Kapitel 1

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Als ich gerade wie jeden Tag das Krankenhaus betreten wollte fiel mir ein Mann auf. Er saß auf einer Bank vor dem Park und sah traurig aus. Das war aber nicht der einzige Grund warum er mir auffiel. Er trug nur ein T-Shirt. Es war definitiv zu kalt dafür. Er wartete bestimmt auf Nachrichten von einer geliebten Person. Ich kannte dieses Gefühl leider nur zu gut. Oft genug war ich selbst auf dieser Bank gesessen. Ich habe genauso traurig ausgesehen. Irgendwann verliert man diesen traurigen Blick. Es wird Routine, aber tief im Inneren wird man diese Traurigkeit nie los.

Ich setzte mich also einfach neben ihn. "Es hört irgendwann auf.", sagte ich zu ihm und er blickte verwirrt auf. "Was meinst du?", erwiderte er. "Nun ja, irgendwann wirst du hier nicht mehr sitzen und traurig sein.", sagte ich zu ihm. Der matte Blick blieb, doch er zwang sich zu einem leichten Lächeln. Man sah wie er sich dazu durchringen musste. "Du kannst mir nicht versprechen, dass wieder alles gut wird. Das konnten die Ärzte nicht und du auch nicht."

Nun musste ich auch anfangen zu lächeln. "Ich verspreche dir nicht, dass alles wieder gut wird. Entweder es wird wieder alles gut oder eben nicht. Wenn nicht dann hast du vielleicht immer noch den gleichen traurigen Blick, aber du wirst nicht mehr hier sitzen." Er fing jetzt wirklich an zu Grinsen. Diesmal hatte ich das Gefühl, dass es ehrlich war oder zumindest ehrlicher.

"Ich warte auf meinen Bruder. Er wird gerade operiert. Er hatte einen Unfall und nach dem CT oder MRT oder sonst etwas hat sich herausgestellt, dass sein Bein kompliziert gebrochen ist. Ein Knochensplitter hat wohl eine Ader verletzt. Ganz habe ich es nicht verstanden. Sie operieren ihn gerade." Er fing einfach an zu reden. Ich verstand seinen traurigen Blick jetzt. Es war ein geliebter Mensch.

Ich legte meine Hand auf seine Schulter. "Du machst dir Sorgen um deinen Bruder. Das verstehe ich. Immerhin ist es sein Bein. Knochen heilen wieder und wenn nicht, dann lässt sich mit einer Prothese auch ganz gut leben." Der Mann sah in den Himmel. Er sah jetzt sehr traurig aus. "Hört sich so an als würdest du wissen wovon du redest.", sagte er.

Ohne ein Wort zu sagen zog ich das Hosenbein, der lockeren Hose hoch die ich trug. Mein Prothese des Unterschenkels kam zum Vorschein. Er sah kurz hin und nickte dann. "Ich glaube dir, dass du damit leben kannst. Ich kenne aber meinen Bruder. Für uns wäre eine Amputation gleichbedeutend mit dem Tod."

Er schien das leider verdammt ernst zu meinen. So habe ich früher auch gedacht, aber es wurde besser. Der Verlust meines Beines, war vergleichsweise noch auszuhalten. "Für euch wäre das vielleicht schlimmer, aber für jeden der euch liebt ist der Verlust des Beines zu ertragen. Der Verlust eines geliebten Menschen ist etwas ganz anderes."

"Es sind nicht besonders aufmunternde Themen über die wir reden. Vielleicht wird auch alles wieder gut. Sein Bein könnte heilen und alles könnte werden wie vorher.", sagte der Mann. Er hatte natürlich recht. Eine Amputation oder der Tod wäre das extrem. Es war absolut nicht die Regel. Die meisten Menschen werden wieder gesund, aber eben nicht alle.

Das letzte Jahr hat mich nun einmal zu einem Pessimisten gemacht. "Komm wechseln wir das Thema.", schlug ich vor. Vielleicht könnten ich ihn so wenigstens etwas ablenken. "Was ist deine glücklichste Erinnerung?", fragte er mich schließlich. Kurz musste ich nachdenken und als ich mich daran erinnerte musste ich sofort anfangen zu lächeln.

"Ich war vielleicht acht Jahre alt und mit meinem Vater und meiner Schwester im Urlaub. Meine Mutter war nicht dabei weil sie keinen Urlaub bekommen haben, aber meine Eltern wollten den Urlaub nicht absagen. Wir sind einfach ans Meer gefahren und haben im Zelt geschlafen. An einem Tag sind wir zu dritt einen kleinen Berg hochgewandert und als wir ganz oben angekommen sind waren ich und meine Schwester völlig erschöpft.

Wir haben uns auf den Boden gesetzt und waren am Ende. Mein Vater hat sich zu uns heruntergebeugt und uns angeschaut. Wir haben gejammert und uns beschwert, dass es viel zu anstrengend war und wir erschöpft waren. Mein Vater hat uns einfach gesagt wir sollen die Anstrengung vergessen und uns dafür auf das Positive konzentrieren. Ich habe sofort gequengelt, dass es nichts positives an dieser Situation fertig. Ich war einfach nur müde.

racing against deathDove le storie prendono vita. Scoprilo ora