Kapitel 6 - Amelie

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Ich wachte auf. Mir war warm. Ich hielt meine Augen geschlossen und analysierte, wie stets morgens. Mein Fuß schmerzte, aber es war der dumpfe, warme Schmerz eine Heilung. Was war hier los? Er müsste schrecklich brennen und unerträglich ziepen, da das Blut die Scherben verkrustet haben musste. Ganz davon abgesehen, dass ich im frühesten Frühling barfuß draußen geschlafen hatte. Eigentlich sollte ich meine Füße gar nicht spüren. Das ließ nur einen Schluss zu! Ich hatte nicht draußen geschlafen.


Ich erinnerte mich an die Schmerzen und daran wie ich mir meinen Fuß hatte ansehen wollen. Ich musste das Bewusstsein verloren haben. Soweit so gut. Aber was war dann passiert? Wie um Himmels willen konnte es sein, dass ich nach solch einer dämlichen Aktion noch lebte. In den Minen hatte ich immer wieder mitbekommen, wie die Aufseher von einer größeren Macht sprachen, die alles lenkt um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Damals hatte ich gelernt diese Macht aus tiefster Seele zu verabscheuen, aber heute? Wenn es diese Macht gab, musste sie mir gut gesinnt gewesen sein. Was war der Grund dafür, dass ich jetzt in einem Bett lag? Einem echten Bett! Es war so weich, dass es schmerzhaft war. Eines meiner großen Ziele hatte ich heute erreicht, aber genießen konnte ich das alles nicht. Im Gegenteil, auch wenn ich versuchte mich schlafend zu stellen, jeder aufmerksame Beobachter und jede aufmerksame Beobachterin würde es besser wissen. Ich entschloss, dass blind herum zu liegen mich auch nicht weiter brachte. Nachdem ich einige Sekunden lauschte, war ich mir sicher, dass niemand hier war und das es Nacht war. Also öffnete ich meine Augen und blinzelte bis meine Augen sich daran gewöhnt hatten, wie dunkel es war. Ich hatte immer noch Schmerzen aber nach einem kurzen Blick unter die, ebenfalls unfassbar weiche, Decke stellte ich fest das mich jemand verbunden hatte, verbunden und ausgezogen.
Was in des Teufels Namen war geschehen?
Vorsichtig sah ich mich um, entdeckte jedoch keine Kameras. Der Raum war weitläufig mit großen Fenstern durch die nichts als Schwärze zu sehen war. Links von dem Bett stand ein gemütlicher Stuhl. Ich hatte diese Dinger schon auf dem Markt gesehen. Der Händler nannte sie Lehnstuhl und sie waren unbezahlbar. Rechts stand eine Art Tischchen auf dem meine Tasche lag. Ich konnte mein Glück nicht fassen! Da immer noch niemand auf mich aufmerksam geworden war, beschloss ich meinem Bauchgefühl zu vertrauen.
Ich nahm meine Tasche, glitt vom Bett und rollte stattdessen darunter. Leise blieb ich dort liegen. Es war kühl auf dem Boden, nach dem warmen Bett. Ich kicherte. Eine Nacht in einem Bett und ich wurde zu einer verweichlichten Mimose. Aber dieses dünne, was auch immer es darstellte, war auch nichts gegen meine fantastischen, warmen Klamotten! Ich sehnte mich nach ihnen. Aber offensichtlich hatte sie mir jemand ausgezogen und ich hatte Angst, Lärm zu verursachen, wenn ich nachschaute, ob sie mir jemand in die Tasche gepackt hatte. Das alles war wirklich seltsam. Aber ich hielt die Füße still und machte es mir einfach  mit dem Kopf auf der Tasche gemütlich, bis ich einschlief. Ich hatte keine Angst, dass ich es verpassen würde, sollte jemand herein kommen. Ich war ein Straßenkind verdammt!

Ich war nach einiger Zeit wieder aufgewacht. So sehr ich auch gelassen wirken wollte. Es klappte nicht. Und sobald es im Zimmer auch nur ein wenig hell geworden war, war ich wach gewesen. Seitdem lag ich und versuchte ruhig zu atmen und mir Pläne für meine Flucht zurecht zu legen. Dazu musste ich aber erst einmal wissen was passiert ist und wo ich war...

Es gab folgende Möglichkeiten:

A) Ich war an Menschen geraten die etwas davon hatten mir geholfen zu haben, vielleicht eine Hilfsorganisation die nach Patienten bezahlt wurde. Dann musste ich einfach hoffen, dass sie nicht für meinen Aufenthalt hier bezahlt würden und mich  gehen lassen würden.

B) Ich war an Menschen geraten die etwas von mir wollten, mich jedoch gehen lassen würden, wenn ich darum bat.

B2) Ich war an Menschen geraten die etwas von mir wollten und die mich nicht gehen lassen würden, dann....

