What A Beautiful Boi

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Oida. Die geschissene Quarantäne nahm bereits drei Wochen lang ihren Lauf und so schien auch Wien einen verlängerten Winterschlaf zu halten. Im Gegensatz zu normalen Werktagen fuhren kaum Autos durch die engen Straßen und wenn man sich doch mal aus seiner Innenstadt-Wohnung wagte, kam es einem vor, als befände man sich nicht in einer der angesehensten Kulturstädte Europas, sondern ganz weit weg in einem Kaff in Kärnten.

Doch die Stille trog. Hinter den Krankenhaus-Mauern der zahlreichen Gesundheitseinrichtungen Wiens herrschte reinstes Chaos. Ärtze, Ärtztinnen, Pfleger und Krankenschwestern arbeiteten durchgehend, ohne eine wohlverdiente Pause einlegen zu können, um die Massen von Infizierten zu umsorgen.
In den tausenden von Häusern und Wohnungen, in denen zerstrittene Ehepartner und Familien mit Kindern zusammengepfercht waren, flogen die Fetzen und in Supermärkten wurden immer noch Hamsterkäufe getätigt.

"So a deppates Jahr des 2020", dachte ich mir demnach bereits zum tausendsten Mal seit Beginn der Quarantäne. Wenn ich morgens duschte, stand ich immer viel zu lange unter der Brause und dachte über das nach, was ich gerade verpasste. Es machte mich wütend, aber die Tatsache, dass ich an der Situation grundsätzlich nichts ändern konnte und ich mich, damit alles nicht noch schlimmer wird, den ganzen Regeln unterzuordnen hatte, frustrierte mich zunehmends.

Ich stieg aus der Dusche und griff mir mein großes weißes Handtuch, bevor ich es mir umwickelte und den angelaufen Spiegel abwischte. Wenigstens klopfte mein Bruder nach einer halben Stunde im Badezimmer nicht mehr energisch an die Tür, da ich seit wenigen Monaten in meiner eigenen Wohnung lebte. Durch einen Job beim Libro und massenhaft Auftritten in Drag-Bars war es mir schließlich gelungen genug für ein schickes kleines Apartment im 5. zusammenzukratzen. Ich war schon stolz darauf, nicht viele 21-Jährige schafften es sich in Wien alleine einen eigenen Wohnort zu leisten.

Der Spiegel war wegen der hohen Luftfeuchtigkeit in dem kleinen Badezimmer erneut angelaufen. Ich wischte den Dunst abermals weg und gab den Blick auf mein schmales, von schokoladenbraunen Locken umrahmtes, Gesicht frei. Meine Lippen schienen in einem dünklerem natürlichen Pink und meine grünen Augen funkelten unter meinen Stirnfransen hervor.

Niemand der mich sah hätte von mir erwartet, ich wäre an Samstag Abenden eine Drag-Queen, nicht mal ich hätte das vor nur wenigen Jahren. Es ist einfach irgendwie passiert, ich hatte mich schon immer gut mit alternativeren Leuten verstanden und so kam es, dass ich mich bei einem meiner nächtlichen Streifzügen mit meinem besten Freund Kurt in eine Drag-Bar verirrt hatte. Nach kurzem Gespräch mit den Darstellern merkte ich, dass die Szene perfekt für mich ist. Obwohl ich eine der wenigen Personen war, die in rohem Zustand äußerlich, zumindest nach zweimaligem hinschauen, dem weiblichen Geschlecht zugehörig schienen, wurde ich mit offenen Armen empfangen und konnte bald selbst als einzige in besagter Bar vertretene non-binäre Drag-Queen, auch bekannt als Maybelle Leen Velour, auftreten.

Es machte mir nichts aus des öfteren von Fremden als "sie" angesprochen zu werden, da ich mich damals vor zwei Jahren nur in meinem näheren Umfeld als non-binary geoutet hatte und daher auch nur von meinen engsten Vertrauten erwartete eventuell mit anderen Pronomen angesprochen zu werden, aber da dies in der deutschen Sprache nicht einfach war, wurde ich auch nicht haaß, wenn auch diese "sie" nutzten.
Es war mir nur einfach schon immer unangenehm gewesen mich Gendernormen zu beugen und es gab auch Zeiten, wo ich mich mit meinen weiblichen Geschlechtsmerkmalen nicht zu 100% wohl fühlte. Ich wollte jedoch auch nie ein Mann sein, daher schloss ich darauf, dass non-binary die treffendste Bezeichnung für mich war. Ich hatte Glück, dass meine Eltern mich Alexandra Fellner getauft hatten, sodass ich nun den genderneutralen Spitznamen Alex tragen konnte.

