Konfrontation

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Zeitliche Einordnung: Wenige Tage nach dem letzten Kapitel von Raupe im Neonlicht. Silvester ist vorbei und die Weihnachtsferien bei Jonas' Eltern neigen sich ebenfalls ihrem Ende entgegen.

Konfrontation
Schneeflocken wirbelten vor den Fenstern, im Ofen knackten Holzscheite und der Duft nach Plätzchen lag in der Luft. Innerlich seufzend fragte sich Erik zum wiederholten Mal, wie zur Hölle er in diese Situation geraten war.

Verstohlen schielte er über seine Schulter, in der Hoffnung einen Blick auf Jonas und den restlichen Teil der Familie, der sich dem Kampf gegen die Geschirrberge verschrieben hatte zu erhaschen. Wie gerne wäre er bei ihnen. Verkrustetes Pastinakenpüree aus einem Topf zu kratzen klang bedeutend entspannter als ... was auch immer er hier gerade tat.

Zugegeben, die Feiertage waren deutlich harmonischer verlaufen als befürchtet. In den Wochen nachdem er sich hatte breitschlagen lassen, Jonas über Weihnachten zu seinen Eltern zu begleiten war er ein Horrorszenario nach dem anderen durchgegangen und anfänglich hatte es so ausgesehen, als würde sich jedes einzelne davon bewahrheiten. Aber irgendwie hatten Jonas und seine Mutter die Kurve gekriegt. Halbwegs, zumindest.

Das bedeutete allerdings nicht, dass Erik besonders erpicht darauf war, Zeit mit Monika Staginsky zu verbringen. Vor allem dann, wenn sich der Rest der Familie in der Küche verschanzte.

„Sie müssen mich für eine grauenhafte Mutter halten."

Frau Staginskys leise Stimme schnitt durch Eriks festessenbetäubtes Gehirn. Er wusste nicht, wann er sich das letzte Mal so sehr um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht hatte. Möglicherweise nie. „Das würde ich so nicht sagen."

„Aber Sie denken es."

In Ordnung, offensichtlich gab es keinen einfachen Weg an diesem Gespräch vorbei. Erik war sich ohnehin nicht sicher, ob er das wollte. Er musterte Frau Staginsky. Klein, mit einem Körperbau, der von jahrelanger harter Arbeit sprach, zahlreichen Lachfalten und ersten grauen Strähnen im Haar, stellte sie das Ebenbild strenger Mutterliebe dar. Ihre Lippen teilte sie mit Christine und ihre Nasenflügel flatterten bei Aufregung wie Vronis, aber wenn er in ihre Augen blickte, sah er Jonas. Dunkle Wärme, die ihn an Kaminfeuer und heiße Schokolade erinnerte. „Ich halte Sie nicht für eine schlechte Mutter."

Bevor sie mehr als ein verächtliches Schnauben erwidern konnte, fuhr er fort. „Jonas ist einer der wundervollsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Er ist herzlich, gutmütig und neigt dazu, sich mehr um das Wohl anderer als sein eigenes zu sorgen. Natürlich braucht man nicht unbedingt ein liebevolles Elternhaus, um ein guter Mensch zu werden, aber ich sehe dieselben Eigenschaften bei jedem einzelnen hier im Haus." Unbemerkt von Erik schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Außerdem bewundere ich Jonas für seinen Mut, Menschen nah an sich heranzulassen. Darauf zu vertrauen, nicht von ihnen verletzt zu werden." Bewundern war ein Wort, beneiden vielleicht das treffendere, aber Erik musste Frau Staginsky nicht alles auf die Nase binden. „Ich denke, das lernt man nur, wenn dieses Vertrauen nie tief erschüttert wurde. Also nein, ich glaube nicht, dass Sie und Ihr Mann schlechte Eltern sind."

„Vertrauen kann ausgenutzt werden", presste Frau Staginsky zwischen schmalen Lippen hervor.

Erik erkannte einen Giftpfeil, wenn er ihm ins Herz geschossen wurde. Er rang seinen ersten Instinkt – aufspringen und weglaufen – nieder, schlug stattdessen die Beine übereinander und holte einmal tief Luft. „Denken Sie, dass ich das tue? Jonas' ausnutzen, meine ich."

„Vielleicht nicht bewusst, aber ja, so wie ich die Situation einschätze, stellen Sie Ihr eigenes Wohl über das meines Sohnes."

„Was bringt Sie auf den Gedanken?"

StroboskoplichtWhere stories live. Discover now