9. Zurück im Labyrinth

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Langsam erlangte ich wieder das Bewusstsein. Das einzige, was ich zuerst spürte, waren starkes Kopfdröhnen und Kälte. Auf einmal hörte ich meinen Namen und jemand schüttelte mich. Es war Laura. Ich schlug die Augen auf. "Nina!" Laura atmete erleichtert auf. "Ich hab schon gedacht, du wärst ..." Sie umarmte mich. Als sie sich von mir löste, fragte ich:"Wo sind wir hier?" Wir waren von Dunkelheit umgeben, nur eine schwache Deckenlampe leuchtete auf uns herab. Ich bemerkte, dass ich mit einer Metallkette, die an meinem Fuß befestigt war, an eine Eisenkugel gefesselt war. Laura jedoch war frei. Ich stand auf und versuchte zu laufen, doch die Eisenkugel war zu schwer. Ich konnte sie nur sehr langsam hinter mir herschleifen. Bei jedem Schritt schmerzte mein Fußgelenk. "Es geht nicht", sagte ich keuchend, "so wird das nie was."

Plötzlich leuchtete weiter vorne etwas auf. Es war eine weitere Deckenlampe, die von der ersten knapp zehn Meter entfernt war. Als hätte diese Lampe eine Kettenreaktion ausgelöst, gingen immer mehr Lichter an und beleuchteten den mehr oder weniger düsteren Gang, der sich vor uns erstreckte. Auf einmal leuchteten auf der anderen Seite Lampen auf. Ganz weit hinten wurde ein Metallgitter sichtbar, das die gesamte Länge und die Höhe des Ganges ausfüllte, sodass wir gewissermaßen gefangen waren und in die andere Richtung gehen mussten.

Plötzlich sah ich, wie etwas Dunkles gegen das Metallgitter rannte. "Was ist das?", fragte ich. "Sieht hundeartig aus ...", bemerkte Laura. "Hundeartig?", wiederholte ich und sah genauer hin. Es stimmte. "Die haben uns schon mal gejagt", sagte Laura leise. "Lauf." Ich drehte mich um, machte einen Satz - und fiel der Länge nach hin. "Die Kugel ...", keuchte ich. Laura verstand und fing an, die Kugel zu rollen. Ich sprang auf und lief weiter, allerdings nicht zu schnell, damit Laura mit der Kugel nachkam.

Wir kamen gut voran, bis wir etwas sehr laut scheppern hörten. Das Metallgitter musste zerstört worden sein. Wir legten noch einen Zahn zu, hatten aber wenig Hoffnung, den Monstern zu entkommen, denn wir sahen noch immer keinen Ausgang. Bald hörten wir Geräusche, die nur von krallenbesetzten schnell laufenden Pranken kommen konnten. Laura drehte kurz den Kopf. "Ich kann den Abstand nur schlecht schätzen ...", keuchte sie, "fünfzig Meter ..." Wir hielten unser Tempo und rannten einfach weiter. Plötzlich kam zu den schnellen Schritten Hecheln, lautes Gebell und hungriges Knurren hinzu. Es wurde immer lauter. Ich wusste, dass wir nicht mehr lange durchhalten würden. "Zwanzig Meter", keuchte Laura und rollte die Eisenkugel schneller.

Auf einmal sah ich ein Loch in der Wand. Das Licht einer Deckenlampe fiel darauf. Ich schätzte das Loch auf knapp einen Meter Durchmesser. Die Monster würden also nicht dort rein können. "Da rein!", rief ich und zeigte auf das Loch. Doch wir konnten nicht mehr abbremsen und rasten daran vorbei. Bei dem Versuch zu stoppen stolperte ich und fiel unsanft auf den harten Boden. Die Eisenkugel rollte weiter und zog, doch Laura packte meine Hand und zerrte mich zurück zum Loch. Die hundeartigen Wesen kamen mit großen Sätzen schnell näher, doch Laura zerrte mich hartnäckig und auch ich kämpfte gegen das Gewicht der Kugel.

Auf einmal machte das größte und nächste Monster (vermutlich das Leittier) einen riesigen Satz nach vorn. Es streckte die riesigen krallenbesetzten Pranken aus und ich dachte, es wäre vorbei mit mir. Doch plötzlich fiel ich. Ich fiel in die Tiefe. Überall war es schwarz. Ich konnte überhaupt nichts sehen, aber ich wusste, dass Laura bei mir war. Sie hielt immer noch meine Hand. Sie hatte mich in die Dunkelheit gezogen. Ich schloss meine Augen und wartete auf einen Aufprall. Plötzlich - ein Aufschrei, dann noch einer. War es mein eigener? Ich weiß es nicht mehr; ich verlor das Bewusstsein.

