Kapitel 2

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Sakita:


Der Moment, in dem ich allmählich wieder das Bewusstsein erlange, ist der Moment, in dem ich mich frage, wie lange meine Kraft noch ausreichen wird. Wie lange, bis mein Geist einfach abschaltet und ich mich in einen Gedächtnispalast zurückziehe, der nicht von täglicher Gewalt bestimmt ist? Nicht wissend, was mich als Nächstes erwartet, öffne ich die Augen und schaue in das undurchdringliche Gesicht eines Mannes, dessen Blick hingegen besorgt scheint.

»Wissen Sie wo Sie sind?«, fragt er mich in sachlichem Ton und auf Englisch, ehe er mir mit einer kleinen Lampe in die Augen leuchtet.

»An einem Ort, an dem mein Bruder und ich überaus willkommen sind«, antworte ich ironisch und stelle fest, dass in meinem Handrücken ein Schlauch mit einer farblosen Flüssigkeit steckt.

»Keine Angst, das ist nur Wasser mit Zucker und Mineralstoffen.«

Er hat offenkundig meine aufsteigende Panik bemerkt und legt für einen kurzen Augenblick seine Hand auf meine Schulter.

»Sie haben zu wenig davon in Ihrem Köper«, klärt er mich mit nach wie vor kühler Stimme auf, während ich meinen Kopf beiseite drehe und realisiere, dass ich in einer Art Untersuchungsraum liege. 


»Bin ich in einem Krankenhaus?« Mit bedächtigen Bewegungen setze ich mich auf.

»Nach euren Verhältnissen schon«, entgegnet der junge Arzt mit den wasserblauen Augen überheblich lachend, die jetzt, da er sich zum Fenster und zum matten Tageslicht wendet, beinahe türkisfarben wirken. »Aber bei uns ist das hier eine ganz normale Praxis.« Mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln, welches wohl gutmütig gemeint sein soll, guckt er auf mich herab. »Ihr Bruder ist übrigens in einer Ausnüchterungszelle in Winterbeck, acht Kilometer von hier entfernt«, erwähnt er beiläufig und schreitet lässig zur Tür. Seine Genugtuung ist nicht zu übersehen.

»Er hat nichts getan, außer all seine Kraft einzusetzen, mich zu beschützen«, stoße ich leise, jedoch erbost hervor und lange nach meinem Schal, der mir bei dem Sturz wohl vom Kopf gerutscht ist und säuberlich zusammengefaltet auf einem Stuhl liegt.

»Beschützen wovor?«, spottet er und verzieht seine Lippen zu einer zynischen Grimasse. »Wir sind es schließlich, die sich letztendlich euren Rechten beugen und unsere nationalen Interessen hintanstellen müssen.«

Obzwar ich weiß, dass er womöglich gar nicht mich persönlich meint und wahrscheinlich verallgemeinert, habe ich das Bedürfnis mich zu verteidigen, den Drang zu erwidern, dass seine Bitterkeit ihn hässlicher macht als seine Vorurteile. Dennoch schweige ich aus Angst vor der Kälte in seinen Augen, die zum Glück in diesem Augenblick alles andere als mich anschauen.

»In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurde Anfang des Monats der St.-Martinsumzug in Sonne, Mond und Sterne-Fest umbenannt, um den muslimischen Kindern in den Schulen sowie Kindergärten nicht die christliche Tradition aufzudrängen.« Verächtlich schnaubt er durch die Nase. »Aus Respekt vor den Muslimen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Um der politischen Korrektheit willen.« Beim letzten Satz malt er Anführungszeichen in die Luft, streift sich mit frustrierter Miene die Einmalhandschuhe ab und pfeffert sie in den Papierkorb. »Wenn, dann muss man uns vor der systematisch, industriell betriebenen Masseneinwanderung schützen, die zu hundert Prozent das Ziel hat, das deutsche Volk zu zerstören!«

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⏰ Last updated: Sep 08, 2019 ⏰

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NegerkussWhere stories live. Discover now