Prolog: Das perfekte Paar

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Wie in jeder typischen, cliche-haften und perfekten Liebesgeschichte lernten auch wir uns sehr früh kennen - in diesem Fall im zarten Alter von 3 Jahren.
Seine Eltern zogen damals aus Puerto Rico in unser heiliges, gelobtes, amerikanisches Land.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich seine Mutter das erste Mal sah. Sie war eine wunderschöne Frau mit einem beneidenswerten Teint, einer langen, wallenden, schwarzen Lockenmähne und einem einnehmenden Lächeln. „Rasseweib" pflegte mein Vater sie immer heimlich zu nennen. Der neue Nachbarjunge und ich waren von Anfang an die besten Freunde.
Als wenige Jahre später seine kleine Schwester geboren wurde, wurden wir ein unschlagbares Dreier-Team - obwohl ihn heimlich ärgerte, dass ich bis zur Realschule immer einen Kopf größer als er war. Trotzdem waren wir 3 unzertrennlich. Wir waren beste Freunde. Die allerbesten Freunde.

Wir begangen sogar, eigene Traditionen zu entwickeln - solche wie "an Halloween ist es eine Pflicht, dass immer jemand als Gespenst verkleidet sein muss" - damit wir uns notfalls immer unter einem Bettlaken verstecken können, wenn ein anderes Kostüm zu gruselig sein sollte.

Er und ich, zwei kleine Kinder, die damals von Liebe noch gar keine Ahnung hatten, wuchsen nebeneinander, miteinander auf. Rückblickend habe ich manchmal das Gefühl, dass wir über die Jahre sogar miteinander verschmolzen.

Mit jedem Jahr wuchs unsere Zuneigung. Es gab nur noch uns - meinen Xavier und mich, seine Qlaira. Gemeinsam meisterten wir alles. Die Welt gehörte uns. Von Liebesbeschwörungen am Strand, einem Picknick auf der Wiese, bis hin zu unserem ersten Kuss. Nie wollte ich jemand anderen haben, jemand anderen lieben oder gar anfassen. Nicht einmal in meiner Fantasie, in meinen Gedanken. Es war immer er. Mein Xavier; mein Held.

Wir liebten uns immer und überall, wo wir nur konnten. In der Schule schlichen wir uns heimlich aus dem Unterricht, nur um uns kurz zu sehen, nur einmal kurz berühren oder uns küssen zu können.
Es war uns beinahe unmöglich einige Stunden getrennt von einander zu verbringen. Wir vermissten uns so sehr, dass es schmerzte.

Wir hatten eine unglaublich schöne Zeit zusammen. Nicht ein einziges Mal kam mir der Gedanke, dass ich etwas verpassen würde, weil ich doch nur ihn traf; nur ihn datete und ja - nur mit ihm schlief. Alles fühlte sich richtig an- genau so sollte es schließlich sein. Was gab es viel auszuprobieren, wenn wir unser großes Glück bereits im Kindesalter gefunden hatten? Wir waren Glückspilze, nein - wir waren Glücksfelsen. Wir hatten so viel Glück; wir waren so unendlich glücklich.

Unser Zusammenhalt riss auch in schwierigen Zeiten nicht ab, nein- im Gegenteil. Er wuchs immer weiter, bahnte sich seinen Weg durch die schlimmsten Zeiten und wuchs stetig weiter.

Als sein Vater plötzlich durch einen Herzinfarkt starb, war ich diejenige, bei der er sich wirklich öffnete. Ich war diejenige, die für ihn da war, zusammen mit ihm weinte, ihn auffing, zusammen mit ihm unterging und eine Weile am Boden liegen blieb, bevor ich ihn sanft auf unseren nächsten Höhenflug hinaufzog.

In uns beiden schlummerte die Liebe zur Kunst, obgleich wir diese nicht immer in die gleichen Richtungen auslebten. Er begann zu zeichnen; entdeckte Graffiti für sich. Er hatte ein unsagbares Talent, Farben einzufangen und Emotionen in seinen Bildern zu erwecken. Mein Gott, war dieser Mann talentiert.

Ich hingegen liebte das Wort: Gedichte, alte Geschichten - Wörter haben eine unglaublich große Kraft; ja fast schon Magie. Oft las ich ihm etwas vor, während er mich dabei zeichnete. Meine magischsten Erinnerungen bestanden aus verregneten Sonntagen, mit leiser Musik im Hintergrund, einem guten Buch in der Hand und meinem Xavier. Er war mein Traummann - das war er schon immer. Von der ersten Begegnung an wusste ich, dass es immer nur er sein würde, Ein kurzer Blick in seine liebevollen, gütigen "Hazel"Eyes war alles, was ich benötigte, um neuen Mut zu fassen - mich neuen Aufgaben zu stellen. Das und vielleicht, ja vielleicht auch ein sanfter Griff in seine wilden, lockigen, maronenbraunen Haare. Er musste wohl der schönste Mann auf der Welt sein - da war ich mir sicher.

Nach unserem Schulabschluss zogen wir endlich zusammen. Wir wollten - entgegen dem Willen unserer Eltern - nicht studieren. Wir wollten uns nicht an die Schulbank fesseln lassen und einem bestimmten System nacheifern - das waren einfach nicht wir. Wir wollten arbeiten, verrückt und unbekümmert sein.

Wir ergatterten schließlich ein kleines, etwas baufälliges Haus, doch das störte uns nicht - im Gegenteil.
Es war wie für uns gemacht; es war perfekt für uns. Viel wichtiger als ein großes Haus war mir ohnehin der Garten. In der Nähe dieses kleinen Traumhauses war weit und breit nichts, nur wildwuchernde Pflanzen und Bäume.
Da meine Begeisterung für die Natur, die Flora und Fauna ebenfalls über die letzten Jahre hinweg stetig zugenommen hatte, überraschte mich Xavier schließlich mit einem Wintergarten. Es war ein Traum!
Er selbst legte sich ein Atelier zu und er schaffte es sogar einige Kunden an Land zu ziehen. Ich war so stolz auf ihn und unser kleines Leben; ich hätte mir niemals ein anderes Leben gewünscht.

Wir hatten Träume, so unendlich viele Träume und Ideen, wie der Himmel Sterne hat.
Für viele andere mag sich es sich naiv angehört haben, doch ich glaubte daran, dass ich - nein, wir beide - all' diese Ziele zusammen erreichen würden, wenn wir nur zusammen daraufhin arbeiten würden.

Wir hatten die perfekte Beziehung; den perfekten Rückzugsort - unser "Reich".
Ich würde sogar sagen, dass wir die perfekte Liebesgeschichte hatten.

Doch perfekte Liebesgeschichten gibt es lediglich in Büchern, nicht wahr? In den Büchern, in denen ich so gerne geschmökert habe; in denen ich mich so gerne verloren habe.

Perfekte Liebesgeschichten gibt es nicht im realen Leben.

Denn ich bin tot und es ist seine Schuld.


Ein Moment der StilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt