Prolog

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Meine Geschichten - Wattpad


Menschen, die sich alle gleich verhielten und alle gleich aussahen in ihren schwarzen, engen Jeans und Hemden, waren zum Kotzen vertraut. Menschen, die alle den selben leeren und ebenso gekünstelten Ausdruck von Freude aufgesetzt hatten, glichen einer Maschine. Menschen, die untereinander keine Beziehungen zu haben schienen und jeden so behandelten, als würde man ihn zum ersten Mal begegnen, zeigten bloß, wie schwach ihre Persönlichkeit war. In dieser tristen Welt lebte ich und war einer von diesen Menschen, die hier residierten und dieses monotone Leben führten. Ich fühlte mich so, als wäre ich an einem wüsten Zaun mit eingekeilt worden. Einsam und als ein Teil vom Ganzen. Wobei niemand wirklich dieses Ganze verstand.

Wo blieb also noch die Selbstbestimmung? Wieso waren wir alle bloß ein Keil dieses Zaunes und bewegungslos? Wer entschied überhaupt über diesen Zaun? Konnte man nicht einfach davon abtreten und die Sorgen und Ängste hinter sich lassen? Von Tag zu Tag entstanden immer mehr Fragen und es existierten immer weniger Antworten darauf. Zugegebenermaßen stellte ich mir diese niemals, nicht ein einziges Mal.
Ich war definitiv zu jung, um darauf eine Antwort zu finden, und es interessierte mich nicht. Nicht eine Bohne. Wieso sollte ich mich somit mit Gedanken befassen, bei denen ich auf keine Lösung käme?

Und genau das war das Problem.
Es hätte mich interessieren sollen.

Dann gab es noch die andere unkonventionelle Personengruppe. Unbedeutend, wie sich die Mehrheit verhielt, diese Personen lebten nach ihrem eigenen Konzept. Dazu gehörte mein Vater, der die Menschheit stets grotesk wahrnahm: „Guck dir diese Leute an." Sein Blick glitt zerstreut aus dem Fenster zu den Nachbarn, die vor ihrem 'perfekten' Haus standen und scheinheilig über ihr ach-so-tolles Leben prahlten, obwohl sie es über alles hassten. Doch das durfte schließlich keiner wissen. ,,Glaubst du, sie wissen überhaupt, wie alt ihre Kinder sind?"
Ehrlich gesagt 'nein, das tat ich nicht'. Dennoch wollte ich mit dieser Fragenstellung und Angelegenheiten anderer nichts zu tun haben.

Und wie jeden Tag, nachdem er das sagte und einen tiefen Atemzug ausübte, zog er sich seine Schuhe an.

Gent war groß, voller Gebäude, voller Einkaufsläden und sehr belebt. Die Leute liefen kreuz und quer
auf den Straßen herum. Man hörte Stimmen, klirrendes Geschirr aus den Cafés, selten ein Signal vom Hafen und das plärrende Wasser aus den kleinen Fontänen. Einige hetzten mit großen Taschen und einem aufgelösten Blick durch die Menschenmenge zur Arbeit oder wollten noch das Schiff nach Feierabend ergattern. Andere liefen gelassen Hand in Hand mit einem Lächeln im Gesicht Richtung Kanal. Links vom Bürgersteig saß ein Mädchen auf einer kalten Metallparkbank, ich schätzte sie auf siebzehn Jahre alt, sie ließ ihr dichtes Haar vor ihr Gesicht fallen und weinte in ihre Hände hinein. Hatte sie Stress zu Hause? War sie krank? Ich hoffte bloß, sie konnte schnell wieder lächeln.
Viele Leute kamen uns entgegen, sie hielten große Einkaufstaschen in den Händen, Tüten, wo das frisches Grün von
ihren Karotten herausschaute oder einen riesigen Korb voller Ware, das wohl für die nächsten zwei Monate ausreichen würde.
,,Wir sind wohl nicht die einzigen, die auf die Idee kamen, ein zu kaufen", begann Vater mit einem begeisterten Ausdruck und beobachtete genauso fasziniert die Menschen, wie ich
es tat. Komisch, dass ich ein und das selbe dachte, ehe er es ausgesprochen hatte.

