Du bist der Spiegel deiner Seele

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,,Ich zähle bis drei, dann nimmst du meine Hand und wir springen zusammen", seine haselnussbraunen Augen schauen mich beschützerisch an, während ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielt. Alles an ihm sagt mir: ,,Ich beschütze dich, du bist sicher". Ich könnte mich fallen lassen und wüsste, dass ich in Sicherheit bin. Ihm könnte ich mein Leben in die Hände geben und würde mich immer noch geborgen fühlen.
Hinter mir befindet sich eine riesige Sanddüne, die wohl Jahre lang nicht mehr berührt wurde. Über mir erstreckt sich der wolkenfreie Himmel, der durch einige wunderschöne Vögel gezeichnet ist, die am Himmel tanzen. Und geschätzterweise etwa hundert Meter unter mir, erstreckt sich ein opalblaues Meer, das sich mir bis in die Unendlichkeit erstreckt, wobei leichte Wellen ans Ufer schlagen.
Wohlmöglich bilden wir gerade ein traumhaftes Bild ab, das jeder Fotograf gerne schießen würde, allerdings sieht es in mir alles andere als traumhaft aus. Mein Herz schlägt so schnell, dass er sicherlich schon einen Hörschütz braucht, um nicht taub zu werden. Mein Magen hat sich schon zum kleinsten existenten Teilchen zusammengezogen und ich zittere so sehr, dass ich das Gefühl habe, gleich bewusstlos zu werden.
Mein Sternzeichen gehört zu dem Element Erde, dass ich eine Affinität zu diesem haben soll, das ist mir gerade nochmals (vielleicht auch erstmals) bewusst geworden. Feuer verbrennt einen, in der Luft oben kann es gefährlich hoch werden und einen in den Tod stürzen lassen oder auch einfach nur in den Wahnsinn treiben und Wasser kann einen ertränken. Aber die Erde, die ist stets sicher, sie gibt jedem Sicherheit und Standfestigkeit, sie gibt Kraft für neues Leben, sie gibt Hoffnung, sie verbreitet keine Angst.

Ich nehme seine Hand und drücke sie so sehr, dass er eigentlich schon an inneren Blutungen leiden müsste und ich bete dafür, dass ich in den nächsten zwei Minuten noch am Leben bin. ,,Schließ die Augen", flüstert er mir beruhigend zu, ,,es ist wie Fliegen, ich werde dich auch nicht loslassen, bis du wieder über Wasser bist. Notfalls trage ich dich noch ans Ufer." Ich atme tief ein und schließe dabei meine Augen. Man soll sich seinen Ängsten stellen, aber wäre es nicht einfacher, seinen Ängsten aus dem Weg zu gehen?
Ehe ich weiter darüber nachdenken kann, hat mich schon seine Hand mitgezogen und mein Magen fühlt sich plötzlich viel leichter an. Ich fühle keine Boden mehr unter den Füßen und habe wirklich das Gefühl zu Fliegen. Die Zeit vergeht auf einmal so langsam. Doch ich traue mich nicht, meine Augen zu öffnen, ich will nicht im Wasser aufkommen, ich will weiterhin schwerelos sein, keine Pflichten haben und in diesem Zustand der Freiheit bleiben.
Doch in dem Moment, wo er meine Hand fester drückt, bemerke ich die harte Oberfläche des Wassers. Erst an den Füßen und dann an meinem ganzen Körper. Mir wird jetzt erst die kalte Temperatur des Wassers bewusst, aber durch das Adrenalin im Körper, wird diese Kälte nur zur Nebensache. ICH HABE ES GESCHAFFT!, realisiere ich erst viel später. Ich bin die Klippe runtergesprungen und lebe noch, es ist einfach ein wortloser Moment. Langsam lässt sich dieser Trance-Zustand auflösen, sodass sich mein Körper regeneriert und ich wieder klar denken kann.
Ein Blick nach oben zur Klippe fühlt sich so seltsam an, ich kann gar nicht realisieren, dass ich soeben so weit in die Tiefe gestürzt bin. Die Distanz von hier unten zum Gesteinsbrocken nach ganz oben wirkt so mächtig.
,,Komm mit", sagt er freudig und schwimmt Richtung Ufer, ich folge ihm wortlos und versuche immer noch zu realisieren, was ich gerade geschafft habe. Am Ufer angekommen sehe ich, dass er zuvor schon Handtücher bereit gelegt hat. Und dafür mich ich ihm wirklich dankbar, außerhalb des Wasser vergisst man, dass es eigentlich mit über dreizig Grad warm sein sollte, da sich auf meinen ganzen Körper eine Gänsehaut breit macht und der frische Wind meinen Zustand nicht verbessert.
Wir setzen uns auf ein kleines Handtuch während er mir ein größeres um die Schulter legt.
,,Hat es dir denn gefallen?", er grinst mich erneut an, dieses Mal ist aber eine menge Stolz in seinem Ausdruck zu sehen.
Ich kann nur zurückgrinsen und antworte schnell: ,,Abgesehen davon, dass ich oben dachte, dass ich ohnmächtig werde und meine letzte Stunde geschlagen hat, war es unglaublich." Es lässt sich gar nicht in Worte fassen, was ich gefühlt habe, es war unbeschreiblich, aber an meiner Mimik sollte er erkennen, was sich in mir abspielt.
,,Ich wusste es doch, dass es gar nicht so schlimm sein konnte", erwidert er und zieht sich über seine nasse Brust ein trockenes schwarzfarbiges T-Shirt an, sodass die ganze Nässe wieder durchscheint.

Traum der ZerstörungDonde viven las historias. Descúbrelo ahora