(1) Leugnungen

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Hermine

Blinzelnd schaue ich aus dem beschlagenem Fenster. Weißes grelles Licht sticht mir entgegen und ich muss unwillkürlich meine Augen zusammenkneifen. Beim näheren Betrachten erkenne ich es: Schnee. Es schneit tatsächlich, dabei ist gerade einmal ein drittel des Novembers vergangen.

Ich richte mich träge auf und schlage die Decke beiseite. Meine Beine schwingen wie automatisch über die braune hölzerne Bettkante und treffen auf kalten Stein. Ich muss mir dringend einen Teppich für meine Schlafsaalseite zulegen, diesen kalten Boden bin ich schon ewig leid.

Schnell mache ich mein Bett sorgfältig und ordentlich und stecke anschließend meine zerzausten Haare locker hoch. Ich greife meinen dunkelroten Morgenmantel und ein Handtuch und laufe in Richtung Waschraum. Hach, ich liebe den frühen Morgen und meine tägliche Routine. Wenn man direkt früh aufsteht startet man gleich frisch in den Tag. Wenn man lange im Bett rumliegt, kommt dabei nur Schlechtes raus. Man ist den ganzen Tag unmotiviert und müde und man kommt zu nichts. Ich habe noch nie verstanden, weshalb viele ihre Arbeit immer aufschieben. Erledigen muss man sie doch sowieso, je früher, desto besser.

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Frisch geduscht setze ich mich an einen der Tische in der Großen Halle. Viele sitzen an diesem Sonntagmorgen noch nicht da, hauptsächlich Ravenclaws und ein paar Hufflepuffs. Lange aufhalten möchte ich mich hier eigentlich selber nicht lange, da ich einen Bibliotheken-Tag geplant habe. Vor der Prüfungsphase möchte ich nochmals den wichtigsten Stoff wiederholen, damit ich weniger Stress im Dezember haben werde.

Dezember, der erste Dezember seit der großen Schlacht. Allein deswegen war es sinnvoll, das letzte Schuljahr zu wiederholen. Glücklicherweise hat fast der ganze Jahrgang sich dazu entschieden, so ist fast alles wie in den vorherigen Jahren auf Hogwarts. Nein, das stimmt nun auch wieder nicht. Snape ist tot, Fred ist tot, tote Seelen schweben durch Hogwarts Mauern. So viele Menschen kamen dabei um ihr Leben. Bei diesen Erinnerungen läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Ich bin froh, dass Professor McGonagall nun Schulleiterin ist und vor allem die Erstklässler ein liebevolles Vorbild haben. Hastig schiebe ich die Gedanken beiseite und schlürfe meinen Kürbissaft aus.

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Die Fenster sind leicht beschlagen und draußen entsteht eine weiße Landschaft komplett aus Schnee. Als würde eine neue Welt entstehen, die aus einzelnen kleinen Schneeflocken entsteht. Sie geben einander Halt, nur zusammen sind sie stark und mächtig. So wundervoll. Es ist, als wären die Fenster dieses Ganges wie viele große Fotografien, die die Außenwelt in ihrer ganzen Erscheinung zeigen.

Ich biege um die Ecke und laufe prompt in eine kleine Person hinein. Ich erschrecke mich, meine Bücher fallen auf den Boden, die Person stolpert gefährlich.

"Pass gefälligst auf wo du hinläufst!", zischt eine weibliche Stimme. Ich brauche eine Sekunde um mich zu sammeln und blicke erschrocken in das Gesicht von Pansy Parkinson. Bevor ich mich auch nur entschuldigen kann, rauscht sie schnaubend davon.

Einen Moment schaue ich ihr noch hinterher, hebe aber dann hastig meine Bücher vom Boden auf. Vieles hat sich seit der Schlacht geändert, doch manches bleibt immer gleich. Anscheinend gilt das auch für Pansy Parkinson, ihr Charakter wird sich wohl nie ändern.

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"Du glaubst nicht was er gemacht hat", Ginny knallt ihre Tasche auf den Tisch direkt auf mein Buch. Ohje, es muss um Harry gehen. Seit der großen Schlacht sind sie fest zusammen und leben in einer glücklichen Beziehung. Meistens jedenfalls. Ich weiß nicht warum, aber in letzter Zeit diskutieren die beiden häufig, gehen sich für ein paar Stunden aus dem Weg und danach ist wieder alles vergessen.

