Kapitel 1 - Nathan

134 7 7
                                    

Ich laufe mit meinem Vater durch die schmalen Gassen, in Richtung des Konzertsaals.
Die Luft riecht nach frischem Brot, nach Regen und nach Dreck. Die Sonne schenkt uns ein letztes Bisschen von ihrer Wärme bevor sie untergehen wird. Wie immer preisen Händler ihre Ware an und die Bettler sitzen in den Hauseingängen und betteln.
Wir wollen zu einem Geschäftsessen mit neuen Kollegen, die Silber und Rohstoffe aus Indien verkaufen.
Sie suchen Partner in Europa.
Ich bin gespannt. Aber meine Gedanken schweifen immer wieder ab, ich bin nicht bei der Sache und das hat einen Grund.

In dieser Ecke, war ich seit Ewigkeiten nicht mehr unterwegs gewesen und beim letzten Mal hatte ich hier jemanden gesehen, an den ich mich, zu meinem Ärger, noch gut erinnerte. 

Ich erinnerte mich sogar sehr genau an sie, ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich ihr begegnet war, als wäre es gestern gewesen.

Vor einigen Jahren...

Ich lief durch die Gassen, immer darauf bedacht im Schatten zu bleiben, ich wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.

Mein Blick huschte über den Marktplatz und blieb an einer schmalen Gestalt hängen.
Ein junges Mädchen, von vielleicht zwölf Jahren, schlängelte sich durch die Menge und rannte lachend über den Marktplatz.
Wobei es hier und da fröhlich den Händlern zu winkte, die alle lachend zurück grüßten. Es schien als wäre sie hier wohl bekannt.
Überall wo sie vorbei rannte folgten ihr die Blicke und das war kein Wunder.
Das Mädchen hatte dickes glänzendes Haar, das ihr bis zu
den Schultern ging. Die Haare waren in einem zerzausten Zopf zusammengefasst und nicht, wie es sich gehörte, ordentlich geflochten und unter die Haube gesteckt.
Aber das war es nicht was Aufmerksamkeit erregte.
Nein, ihr Haar war rot! Leuchtend rot! Solch eine Haarfarbe hatte selbst ich nur selten gesehen und dann nie so glänzend.

Ich konnte jetzt einen genauen Blick auf sie erhaschen, da sie keine zehn Meter von mir entfernt stand.
Verwirrt beobachtete ich wie sie vorsichtig einen Blick in eine Gasse warf und scheinbar dort weitergehen wollte als ein großer, kräftiger Bäckersjunge von vielleicht sechzehn Jahren sich an sie heranschlich und erschreckte.
"Hab ich dich!", rief er lachend.
"Du entkommst mir nicht, schließlich schuldest du mir noch einen Kuss."

Ich sah  wie sie den Jungen gespielt böse ansah und ihn scheinbar anmotzte er solle sie loslassen.

Der dachte aber gar nicht daran und zog sie enger an sich.
Sie musterte ihn einige Sekunden lang bevor sie ihm direkt in die Augen sah und sich auf die Unterlippe biss.
Der Bäckersjunge vollkommen gebannt von diesem Blick bemerkte nicht wie das Mädchen die Hände unauffällig in seinen Brotkorb gleiten ließ und sich einige seiner Brötchen in die Schürzentasche steckte.
Ich grinste, dass Mädchen wusste jetzt schon welche Knöpfe es drücken musste.
Als es dann auch noch anfing zerstreut an einem der geklauten Brötchen zu knabbern musste ich lachen.
Das Mädchen lächelte dem Jungen ein letztes Mal an, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ließ den Jungen, um drei Brötchen ärmer, im siebten Himmel zurück.
Ich beobachtete sie weiter und fragte mich wer sie war.
Sie war gekleidet wie ein Gossenkind und lief barfuß, nicht einmal der ärmste Bauer lies seine Tochter barfuß laufen.

Sie schwang die Hüften beim Gehen, was darauf hinwies, dass sie es gewohnt war Lasten auf Kopf und Schultern zu tragen.
Auch ihre Dürrheit sprach dafür, dass sie sehr arm war, aber das Kinn war eigensinnig vorgereckt und der Gang aufrecht.
Ich war schon immer ein sehr guter Beobachter gewesen, aber dieses Mädchen gab mir Rätsel auf.
Ich erwischte mich dabei wie ich hoffte sie möge nicht so schnell gehen.

Jetzt

Ich wusste nicht wieso mir das jetzt einfiel und ich ärgerte mich darüber. Das war doch vollkommen unwichtig.
Während ich so in Gedanken versunken lief, kam es wie es kommen musste und ich lief in jemanden hinein.
Ich schaute auf: ,,Entschuldigen sie ich war unauf...."

Die Worte blieben mir im Hals stecken denn vor mir stand sie.
Sie war gereift und sie wirkte längst nicht mehr wie ein kleines Mädchen. Ihre großen Augen glänzten und strahlten.
Jetzt, wo ich sie ein zweites Mal sah, war ich mir sicher, dass ich mit meiner Vermutung recht hatte.
Dieses Mädchen lebte auf der Straße.
Ihr Gesicht war voller Staub und man erkannte all die kleinen Unreinheiten und Narben die solch ein Leben mit sich führte.
Trotzdem war ich mir sicher, das sich  unter dem Dreck ein hübsches Gesicht war.
Sie war immer noch so dünn, dass ich an ihrer blassen Haut die straff über die Knochen gespannt war, erkennen konnte, dass sie Hunger litt. Zudem hatte sie dreckige Fingernägel und ihr dichtes Haar ,das inzwischen deutlich länger war, hatte wohl immer noch keine Bürste gesehen.
Sie war groß und hielt sich für ein Straßenkind, ungewöhnlich aufrecht.

Plötzlich lächelte sie mich an, ,,Sie haben keine Schuld. Ich bin schließlich in Sie hinein gelaufen." Sie lächelte entschuldigend und verschwand wieder in der Menge.

,,Was für ein seltsames Kind, ist eine Bettlerin und benimmt sich wie eine Gräfin." ,lachte mein Vater.
Gräfin und Gossenkind, das passte gut.
Sie war Gräfingossenkind.

Noch einmal warf ich einen Blick auf das Mädchen das schnell und geschmeidig wie eine Katze in der Menge verschwand.
Dann schüttelte ich den Gedanken an sie ab, ich versuchte es zumindest und
wir setzten unseren Weg fort und sprachen noch ein wenig über das heutige Geschäftsessen.

Auch wenn ich nicht mehr ganz bei der Sache war.

-----------------------------------------------------------
Bis zum nächsten Kapitel
LG Sissi

AmelieWhere stories live. Discover now