eins

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An dem Tag an dem meine Mutter starb, gab es einen Sturm. Einen Sturm, so gewaltig, dass man noch Jahre danach darüber redete. Sie war über das Wochenende zu einer meiner Tanten gefahren und wollte an diesem Tag mit dem Auto zurückfahren. Auf halber Strecke kollidierte ihr Smart mit einem LKW, dessen Fahrer in Sekundeschlaf gefallen war. Der Lastwagen kippte um und begrub das kleine Auto unter sich. Mom war sofort tot; hinterließ zwei Vollwaisen.   Sie war immer eine sehr vorausschauende Person gewesen und so überraschte es mich nicht, dass ich, als ich drei Wochen später gemeinsam mit meinem kleinen Bruder Nick ihre Sachen ausräumte, auf einen Umschlag stieß, auf den mit der ordentlichen Schrift meiner Mutter "Für den Fall, dass ich sterbe." geschrieben war. Darin befanden sich zwei Briefe. Einen an mich und einen an Nick. Ich verschwand in meinem Zimmer. Mit zitternden Händen löste ich das die Seiten auf dem Umschlag und begann zu lesen.

"Kelly, meine Kelly. 

Das Beste, was mir je passiert ist, sind du und dein Bruder. Ich liebe euch mehr als alles andere auf der Welt. Wenn du das hier liest, bedeutet das, ich bin gestorben. Halte dein Leben nicht damit auf, unnötig zu trauern. Es gibt einige Sachen, die ich dir mit auf den Weg geben möchte. Aber vorerst habe ich ein Geschenk an dich. Ich weiß nicht genau, wie alt du sein wirst, wenn du das hier liest, aber sobald du dein Abitur hast, möchte ich, dass du dir ein Jahr frei nimmst und ein Abenteuer erlebst. In diesem Umschlag lege ich dir einen Gutschein für einen Flug hinein. Such dir einen Ort aus, egal welchen und flieg dorthin. Leb dein Leben so wie du es willst. Und lern neue Leute, neue Orte und fremde Bräuche kennen. Lass es mir dir sagen, die Chance zu tun was du willst bekommst du nicht noch einmal im Leben. Und mach dir keine Sorgen um Nick. Das Sorgerrecht wird nun auf Tante Annie übertragen. Er wird bei ihr aufwachsen. Ich habe alles geregelt. Jetzt pack deine Sachen zusammen, buch einen Flug und stürz dich in ein Abenteuer. Ich liebe dich!

Ich werde dich immer lieben, meine kleine Kelly.

Wir sehen uns im Himmel,

Mama"

Fassunglos legte ich den Brief  nieder. Mein Abitur hatte ich seit drei Wochen.  War ich wirklich in der Lage, meine trauernde Familie zurückzulassen, um sinnlos in der Welt herumzureisen?

Aber es war der Wunsch meiner Mutter und sie hatte immer gewusst, was am besten für mich ist. Ich ging rüber in Nicks Zimmer und besprach meine Pläne und den Brief mit ihm.

"Ich finde du solltest auf jeden Fall gehen, Kelly.", sagte er überzeugt. "Sie hat Recht. Du hast vielleicht nie wieder die Chance so etwas zu tun." - "Aber ich will dich nicht hier zurücklassen!"

Er schmunzelte und zwinkerte ihr zu, "Ist nicht so als würden wir oft zusammen abhängen. Geh einfach und zur Kommunikation gibt es Handys und das Internet. Komm mal im 21. Jahrhundert an, Spinnerin." Sie lächelten sich zu und umarmten sich lange.

"Hast du eine Ahnung wo du hinmöchtest?", fragte Nick beim Abendessen. Kelly lächelte, darüber hatte sie nicht lange nachdenken müssen. "Amerika!", sagte sie überzeugt und noch am selben Abend hatte sie ihr Flugticket ausgesucht.

In zwei Tagen würde es losgehen.

Kelly saß auf ihrem Bett und ging noch einmal die Packliste durch, die sie sich geschrieben hatte.

Da kam Annie in ihr Zimmer. "Kelly, bist du soweit? Wir müssen fahren sonst verpasst du den Flug." Sie nickte und zusammen brachten sie ihre beiden Koffer zum Auto. Sie hatte die billigste Route gewählt und würde nun von Berlin nach London Heathrow Airport und von dort aus nach Los Angeles LAX Airport fliegen, so hatte sie mehr Geld für ihren Aufenthalt übrig.

Der Abschied von Annie und Nick fiel Kelly schwer. Sie standen eine ganze Weile herum, während sie entweder ihrem Bruder oder ihrer Tante dramatisch um den Hals fiel und ihnen schluchzend versicherte wie sehr sie sie vermissen würden. Irgendwann konnte sie sich jedoch losreißen und kam schließlich im Flugzeug an. Es war fünf Uhr morgens und so verbrachte das Mädchen die zwei Stunden Flug mit Schlafen. In London angekommen hatte sie gute zwei Stunden Zeit um ihren Anschlussflug zu erwischen. Zu ihrem Glück musste sie sich nicht um ihr Gepäck kümmern, sondern musste nur noch ihr Ticket für die Economy Class abholen, den Rest der Zeit verbrachte sie damit, im Flughafen umherzustreifen und die Menschen zu beobachten. In einem Flügel des Flughafens gab es eine Art Hysterie. Massen von kreischenden Mädchen und Frauen tümmelten sich vor dem Eingang und Kelly sah nur wie zwei Männer, die eher aussahen wie Gorillas, einen Weg aus dem Getümmel herausgruben und ein paar junge Männer schützend zum anderen Ende der Halle brachte. Sie hatte keine Ahnung, wer diese Jungs waren, meinte jedoch, dass einige der Gesichter ihr bekannt vorkamen.

Sie entschied noch einen am Flughafen sündhaft teueren Kaffee trinken zu gehen, dann begab sie sich zu ihrem Terminal. Amerika, ich kommen!, dachte sie noch, als sie durch den Tunnel ins Flugzeug stieg.

It Started In Heaven (German)Where stories live. Discover now