Ich schlug die Augen auf. Alles um mich herum schimmerte in einem seltsamen Grün. Im Dämmerlicht erkannte ich eine unebene Höhle, die mehr in die Höhe als in die Breite ging. Außerdem erkannte ich ungewöhnliche Spinnen, die mit Hilfe ihrer Augen das grüne Licht ausstrahlten. Ich kannte diese Spinnen - sie hatten uns das letzte Mal auch geholfen.

Laura lag direkt neben mir. Ich rüttelte sie leicht und sie stöhnte leise. Als ich aufstehen wollte, um ihr hochzuhelfen, merkte ich, dass wir nicht auf Höhlenboden gelandet waren. Ein riesiges Spinnennetz hatte uns aufgefangen. Unter uns konnte man noch immer keinen Boden sehen. Ich bemühte mich, nicht nach unten zu sehen. Stattdessen versuchte ich, mit Laura zu sprechen und flüsterte:"Geht's dir gut?" "Ja", antwortete sie leise und rollte sich auf den Rücken. "Wir sind auf einem Spinnennetz", informierte ich sie, "in einer Höhle." "In einem Spinnennetz? In einem riesigen Spinnennetz?", rief sie panisch und richtete sich auf. Dabei wippte das Netz auf und ab. "Keine Sorge", sagte ich und legte meine Hand besänftigend auf ihre Schulter, "das Spinnennetz gehört den Spinnen, die uns schon mal geholfen haben." Im Dämmerlicht sah ich, wie sie sich umblickte und dann lächelte. "Tatsächlich", sagte sie.

Auf einmal fingen alle Spinnen an, in eine Richtung zu krabbeln. Sie liefen in einen kleinen Gang, durch den wir auch kriechen mussten. Wir verstanden und folgten den Tieren. Dabei ließ Laura mir den Vortritt wegen der Kugel, an die ich noch immer gekettet war. Der Tunnel war sehr niedrig und dunkel, doch es kamen ein paar Spinnen zurück und zeigten uns den Weg. Nach etwa drei Minuten kamen wir in einer großen Höhle an. Wir erkannten einen See in der Mitte der Höhle, doch er sah irgendwie kleiner aus. Die ganze Höhle sah kleiner aus. Ich nahm an, dass die Spinnen mehrere Verstecke hatten. Nachdem ich mich in die Nähe des Seeufers geschleppt hatte, setzte ich mich hin und bat die Spinnen, mir die Kette vom Fuß zu entfernen. Sofort umringte ein Dutzend Spinnen mein Fußgelenk und machte sich ans Werk, während Laura mir ein paar der Früchte brachte, die hier wuchsen. Sie waren etwa so groß wie Äpfel, kugelrund und dunkelblau. Ich merkte, dass die Schale hart war, sich aber leicht lösen ließ. Das Fruchtfleisch war sehr süß und saftig.

Als wir satt waren, hatten auch die Spinnen ihr Werk getan und das Metall an meinem Fuß durchtrennt. "Die kriegen aber auch alles hin", bemerkte Laura lächelnd. Die ungefähr zwölf Spinnen, die mich befreit hatten, gaben leise Geräusche von sich, als würden sie mit den Kieferklauen klappern oder so. Auf einmal stimmten alle Spinnen mit ein, sodass die ganze Höhle ungefähr eine Minute mit Klappern und Rascheln erfüllt war. Dann beruhigten die Tierchen sich wieder, umkreisten den See und veranstalteten eine Art Zeremonie. Diese hatten wir schon mal gesehen. Fasziniert sahen Laura und ich zu, wie sie einen Schritt machten, sich dem Wasser zuwandten, alle gleichzeitig einmal blinzelten und wieder einen Schritt weitergingen.

Schließlich bildeten sie eine Gasse, durch die wir zum Wasser hinlaufen konnten. Wir tranken große Schlucke und wuschen uns das Gesicht. Dann sagte Laura:"Wir sollten uns nochmal ausruhen, bevor wir weitergehen." Ich stimmte ihr zu und zog meine Jacke aus. Laura tat es mir gleich. Dann warteten wir, bis die Spinnen etwas Moos und Blätter von den Sträuchern herangeschleppt hatten, auf die wir uns legen konnten. Sie umkreisten uns wieder, doch ich ließ mich von dem grünlichen Licht nicht stören. Wie letztes Mal fühlte ich mich geborgen und geschützt.

Die Invasion der CreepypastasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt