und auch Leslie und Raphael machten dabei eine überraschend gute Figur, aber während der restlichen Tänze standen wir am Buffet, wo Leslie und ich die Ballkleider der Mädchen beurteilten. Raphael gab auch ab und zu ein Kommentar ab, aber Gideon schwieg die ganze Zeit.
Gegen elf Uhr kam dann Direktor Gilles auf die Bühne, gefolgt von ein paar Lehrern. Im Hintergrund begann die Band langsam ihre Instrumente einzupacken.
„Ladies und Gentlemen, darf ich bitte noch einmal kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“ Sofort verstummte das Gemurmel im Saal. „Ich freue mich, das Ergebnis der diesjährigen Wahl zum Kirschblütenkönig und zur Kirschblütenkönigin verkünden zu dürfen. Die Jury – „ Er wies mit einer ausladenden Geste auf Mrs Counter, Miss Lowe, Mr Mayslin und zwei andere Lehrer, die mich nicht unterrichteten. „ – hat einstimmig entschieden.“ Miss Lowe überreichte ihm ein rosarotes Kuvert. Es dauerte einen Moment, bis er den Umschlag geöffnet und ein flaschengrünes Stück Papier herausgezogen hatte. Er warf einen kurzen Blick darauf und sagte. „Wer hätte das gedacht? Der diesjährige Kirschblütenkönig heißt Andrew Harris III und seine Königin ist die bezaubernde Charlotte Montrose.“
Ja. Wer hätte das gedacht?
Ich war nicht etwa wütend oder eifersüchtig, weil ich Königin werden wollte, aber es hatte mich eben kein bisschen überrascht. Na gut, Leslie und Raphael oder Gideon und ich hätten bestimmt auch gute Chancen gehabt. Gideon sah wieder einmal atemberaubend gut aus. Aber nein, ich war ja sauer auf ihn. Trotzdem hatte Andrew Harris III keine Chance gegen ihn.
Das neue Königspaar betrat nun die Bühne.
Andrew bekam eine einfache, goldene Krone von Mrs Counter aufgesetzt und Charlotte wurde von Mr Mayslin mit einem funkelnden, kleinen Diadem gekrönt. Im Gegensatz zu unseren kostbaren Familien-Juwelen sah das allerdings wie billiger Kitsch aus.
Mr Mayslin nahm wieder seine Funktion als DJ auf.
„Das ist ja ‚I Gotta Feeling‘ von den Black Eyed Peas!“, kreischte Leslie vor Freude. Ich wusste, dass sie dieses Lied gerne hörte. Und schon schnappte sie mich und Raphael an der Hand und zog uns auf die Tanzfläche. Gideon folgte mir. Er tanzte zwar auch mit uns, aber es schien ihm nicht wirklich Spaß zu machen. Das nächste Lied war eines von diesen romantischen, langsamen Liedern, zu denen man eng umschlungen tanzen konnte. Und darauf hatte ich gerade echt keine Lust. Leslie und Raphael schien es da ganz anders zu gehen. Ich musste resigniert seufzen, als ich sah, wie glücklich sie waren.
„Gwenny, ich will mal an die frische Luft!“ Gideon musste schon fast brüllen, um die Musik zu übertönen. „Kommst du mit?“
Ich nickte und hielt mich an seinem Arm fest, um ihn nicht in der Menge zu verlieren. Weil jetzt modernere Musik spielte waren nämlich fast alle Schüler auf der Tanzfläche.
Draußen auf dem Schulhof war es ziemlich kalt, aber doch machte sich der nahende Sommer langsam bemerkbar. Ich sog die kühle Luft tief ein und genoss das reinigende Gefühl, dass meine Lungen durchströmte.
„Gwen, es tut mir Leid“, sagte Gideon. „Ich bin manchmal so ein Idiot. Es tut mir wirklich so unendlich leid. Ich bitte dich, verzeih mir.“ Seine durchdringend grünen Augen sahen mich flehend an.
Ich senkte den Blick und seufzte.
„Mir ist klar, dass du nicht wie Charlotte bist“, fuhr er fort. „Du hast eben nicht ihre Ausbildung, aber das ist mir so was von egal. Du bist Gwendolyn Shepherd, mitsamt all deiner Ecken und Kanten. Gerade deswegen liebe ich dich ja so sehr. Kannst du mir bitte verzeihen und eine Chance geben, es wieder gut zu machen?“
Seine erneute Liebeserklärung brachte mich unwillkürlich zum Schmunzeln. Als er das bemerkte, lächelte er ebenfalls.
„Ja, ich verzeihe dir“, sagte ich.
Gideons Lächeln wurde breiter. Dann überquerte er die kurze Distanz zwischen uns und küsste mich stürmisch.
Da hörte ich es.

Bernsteingold -Liebe geht durch alle ZeitenWhere stories live. Discover now