Perspektivwechsel

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Vorwort:

Stroboskoplicht ist eine One-Shot-Sammlung und ein Spin-off zu meinem Projekt „Raupe im Neonlicht". Solltet ihr davon noch nie gehört haben: Werft gerne einen Blick in mein Profil.

Kennt ihr RiN bereits: Willkommen bei Stroboskoplicht! Wünsche werden entgegengenommen! Falls ihr also gerne Lücken füllen, Flashbacks oder Zukunftsausblicke lesen wollt, lasst mich das wissen.

Perspektivwechsel – RiN 1

Erik stützte die Ellbogen auf den Tresen und die Stirn auf seine Hände. Kopfschmerz pochte gegen seine Schläfen und er verfluchte sich dafür, auf seinen Mittagsschlaf verzichtet zu haben, um sich auf diese verdammte Nachholklausur vorzubereiten.

Ihm war klar, dass er sie bestehen würde, so kompliziert war der Stoff auch wieder nicht, aber wann immer er mehr als fünf Minuten für etwas anderes vergeudete, setzte sein Herz zu einem Sprint an. Nichts Neues, diese Prüfungsangst begleitete ihn seit Jahren, damit umgehen konnte er dummerweise bis heute nicht.

Warum hatte er die Hauptklausur überhaupt sausen lassen? Ach ja, wegen der Hoffnung, in ein paar Wochen würde es im Club ruhiger zugehen und er sich nicht mehr konstant zwischen Arbeit und Studium aufreiben. Überraschung, das war nicht der Fall.

Zu allem Übel musste er jetzt auch noch eine zuverlässige Mitarbeiterin ersetzen, die über die vorlesungsfreie Zeit einen besseren Job gefunden hatte. Er gönnte es ihr von Herzen, allerdings nur dann, wenn er sie nicht gerade dafür auf den Mond schießen wollte. So wie jetzt. Wäre Tanja geblieben, hätte ihm das die heutigen Vorstellungsgespräche erspart, die bisher ein kurioses Sammelsurium an Ärgernissen und Zeitverschwendungen darstellten.

Im Moment wartete er seit über zehn Minuten auf den nächsten Bewerber. Zehn Minuten, in denen er sich eine Kopfschmerztablette hätte holen können. Zehn Minuten, die der Ladenschluss und damit die Gefahr eines weiterhin leeren Kühlschranks näher rückten. Zehn Minuten, in denen er schlafen, oder essen, oder arbeiten, oder lernen hätte können.

Die Eingangstür des Clubs öffnete und schloss sich, Schuhe quietschten auf dem PVC-Boden. Offenbar hatte sich der Bewerber entschieden, doch noch aufzutauchen. Erik setzte sich gerade hin und überflog die auf seinem Tablet geöffnete E-Mail. Jonas Staginsky stand in der Signatur. Davon abgesehen waren die enthaltenen Informationen spärlich. Alter, Adresse, die Uni, an der Staginsky studierte, dazu eine knapp formulierte Bitte um einen Job. Immerhin mit halbwegs höflicher Ausdrucksweise und ohne Tippfehler. Das genügte, um ein Vorstellungsgespräch zu ergattern.

Genaugenommen hatte Erik von allen Bewerbern des heutigen Tags die größte Hoffnung in Staginsky gesetzt, aber eine fünfzehnminütige Verspätung war alles andere als ein guter Einstieg. Es war zwar keine Katastrophe, wenn sowas mal bei einer Schicht passierte – Erik hatte lange aufgegeben absolute Pünktlichkeit von Mitarbeitern zu verlangen, die nebenbei ihr restliches Leben jonglierten und erfahrungsmäßig nach wenigen Monaten ohnehin in einem anderen Job arbeiteten – aber bei Wiederholung ärgerlich für jeden, der derweil entsprechend zusätzliche Arbeit leisten musste. Oder nicht dazu kam eine Schmerztablette zu schlucken, obwohl ihm das Hirn aus den Ohren klettern wollte.

„Ähm, hi." Der E-Mail zufolge war Staginsky gerade zwanzig geworden, aber seine Unsicherheit und der Hall des Raums ließen ihn jünger klingen. Auch die nur zögerlich näherkommenden Schritte zeugten nicht unbedingt von Selbstbewusstsein.

Erik ermahnte sich, sich zusammenzureißen. Staginsky zu bestrafen, nur weil ihn dieser eine geschlagene Viertelstunde hatte warten lassen war alles andere als professionell. Auch, wenn die Verspätung wohl bedeutete den Abend mit Kopfschmerzen zu verbringen und ohne die Nussschnecken, die es nur in dieser einen Bäckerei gab, die pünktlich um zwanzig Uhr ihre Pforten schloss.

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