Z W Ö L F

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Irgendwo aus der Ferne drang das Geräusch eines klingelnden Handys an mein Ohr, bis mir schleichend in mein Bewusstsein kam, dass es sich um mein eigenes handelte. Müde tastete ich meinen Nachttisch ab, bis ich etwas kleines rechteckiges erfühlte. Kurz darauf hielt ich es mir ans Ohr und ließ ein verschlafenes „Hallo?" erklingen. Am anderen Ende der Leitung blieb es still.
„Wer ist denn da?", wollte ich wissen. Wieder blieb es still und gerade, als ich auflegen wollte, erklang eine mir durchaus vertraute Stimme.

„Melia. Hier ist Melia." Ihre Stimme war leise und von einem Schluchzen begleitet.

Augenblicklich saß ich aufrecht und hellwach in meinem Bett. In meinem Kopf läuteten die Alarmglocken und ein Blick auf die Uhrzeit verstärkte diese zusätzlich. Es war kurz vor drei Uhr in der Nacht.

„Ist etwas passiert?" Ich wusste nicht aus welchem Grund sie mich anrief, aber das spielte keine Rolle, denn eines war offensichtlich. Sie weinte und es ging ihr nicht gut.

„Können Sie mich abholen?‌ Bitte."

„Wo bist du?" Noch während ich mit ihr sprach, schlug ich die Decke zur Seite und schaltete das Licht an.

Nach einem kurzen Zögern nannte sie mir die Adresse und ich versprach ihr, in fünfzehn Minuten bei ihr zu sein. Sie sollte solange auf mich warten und nirgendwo hingehen.

Nachdem ich schweren Herzens aufgelegt hatte, zog ich mich im Eiltempo an und saß kurz darauf in meinem‌ Auto. Die Straße, die sie mir genannt hatte, war zum Glück nicht weit entfernt und so war ich keine zehn Minuten unterwegs.

Wenige Meter vor meinem eigentlichen Ziel, sah ich auf einmal einen Menschen auf dem Gehweg entlanglaufen und instinktiv hielt ich neben ihm an. Im Dunkeln der Nacht hatte ich sie nicht erkannt, doch als ich das Autofenster herunterließ, erkannte ich erschrocken, dass es sich um Melia handelte.

Sofort stieg ich aus und half ihr anschließend behutsam ins Innere des Wagens. Ihr Körper zitterte, ihr Haar war nass, die Augen vom Weinen sichtbar gerötet. Was mir jedoch mehr Sorgen bereitete, war der Umstand, dass sie weder ihre eigene Kleidung noch Schuhe an den Füßen trug.‌ Allem Anschein nach hatte sie zudem noch Alkohol getrunken. Unweigerlich entstanden in meinem Kopf grausame Szenarien.

Ich drehte die Autoheizung voll auf und fuhr los.
„Ich fahr dich ins Krankenhaus", gab ich ihr zu verstehen. Sie jedoch schüttelte lediglich energisch den Kopf.

„Mir geht es gut, wirklich. Ich bin bloß in einen Pool gefallen und betrunken bin ich auch und -" Melia vertummte, als wäre ihr soeben etwas eingefallen, das so gar nicht erfreulich war.
„Karen wird mich umbringen, wenn sie mich so sieht!" Mit einem verzweifeltem Seufzer vergrub sie ihr Gesicht in den Händen.

Obwohl mein Blick aufmerksam auf die Straße vor uns gerichtet war, kam ich nicht umhin die braunhaarige, junge Frau neben mir aus dem Augenwinkel zu beobachten. Sie wirkte so zerbrechlich, so verletztlich in diesem Moment. Ganz anders, als die Melia, die sich ihren Mitmenschen normalerweise selbstsicher, eigensinnig und auch etwas frech zeigte.

„Darf ich heute in Ihrem Auto schlafen?" Ich war mir bewusst, dass der Alkohol aus ihr sprach. Ich jedoch hatte nichts, auf das ich meine folgenden Worte hätte abwälzen können.

„Ich hätte in meiner Wohnung ein deutlich bequemeres Sofa, auf dem du es dir gemütlich machen könntest."

Melias Reaktion war ein breites, dankbares Lächeln. Damit war es beschlossene Sache. Ich würde sie, meine Schülern, mit zu mir nach Hause nehmen. Es wäre nicht die erste Grenze, die ich in Bezug auf Melia Callahan überschritt. Und das bereitete mir zunehmenst Sorgen.

Keine viertel Stunde später befanden wir uns in meiner Wohnung. Während ich Kissen und Decke holte, saß Melia auf dem Sofa im Wohnzimmer. Von dem ging ich jedenfalls aus. Als ich wiederkam, lag sie der Länge nach auf dem Sofa - die Beine angewinkelt und die Hände als Kissenersatz unter dem Kopf gelegt - und schlief.

Dieser Anblick entlockte mir ein kleines Schmunzeln. Sie sah so friedlich und sorglos aus. Die Wahrheit jedoch war eine andere. Zwar wusste ich nicht was genau geschehen war, aber sicher war, dass es für Melia alles andere als einfach gewesen war.

Ich legte die Decke über sie. Anschließend hob ich behutsam ihren Kopf an, damit ich das weiche Kissen darunter legen konnte. Meine Hand verharrte danach einen kurzen Moment bei ihrem Haar, das ich sanft aus ihrem Gesicht strich.

„Ich mag Sie, Ms Kane. Sehr sogar." Die im Schlaf - so vermutete ich - von sich gegebenen Worte überraschten mich derart, dass ich sofort die Hand sinken ließ.

Ich warf einen letzten gedankenverlorenen Blick auf Melias schlafende Gestalt, dann begab ich mich in mein Schlafzimmer. Schlaf würde ich in dieser Nacht allerdings keinen mehr finden.


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Erst war ich mir unsicher, ob es eine so gute Idee gewesen ist, aus Ms Kanes Sicht zu schreiben, aber am Schluss war ich doch zufrieden mit meiner Entscheidung. Ich hoffe natürlich, ihr auch. Das nächste Kapitel wird dann mehr als doppelt so lang. ;)

LG, Aura

Scherbenherz [TxS / GxG]Where stories live. Discover now