Mir war klar gewesen, dass ich heute Abend in diese Bar kommen würde. Ich wurde das Bedürfnis nicht los, in Ruhe über all meine Gefühle nachdenken zu müssen. Obwohl ich mir inzwischen ziemlich sicher war, musste ich das ganze Chaos in meinem Herzen beseitigen. Dabei würden mir ein paar Gläser Whisky sicherlich helfen. Es fiel mir schwer, einen Anfang zu finden. Wo sollte ich beginnen, meine Gefühle zu hinterfragen? 
Ich wusste sehr gut, was Jamie in mir auslöste und wie groß mein Verlangen nach ihm war. Es war etwas, das mir ein Mädchen niemals geben könnte. In keinem Leben erschien es mir vorstellbar, neben einem Mädchen einschlafen oder es gar küssen zu wollen. Allein der Gedanke daran fühlte sich falsch und keinesfalls begehrenswert an. Die Tatsache lag praktisch auf der Hand, wieso also konnte ich nicht mit dem Thema abschließen und es einfach akzeptieren? Aus welchem Grund kehrten meine Zweifel andauernd zurück? Ich wusste tief in meinem Herzen, was die Wahrheit war. Es war Jamie, zu dem ich mich hingezogen fühlte. 
Allein er war es, den ich berühren und küssen wollte. Und wenn ich es tat, war es das beste Gefühl, welches ich jemals hatte erfahren dürfen. Mit ihm an meiner Seite schien alles perfekt und richtig. Und dass die Chance darauf bestand, dass er genauso fühlte, war ein riesiges Glück, welches ich wirklich wertzuschätzen wusste. 
Dennoch plagten mich hin und wieder Zweifel, ob ich mir das alles nicht doch bloß einbildete und ob meine Gefühle tatsächlich real waren. Wieso sollte ausgerechnet ich auf Jungs stehen? Doch im nächsten Moment erschien es mir viel natürlicher, als heterosexuell zu sein. Es war so verwirrend, dass ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. 

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter, was mich erschrocken herumfahren ließ. 
Ich sah direkt in Sams Augen, mit denen er mich amüsiert betrachtete. Langsam breitete sich ein Grinsen in meinem Gesicht aus und ich stand auf, um ihn in meinen Arm zu nehmen. 
“Das ist wirklich ein großer Zufall, ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier”, sagte ich überrascht und wies ihn an, neben mir Platz zu nehmen. Sam lachte und strich sein dunkelblondes Haar zurück. “Ehrlich gesagt komme ich gelegentlich her. Aber ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen”, entgegnete er und nickte Brad als Begrüßung zu, der fragend auf die Flasche Whisky zeigte. “Da sag ich nicht nein”, antwortete Sam auf seine nicht gestellte Frage und lächelte.  
“Was hat dich hergebracht?”, fragte er mich neugierig und stützte sich mit einem Arm auf die Theke. Ich seufzte und erklärte: “Eigentlich wollte ich bloß etwas Nachdenken... Und trinken.” Sam lachte über meine Ergänzung und schüttelte den Kopf, so als würde er mir damit sagen wollen, dass mir nicht mehr zu helfen war. 
“Ruf mich das nächste mal an, dann komme ich direkt vorbei. Es kann ja nicht sein, dass ich meinen besten Freund alleine trinken lasse”, meinte er und nahm seinen Whisky von Brad entgegen, woraufhin wir kurzerhand anstießen. 
Zufrieden stellten wir unsere Gläser wieder auf der Theke ab und schwiegen für einen Moment. Dann wandte Sam sich mir wieder zu und schien angestrengt über etwas nachzudenken.
“Wie war die Hochzeit von Jane und deinem Dad?”, fragte er mich, wobei ich die Vorsichtigkeit in seiner Stimme deutlich hören konnte. Sam wusste wohl am besten, wie ich mich deswegen fühlte. Schließlich war er mit mir durch all diese dunklen Zeiten gegangen. Ich zuckte mit den Schultern und antwortete teilnahmslos: “Gut, schätze ich.”
Sam nickte bloß und schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Stattdessen rückte er mit seinem Barhocker etwas näher zu mir und setzte erneut seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. “Du verbringst seit ein paar Wochen viel Zeit mit diesem Jungen. Wie heißt er noch gleich?”, wollte er interessiert von mir wissen. “Jamie”, antwortete ich, ohne mir Mühe zu geben, diese Tatsache zu leugnen. Sam kannte mich und wusste, wann ich mich aus Dingen rausreden wollte. Er nickte und fuhr fort: “Er hat doch diese strahlend blauen Augen, oder?” Ich dachte an Jamie und seinen intensiven Blick, der mich immer um den Verstand brachte. Gedankenverloren starrte ich auf meinen Whisky hinab und spürte, wie ich nervös wurde. “Ja. Worauf willst du hinaus?”, fragte ich Sam, obwohl ich es insgeheim wusste. Seitdem ich dieses Thema bei ihm praktisch angeschnitten hatte, schien Sam einen Verdacht zu haben. Denselben Verdacht, über den ich bis eben nachgedacht hatte. Ich wusste, dass es mir ungemein helfen würde, mit ihm darüber zu sprechen, doch es war nicht so einfach, wie ich es mir zu Beginn vorgestellt hatte. 
“Und ihr seid einfach nur gute Freunde?”, wollte Sam wissen. Ich spürte die Anspannung, die in der Luft lag und wagte es nicht, auch nur einen einzigen Luftzug zu nehmen.

Unexpected Love (boyxboy) Where stories live. Discover now