Kapitel 9- Amelie

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Nachdenklich sah ich den Schnösel an. Vielleicht war er gar keiner und ich hätte mir das Schubladendenken verkneifen sollen. Er war sehr bemüht, dass es mir gut ging. Dabei war er zwar erstaunlich ruppig, aber immer wenn er mich berührte oder Angst hatte mich zu Erschrecken war er so sanft, dass ich es ihm nicht übel nahm. Vorhin als im aufgefallen war, dass er meine Hand hielt, hatte er so erschrocken und beschämt losgelassen, dass ich mich fragte ob es so etwas wie ungezwungene körperliche Nähe in seinem Leben gab. Nahm ihn jemand in den Arm? Strich im durchs Haar und hielt seine Hand? Das Verhältnis zu seinem Vater war auf jeden Fall angespannt und auch wenn dieser sehr freundlich zu mir gewesen war, zweifelte ich daran, dass er seinem Sohn mit der selben Fürsorglichkeit behandelte. Und sonst? Ich wusste nichts über sein Leben, aber das er immer zugeknöpft und angespannt war, das wusste ich schon, obwohl ich ihn erst einige Stunden kannte. Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken. Der Schnösel, nein Nathan, beschloss ich in Gedanken, wartete scheinbar darauf, dass ich etwas sagte. Ups.

„ Wenn ich hierbleibe, was geschieht dann mit mir? Wirklich hilfreich ist meine Anwesenheit wohl kaum." „ Dir steht es frei zu tun und zu lassen was du möchtest. Unser Anwesen ist groß und es gibt viel zu sehen. Wenn du möchtest zeige ich dir in den nächsten Tagen alles." Sie sah mich skeptisch an. „Hast du denn Zeit dafür? Bist du nicht schrecklich beschäftigt?"  "Doch, aber es würde mir Spaß machen dir alles zu zeigen."  Ich sah ihn an. Er war wirklich Paradox. In diesem Moment fasste ich einen Entschluss. Ich würde ihm mit viel Freundlichkeit begegnen. Vielleicht konnte ich ihn ein bisschen auftauen. Irgendwie glaubte ich ihm nämlich. Schließlich war ich bis jetzt nur gut behandelt worden. Es schien zwar verrückt, aber weshalb sollte er sich die Mühe machen und mich belügen?  Ich schaute wieder zu Nathan der irgendwie erwartungsvoll aussah. Hoppla. Ich sollte mich wirklich mehr auf das Gespräch konzentrieren.  Als ich zu ihm sah wie er dort so aufrecht saß und ernst wie stets dreinblickte hatte ich eine Idee. Ich beugte mich vor und schlang meine Arme um seinen Oberkörper. Er blieb erst stocksteif sitzen, weswegen das Ganze ziemlich ungemütlich für mich war. Ich flüsterte " Vielen Dank Nathan, dass wäre sehr lieb." Ein Schauer durchlief seinen Körper, aber er legte seine Arme um mich. Genau wie Erik konnte er mich vollkommen umfassen und ich fühlte mich wohl. Um Einsteins willen! Erik! Verrückt, ich hatte mein Leben außerhalb dieser Mauern völlig aus den Augen verloren. Ich löste mich sanft aus der Umarmung, da Nathan offensichtlich nicht vorhatte loszulassen. Ich lehnte mich zurück und sah in sein geschocktes Gesicht. Er sah so überrascht aus, dass ich mich in meiner Vermutung bestätigt sah. Der Arme musste ein ziemlich liebloses Leben führen. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich war was Nähe anging ein echter Junkie. Beziehungen war mir schon immer wichtig gewesen und egal wie erbärmlich mein Leben war, es hatte stets Leute gegeben die mich in den Arm genommen hatten, wenn ich es gebraucht hatte.  Sicherheitshalber würde ich mich bei Nathan entschuldigen. Es war nie gut, wenn reiche Menschen sauer auf einen waren.

 „ Entschuldige bitte, bitte sei mir nicht böse!" Er sah mich verwirrt an, weswegen ich einfach weiter plapperte. „ Es ist nur: Du bist sehr freundlich und ich fände es fantastisch das Anwesen kennen zu lernen. Und wegen der Umarmung, entschuldige, es wird nicht wieder vorkommen. Ich wollte dir nicht zu Nahe treten."

Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, auf und zu, auf und zu. Wie ein Fisch. Ich legte mir die Hand über den Mund und kicherte. Er sah mich an und lachte mit. All die Anspannung brachen aus mir heraus und ich konnte kaum aufhören zu lachen. Irgendwann schaffte ich es jedoch und ich sah in seine funkelnden Augen. Er sah viel gesunder und glücklicher aus als zuvor. Er wirkte lebendig. Er begann zu sprechen. „ Ich, Amelie bitte umarme mich nicht einfach so." Er sah dabei so ernst aus, dass ich schluckten musste und nickte. Schade, denn offensichtlich hatte ihm das gut getan.

„ Also was meinst du? Möchtest du hierbleiben?"

Ich überlegte kurz und rieb mir über die Stirn. Ich bemerkte erst jetzt den unangenehm pochenden Schmerz hinter meiner Stirn.

Ich war ziemlich erschöpft, auch wenn ich nur einige Stunden wach gewesen war. Scheiße! Was war nur mit mir los?

Nathan sah mit gerunzelter Stirn auf mich hinab. „ Entschuldige bitte, du siehst müde aus. Man soll wichtige Entscheidungen nicht unausgeschlafen treffen. Schlaf ruhig, morgen ist auch noch ein Tag. Rosa wird hier sein." Er deutete auf ein Glöckchen neben meinem Bett. „ Sie ist die Krankenschwester und sie wird dir helfen. Frag ohne Scheu nach allem was du brauchst. Einverstanden?"

Ich war überwältigt und sehr müde. Also nickte ich kurz und murmelte „Danke".

„ Gerne" erwiderte und ich schloss meine Augen, wartend auf seine Schritte und das schließen der Tür. Nichts geschah und das Gewicht Nathans ruhte noch immer auf der Matratze. Verwirrt blinzelte ich. „Ist noch etwas?" Auf einmal, so schnell, dass mein, benebeltes Gehirn nicht hinterher kam und doch sehr sanft, schlang Nathan seine Arme um meinen Körper und drückte mich wie ein Püppchen an sich. Verwirrt hing ich in seinen Armen. Ich störte mich jedoch nicht an der seltsamen Situation und kuschelte meine Wange an seine warme Brust. Ich hörte noch wie er flüsterte: „ Ich nehme zurück, was ich vorhin sagte. Bitte, werde schnell gesund." und nahm seinen angenehmen Geruch war. Danach wusste ich nichts mehr.

Ich wurde wach und mir war schrecklich übel. Ich sprang auf, spürte den Schmerz in meinem Fuß und stolperte mit ziemlichem Gepolter durch den Raum. Ich fand den Türknauf zum Bad nicht und fiel auf die Knie. Ich musste würgen. Plötzlich spürte ich sanfte Hände auf meinen Schultern. Leise Worte wurden mir ins Ohr geflüstert und jemand hielt mich so, dass ich nicht umfiel.

Dann geleitete Rosa mich zurück zum Bett und setzte mich hin. Sanft begann sie mir mit einem Lappen, den Schweiß von Gesicht und Schultern abzuwischen. Benommen genoss ich die Kühle an meiner Haut und flüsterte leise: „Danke." „Sehr gerne, Liebes. Ist dir das bevor du bei uns warst auch passiert?" 

Ich schüttelte nachdenklich den Kopf und nickte dann. „Ab und zu. Selten."

„Gab es bestimmte Zeiten zu denen dir besonders Übel war?" „Ich, ich weiß nicht, ich habe mir nie etwas dabei gedacht." Sie nickte verstehend. „Mach dir keine Sorgen Liebes. Wir finden schon noch heraus, was dahinter steckt." „Weshalb hilfst du mir?" Rosa hatte mir schon in so vielen peinlichen Situationen geholfen, es wär falsch sie nicht zu dutzen. Ich verstand es einfach nicht. Weshalb waren diese Menschen so freundlich zu mir? Rosa legte den Lappen beiseite und setzte sich dann neben mich.  „Also. Ich werde dafür bezahlt." Das brachte mich dann doch zum Lachen. Ich kannte Rosa nicht, konnte mir aber einfach nicht vorstellen, dass sie etwas tat weil sie Geld dafür bekam. „Bist du Krankenschwester?" " Inzwischen schon, aber eigentlich habe ich Nathan großgezogen. Als er zu alt für ein Kindermädchen wurde, hat sein Vater mich hier behalten, da ich mich ein wenig mit der Krankenpflege auskenne.  Da in solch einem großen Haus stets jemand krank ist, habe ich mich seitdem keine Sekunde gelangweilt. In Wahrheit bin ich aber immer noch das Kindermädchen für diesen chaotischen Haufen hier." Ich musste über die Wärme in ihrer Stimme lächeln. „Wie geht es dir jetzt, Liebes?" „Sehr viel besser, vielen Dank. Ich weiß  nur nicht, was mit mir los ist. Diese Schwäche bin ich nicht gewohnt."  Rosa strich mir sanft über den Kopf. Einem Impuls folgend, lehnte ich meinen Kopf an ihre Schulter. Sie lächelte auf mich hinab. " Das bekommen wir schon hin, du wirst sehen."  Dann wurde der Ausdruck in ihrem Gesicht jedoch besorgt. „Kann es sein, dass du schwanger bist Amelie?"

AmelieWhere stories live. Discover now