Abschied

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Zeitliche Einordnung:
Kurz nach dem Ende von „Raupe im Neonlicht", einen Tag nach dem letzten Zusatzkapitel „Stroboskoplicht – Konfrontation".

Abschied
Dem sentimentalen Anlass angemessen, stand die gesamte Familie Staginsky im Wohnzimmer versammelt. Abzüglich Christine, die bereits seit drei Tagen wieder in der australischen Sonne brutzelte. Erik bemühte sich, keinen Neid aufkommen zu lassen.

Jonas' Oma zog ihn in eine herzliche Umarmung. „Mach's guad, Bua. Hod mi gfreit, di kenna'z'lerna."

Erik stieg der Duft nach Kölnisch Wasser und Kakao in die Nase und ein warmes Gefühl schwappte von seiner Magengegend in den Rest seines Körpers. „Die Freude war ganz meinerseits." Mit diesen ehrlichen Worten beendete er seine langwierige Verabschiedung. Mit einer Ausnahme: Monika Staginsky stand gute zwei Meter von ihm entfernt, offensichtlich unentschlossen, welche sozialen Riten der allgemeine Anstand von ihr erwartete. Ein lautstarkes Schniefen rechts von Erik nahm ihm die Bürde zu entscheiden, ob er den peinlichen Eiertanz beginnen sollte.

Tränen rannen über Vronis rosige Wangen, als sie anklagend auf ihren großen Bruder deutete. „Schwindler! Du hast versprochen, dass wir Zelda durchspielen, aber das haben wir nicht und du fährst trotzdem einfach wieder weg!"

Sichtlich von ihrem Vorwurf getroffen, machte Jonas einen Schritt nach vorne, doch bevor er auch nur einen Mucks von sich geben konnte, drehte Vroni auf dem Absatz um und flüchtete die Treppen nach oben.

Frustriert barg er das Gesicht in den Händen. „Fuck!"

„Nimm's dir nicht so zu Herzen", sagte Herr Staginsky. Martin. Erik hatte sich noch nicht wirklich an das angebotene ‚Du' gewöhnt. „Die beruhigt sich schon wieder."

„Aber ich hatte ihr versprochen, dass wir Zelda durchzocken. Ich dacht' wirklich, wir hätten genug Zeit. Ach, scheiße. Scheiße, scheiße!"

Nicht einmal Frau Staginsky machte sich die Mühe, Jonas für seine Sprache zurechtzuweisen. Ihn so aufgewühlt zu erleben war augenscheinlich nicht nur für Erik schwer erträglich.

„Geh ihr nach." Er hatte leise gesprochen und dennoch alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. „Wir fahren einfach, wenn ihr fertig seid."

Ein Hoffnungsschimmer flackerte über Jonas' Züge. „Wirklich?" Der Schimmer erlosch. „Nee, das dauert mindestens 'ne Stunde. Eher zwei, je nachdem, wie gut sich Vroni beim Endboss anstellt."

Erik zuckte mit den Schultern. „Und? Keiner von uns beiden hat heute noch einen Termin. Solange wir im Laufe des Tages irgendwie nach Berlin kommen, ist doch alles in Ordnung." Er legte einen Arm um Jonas' Schultern und drückte ihn an sich, bis vertraute Körperwärme die Fasern seines dicken Wollpullovers durchdrang. Dann schob er Jonas Richtung Treppe. „Na los, geh schon."

Nach einem letzten rückversichernden Blick auf Erik stob Jonas nach oben, seiner kleinen Schwester hinterher. Das letzte, das Erik von ihm hörte, war eine zuschlagende Zimmertür irgendwo im ersten Stock. Danach setzte Stille ein.

„Also, ähm ..." Herr Sta– Martin rieb über seinen Nacken. „Ich nehme an, wir sollten uns nochmal setzen."

Er und seine Frau standen bedröppelt im Wohnzimmer, sichtlich ratlos, was sie mit Erik anstellen sollten. Lediglich Jonas' Oma hatte es sich bereits in ihrem gut gepolsterten Sessel bequem gemacht, ein Bündel Strickzeug zwischen den Fingern.

„Ich schmiere euch ein paar Brote für die Fahrt." Frau Staginsky lief zur Küche, blieb jedoch im Türrahmen stehen, um Erik über ihre Schulter hinweg anzufunkeln. „Sie müssen mir sagen, was Sie mögen und was nicht."

StroboskoplichtWhere stories live. Discover now