Ginny lässt sich atemlos auf den Stuhl gegenüber von mir fallen und schaut mich erwartungsvoll an.

"Du wirst es mir sicherlich ausführlich erzählen", sage ich und richte mich auf.

"Harry hängt mit Cho Chang rum!"

"Und?", ich zucke mit den Schultern, "was spricht dagegen?"

Ginny schaut mich entrüstet an und reißt die Augen auf: "Was spricht dagegen? Sie haben zusammen in der großen Halle gegessen und bei ihrer Unterhaltung haben sie total viel gelacht!"

Was ist nur mit Ginny los? Warum interpretiert sie das denn gleich über? "Ginny, meinst du nicht, dass du ein klein wenig übertreibst? Harry ist mit dir zusammen, aber das heißt doch nicht, dass er sich nicht mehr mit Anderen unterhalten darf."

"Mag sein, dass mir daraus zu viel mache. Im Auge behalten werde ich die beiden aber trotzdem."

Ich muss seufzen, "Wenn du meinst." Es bringt eh nichts gegen Ginny zu argumentieren. Geht es um Harry, kann sie schnell stur werden.

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Ginny und ich haben den restlichen Nachmittag in der Bibliothek verbracht. Nachdem sie so plötzlich gekommen ist, habe ich nur noch eine knappe Stunde gelernt, danach haben wir uns in zwei der gemütlichen Sessel gekuschelt und gelesen.

Während Ginny in ihren Krimi vertieft ist, beginne ich mit einem Muggel-Roman, welchen ich mir vor ein paar Wochen in London gekauft habe. Da ich mittlerweile volljährig bin, ist es mir erlaubt als Schülerin zu apparieren. Ich appariere nicht oft, da ich meine Zeit meistens in Hogwarts verbringe, doch vor ein paar Wochen bin ich mit Luna nach London appariert. Sie wollte die Stadt schon lange einmal genauer besichtigen und da ich in einem ruhigen Stadtteil von London aufgewachsen bin, hat es sich angeboten ihr alles zu zeigen.

Der Roman handelt von zwei Muggeln, die in einer Beziehung sind. Die Protagonistin Isabelle erzählt über ihre Beziehung mit ihrem Freund Graham. Obwohl sie ihn liebt, ist sie nicht glücklich mit ihm. Leugnen ist lediglich eine Verdrängung der Realität. Man baut eine dämpfende Wand um sich, die alles unangenehme von einem isoliert. Die eigene Realität leugnen und verdrängen, das tun viele. Bei diesen Worten sehe ich ein Bild von meinen Eltern in meinem Kopf, als sie mir "Happy Birthday" zu meinem achten Geburtstag vorgesungen haben. Ich erinnere mich immer noch daran, wie sie mich fröhlich angestrahlt haben und in ihren Augen war pure Freude zu sehen.

Daran werde ich mich noch ewig erinnern können. Mum und Dad haben mich immer von ganzem Herzen geliebt. Sie kannten mich so gut, wie niemand anderes. Sie kannten mich. Und sie liebten mich. Nur, dass sie das nun nicht mehr tun. Alle Erinnerungen an mich sind gelöscht.

Ich habe nie bereut den Obliviate Zauber bei ihnen angewendet zu haben. Ich habe sie damit nur vor Schmerzen bewahrt. Wäre ich bei der Schlacht um mein Leben gekommen, hätten sie sich Vorwürfe gemacht, mich nicht aufgehalten zu haben. Sie wären am Boden zerstört gewesen. Nichts geht über die Liebe und Bindung, die Eltern und ihre Kinder haben.

Doch auch wenn es die beste Entscheidung für sie war, ich vermisse sie. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde, deshalb verdränge ich lieber die alten Erinnerungen an Mum und Dad.

Meine Augen werden feucht. Schnell schließe ich die Gedanken aus meinem Kopf aus und lese weiter.

KalopsiaOù les histoires vivent. Découvrez maintenant