Fruchtig-Süß

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Für gewöhnlich komme ich gut mit mir zurecht und brauche nicht ständig Gesellschaft. Wenn allerdings ein Teil von dir nicht mehr da ist und Passagen aus deinem Leben einfach gelöscht sind, klammerst du dich an jeden, der eventuell mit dieser verloren gegangenen Zeit was zu tun hatte. Bei mir ist das Helen, der ich am Rockzipfel hänge wie ein unselbständiges Kind und ich gehe mir selbst tierisch auf den Wecker damit. Jedoch macht mir die Vorstellung Angst, dass ich ohne sie an einem entscheidenden Punkt meiner jüngsten Vergangenheit vorbei laufe, ohne es zu bemerken. Was für ein Desaster.
Helen hat einen der Spezial-Clubs gefunden, in denen mehr geht, als nur eine heiße Partynacht. Und zwar auf einem Anwesen außerhalb von Paris, in dem, wenn man den Gerüchten um das historische Gebäude Glauben schenken darf, bereits der französische Adel vor etlichen hundert Jahren seinem ausschweifenden Lebensstil gefrönt hatte. Heute gehört es einem reichen Paar, das in alle möglichen Unternehmen investierte und ein stattliches Vermögen anhäufte. Für die illustren und ausgehungerten Jet-Setter haben sie das hübsche Schloss gekauft und in einen elitären Lusttempel verwandelt. Einlass nur auf persönliche Einladung. Tja, wer wäre ich, wenn ich nicht den weltbesten Bodyguard und Agenten an meiner Seite hätte, der uns zu einer solchen verhelfen kann. Auch, wenn Floyd diese Höhle der Versuchung nie freiwillig betreten würde, hat er uns die Einladungen besorgt. Seine Ermahnungen und Moralpredigten ertrug ich stoisch, denn meine Phantasie lief dabei zu Hochform auf.

Freitag Abend, Buddha Bar Hotel, Prestige Suite

»Wo zu Teufel ist meine Lack-Korsage?«, maule ich ungehalten über die Suchaktion nach dem heißen Teil, dass sich in Luft aufgelöst zu haben scheint.
»Koffer, Kleiderschrank, unterm Bett ... «, versucht Helen mit auf die Sprünge zu helfen, jedoch vergebens. Seit einer geschlagenen halben Stunde wühle ich in unseren Sachen, ohne das dumme Ding gefunden zu haben.
»Ich hab es extra in einen roten Seidenumschlag gepackt, damit ich es auch in jedem Koffer wiederfinde, verdammt«, fluche ich zu wiederholten Mal, denn ohne das Teil wäre mein heutiges Outfit dahin. Zum Glück haben wir noch drei Stunden Zeit bis wir loswollen, aber der Verlust des Taillenschmeichlers bringt mich zur Weißglut. Helen sieht mich kopfschüttelnd an und widmet sich wieder ihrem Smartphone. Der Chat mit den Zwillingen ist zu ihrer liebsten Tagesbeschäftigung mutiert und geht mir auf die Nerven.
Das Klopfen an der Tür hält mich gerade noch davon ab, das teure Bettlaken aus dem Fenster zu schleudern, und Floyd kommt stirnrunzelnd herein.
»Suchen Sie vielleicht das hier?«, fragt er pikiert und hält mir das Objekt meiner Suchaktion unter die Nase. Puterrot und mit gesenktem Blick schnappe ich gefolgt vom schallenden Gegacker meiner Freundin mir die Korsage.
»Wo hast du die gefunden?«, herrsche ich Floyd an, dem es auch extrem peinlich zu sein scheint, aber ich kann nicht anders.
»Zwischen meinen Boxershorts, Ma'am.« Vorwurfsvoll sieht er mich an, denn ich erinnere mich nun, dass ich auf Grund des Platzmangels in meinen Koffern auf Floyds Reisetasche ausgewichen bin, meinen Kram allerdings längst unbemerkt wieder rausschmuggeln wollte.
»Äh, ja – es ... also ich wollte eigentlich ... «
»Verstehe schon. Wollen Sie eventuell weitere Accessoires aus meiner Wäsche sortieren?«, fragt er jetzt amüsiert und Helen gluckst bei der Vorstellung eines ziemlich überraschten Floyd, der in meiner Reizwäsche rumfuhrwerkt.
»Ja, ich – sollte da noch ein paar – Dinge einsammeln«, gebe ich kleinlaut zu und rausche mit roten Ohren in sein Zimmer, um die drei weitere delikate Ensembles an mich zu nehmen. Als ich wieder bei den beiden stehe, hat Floyd zu seiner professionellen Form zurück gefunden, nickt mir kurz zu und geht seiner Wege.
»Vamp du bist echt lustig, wenn du so verwirrt bist«, kichert Helen und erbost schmeiße ich ihr das Sofakissen nach ihr.
»Ja vielen Dank auch. Ich hatte einfach zu viele Koffer mit und er nimmt ja nur drei Unterhosen mit. Reine Platzverschwendung, wenn du mich fragts.«
»Nachdem wir also die Krise bewältigt haben, können wir uns jetzt bitte wieder den wichtigen Themen widmen?«, schmunzelt sie mich an und löst damit meine angespannte Haltung. Wir werden beide maskiert auf die Veranstaltung gehen, denn ich riskiere unter keinen Umständen, in einem derartigen Etablissement erkannt zu werden. Helen ringt mir das Versprechen ab, dass ich mich nur in den öffentlichen Bereichen tummeln werde, und nicht in die privaten Gemächer verschwinde, in denen sie nicht sofort Zugriff auf mich hat.
»Nur gucken, und erst, wenn du mir vorbehaltlos versicherst, dass du ok bist, lass ich dich von der Leine«, instruiert sie mich ernst. Sie macht sich viel zu viele Sorgen, aber nach den bisherigen Fehlschlägen auch kein Wunder.
»Ja, Mum«, necke ich sie und sie rollt mit ihren hübschen Katzenaugen.
»June ich meins ernst.«
Seufzend nehme ich ihre Hand und drücke sie. »Schon gut. Du hast ja recht.«
Zufrieden lächelt sie mich an. »Also schön, Vamp. Dann machen wir uns mal fertig.«

Beyond Addiction  (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt