Wege der Nacht

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Der Weg teilte sich hier. Ich überlegte in welche Richtung ich gehen sollte, rechts oder links. Sollte ich es riskieren? Ich war schon fast dabei die rechte Straße zu nehmen, doch dann wechselte das Lied und ich hörte die ersten Töne meines Lieblingsliedes, wurde automatisch fröhlicher und entschied mich doch links zu gehen. Mit einem Kopfhörer im Ohr, ging ich langsam den dunklen Weg entlang. Hinter mir konnte ich, die immer leiser werdenden, Geräusche, all der Menschen, an denen ich vorhin vorbeigegangen war, hören.
Ich konzentrierte mich wieder auf die Musik, da der Refrain nun kam und dachte nach langer Zeit mal wieder an nichts. Doch dies hielt nicht lange an.
Sobald ich 20 Meter von der Stelle, an der ich vorhin stehen geblieben bin, entfernt war, hörte ich erneut Stimmen. Ich wurde langsamer und nahm den Kopfhörer aus meinem Ohr, in der Hoffnung, ich hätte mich verhört. Doch nein, ich täuschte mich nicht, bevor ich mich umdrehen und weglaufen konnte, erblickte ich sein Gesicht in der, von einer Straßenlaterne erhellten, Dunkelheit. Ich spürte, wie mein Herzschlag immer schneller und stärker wurde und versuchte leise durchzuatmen, um mich so zu beruhigen.
Es war zu spät, es gab kein zurück mehr. Neben ihm war noch jemand. Ich erkannte ihn nicht, aber er mich, wie es schien. Wir kamen uns immer näher. Konnte ich nicht doch noch schnell in die andere Richtung gehen? Vielleicht hatten sie mich gar nicht gesehen. Unwahrscheinlich. Ich merkte, wie sein Freund etwas sagte und er zu lachen begann. War es etwas über mich? Es waren nur noch wenige Meter zwischen uns und alles worauf ich achten konnte war sein Lachen, dieses Lachen, welches mich vor drei Wochen noch selbst zum Lächeln gebracht hatte. Doch jetzt lachte er über mich, oder etwa nicht?
Ich wusste es nicht, aber wollte mich dennoch verstecken, einfach unsichtbar sein. Beschämt versuchte ich auf den Boden zu schauen, doch ich konnte nicht. Ich musste ihn ansehen, ich schaute wieder nach oben und merkte er war nur noch einen Meter schräg von mir entfernt.
Unsere Blicke trafen sich. Ich schaute ihm in seine, in der finsteren Nacht hervorblitzenden blauen Augen, die ich so lange nicht mehr gesehen hatte. Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit und für den Bruchteil einer Sekunde vergas ich, wo ich war, was gerade passierte und verlor mich in seinen Augen.
Wir gingen aneinander vorbei und ich wurde wieder in die Realität zurückgeholt. In eine Realität, in der ich es nicht mehr aushielt. In der ich nicht mehr sein wollte. Ich fühlte den Schmerz in mir. Jetzt noch viel intensiver als davor. Es war so intensiv, dass ich das Gefühl hatte daran zu ersticken. Ich versuchte nach Luft zu schnappen, doch egal wie sehr ich einatmete, das Gefühl des Erstickens wurde nur schlimmer. Ich merkte, wie die Tränen, die ich versucht hatte, zurück zu halten, über mein ganzes Gesicht strömten. Plötzlich waren da neue Stimmen. Ich musste hier schnell weg, also begann ich zu rennen. Ich rannte und rannte, schneller und schneller. Ich hatte keine Luft mehr, mein Kopf pochte, ich spürte mein Herz, bis in meinen brennenden Hals hinauf, doch lief weiter, immer weiter und weiter.
Ich war von meinem Nachhauseweg abgekommen und rannte in den Wald. Ich wusste nicht wohin der kleine Pfad, der wahrscheinlich von irgendwelchen Wanderern geschaffen wurde, führte, doch es war mir auch egal. Alles woran ich denken konnte war er und dieser Zufall. Ich hatte mich für den linken Weg entschieden und war ihm trotzdem begegnet. War das ein Zeichen? Das musste doch etwas bedeuten. Gab es doch noch Hoffnung für uns? Ich wünschte es mir so sehr und dennoch wusste ich, tief in mir drin, dass es nicht so war.
All die schönen Dinge, die er zu mir gesagt hatte hallten in meinem Kopf wieder. Alles nur Lügen? Gibt es echt Menschen, die zu so etwas fähig sind? Wäre er zu so etwas fähig? Ich wusste es nicht. In meinem Kopf schwirrten tausende Fragen, Erinnerungen und Gedanken herum. Und wieder sah ich sein Lächeln vor mir. Dieses Lächeln, dass mir von Anfang an aufgefallen war. Seine Augen. Seine dunkel blauen Augen, in die ich Stunden lang schauen könnte. Die mich bei unserer ersten Begegnung die ganze Zeit über verfolgt hatten.
Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung, wie besorgt er um mich war, ohne mich zu kennen. Unser erster Kuss. Wie er meine Hand hielt und ich ihn nie wieder loslassen wollte. Unser erstes Treffen danach, wie unsicher und dennoch glücklich ich war. Wie aufgeregt ich war, als er mich von der Schule abholte. Ich erinnerte mich an unsere stundenlangen Gespräche und wie aufmerksam er mir zuhörte. Wie er sich plötzlich, als meinen Freund bezeichnete und mich damit überglücklich machte. Das Bild von uns, welches wir in dieser Nacht gemacht hatten, schoss mir durch den Kopf. Vor drei Wochen freute ich mich jedes Mal, wenn ich mein Handy andrehte und es sofort auf meinem Hintergrund erblickte, doch jetzt zerbrach mir allein der Gedanke daran das Herz.
Der ganze Schmerz in mir wurde immer unerträglicher. Ich wollte schreien. Schreien bis alles wieder gut war,  bis das Alles aufhörte. Doch ich konnte nicht. Es war so als wäre mein Hals zugeschnürt. Der Wald wurde immer dunkler und meine Augen waren noch immer voller Tränen so dass ich sogut wie nichts sah.
Ich merkte noch, wie mein Kopf auf etwas Hartes stieß und alles immer ruhiger wurde. Blutete ich? Ich wusste es nicht. Ich spürte nichts mehr. Plötzlich überkam mich eine Müdigkeit und meine Augen wurden immer schwerer und schwerer, bis sie schließlich zu fielen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 30, 2021 ⏰

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