Kapitel 08

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Leise und stetig prasselte der Regen gegen meine Fensterscheibe. Ich streckte mich ausgiebig und sah mich aus verschlafenen Augen um. Der Platz neben mir, wo Sherlock noch bis vor wenigen Stunden gelegen hatte, war leer. Ich rollte mich hinüber, presste mein Gesicht in das Kissen und atmete seinen Duft ein, der noch immer an meiner Bettwäsche haftete, fühlte ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch, das immer stärker wurde. Was Sherlock mit mir anstellte war unglaublich und überwältigend. Als ich nach einiger Zeit langsam aufstand und meinen Blick über das Zimmer schweifen ließ, fiel mir auf, dass der Blumenstrauß, den er mir geschenkt hatte und den ich gestern auf den Tisch gelegt hatte, nun in einer geöffneten Wasserflasche stand. Das brachte mich zum Lächeln. Neben der improvisierten Vase lag allerdings ein Zettel und ich konnte Sherlocks krakelige Schrift erkennen:

Hallo John.
Danke für gestern Nacht, ich habe es sehr genossen. Ich hoffe, du auch.
Tut mir leid, dass ich früher gehen musste und nicht warten konnte, bis du aufwachst, aber ich muss jetzt gleich los, sonst verpasse ich die Generalprobe meines Konzerts. Bis später. x

Das x machte mich glücklich, denn wenn ich Sherlock anscheinend immer noch nicht dazu bringen konnte, ich liebe dich zu sagen, war das wohl die beste Alternative. Ich musste mich jedoch selbst ermahnen: Ich durfte ihn nicht dazu zwingen und drängen, unbedingt das zu sagen, was ich hören wollte. Natürlich liebte er mich, das hatte er oft genug bewiesen. Trotzdem tat es ein bisschen weh, dass Sherlock es nicht sagen konnte. Doch ich war mir sicher, dass es nicht einfach für ihn war und dass es wohl sein größter Liebesbeweis war, so oft Zeit mit mir zu verbringen ohne sich über mich zu beschweren. Er liebte mich. Ich musste es mir einfach nur selbst oft genug vor Augen halten. Ich blickte auf die Uhr. Es war fünfzehn nach elf. Kurz war ich darüber verwirrt, solange geschlafen zu haben, doch andererseits waren Sherlock und ich viel zu lange wach gewesen, weswegen das wohl doch nicht so verwunderlich sein sollte. Nichtsdestotrotz brachte es mich ein wenig in Zeitnot, denn Sherlocks Konzert begann bereits um drei und davor wollte ich eigentlich noch Greg einen Besuch abstatten, den ich, durch die viele Zeit, die ich mit Sherlock verbrachte, schon fast vernachlässigte. Eilig zog ich mir etwas ausgehtaugliches an und machte mich sofort auf den Weg. Der Regen wurde immer stärker, sodass ich mich selbst dafür verfluchte, keinen Regenschirm mitgenommen zu haben. Andererseits beruhigte der kühle Regen meine geschwollene Haut um mein Auge herum und fühlte sich irgendwie gut an.

Es war ein fünfzehnminütiger Marsch und als ich endlich an Gregs Haustür klingelte, war ich nass bis auf die Knochen. Mit einer Zigarette in der Hand öffnete mein bester Freund die Tür und sah mich kurz verwirrt an, als hätte er einen Geist gesehen. Dann trat er ohne ein Wort zur Seite und ließ mich hinein.
„Von dir hört man gar nichts mehr, John“, seine Stimme war freundlich doch ich bildete mir ein, einen verletzten Unterton herauszuhören.
„Ja … ich weiß. Das tut mir auch leid, wirklich“
„Schon okay. Du und Sherlock müsst viel beschäftigt sein“, schnell kam sein bekanntes schiefes Grinsen wieder zum Vorschein und ich wusste, dass er mir nicht allzu böse war.
„Das kann man wohl so sagen“, lachte ich. Normalerweise fände ich solche Gespräche zu privat, aber es tat gut, mit jemandem offen über meine Beziehung reden zu können. Mit jemandem, der mich verstehen konnte. Dachte ich ….
„Gehst du heute auch auf das Konzert an Sherlocks Schule?“, fragte Greg zwischen zwei tiefen Zügen seiner Zigarette.
„Natürlich. Ich bin wahrscheinlich zwanzig mal aufgeregter als er“
„Das ist gut möglich. Sherlock beherrscht das Geigenspielen perfekt und das weiß er auch. Ich verstehe gar nicht, warum er so oft proben musste. Ich meine, du musst ihm nur ein Lied vorgeben und er spielt es dir auf Anhieb so fehlerfrei und schön vor, als hätte er es selbst geschrieben. Meinst du nicht auch?“
„Ja, du hast recht … Aber du kennst ihn, er ist einfach Perfektionist. Daher das viele Üben. Er könnte es sich selbst nie verzeihen, einen Fehler zu machen. Erstrecht nicht vor seiner gesamten Schule“, mein kläglicher Versuch, Sherlock zu verteidigen erfüllte nicht ganz seinen Zweck, denn Greg lachte nur und nutzte die Gelegenheit, sich über meinen Freund lustig zu machen.
„Genau! Es wäre ja schrecklich, wenn der perfekte Sherlock mal was falsch machen würde. Wenn er einmal menschlich wäre“
„Hör auf Greg“, meine Stimmung schlug augenblicklich um. Ich hasste es, wenn Leute Sherlock als jemanden darstellten, der er nicht war. Vor allem Leute, die mit ihm befreundet waren und wussten, dass er nichts dafür konnte, nicht wie alle anderen zu sein.
„Ist doch nur Spaß“, beschwichtigend hob Greg die Hände.
„Ich weiß. Aber hör einfach auf“, ich blickte ihm direkt in die Augen. „Okay?“
„Schon gut, schon gut“
„Nein, es ist nicht gut“, eine plötzliche Welle Hass erfüllte mich. Warum konnte nicht jeder in Sherlock diesen liebevollen Jungen sehen, den ich jeden Tag zu Gesicht bekam?
„Was ist überhaupt mit deinem Auge passiert?“, fragte Greg, dem meine Verletzung anscheinend erst jetzt auffiel. Oder weil er einfach das Thema wechseln wollte.
„Kleine Auseinandersetzung mit dem Jungs vom Team“
„Wegen was? Ihr versteht euch doch gut. Und du bist ihr Captain“
„Es gibt Dinge, die lassen sich einfach nicht mit Worten klären“, versuchte ich der Sache aus dem Weg zu gehen.
„Das war wegen Sherlock, oder? Weil du mit ihm zusammen bist?“
„Und selbst wenn das der Grund gewesen wäre … wieso interessiert dich das so?“
„Ich bin dein bester Freund, natürlich interessiert es mich, wenn dich jemand zusammenschlägt“, gelassen schnippte Greg den verbliebenen Stummel seiner Zigarette in den Aschenbecher, der auf dem Couchtisch vor uns stand. „Denkst du wirklich, dass er der Richtige für dich ist?“
Ich sah ihn empört an.
„Natürlich ist er der Richtige! Ich liebe ihn und Sherlock liebt mich. Nur weil irgendwer aus dem Team ein Problem damit hat, heißt das doch dich nicht, dass ich der gleichen Meinung sein muss. Was ist bloß los mit dir und Mycroft? Wieso versucht ihr beiden unter allen Umständen, mich von Sherlock fernzuhalten?“, aufgebracht lief ich zur Haustür und wollte gerade hinausstürmen. Ich drehte mich nur noch einmal um, um zu sehen, ob Greg mir vielleicht gefolgt war. Doch er stand noch immer im Wohnzimmer und sah mich durch die geöffnete Tür ruhig an.
„Wir versuchen bloß, dich von einer möglicherweise falschen Entscheidung abzuhalten, John“
„Ja. Was immer ihr sagt“, ich schloss die Haustür hinter mir und machte mich eilig wieder auf den Weg nachhause. Meine Klamotten, die noch von dem Hinweg nass waren, wurden innerhalb Sekunden noch nasser und klebten unangenehm und kalt auf meiner Haut, meine Haare hingen mir im Gesicht wie geklebt und ich brach in Tränen aus, die dank dem Platzregen nicht mal jemand, der nur einige Zentimeter von mir entfernt stand, hätte wahrnehmen können. Mir kam es vor als wäre jeder, aber wirklich jeder gegen Sherlock und mich. Selbst die Leute, die zu Beginn so verständnisvoll waren und uns unterstützt hatten. Vom einen auf den anderen Tag hielten Sherlock alle für einen Bösewicht und wollten mich von ihm fernhalten und ich hasste das. Ich war wohl alt genug um selbst entscheiden zu können wen ich liebe. Nicht, dass ich eine rechte Wahl gehabt hätte. Doch ich liebte es, ihn zu lieben und konnte das jetzt, wo es sowieso schon passiert war, nicht mehr rückgängig machen. Selbst wenn ich wollte, hätte ich keine Möglichkeit, meine Gefühle für Sherlock einfach so zu ignorieren oder gar zu vergessen. Ich atmete noch einmal tief durch … Leute, die mich davon abhalten wollte, glücklich zu sein, brauchte ich nicht in meinem Leben.

Genius Next Door (Teen!Lock Fanfiction)Where stories live. Discover now