Kapitel 4

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Am nächsten Tag wurde ich immer nervöser. Zum Glück kam Marc etwas früher. Wir saßen uns am Anfang nur schweigend gegenüber. Die Kellnerin brachte uns Kaffee und wir schwiegen uns einfach nur an. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und platzte fast damit heraus: "Erzählst du mir bitte deine Geschichte?" Er grinste mich an.

"Gut, aber danach bist du dran." Ich nickte und er fing an zu erzählen. "Eigentlich ist es gar nicht so dramatisch und kompliziert. Als ich gesagt habe das die MotoGP mein Leben ist, hast du das glaube ich anders verstanden als ich es gemeint habe. Der aktuelle Weltmeister heißt mit vollen Namen Marc Márquez. Das bin ich. Schon seit ich ein kleines Kind war fahre ich Motorrad und habe es letztendlich zu meinem Beruf machen können.

Mittlerweile bin ich achtfacher Weltmeister und mein Bruder Alex Márquez ist dieses Jahr ebenfalls Weltmeister geworden. Er fährt in der Moto2 und ich in der MotoGP. Sein Rennen war vor meinem und kurz vor Ende des Rennens hatte er diesen Unfall. Normalerweise ist Alex jemand der nach einem Unfall immer wieder aufsteht und so schnell wie möglich wieder aufs Motorrad steigen will, aber diesmal blieb er liegen. Ich bin zu ihm gelaufen und habe deshalb mein eigenes Rennen verpasst.

Ich habe natürlich bemerkt, dass du mich nicht erkannt hast und irgendwie wollte ich es dir dann auch nicht erzählen. Ich meine ich bin berühmt und ehrlich gesagt verdiene ich auch sehr gut. Viele Menschen behandeln mich deshalb anders. Die wenigstens sehen mich als Menschen und die Meisten kennen mich nur als Motorradfahrer, aber der Mensch dahinter ist ihnen egal."

Seit Marc angefangen hat zu erzählen stand mein Mund offen. Ich hatte mit vielen gerechnet, aber nicht damit. Sofort hatte ich ihm geglaubt, dass er ein Motorradfan ist, aber dass er ein Fahrer ist. Nein, damit hatte ich nicht gerechnet.

"Sag doch etwas.", forderte Marc mich auf. "Du... du sagtest du hast keinen Motorradführerschein." Keine Ahnung warum ich genau das sagte. Es machte gar keinen Sinn, aber irgendwie war es die erste und einzige Antwort die mir eingefallen war. Zum Glück schien Marc meine Antwort für nicht so blöd zu halten wie ich. Er fing an zu grinsen.

"Hab ich auch nicht, aber in der MotoGP fahre ich trotzdem.", erwiderte er. "Du willst mir also erzählen der wahrscheinlich beste Motorradfahrer der Welt darf auf der Straße nicht fahren." Sein Grinsen wurde noch etwas breiter. "Ja, genau das will ich damit sagen. Irgendwie hätte ich eine andere Reaktion erwartet."

"Ganz ehrlich ich auch, aber irgendwie ist mir gerade nichts besseres eingefallen. Ich verstehe nur nicht warum du so ein großes Geheimnis daraus gemacht hast.", antwortete ich. Keine Ahnung was ich davon halten sollte wer Marc wirklich war. Irgendwie konnte ich mir kein Urteil darüber bilden. "Wie gesagt manche Menschen behandeln mich dann anders. Da kann man sich nie sicher sein. Ich meine mein Job bedeutet, dass ich nicht allzu wenig Geld habe und ziemlich berühmt bin. Manche können damit nicht umgehen."

"Das verstehe ich, aber hast du wirklich gedacht, dass auch ich so bin?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, aber du wärst auch nicht die erste Frau in der ich mich geirrt habe. Ich muss dich, aber jetzt auch fragen. Für dich ist es mit Sicherheit wesentlich schwieriger als für mich, aber würdest du mir deine Geschichte erzählen."

Es war ja klar, dass er danach fragte. Ich hatte es ihm immerhin auch versprochen. Dieses Versprechen bereute ich allerdings jetzt. Am Liebsten wäre ich einfach gegangen und hätte meine Geschichte weiter für mich behalten, aber ich wusste ganz genau, dass das nicht fair war und ich ewig Schuldgefühle hätte.

"Also gut, es ist fast ein Jahr her. Ich habe dir ja schon erzählt, dass mein Vater ein begeisterter Motorradfan ist. Wir sind damals in den Bergen gefahren und plötzlich tauchte aus dem nichts ein Auto auf. Ich hatte einen Unfall und der wäre eigentlich nicht so schlimm ausgegangen, aber ich bin mit den Bein irgendwo hängen geblieben. Genaueres weiß ich einfach nicht, weil ich den Unfall selbst vergessen habe. Es war so kompliziert gebrochen, dass die Ärzte entschieden haben es zu amputieren. Sie haben mir erklärt, dass es schmerzhafter wäre es zu reparieren und ich wahrscheinlich trotzdem nie wieder richtig laufen könnte. Deshalb habe ich die Prothese. Es war ein Motorradunfall. Mir fällt erst jetzt die Ironie auf, dass wir beide nur aufgrund eines Motorradunfalls hier sind."

racing against deathWhere stories live. Discover now