Gemeinsam liefen wir durch die Stadtmitte und schauten beide dem Café hinterher. Die Menschen saßen an runden Tischen, die mit Pflanzen geschmückt waren. Sie thronten auf bequemen Sesseln, die mit grauen Sitzpolstern und einer weißen Lehne ausgestattet waren. Auf ihren Tischen türmten sich Eisbecher, die mit einer ordentlichen Portion Sahne zubereitet wurden. Es ließ einem das Wasser im Mund zusammen laufen.

Da riss mich eine aufgeweckte Männerstimme aus meiner Träumerei. ,,Vorsicht!"
Rief der Mann mittleren Alters und läutete mit seiner Fahrradklingel.
Vater hätte schon lange seinen Mund über ihn zerrissen, dass es sich hier um eine Fußgängerzone handelte, zum Glück riss er sich zusammen. Dennoch war ich glücklich, diese schmackhaften Eisbecher aus dem Gedächtnis zu werfen.


Ohne irgendeiner anderen Absicht, als uns um das Abendessen zu kümmern und dafür den Genuss frischer Pilze zu verspüren, wollten wir in einen einfachen und günstigen Supermarkt gehen.
Vor uns erschreckte sich ein
langer Turm mit vier Etagen, riesigen Fenstern und einer eisernen Spitze, die glänzte wie der ganze Stolz der Stadt. Das Gebäude wurde von Sandsteinen geziert und strahlte einen unfassbaren mittelalterlichen Flair aus, ohne dass es heruntergekommen wirkte. Doch der Vorsitz hielt die Tore vor uns Einwohner verschlossen. Im Mittelalter beherbergte man dort geheime Archive, die jedoch vor Jahrzehnten verbrannt worden waren. Was sich aber heute darin befand, blieb ein Mysterium.
,,Eines Tages werde ich dieses Geheimnis lüften", sprach ich zu mir selbst.
Kein Mensch mit Grips in der Hirnschale würde ein Kulturstück dermaßen 'wegwerfen'.

Der kleine Anbau dagegen war für uns zulässig. Die damalige Tuchhalle nannte
n sie nun 'Selbstbedienungsladen'. Ein unglaublich teurer Bau mit einem atemberaubenden Ausmaß an Arbeit stand also für den Namen eines simplen Supermarkts. Wo vor 460 Jahren die Menschen das Fechten übten und später Seniorenabende feierten, dort kauften wir heute unsere Eier und nach Lust und Laune einen fettarmen Joghurt.

Erst als Vater mich sanft an der Hand zog, bemerkte ich, dass ich schon wieder mit komplett überstrecktem Nacken und offenem Mund vor diesem
Haus stand und vergaß zu atmen.
Denn jedes Mal, wenn wir etwas einkaufen wollten, blieb ich wie angewurzelt stehen und stellte Mutter jede Episode, die mir durch den Kopf ging.


,,Kommst du? Es wird sonst spät."
Ich schüttelte meinen kurzen braunen Schopf und griff wieder nach der dünnen und kühlen Hand von Vater.
Erst da fiel mir auf, wie lange ich schon wieder träumte und die Gegenwart vor Augen verlor.

