7. „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich."

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Es war Samstagabend kurz nach sechs Uhr. Die Tage seit Montag hatten sich hingezogen. Die Arbeit kam mir noch langweiliger und stumpfsinniger vor als sonst. Die Zicken gingen mir noch mehr auf die Nerven und die Elster machte mir öfter die Hölle heiß als üblich. Außerdem ging mir Nil Fauser nicht mehr aus dem Kopf und ließ mich schlampiger arbeiten. Kurz gesagt: diese Woche war echt scheiße, abgesehen von dem Tanz auf der Party am Montagabend. Jetzt saß ich im Laden und musste mal wieder das Lager aufräumen und das, obwohl ich Garnichts getan hatte. Die Elster war eine echte Kuh!

„Das sieht ja aus wie das Zeug von Montag!" entsetzen breitete sich auf dem Gesicht von Marissa aus. „Hat die alte Ziege etwa wieder alles ausgegraben, was wir sortiert hatten?"

„Vorstellen könnte ich es mir, wenn sie sich dafür nicht die Hände schmutzig machen müsste." Ich zuckte die Achseln und begann die Kartons auszuräumen.

Fragend schaute Marissa mir dabei zu. „Das gleiche Prinzip, wie beim letzten Mal?"

Ich nickte stumm.

„Okay, wenn wir das innerhalb einer halben Stunde schaffen, können wir nochmal kurz zu dir fahren, ehe wir zur Party gehen."

Ich schwieg kurz. „Ich glaube, ich sollte heute nicht mitgehen."

„Warum?" Verblüfft schaute Marissa mich an.

„Weil Nil ein Kaliber zu groß für mich ist."

„Hä? Jetzt versteh ich gar nichts mehr."

„Naja, schau mich doch an. Ich bin nur eine einfache Verkäuferin und er... er ist eins der berühmtesten Models der Welt. Wie sollten wir je zusammenpassen?"

„Olivia Aylin Scholze, auch wenn du es nicht glauben magst, aber Nil Fauser ist hin und weg von dir! Und dieser Typ ist tief in seinem innere ein verdammter Romantiker. Ihm ist es sowas von egal, welchem stand du angehörst! Außerdem bist du nicht irgendeine Verkäuferin. Nein, du bist die Beste, die ich kenne!"

„Und wahrscheinlich auch die einzige." Seufzte ich.

Ohne zu blinzeln starrte mich Marissa schweigend an.

„Okay, das wird gerade echt gruselig."

„Sag, dass du mit zur Party kommst und ich hör auf."

„Na gut, du hast gewonnen. Ich komme mit."

Marissa hüpfte vor Freude auf der Stelle. „Supi! Na dann, lass uns dieses Chaos ganz schnell beseitigen, damit wir loskönnen."

***

Ich stand vor dem Grab meiner Mutter und legte ein Strauß Blumen darauf nieder. Genau heute vor sechs Jahren war sie Gestorben. Das war mir erst auf dem Heimweg wieder bewusst geworden. Ich blinzelte die Tränen fort, doch es half kaum, denn es kamen sofort neue. An diesem Tag vor sechs Jahren hatte sich mein Leben total verändert. Ich hatte nicht nur meine Mum an Leukämie verloren, sondern auch meinen Vater an gebrochenen Herzen. Daher lagen eigentlich zwei Menschen in diesem Grab: Mum und Dad.

„Wird es irgendwann leichter sein, hier zu stehen?"

Marissa legte mir tröstend einen Arm um die Schulter. „Hey Liebes, es ist nicht schlimm, wenn du sie vermisst. Der Schmerz zeigt dir, dass deine Mutter eine wichtige Person für dich war und sie dein Leben geprägt hat. Würde er verschwinden, würdest du sie wahrscheinlich vergessen."

„Das würde ich niemals!"

„Dann akzeptiere den Schmerz und sehe ihn als ein Teil von dir, der dich an deine Mutter erinnert."

Ich nickte und wischte mir die Tränen von der Wange.

„Hier, vielleicht muntert dich das etwas auf." Marissa hielt mir eine Schachtel hin.

Überrascht schaute ich Marissa an. „Was ist das?"

Schmunzelnd schaute sie zu mir. „Na mach schon auf, dann wirst du es auch sehen."

„Drinnen." Antwortete ich knapp und zog meine Freundin hinter mir her zum Haus. Draußen am Grab gab es nur das Licht der kleinen Laterne am Grabstein und das reichte bei weitem nicht aus, um den Inhalt des Päckchens zu erkennen.

In der Küche angekommen, legte ich die Schachtel auf den Tisch und schaute neugierig hinein. Erstaunt schnappte ich nach Luft.

„Gefällt es dir?" fragte mich Marissa begeistert.

Schweigend nahm ich den Samtstoff heraus und entfaltete das schwarze Kleid. Es war himmlisch. Der Stoff sah aus wie schwarzes fließendes Wasser. Der Saum des Kleides sowie Ausschnitt und Ärmel waren mit einem schmalen Goldrand versehen wurden. Erneut flossen Tränen meine Wangen hinab, doch dieses Mal waren es Freudentränen. Überwältigt drückte ich Marissa ganz fest, bis sie sich beschwerte, dass sie keine Luft mehr bekäme.

Nach dem sie mir noch eine Schachtel mit goldenen, hochhackigen Riemensandalen in die Hand gedrückt hatte, ging ich mich umziehen. Alles passte wie angegossen. Es gab sogar einen goldenen Schleier, der alles unterhalb der Augen verdeckte und bis zum Kinn viel, ähnlich dem, welchen ich bei der letzten Party getragen hatte.

Mit Marissas Hilfe faste ich meine roten Haare von den Seiten nach hinten zu einem geflochtenen Zopf zusammen. Der Rest viel offen über meinen Rücken. Nachdem auch Marissa sich umgezogenen hatte – sie trug ein ebenfalls schwarzes Cocktailkleid – und fertig gestylt war, fuhren wir los zur dritten Party innerhalb einer Woche. Mein Herz raste in der Erwartung Nil wiederzusehen.

altes, neues Märchen - AschenputtelWhere stories live. Discover now