Ich verließ das Bad, bewegte mich in mein Schlafzimmer, wo ich über meine Unterwäsche ein loses Leiber und eine gelbe Latzhose streifte und begab mich zu meiner Couch im Wohn-Essraum. Nach dem Aufwachen hatte ich im Internet eine Ankündigung für eine Pressekonferenz um 10 Uhr bezüglich der weiteren Maßnahmen gesehen und hatte beschlossen den Fernseher einzuschalten. Bis dahin waren es jedoch noch zehn Minuten, weswegen ich es mir auf dem Sofa gemütlich machte, mein Smartphone zückte und die App TikTok öffnete.

Eigentlich hatte ich jene Anwendung verachtet, vor allem damals, als sie noch Musically genannt wurde, aber nach und nach hatte sie sich immer mehr nach meinem Geschmack geformt, bis ich mich schließlich entschlossen hatte, sie mir auch herunterzuladen.
Bald stellte sich heraus, dass TikTok die perfekte Plattform für mich war und ich lud auch selbst witzige Clips aus meinem Alltag und auch meiner anderen Seite als Drag-Queen hoch. Schon bald hatte ich mehrere Tausend Abonnenten erreicht und liebte die App mehr und mehr. Es machte mir aber nicht nur Spaß selbst zu kreieren, sondern auch die Videos anderer anzusehen.

Obwohl ich als pansexuelle non-binäre Person tief im LGBTQ+ Bereich von TikTok versunken war, wurden mir dennoch in den letzten Wochen zunehmend romantische, ja gar erotische Videos über einen gewissen Politiker unseres schönen Landes vorgeschlagen. Anfangs lachte ich nur, likte vielleicht das eine oder andere aus Spaß und dachte nicht mehr daran, aber irgendwie fing ich an eine besondere Verbindung zu spüren. Möglicherweise, weil ich sein Gesicht schon des öfteren wo anders gesehen hatte - und nein, ich meine nicht im Fernsehen, sondern tatsächlich im echten Leben. Klein und in der hintersten Ecke des Drag-Clubs konnte ich während meiner Auftritte von Zeit zu Zeit unseren Bundeskanzler Sebastian Kurz erspähen.

Würden mir fesche Gesichter nicht so ins Auge springen, wäre er mir womöglich gar nicht erst aufgefallen, so weit weg von der Bühne hatte er sich immer befunden. Meistens war er gegangen bevor die Show geendet hatte und ich war ihm nie nahe gekommen oder hatte gar mit ihm geredet, aber seitdem sah ich ihn irgendwie anders. Er mag zwar von einer Partei stammen, welche ich nicht sonderlich unterstützte, aber als ich vermehrt begann Sendungen über Politik im Donaustaat zu schauen, achtete ich sowieso nicht auf seine Worte, sondern bloß auf seine eleganten Gesichtszüge und seine smarten Anzüge, welche sich sanft um seinen gut gebauten Körper schmiegen.

Die TikToks bereiteten mir also mehr Freude als ich zugeben würde und ich genoss es ehrlich sie anzusehen, auch wenn ich vermutlich eine der wenigen bin, die sich die Videos nicht bloß aus ironischem Vergnügen heraus ansahen, sondern tatsächlich seine roten Wangen und blaugrauen Augen bewunderte. (wie sich bei der Recherche der Autorin ergab, hat Shorty tatsächlich eine coole Augenfarbe, das hat aber nichts weiter zu bedeuten; Foto ist oben hinterlegt)

Ich gelangte abermals tief in den Schlund der Basti-Edits, und als ich mich mit dem Gedanken daran, dass die Pressekonferenz ja bald beginnen müsste, losreißen konnte, stellte ich fest, dass es bereits fast zehn nach war. Schnell griff ich mir die Fernbedienung und drückte auf den Power-Knopf und der Anblick, der sich mir sogleich bot, ließ mein Herz für einen Schlag aussetzen. Shortys Gesicht war im close up auf meinem 45 Zoll Fernseher abgebildet und seine, von dunklen Wimpern gesäumten, Augen blickten gerade von seinen Notizen Richtung Publikum auf und mir wurde ganz heiß.

Ich wollte es mir zwar nicht eingestehen, aber... vielleicht war ich verliebt. "Ge scheiße", dachte ich, bevor ich mein Gesicht verzweifelt in meinen Händen vergrub.

Shorty Boi | Sebastian Kurz ff Where stories live. Discover now