Ich hörte Schritte. Ich wusste, dass es ein echt schlechtes Versteck war, aber gerade deshalb war es so genial. Also blieb ich liegen. Es dauerte einige Sekunden, eine gefühlte Ewigkeit. Endlich öffnete sich eine Tür. Wer auch immer es war, ein Mann wie ich an den schicken, dunklen Schuhen erkannte, die definitv Geld gekostet hatten. Er hatte die Tür vorsichtig und ruhig geöffnet. Also das war schonmal ein gutes Zeichen. Ich hörte wie er nun erschrocken die Luft einsog. Zumindest dachte ich das. Die Gefühle eines Menschen an seiner Art die Luft einzuziehen zu erraten war gar nicht so einfach. Vor allem wenn einem das Herz im ganzen Körper pochte und man um jeden stillen Atemzug kämpfen musste. Ich schätzte, dass er das leere Bett sah. Leider ließ seine Art keinen Schluss zu, mit welchem Typen Mensch ich es hier zu tun hatte. Aber seine Schuhe! Ich vermutete inzwischen echtes Tierleder. Eine zweite Tür öffnete sich, die ich von meinem Platz aus nicht sehen konnte. Gedanklich fluchte ich, weshalb hatte ich mir den Raum nicht genauer angesehen, so von zwei Seiten eingekesselt zu sein gefiel mir wirklich nicht. Eine liebe, klare Frauenstimme keuchte entsetzt. Das war einfacher zu interpretieren. Sie sagte: „ Nathan, hast du sie aus dem Bett geholt?" , fragte sie misstrauisch. Kurz Stille, dann: „ Nein, Rosa. Ich weiß nicht wo sie ist. Es scheint als wäre unsere Patientin entwischt." Okay,soweit so gut. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf. Rosa war eine Frau mit einfachen, geschlossenen Schuhen und einem hübschen Kleid, dass bis zu den Knöcheln ging. Sie war also eine Angestellte. Das der reiche Mann sie duzte war gut. Das sprach für Freundlichkeit. Vielleicht würde Option B wahr werden. Dann sagte der Mann jedoch: „ Unser armes Gossenkind wird nicht weit gekommen sein, es ist ja nicht in der besten Verfassung." Sein Ton war  herablassend! Also doch ein Idiot.

Ich schnaubte, ich mochte diesen Nathan eindeutig nicht.
Sofort schlug ich mir erschrocken die Hand vor den Mund.
Mist, das mussten sie gehört haben. Manchmal war ich einfach zu unüberlegt. Aber Rosa plapperte völlig aufgelöst vor sich hin. Nathan ging währenddessen um das Bett herum und stand nun nah bei der Frau. Für diese Feststellung waren wirkliche Verrenkungskünste von Nöten, doch ich schaffte es. Die Frau klang traurig. „ Oh nein, dass arme Ding. Es schien so unschuldig und was machen wir denn nun?" Das wäre wohl noch lange so weiter gegangen, aber Nathan unterbrach sie. „ Es ist in Ordnung Rosa, bitte geh in die Küche, mach dir einen Tee und keine Sorgen. Wir finden sie."

Die Dame erwiderte nichts mehr und ging zur Tür.

Okay, was würde jetzt passieren? Ich war mir inzwischen fast sicher, dass er mich gehört hatte.
Und tatsächlich... ich sah wie er näher ans Bett kam. Ich konnte nun ein erzittern meiner Muskeln kaum mehr unterdrücken. Mein Fluchtinstinkt war angesprungen....
Aber gerade rechtzeitig wurde die Tür wieder geöffnet.

Eine Frauenstimme, ich glaube es war diese Rosa, sagte etwas.

Nathan, der Schnösel, der nun gefährlich nah vor meinem Bett stand, antwortete, aber davon bekam ich nichts mit, denn plötzlich schob er seinen Fuß unter das Bett. Starr vor Angst machte ich mich so schmal wie möglich ohne ein Geräusch von mir zu geben, aber als sein Fuß immer näher kam, hatte ich keine andere Wahl als mich ein wenig fort zu schieben. Ich hoffte mit ganzer Kraft, dass das Gespräch der beiden sie zu sehr von ihrer Umgebung ablenkte um mich gehört zu haben.
Was dann passierte, ließ meinen Atem stocken.
Ich hörte wie er immer noch redete. Er sagte: "Nein, wirklich, keine Sorge. Ruh dich aus, deine Nacht war lang. Ich suche das Mädchen."
Ich hörte wie die Frau noch etwas murmelte und dann schloss sich die Tür.
Die Stille im Raum war unerträglich und ich presste mir meine Hand auf den Mund um ja kein Geräusch zu machen.
Ich wusste immer noch nicht was diese Leute mit mir vorhatten, aber ich war nicht naiv genug um ihre Absichten für freundlich zu halten. Ihre Sorge um mein Verschwinden war verstörend gewesen.....
Jetzt merkte ich wie der Fremde sich bewegte. Er ging in die Hocke und ohne, dass er mich sah streckte er seine Hand nach mir aus.


AmelieWhere stories live. Discover now