Zweifel

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Zeitliche Einordnung: Kurz nach Neujahr. Jonas hat zwei von Eriks engsten Freunden beim gemeinsamen Theaterbesuch kennengelernt und ihm seine Gefühle gestanden. Eriks Entscheidung steht noch aus.

Zweifel

Nicht jetzt! Ohne hinzusehen, schaltete Erik sein penetrant klingelndes Handy auf stumm. Er hatte eine Stunde Zeit, um den letzten Korrekturgang seiner Hausarbeit zu beenden, bevor er zur Arbeit ins Tix aufbrach. Das Gespräch konnte warten. (Zumal exakt drei Personen existierten, deren Anruf er für wahrscheinlich hielt und aktuell wollte er mit keiner davon sprechen.)

Etwa zehn Sekunden nachdem sein Handy Ruhe gab, klingelte sein Festnetztelefon. Damit reduzierte sich die Zahl der Verdächtigen auf zwei, mit dramatischer Tendenz zu einem speziellen Kandidaten. Ergeben seufzend erhob sich Erik. Wenn seine Vermutung stimmte, konnte er sich genauso gut gleich geschlagen geben.

Er trottete aus dem Büro zur Kommode im Gang, auf der die Ladestation seines Telefons stand. Wenigstens musste er nicht länger fürchten, Jonas' Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören; dieser kannte Eriks Festnetznummer nicht. Seine Tante schon, allerdings zog sie es in der Regel vor, eine passiv-aggressive Nachricht auf seiner Mailbox zu hinterlassen. Blieb also noch ...

„Hey, Marco."

„Ciao. Wie läufts?"

„Ah, eigentlich sitze ich gerade an einer Hausarbeit."

„Wann musst du abgeben?"

„Mitte nächster Woche."

„Dann hast du ja noch jede Menge Zeit, mit deinem Lieblingsitaliener zu quatschen."

Erik wusste, wann er verloren hatte. „Selbstverständlich."

„Bevor ich es vergesse: Ich soll dir schöne Grüße von Drago ausrichten."

„Danke, sag ihm ebenfalls schöne Grüße."

„Wenn wir gerade schon beim Thema sind, richtest du außerdem Jonas aus, dass wir uns echt gefreut haben, ihn kennenzulernen."

„Ah ..." Zielsicher hatte Marco das eine Thema gefunden, vor dem sich Erik die letzten Tage mehr oder minder erfolgreich drückte. „Sicher. Mache ich gerne."

„Ist das so?", hakte Marco ein. „Du klingst nämlich nicht, als würdest du es gerne machen." Nach einer Pause, die Erik nicht zum Widerspruch nutzte, fragte er: „Was ist los?"

„Jonas und ich sehen uns gerade nicht wirklich."

„Was? Wieso?"

„Wir, ah ... Es ist kompliziert."

„Ach so, na dann interessiert mich natürlich nicht mehr, was bei euch los ist. Erik! Spuck's aus!"

Erik spuckte. Er erzählte von dem Abend, an dem er Jonas eng umschlungen mit einem anderen im Club gesehen hatte, von ihrem Streit und Jonas' Liebesgeständnis. Zu ihrem Gespräch im Café und seinem – bis heute unerfüllten – Versprechen, über eine Beziehung nachzudenken und sich zu melden, kam er nicht. Marco unterbrach ihn an der Stelle, an der Jonas aus seiner Wohnung geflüchtet war.

„Porco dio, Erik! Was stimmt denn nicht mit dir?"

„Schrei mich nicht an!", zischte Erik zurück. Das Letzte, was er brauchte, waren Marcos Vorwürfe zusätzlich zu denen, die er sich ohnehin machte.

„Ich schreie dich nicht an! Du würdest es merken, wenn ich dich anschreie, weil ich das nie zuvor getan habe, aber ich schwöre, ich war auch niemals so versucht wie jetzt!" Im Hintergrund erklang eine Stimme, die Erik als Dragos erkannte. „Erik benimmt sich wie ein Blödmann und ich erlaube mir, ihn darauf hinzuweisen." Marco machte sich nicht die Mühe, das Mikrofon für seine Erklärung abzudecken.

StroboskoplichtWhere stories live. Discover now