Schlusstakt: Gewissheit

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54. Jir'Lore, 2145 n.n.O

Das Fuhrwerk kam ratternd vor der Tischler-Innung von Nelrib zum stehen und einen Moment lang war es Markus, als hätte sich das ewige Schütteln des Wagens in seinen Knochen festgesetzt. Es dauerte einen Augenblick, ehe sein Körper realisierte das es vorbei war und er sich in der Lage fühlte, die halbtauben Beine zu strecken und aufzustehen, um endlich hier runter zu kommen. In Momenten wie diesen merkte er deutlich, dass er nicht mehr der Jüngste war. Trotzdem nickte er dem Fuhrmann höflich zu, als dieser ihm half, die beiden grob gewebten Reiserucksäcke vom Wagen zu nehmen. Dann sprang er von der Ladefläche und drehte sich zu Hannah um.

Mit einem matten Lächeln stellte Markus fest, dass es ihr nicht besser als ihm ging, während sie mit wackeligen Beinen auf ihn zu stakste. Intuitiv streckte er eine Hand aus, um ihr beim Abstieg zu helfen. Als Hannahs Füße den Boden berührten, schloss sie einen Moment lang dankbar die Augen, sonst kam kein Laut der Klage über ihre Lippen. Ermunternd drückte er ihre Hand, ehe er wieder zum Fuhrmann herüberging.

"Danke, Fres, dass du uns mitgenommen hast. Sonst hätten wir ewig gebraucht." Noch während Markus das sagte, zog er ein paar Münzen aus seiner Tasche, um Fres für seine Hilfe zu entlohnen. Dann nickte er dem Fuhrmann zu, holte tief Luft und stellte sich dem nächsten Abschnitt seiner Reise: Die Tischlerinnung von Nelrib.

Mit einer Mischung aus Angst und Erwartung musterte er den schlichten, dreistöckigen Bau: Mit der ordentlichen, roten Ziegelfassade und dem für diese Küstenregion so typischen Reetdach sah er fast schon unscheinbar aus. Lediglich die zwei große, hölzerne Figuren von Lin der Göttin der Wälder und Maris dem Gott der Handwerker, die wie Wächter links und rechts der Eingangstür standen, machten die Stellung dieses Hauses deutlich. Und natürlich der riesige, schmiedeeiserne Beitel, gekreuzt mit einem nicht minder großen Hammer, die direkt über der Tür hingen, das Zeichen der Tischler. Markus und Hannah blieben einen Moment lang davor stehen und musterten das schwere Ding skeptisch.

"Glaubst Du, es könnte runter fallen?", fragte Hannah leise und um Markus Mundwinkel zuckte ein Lächeln – mehr brachte der früher so lebensfrohe Mann nicht mehr zu Stande.

"Dann lass uns hoffen, dass wir nicht genau dann darunter stehen", murmelte er und machte einen entschlossenen Schritt auf die schweren, hölzernen Türen zu. Nelrib war die Hauptstadt der Flusslande. Hier war Zacery als Geselle registriert. Hier sollte er alle Informationen bekommen, die er brauchte, um endlich Gewissheit zu erlangen.


Trotzdem dauerte es noch den ganzen Nachmittag, ehe Markus sicher wusste, was Trell bereits vermutet hatte: Zacery war kein Mensch.

Mit einem Gefühl der Unwirklichkeit stand er schlussendlich wieder neben Hannah auf der Straße und starrte ins Leere. Wie hatte er das nicht bemerken können? Wie hatte er dieses Monster in sein Haus lassen können? Wie hatte er zulassen können, dass seine Tochter jemals mit ihm allein war? Senga...

"Glaubst Du, sie lebt?", fragte Hannah und strich ihm vorsichtig über den Arm.

Wie so oft staunte er über ihre zielsichere Intuition, seine Gedanken zu erahnen. Doch bei ihr störte es ihn auch nicht. Also nickte er langsam. "Wenn man den Geschichten glaubt – ja."

„Und nun?"

Er schwieg lange, während er weiterhin blicklos auf das gemauerte Gebäude vor sich starrte. Schließlich streckte er den Rücken durch und nickte langsam, mehr zu sich selbst, als zu Hannah.

„Nun werde ich einen Weg finden, sie nach Hause zu bringen."

Des Wassermanns Weib II - berührtWhere stories live. Discover now