Kapitel 2

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Ein weiterer Morgen. Es war erstaunlich einfach aufzustehen, wenn man von dem Licht und den Vögeln geweckt wurde, anstatt dass man von einem surrenden Alarm alle fünf Minuten aus dem Halbschlaff gefoltert wird, bis man sich zu einem weiteren Tag der sich kontinuierlich repetierenden Arbeit aufraffen muss.
Er entschloss sich zu einer Packung Crackern als Frühstück. Während er diese Zerbiss entstand unter dem Lärm der Cracker die freudige Hoffnung heute Alice wiederzusehen.
So brach er auf und lief die Strasse hinab. Der Bunker befand sich neben dem Rathaus, im Keller eines Lokals. Der Zugang war ausserhalb. Er musste eine Rampe absteigen. Zu seiner Überraschung stand die dicke Türe offen und gab einen Blick in besagten Luftschutzbunker frei. Er war Menschenleer, doch gab es Spuren, dass diese dagewesen sein mussten. Ungemachte Stockbetten, Müll, leere Fertigessensdosen und eine Liste. Als Titel stand Anwesenheitskontrolle. Darunter gab es zahlreiche Namen. So verbrachte er die nächsten Minuten damit, die Namen durchzulesen. Und tatsächlich erkannte er in ihrer schiefen Schrift ihren Namen. Ein starkes Gefühl füllte seine Brust. Sie war hier. Sie wurde wohl evakuiert. Neben der Anwesenheitsliste befand sich ein Radio. Er drehte die Lautstärke etwas auf. Ein rauschen begleitet von einer blechernen Stimme wiederholten sich kontinuierlich.
«...ständig zu besagtem Treffpunkt. *Kchsch* Begeben sie sich zu ihrem nächsten Bunker, falls es noch keinen Einschlag gab. Nach dem Einschlag verlassen sie den Bunker zwei Stunden lang nicht. Danach suchen sie den Treffpunkt in der Hauptstadt auf. Funktionsfähige Linienbusse werden zur Evakuierung umfunktioniert. Falls sie die Busse verpassten, begeben sie sich selbstständig zu besagtem Treffpunkt. *Kchsch* Begeben sie sich zu ihrem nächsten Bunker, ...»
Sie war also nun in einem Bus auf dem Weg zur Hauptstadt. Also musste er es nur bis dorthin schaffen.

Rechts und links, Tannen, Fichten, einzelne Laubbäume, darunter eine Reihe Büsche. Die Strasse war erstaunlich leer. Er läuft diese entlang, das Gewehr über der Schulter. Es ist Nachmittag. Am Mittag hatte er eine vergleichsweise gute Portion Fertigpizza gegessen. Zu seiner Rechten löste sich nun langsam eine Tankstelle aus den Bäumen. Er beschloss seinen Vorrat etwas aufzustocken und betrat diese. Zu seinem Überraschen war sie komplett leergeräumt. Ein seltsamer, erstickender Geruch durchzog das Gebäude, sogar die kaputten Fenster konnten nicht genug lüften um diesen Kotzreiz erregenden Gestank aus der Tankstelle zu bekommen. Nichtsdestotrotz sah er sich im Laden um, er befand nur noch eine Dose Tomatensosse und einen Schokoriegel für nützlich. Er ging hinter die Theke um die Herkunft des Gestanks zu erkennen. Dort lag ein Körper, die Kassiererin vermutlich. Aber sie starb nicht wegen des Anschlags, sie hatte ein Schussloch zwischen den weit offenen, verängstigten Augen.
Er konnte nicht mehr denken. Jemand hatte diese Frau erschossen. Einfach so. Vielleicht wegen der Nahrung im Laden? Diese Frau hatte wahrscheinlich auch Freunde, Familie, vielleicht sogar einen Freund. Plötzlich sah er nicht mehr in das Gesicht der Kassiererin, sondern in das von Alice. Könnte ihr dasselbe geschehen sein? Lag sie auch irgendwo in der Landschaft, mit ewig geöffneten Augen? Nach ein paar Minuten hatte er sich wieder einigermassen gefasst. Er schloss ihre Augenlieder wandte sich um, nahm seine Waffe von der Schulter und hielt sie schussbereit.
Er lief nun etwas weiter die Strasse hinunter bis er Stimmen hörte. Er hatte ein ungutes Gefühl dabei und nährte sich den Stimmen im Schutze des Gebüschs am Strassenrand.
Auf der Strasse lag ein Baum, davor stand ein Linienbus. Ein Paar Männer luden diverse Dinge aus dem Bus. Essen, Trinken, hauptsächlich Rucksäcke, alles mit Potenziellem Wert wurde auf die Ladefläche eines Pickups geworfen. Die Männer hatten Waffen dabei. Zum grössten Teil die herkömmliche militärische Ausrüstung, wie er sie auch hatte. Er wartete, bis die Männer zu dem gestohlenen Gut auf die Ladefläche sprangen und der Pickup losfuhr.
Als er den Bus betrat kam ihm derselbe Geruch wie schon in der Tankstelle entgegen. Sein Herz schlug nun, als würde er einen Marathon rennen. Im Gang stand ein Mann. Er war schlank und etwas kleiner. Bei dem Anblick der Waffe zuckte er zusammen und kroch zurück auf den Platz, auf dem er sich vorhin totgestellt haben musste. In den Reihen aber gab es sonst keinen lebenden Menschen mehr. Reihen von offenen, glasigen oder geschlossenen Augen. Jedes Gesicht entweder geschockt oder komplett ausdruckslos.
«Es ist alles Ok.», behauptete er, was ihm angesichts des sich ihm präsentierten Massenmords nicht ganz richtig erschien.
«Ich will nichts Böses, ich suche nur jemanden.»
Er realisierte etwas und sah angsterfüllt die Reihen hinunter. Doch er sah kein bekanntes Gesicht. Der Mann sah nun ebenso ängstlich über den Sitz. Auf den Augenkontakt hin wurde die Waffe wieder über die Schulter gehängt und die Hände gehoben.
«Guck, ich will dir nichts antun. Es ist wohl am besten, wenn wir von hier weggehen.» Er wollte nicht jede Leiche überprüfen, ob Alice darunter war. Also ging er aus dem Bus hinaus. Dasselbe tat der Andere.
«Wie heisst du?», ergriff der mit der Waffe die Initiative.
«Max»
«Max, ich bin Jakob. Ich suche jemanden.»
Max Augen waren immer noch angsterfüllt und er gab keine Antwort.
«War bei euch eine Frau namens Alice im Bus?»
«Ich, Ich weiss nicht.»
Jakobs Herzschlag konnte sich nicht beruhigen. Im Gegenteil, seine Brust schnürte sich zu und sein Atem wurde schwer. War sie dort drin? Leblos mit Schusswunde wie alle andern?
«Braune Haare, Grüne Augen?»
«Es gab eine, die bei der Tankstelle blieb.»
«Warum?»
«Sie wollte ihren Freund finden.»
Die physischen Stresswirkungen verschwanden allmählich, doch blieb dieses schreckliche Gefühl, als würde in seiner Brust etwas kontinuierlich implodieren. Vielleicht war das Alice? Suchte sie nach ihm? Es gab sicher noch andere getrennte Paare. Doch die andere Option war die Leichen alle zu kontrollieren. Schon der Gedanke erregte ein Übelkeitsgefühl. Auch konnten die Männer von vorhin jederzeit zurückkommen.
«Komm mit, wir müssen hier weg»
War sie am Leben? Es war seine einzige Spur.

Ein Schuss am EndeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora