Als ich die Haustür weiter aufstieß, welche Henry bloß angelehnt hatte, umhüllte mich noch in derselben Sekunde eine Duftwolke bestehend aus dem herzhaften Geruch des Essens und einer anderen unerkennbaren Note. Es roch nach meinem Zuhause.
“Caden?”, hörte ich die helle Stimme einer Frau rufen. Mein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, als der weiche Klang die feinen Härchen in meinem Nacken so tief zu berühren schienen, wie es ein Lied bei meiner Seele tat. 

Mom?

Während ich meine Tasche auf dem Fußboden abstellte und dabei einen tiefen Atemzug nahm, erkannte ich Janes zierliche Figur, welche vor dem Bogen auftauchte, der in die Küche führte. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich eine solch intensive Mischung aus zwei vollkommen unterschiedlichen Gefühlen zur gleichen Zeit verspürt, wie in diesem Augenblick. Enttäuschung und Glücklichkeit. 

Jane war nicht meine Mom und diese Rolle würde sie auch niemals spielen wollen oder können, doch sie half meiner kleinen Familie in gewisser Weise dabei, den Zusammenhalt nicht zu verlieren. Die pure Freude, welche sich auf ihren feinen Gesichtszügen auszeichnete, erfüllte mich mit einer Welle aus Rührung. 
Ehe ich Jane auf irgendeine Weise hätte begrüßen können, lief sie mit ihren flauschigen Hausschuhen auf mich zu, um ihre Arme feste um meinen Körper zu schließen.
Diese herzerwärmende Geste berührte mich zwar sehr, doch ich konnte den stechenden Schmerz unterhalb meines Rückens nicht leugnen, welcher mich mit einem bittersüßen Nachgeschmack an Jamie denken ließ. 

“Wir haben schon auf dich gewartet, Caden!”, sagte Jane, als sie mich aus ihrer Umarmung befreite und daraufhin über mein Shirt strich, so als würde sie ein wenig Staub von mir entfernen wollen. 
“Pünktlichkeit gehörte noch nie zu seinen Stärken, habe ich recht?”, meldete sich mein Vater zu Wort, welcher mit vor der Brust verschränkten Armen aus dem Esszimmer kam. Das vergnügte Lächeln auf seinen Lippen milderte jedoch die Ernsthaftigkeit und Schwere seiner Worte, obwohl er mit ihnen zugegebenermaßen genau ins Schwarze getroffen hatte. 
“Ich freue mich auch, euch zu sehen”, sagte ich lachend und erwiderte das Zwinkern, welches mir mein Vater schenkte. 

⊱✿ ✿⊰

Bevor ich auf meinem Stuhl am Esstisch Platz nahm, ließ ich meinen Blick über die Bilder auf dem Regal schweifen, die alle in perfekter Ordnung aufgereiht worden waren. 
Meine Mutter trug ihr schönstes Lächeln und kleine Fältchen umringten ihre Augen, bloß um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß sie ihr viel zu kurzes Leben genossen hatte. In meinem Kopf ertönte plötzlich ihre warme Stimme, welche mir zuflüsterte, dass alles in Ordnung werden würde, auch wenn mir die erdrückenden Sorgen etwas anderes erzählten. 

Und vielleicht hatte sie recht. Vielleicht würde meine Familie positiv auf die ehrlichen Worte reagieren, welche ich gestern bereits mit Jamie eingeübt hatte. Oder zumindest nicht allzu negativ. 
Meine Nerven lagen vollkommen blank, doch ich bemühte mich inständig darum, meine Gefühle nicht an die Oberfläche vordringen zu lassen. 

Henry saß auf dem Stuhl zu meiner Rechten und schaffte es allein mit seiner bloßen Anwesenheit, dass meine Nervosität ein wenig nachließ und sich der Knoten in meinem Bauch allmählich lockerte. 
“Wir müssen unbedingt wieder schwimmen gehen, meinst du nicht?”, sagte Henry und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte, während er kontinuierlich zwischen mir und dem Eingang zur Küche hin und her blickte. Ich konnte mein Schmunzeln aufgrund seines Verhaltens kaum verstecken. 

“Ich stimme dir voll und ganz zu, aber dann dürfen wir nicht mehr allzu lange warten. Immerhin fängt bald der Herbst an”, antwortete ich, woraufhin Henry bloß teilnahmslos mit den Schultern zuckte. “Meinetwegen können wir auch im Winter schwimmen gehen.”
Ein leises Lachen entfuhr meinen Lippen, für welches mir mein kleiner Bruder verhältnismäßig kräftig auf den Arm schlug.
“Seit wann bist du so frech?”, fragte ich ihn grinsend und führte die kindische Schlägerei fort, indem ich seinen Schlag mit erheblich weniger Stärke erwiderte. Nun war Henry derjenige, der sein Lachen nicht länger unterdrücken konnte, doch bevor er die Möglichkeit dazu erhielt, seine Rache erneut an mir auszuüben, betraten Jane und mein Vater das Esszimmer. Henry und ich setzten uns augenblicklich aufrecht hin, in der Bemühung, mit unserer guten Erziehung glänzen zu können. Dad schüttelte schmunzelnd den Kopf und bloß wenige Sekunden später standen zwei dampfende Töpfe und eine riesige Salatschüssel, welche definitiv für eine größere Anzahl an Personen reichen würde, vor uns auf dem Tisch. 

Unexpected Love (boyxboy) Where stories live. Discover now