Während sich unser Weg mit dem einer älteren Dame kreuzte, die mir zulächelte, kam mir schon die Kühle des Supermarkts auf der Türschwelle entgegen. Eine leichte Gänsehaut überzog meine Arme, als meine Augen bereits das Regal mit den Pilzen suchte. Vor uns befanden sich um die zehn Reihen voller ein Meter hohe
r Regale, an denen sich jeweils ein Scanner befand, um die Ware mit einer Karte zu bezahlen.
Die Regale waren
mit den unterschiedlichsten kulinarischen Spezialitäten ausgestattet. Wer wohl dafür aufkam? Ob die Regierung selber die Pilze und anderen Sachen pflückte? Der Wald befand sich zu sehr außerhalb, wir dürften niemals dorthin. Doch wer tat es eigentlich? War es nicht unvorstellbar gefährlich, außerhalb der Stadt zu arbeiten?

Sofort verflog das Wohlbehagen, denn es war durch die Gefriertruhen so kühl hier, wie die Einrichtung aussah. Die
lieblos gestalteten Verpackungen in den ebenso farblosen Regalen dienten nur dazu, um ihren Nutzen zu leisten. Sie sollten den Verbraucher nicht beeinflussen und mit Werbung und Farbe ablenken. Genau deshalb wunderte es mich, weshalb auch das Gemüse und das Obst noch nicht gefärbt wurde, um auch hier den Lebensdurst zu nehmen. In Magazinen, die Mutter überall in der Küche liegen hatte, sah ich einst, wie Obst in grünen oder roten Körben verkauft worden waren. Sie lagen in einer langen Reihe, über ihnen befanden sich Spiegel und dazu wurde das Essen so erleuchtet, dass ich mich nicht entscheiden könnte, wie viele Kilos ich kaufen sollte. Die Äpfel strahlten nur so, die Kirschen glänzten, als hätte man sie ewig poliert, die Paprika wirkten so frisch und saftig in den Farben gelb, grün und rot. Man spürte wie die Augen lächelten.

Und nun hielten wir uns vor kahlen Regalen auf und mussten die Augen zukneifen, um annähernd die Frische der Paprika zu erraten.


Vater ließ meine Hand los und
nahm die letzte Packung mit Pilzen aus dem Regal. ,,Könntest du mal halten?" Ich griff nach dieser und spielte damit herum. Sie war doppelt so groß wie mein Handteller, es kostete schon Konzentration, die Packung nicht fallen zu lassen, dabei noch zu warten, bis Mutter bezahlt hatte, war wirklich Quälerei.
Ich wendete die Packung zu allen Seiten, drehte sie und dann zur anderen Seite. Musste eigentlich alles, was sie hier verkauften, in einer würfelförmigen Schale stecken?! So weit ich mich erinnerte, war mein Geschenk für den Tag der Nachkommenschaft in genau so einer Schachtel eingepackt.
Während wir noch am selben Gestell standen, zückte Vater seinen Geldbeutel, um mit ihrer elektronischen Karte das Produkt direkt am Regal abzurechnen. Doch so weit kam es erst gar nicht.

Ich hörte bloß ein dumpfes Geräusch und da lag schon sein Port
emonnaie auf dem Boden. Ohne nach zu denken bückte ich mich, um es aufzuheben.
,,Hier, du hast etwas ver-", doch als ich ihm seine Brieftasche entgegen hielt, reagierte er nicht. Wie angewurzelt stand er vor dem Regal, wobei seine sonst so weiche und zarte Miene
durchdringende Härte ausstrahlte. Es rührte sich kein Muskel, sein Körper war steif und wie gelähmt, sein Ausdruck war leer und dennoch steckte mehr dahinter.

Meine Hand zerrte an seinem Jäckchen: ,,Was ist los? Warum redest du nicht?"
Mir standen die Tränen in den Augen, noch nie hatte ich ihn so erlebt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Ich hatte Angst, ich verstand nicht, wieso er sich so seltsam verhielt...

Von
der einen auf die andere Sekunde rührte er sich wieder, ließ die Pilze im Regal zurück und wandte sich der Tür zu. Vaters Ausdruck wirkte aufgesetzt und lieblos zerrte er unerwartet an meiner Hand, wobei sie mich zwang, die Verpackung im Geschäft zu lassen.


Traum der ZerstörungTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang