4. Arroyada

9 2 0
                                    

Katharina war flott geritten und hatte nur einmal an einem Teich Rast gemacht, damit Tara sich ausruhen und trinken konnte. Sie selbst hatte etwas von den gebratenen Fischen gegessen. Getrunken hatte sie nichts, da sie nicht wusste, ob das Wasser des Teichs für Menschen genießbar war. Sie ärgerte sich, dass sie keine Wasserflasche bei sich hatte.

Im Dorf gibt es bestimmt einen Brunnen mit Trinkwasser, sagte sie sich. Je schneller ich reite, desto eher bin ich dort.


Am Nachmittag erreichte Katharina das Dorf Arroyada. Der erste Mensch, der ihr dort entgegenkam, war ein kleiner Bub, der die Prinzessin offenbar schon von Weitem heranreiten gesehen hatte. Der Bub trug eine kurze Hose und ein dünnes Hemdchen. Er zitterte am ganzen Körper und weinte.

»Was ist mit dir?« fragte Katharina und stieg vom Pferd. »Du musst ja furchtbar frieren, so leicht bekleidet, wie du bist.«

Katharina hatte Mitleid mit dem frierenden Kind. Sie nahm ihren langen Samt-Umhang ab und hängte ihn dem Kleinen um.

»Es wird alles wieder gut, ganz bestimmt«, versuchte sie ihn zu trösten. »Du kannst den Umhang behalten, du brauchst ihn dringender als ich. Was kann ich dir noch geben?« Sie löste den Beutel mit den Münzen von ihrem Gürtel und reichte ihn dem Kleinen. »Bring das Geld deinen Eltern! Vielleicht lindert das eure Not etwas.«

Der Bub strahlte über das ganze Gesicht und die Prinzessin erinnerte sich an den Satz, dass man das wahre Glück nur findet, indem man andere glücklich macht.

»Du kannst mir bestimmt sagen, wo der nächste Brunnen ist«, meinte Katharina. »Mein Pferd hat nämlich großen Durst – und ich auch.«

»Der Brunnen ist am Marktplatz, immer geradeaus«, antwortete der Bub. Er bedankte sich für das Geld und den Umhang und rannte freudestrahlend zum Haus seiner Eltern.

Katharina ritt langsam weiter durch das Dorf und stellte fest, dass die Räuber überall furchtbar gewütet hatten. Vor dem Brunnen am Marktplatz standen drei Frauen mit gesenkten Köpfen und sprachen leise miteinander. Ihre traurigen Gesichter verrieten, dass auch sie Opfer der Bande geworden waren. Eine der Frauen, sie war groß und schlank, schaute hoch, als sie Katharina bemerkte. Offenbar hatte sie die Prinzessin erkannt, denn sie rief ihr zu:

»Seid gegrüßt, Prinzessin Katharina! Wir sind in großer Not. In der vergangenen Nacht ist die Bande des brutalen Räuberhauptmanns El Vengador über unser Dorf hergefallen. Sie haben unsere Männer niedergemacht und unser ganzes Hab und Gut gestohlen.«

»Sie haben alle unsere Vorräte weggefressen und sich mit Bier und Wein vollgesoffen«, jammerte die zweite Frau; sie war kleiner und dicker als die erste. »Heute Mittag sind sie dann grölend davongeritten.«

»Wir besitzen absolut nichts mehr«, ergänzte die dritte Frau, die ziemlich mager war. »Wir können uns nicht einmal etwas zu essen kaufen, wenn der Kaufmann mit seinem Wagen vorbeikommt. Wir werden erbärmlich verhungern.«

»Ich besitze im Moment selbst nicht viel«, erklärte Katharina den Frauen. »Mein ganzes Geld habe ich bereits verschenkt. Aber ich will euch geben, was ich habe. Wenn ihr das dem Kaufmann gebt, bekommt ihr von ihm im Tausch bestimmt etwas zu essen.«

Und so beschloss die Prinzessin schweren Herzens, sich von ihrem wertvollen Schmuck zu trennen. Einer Frau gab sie ihre Perlenkette, der zweiten das mit Brillanten bestückte Armband und der dritten ihren goldenen Armreif.

»Vergelt's Gott, Prinzessin!« erwiderte die magere Frau. »Wie können wir uns dankbar erweisen?«

»Ihr könnt mir vielleicht wirklich helfen«, antwortete Katharina. »Ich suche den Heiligen Berg, wo ein weiser Mann leben soll. Könnt ihr mir den Weg sagen?«

»Kennt ihr einen Heiligen Berg?« fragte die große Frau die anderen.

Die beiden schüttelten ratlos die Köpfe.

Die Prinzessin erinnerte sich daran, was ihr der alte Fischer gesagt hatte, und fragte weiter:

»Wisst ihr dann vielleicht etwas von einem Gelehrten, der alle Berge, Wälder, Wüsten und Flüsse des Landes kennt?«

»Sie meint vermutlich diesen Sonderling, der nie sein Haus verlässt und Landkarten zeichnet«, äußerte die dickliche Frau.

»Wahrscheinlich«, erwiderte die magere. »Er wohnt nicht weit von hier. Reitet dort drüben über den Bach und dann nach Nordwesten! Auf einem kleinen Hügel am Waldrand steht sein Haus.«

»Ich danke euch für eure Hilfe«, sagte Katharina. »Und ich verspreche euch, dass ich dafür sorgen werde, dass die Räuber ihre gerechte Strafe erhalten. In nächster Zeit werden sie euer Dorf bestimmt nicht noch einmal überfallen. Sie müssen ja davon ausgehen, dass es bei euch nichts mehr zu holen gibt.«

Sie ließ Tara aus dem Brunnenbecken saufen, trank selbst etwas von dem kühlen sprudelnden Wasser und ritt dann in die Richtung, die ihr die Frau gezeigt hatte. Undeutlich hörte sie, wie eine der Dorfbewohnerinnen den beiden anderen zuflüsterte:

»Sie ist ganz anders, als immer behauptet wird. Ich dachte, sie sei selbstsüchtig und eingebildet. Dabei ist sie so nett und hilfsbereit. Wie man sich doch in einem Menschen täuschen kann!«


Kathy und der ZaubererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt